Die juristische Presseschau vom 27. Februar 2020: BVerfG kippt Sui­zid­hilfe-Verbot / Bun­des­pat­ent­ge­richt zu Black Friday / Öff­ent­lich­keits­ar­beit der Gerichte

27.02.2020

Das Bundesverfassungsgericht erklärt das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe für nichtig. "Black Friday" ist teils zu Unrecht als Marke geschützt. Die Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Gerichte lässt zu wünschen übrig.

Thema des Tages

BVerfG zu Suizidhilfe: Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist verfassungswidrig. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden und § 217 StGB für nichtig erklärt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben und schließe auch die Freiheit ein, Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen. Die freie Entscheidung zur Selbsttötung sei grundsätzlich zu akzeptieren und auch nicht von einer unheilbaren Krankheit als Voraussetzung abhängig zu machen. Gesetzliche Eingriffe in das Recht auf selbstbestimmtes Sterben seien zwar möglich, § 217 StGB sei aber unverhältnismäßig, weil es neben den vom Verbot betroffenen Vereinen zu wenig Ärzte gebe, die zur Suizidhilfe bereit sind. Es berichten SZ (Michaela Schwinn), FAZ (Marlene Grunert), taz (Christian Rath), Zeit (Heinrich Wefing), Welt (Kaja Klapsa), tagesschau.de (Klaus Hempel), Tsp (Ragnar Vogt/Jost Müller-Neuhof) und lto.de (Pia Lorenz)deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) und SZ (Wolfgang Janisch/Michaela Schwinn) stellen die wichtigsten Fragen und Antworten zum Urteil zusammen.

Wolfgang Janisch (SZ) betont die Reichweite der Entscheidung: Karlsruhe mute dem Gesetzgeber einen fundamentalen Rollenwandel vom Verhinderer zum Ermöglicher des Suizids zu. Christian Rath (taz) und Matthias Kamann (Welt) fordern das Parlament auf, nun Mindeststandards für Suizidvereine zu beschließen. Gigi Deppe (tagesschau.de) begrüßt die Entscheidung: Zwar sei es ein richtiger Gedanke, dass alte und kranke Menschen nicht unter Druck gesetzt und zum Freitod gedrängt werden dürften, jedoch sei der Gesetzgeber bei der Regelung über das Ziel hinaus geschossen. Christian Vooren (Zeit) sieht in der Entscheidung eine Entlastung für die Angehörigen. Nun könnten professionelle Palliativmediziner und Patienten wieder offen sprechen, da das Tabu gefallen sei. Auch Jost Müller-Neuhof begrüßt im Tsp, dass nach dem Urteil die Sterbehilfe in Deutschland nicht länger das halblegale Handeln Verzweifelter bleiben müsse, die sich dabei besser nicht erwischen ließen. Demgegenüber sieht Daniel Deckers (FAZ) in dem Urteil einen "Schlag ins Gesicht des Bundestages", der mit allem breche, was das BVerfG bisher zur Schutzpflicht des Staates zum menschlichen Leben festgestellt habe. Ebenso kritisieren Carsten Schütz und Thomas Sitte im FAZ-Einspruch die Reichweite der Entscheidung, welche wohl "Sterbehilfe künftig auch bei Liebeskummer" zulasse.

Im Interview mit lto.de (Pia Lorenz) sprechen die Klägervertreter, die Rechtsprofessoren Christoph Knauer und Hans Kudlich, auch über mögliche Konzepte zur Neuregelung, welcher der Gesetzgeber nun in Erwägung ziehen könnte. Hiermit befasst sich auch die taz (Christian Rath). Die FAZ (Reinhard Müller) porträtiert die Berichterstatterin im Sterbehilfeverfahren, Sibylle Kessal-Wulf. Claus Koss fragt auf community.beck.de, ob Suizidvereine nach dem Karlsruher Urteil nun als steuerbegünstigte Körperschaften zu verstehen seien, und fordert den Gesetzgeber zu einer entsprechenden Klarstellung auf. Die Zeit (Evelyn Finger) bringt ein Interview mit dem Suizidhilfe-Arzt Uwe-Christian Arnold, der als Kläger zur mündlichen Verhandlung in Karlsruhe geladen war, aber vorher durch Suizid aus dem Leben schied.

Justiz

BVerfG: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle schreibt in der FAZ in einem ganzseitigen Text über die (unsichtbaren) Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit. Dabei befasst er sich mit dem Antragsprizip, der Arbeitsbelastung, der sozialen Kontrolle der einzelnen Richter durch die Kollegen, der Orientierung an der eigenen Rechtsprechung, den Sondervoten von Gertrude Lübbe-Wolff, dem Diskurszusammenhang mit den eigenen wissenschaftlichen Mitarbeitern, der Zusammenarbeit mit EuGH und EGMR und der Beobachtung durch die Rechtswissenschaft. Das BVerfG sei kein "entgrenztes Gericht". 

Verfassungsgericht Brandenburg zu AfD-Landtagsvizepräsident: Der Landtagsvizepräsident Andreas Galau (AfD) ist mit dem Versuch gescheitert, eine von der CDU-Fraktion beantragte Landtagsdebatte über Rechtsterrorismus zu verhindern. Er hatte die Ablehnung der Aktuellen Stunde "Walter Lübcke, Halle, Hanau – Wehrhafte Demokratie in der Pflicht" damit begründet, dass das Thema keinen Bezug zu Brandenburg habe und eine Instrumentalisierung der Opfer zu befürchten sei. Das Brandenburger Verfassungsgsgericht entschied nun jedoch, dass dem Vizepräsident ein solches "Prüfrecht" nicht zustehe, so FAZ (Markus Wehner).

BPatG zu "Black Friday": Der Begriff "Black Friday" ist teilweise zu Unrecht als Marke eingetragen worden. Dies entschied das Bundespatentgericht, wie SZ (Valentin Dornis) und FAZ (Marcus Jung) berichten. So sei etwa im Elektronikhandel der Begriff schon bei der Eintragung im Jahr 2013 als Schlagwort für Rabattaktionen allgemeint bekannt gewesen und daher hierfür zu Unrecht als Marke geschützt worden. Die völlige Löschung der Marke, wie sie das Deutsche Patent- und Markenamt Anfang 2018 vorgenommen hatte, sei jedoch unzulässig gewesen.

BVerfG zu Prozesskostenhilfe: zpoblog.de (Benedikt Windau) stellt zwei jüngere Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur Prozesskostenhilfe vor. Danach seien mangelnde Erfolgsaussichten nur dann anzunehmen, wenn konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine Beweisaufnahme über die streitigen Tatsachen mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würde. Eine Schmerzensgeldklage habe dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn der verlangte Betrag sich noch im Rahmen des Vertretbaren befinde.

LG Frankfurt/M. zu Schmerzensgeld für Fußballfan: Das Land Hessen muss einem Fußballfan ein Schmerzensgeld von 7000 Euro zahlen, weil zwei Polizisten ihn bei der Beschlagnahme eines Banners über die Bande im Innenraum gestoßen hatten. Von dem Fan sei zu diesem Zeitpunkt keine Gefahr mehr ausgegangen, die Polizeibeamten hätten somit gegen ihre Amtspflichten verstoßen. Der Fan hatte eine Lendenwirbelfraktur erlitten, musste sechs Tage im Krankenhaus behandelt werden und war sechs Wochen arbeitsunfähig, so lto.de.

LG Hamburg zu Faschismusvorwurf: Die AfD Mecklenburg-Vorpommern darf der dortigen Linksfraktionschefin Simone Oldenburg keine "faschistische Gesinnung" mehr unterstellen. Mit dem Begriff "faschistisch" seien das Führerprinzip und ein Totalitätsanspruch verbunden, in dem gesellschaftliche Kräfte gleichgeschaltet und Andersdenkende als minderwertig betrachtet würden. Für ein solches Denken oder eine solche Haltung der Antragstellerin sei nichts ersichtlich, entschied das Landgericht Hamburg laut zeit.de.

FG Hessen zu attac: Das Hessische Finanzgericht hat eine Klage des globalisierungskritischen Netzwerks "attac" gegen die Aberkennung seines Gemeinnützigkeitsstatus abgewiesen. Denn zumindest nicht alle Aktionen des Netzwerks dienten einem vorrangigen übergeordneten gemeinnützigen Zweck, sondern es habe darüber hinaus politische Forderungen aufgestellt, melden SZ, taz (Hannes Koch) und lto.de. Dabei entschied das Gericht zwar entsprechend der engen Vorgaben des Bundesfinanzhofs in dessen attac-Urteil von Anfang 2019, kritisierte dieses Urteil aber gleichzeitig. Das Urteil des BFH sei mit "heißer Nadel" gestrickt, erklärte der Vorsitzende Richter, man sei jedoch an seine Vorgaben gebunden.

Öffentlichkeitsarbeit der Gerichte: lto.de (Hasso Suliak) widmet sich der Öffentlichkeitsarbeit an deutschen Bundes- und Oberlandesgerichten. Eine Umfrage habe ergeben, dass es nur begrenzte personelle Kapazitäten hierfür gebe, teils würden die Aufgaben eines Pressesprechers von eigentlich als Richter tätigen Personen zusätzlich zu ihren eigentlichen Tätigkeiten wahrgenommen. Auch verzichteten die Gerichte aus Datenschutzbedenken auf eine Präsenz bei Twitter, verpassten hierdurch jedoch die Chance, sich der Bevölkerung zu präsentieren.

Recht in der Welt

Großbritannien – Julian Assange: Die SZ (Alexander Mühlauer/Frederik Obermaier) berichtet in einer großen Seite-3-Reportage über den Prozess um eine mögliche Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange aus Großbritannien in die USA. In dem Prozess auf Grundlage des "Espionage Act" aus der Zeit des Ersten Weltkriegs gehe es um grundsätzliche Fragen der Pressefreiheit. netzpolitik.org (Markus Beckedahl) fordert die Freilassung von Assange und sieht in dem Auslieferungsbegehren einen Einschüchterungsversuch auf einen kritischen Journalismus. 

Frankreich – François Fillon: In Paris hat der Prozess gegen den ehemaligen französischen Premierminister und Präsidentschaftsanwärter François Fillon wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder begonnen. Er soll seine Ehefrau acht Jahre lang als parlamentarische Assistentin beschäftigt haben, ohne dass sie diese Tätigkeit tatsächlich ausgeführt habe, so SZ (Nadia Pantel) und FAZ (Michaela Wiegel).

USA – Harvey Weinstein: Die Zeit (Klaus Brinkbäumer) zeichnet den Prozess gegen den ehemaligen Filmproduzenten Harvey Weinstein in New York nach, welcher diese Woche mit einer Verurteilung u.a. wegen Vergewaltigung endete. Dabei geht es insbesondere um die Befragungen der Opfer Weinsteins im Gerichtssaal.  

Polen – Justizreform: Auf verfassungsblog.de schildert der polnische Rechtsprofessor Miroslaw Wyrzykowski (in englischer Sprache) in der Form eines Briefes eines Vaters an einen Sohn die immer stärker werdende staatliche Einflussnahme auf die höchsten Gerichte im Land.  

Sonstiges

Rheinland-Pfalz – Coronavirus-Falschmeldung: Die Polizei in Rheinland-Pfalz hat Ermittlungen gegen zwei Männer aufgenommen, die eine Falschmeldung über eine angebliche Coronavirus-Infektion über die sozialen Medien verbreitet haben sollen. Nach Meldung von lto.de ermittelt die Polizei wegen Vortäuschens einer gemeinen Gefahr sowie wegen Belästigung der Allgemeinheit. 

 

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lto/mps

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. Februar 2020: BVerfG kippt Suizidhilfe-Verbot / Bundespatentgericht zu Black Friday / Öffentlichkeitsarbeit der Gerichte . In: Legal Tribune Online, 27.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40501/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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