Die juristische Presseschau vom 14. Februar 2020: EGMR zu Zurück­wei­sungen / OVG Münster zu Ruhe­zeiten / Immunität von Sal­vini auf­ge­hoben

14.02.2020

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hält sogenannte Push-Backs in spanischer Exklave für rechtmäßig. Ruhezeiten sind arbeitszeitrechtlich als Bereitschaftsdienst einzuordnen und ein Strafverfahren gegen Salvini wird ermöglicht.

Thema des Tages

EGMR zu Push-Backs: Nach einstimmiger Entscheidung der großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat Spanien nicht gegen das Verbot der Kollektivausweisung nach Art. 4 des 4. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen, indem Sicherheitskräfte zwei Migranten nach Marokko zurückwiesen, unmittelbar nachdem diese den Grenzzaun zur Exklave Melilla überwunden hatten. Die beiden Männer hätten sich dadurch selbst in eine rechtswidrige Situation gebracht, dass sie gemeinsam mit vielen anderen Menschen den Zaun gewaltsam überwunden hätten. Sie seien bewusst nicht auf legalem Wege eingereist, obwohl ihnen ein Visumsantrag im nahegelegenen Konsulat zur Verfügung gestanden habe. Die unmittelbare Zurückweisung ohne individuelle Entscheidung über eine Ausweisung sei damit Folge ihres eigenen unrechtmäßigen Verhaltens. Die Männer aus Mali und der Elfenbeinküste hatten am 13. August 2014 gemeinsam mit 70 bis 80 weiteren Migranten versucht, den Zaun zu überwinden. Als sie auf den dritten der drei Zäune gelangten, wurden sie sofort festgenommen und durch Tore im Zaun zurück gebracht und den marokkanischen Grenzbeamten übergeben, ohne dass eine Feststellung ihrer Personalien oder die Anhörung im Hinblick auf ein Asylgesuch ermöglicht wurde. Es berichten ausführlich FAZ (Hans-Christian Rößler/Helene Bubrowski), SZ (Wolfgang Janisch), tagesschau.de (Klaus Hempel) und taz (Christian Rath), sowie spiegel.de (Vanessa Steinmetz) und lto.de.

Wolfgang Janisch (SZ) hält das Urteil für "weltfremd", dieses gehe "an der harten Realität vorbei, der Flüchtlinge ausgesetzt sind" und werde "die teils brutale Praxis der Zurückschiebung von Flüchtlingen weiter begünstigen." Reinhard Müller (FAZ) hält die Entscheidung für "bemerkenswert" und meint, es müsse "auch ein illegaler Eindringling menschlich behandelt werden. Aber ein 'Sturm' auf Europa kann nicht belohnt werden."

Rechtspolitik

PKW-Maut: Das Bundesverkehrsministerium will durch eine außergerichtliche Schiedsklage gegen die an der Pkw-Maut beteiligten Unternehmen feststellen lassen, dass diesen keine Erstattungs- oder Entschädigungsforderungen gegen den Bund zustehen, so spiegel.de (Andreas Albert).

Werbung durch Influencer: Wie lawblog.de berichtet, will das Bundesjustizministerium der Entwicklung entgegenwirken, dass sogenannte Influencer seit einiger Zeit alle Beiträge als Werbung kennzeichnen um möglichen Abmahnungen und Verfahren zu entgegen. Diese hätten im Rahmen der Meinungsfreiheit das Recht, zu informieren und an der Meinungsbildung mitzuwirken, ohne sich als käuflich darstellen zu müssen, obwohl sie überhaupt kein Geld erhalten haben. Dies soll im Gesetzentwurf klargestellt werden.

Justiz

OVG Münster zu Ruhezeiten: Nach Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen sind Ruhezeiten, die für die Einsatzkräfte der Bundespolizei anlässlich des G7-Gipfels in Schloss Elmau und der anschließenden Bilderberg-Konferenz in Österreich in den Dienstplänen festgesetzt waren, arbeitszeitrechtlich als Bereitschaftsdienst zu qualifizieren. Damit haben die sechs klagenden Beamten aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen teilweise ein Anrecht auf jeweils bis zu 200 Stunden Freizeitausgleich. Diese waren angewiesen worden, während der in den Dienstplänen ausgewiesenen Ruhezeiten möglichst geschlossen in den Hotels zu bleiben. Damit sei die Ruhezeit für die Beamten keine autonom zu gestaltende Freizeit gewesen, berichtet lto.de.

OLG Celle zur Spareinlage: Wie FAZ (Marcus Jung) und lto.de berichten, hat das Oberlandesgericht Celle entschieden, dass über Jahre hinweg monatlich auf das Sparkonto der Enkel eingezahltes Geld durch Sozialhilfeträger zurückgefordert werden darf, wenn die schenkende Großmutter zum Pflegefall wird. Die geleisteten Zahlungen an Familienangehörige zum Kapitalaufbau seien keine "privilegierten Schenkungen" im Sinne von § 534 BGB, die nicht zurückgefordert werden können. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

OLG Frankfurt zu Mietpreisbremse: Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat laut lto.de in einer Berufungsentscheidung einer Klage von Mietern gegen das Land Hessen wegen Unwirksamkeit der Mietpreisbremse entschieden, dass keine Amtshaftungsansprüche wegen fehlerhafter Gesetzgebung bestehen, da es an einer drittgerichteten Amtspflicht fehle. Auch ein Anspruch auf Entschädigung wegen enttäuschten Vertrauens bestünde nicht, da die Unwirksamkeit der Verordnung bereits früh im Gespräch gewesen sei. Der Senat hat die Revision zum BGH zugelassen.

BAG zu Air Berlin-Kündigung: Die Kündigung von Piloten bei der pleitegegangenen Fluglinie Air Berlin war laut Bundesarbeitsgericht unwirksam, da das Unternehmen die vorgeschriebene Massenentlassungsanzeige damals bei einer unzuständigen Niederlassung der Agentur für Arbeit erstattet habe. Geklagt hatten acht Piloten, die 2017 entlassen worden waren. Im Mai soll das BAG entscheiden, ob das Urteil auch auf das Kabinenpersonal übertragbar ist. Es berichten spiegel.de (Andreas Albert) und SZ.

EuGH – Naturschutz: Laut taz (Heike Holdinghausen) droht Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof erneut ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Missachtung von Naturschutzvorgaben durch die Bundesländer und fehlender Pflege der Natura-2000-Schutzgebiete. Dies hatte die EU-Kommission jüngst kritisiert, der Bund kann nun Stellung dazu nehmen.

BGH zu "demnächst": zpoblog.de (Benedikt Windau) stellt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Begriff "demnächst" i.S.d. § 167 Zivilprozessordnung vor. Im Ausgangsfall hatte das Oberlandesgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, da es davon ausgegangen sei, dass die Klage nicht "demnächst" zugestellt worden sei, sondern erst nach Einzahlung des vollständigen Kostenvorschusses, vier Wochen nach Zugang der Kostenrechnung. Nach einwöchiger Prüffrist seien jedoch Verzögerungen von bis zu 14 Tagen regelmäßig als geringfügig anzusehen.

Recht in der Welt

UN-Menschenrechtsausschuss – Klimaflüchtlinge: taz (Christian Rath) spricht mit Andreas Zimmermann vom UN-Menschenrechtsausschuss über den Schutz sogenannter Klimaflüchtlinge. Anlass ist die jüngste Entscheidung des UN-Menschenrechtsausschusses, die grundsätzlich feststellte, dass Personen nicht in Gebiete abgeschoben werden dürfen, in denen der Klimawandel ihr Recht auf Leben bedroht.

Italien – Immunität Salvinis: Laut lto.de hat der Senat in Rom die Immunität des ehemaligen italienischen Innenministers Matteo Salvini der rechten Partei Lega aufgehoben und ermöglicht damit ein Verfahren im Zusammenhang mit seiner harten Flüchtlingspolitik. Konkret hatte Salvini als Minister im Sommer 2019 verweigert, u.a. das Schiff der Küstenwache "Gregoretti" mit 131 Migranten in italienische Häfen einlaufen zu lassen. Die Staatsanwaltschaft in Catania wirft ihm deshalb Freiheitsberaubung vor.

Türkei – Deniz Yücel: Im Prozess gegen den Welt-Journalisten Deniz Yücel wegen des Vorwurfs der Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK sowie Volksverhetzung fordert die türkische Staatsanwaltschaft bis zu 16 Jahre Haft. Yücels Anwalt wirft der Staatsanwaltschaft vor, die Rechtsprechung des türkischen Verfassungsgerichts zur Pressefreiheit zu ignorieren und forderte mehr Zeit für die Verteidigung. Der Prozess soll am 2. April 2020 in Abwesenheit Yücels fortgesetzt werden. Ein weiterer Prozess gegen den Kölner Sozialarbeiter Adil Demirci wurde nach einer kurzen Verhandlung am Donnerstag in Istanbul erneut vertagt und soll am 16. Juni 2020 fortgesetzt werden. Es berichten FAZ, lto.de, spiegel.de (Anna-Sophie Schneider) und Welt (Baris Altintas).

Russland – Mögliche Verfassungsreform: Die SZ (Frank Nienhuysen) berichtet, dass eine 75-köpfige Arbeitsgruppe, darunter nur weniger Juristen, eine Verfassungsreform erarbeitet hat, die Ende Februar im Parlament beschlossen und dann der Bevölkerung zur Volksabstimmung vorgelegt werden soll.

Frankreich – Blasphemie: Wie die FAZ meldet, hat der französische Präsident Macron eine 16 Jahre alte Schülerin in Schutz genommen, die wegen ihrer harschen Kritik am Islam Morddrohungen erhalten hatte. Macron wies dabei darauf hin, es gebe ein "Recht auf Blasphemie", dieses umfasse auch die Freiheit, Religionen zu kritisieren und zu karikieren.

USA – Harvey Weinstein: Im Vergewaltigungsprozess gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein in New York hat dessen Anwältin ihr Plädoyer gehalten und sich für dessen Unschuld ausgesprochen. Die Darstellung der Anklage hinsichtlich der Zeuginnen sei nicht schlüssig. Es berichtet spiegel.de (Peter Maxwill).

Sonstiges

Parteienspende an AfD: Wie die SZ (Sebastian Pittelkow/Katja Riedel) und zeit.de (Tilman Steffen) berichten, hat ein Ingenieur aus Niedersachsen der AfD Vermögen in Höhe von etwa sieben Millionen Euro vererbt. Es handelt sich dabei um einen der höchsten Geldzuflüsse der deutschen Parteiengeschichte. Die Partei hat der Bundestagsverwaltung das Erbe und dessen etwaigen Wert angezeigt. Spendername und Höhe sollen demnächst offenbar auch im bisher noch unveröffentlichten Rechenschaftsbericht der Partei zu lesen sein. Die Düsseldorfer Parteienrechtlerin Sophie Schönberger wird dahingehend zitiert, dass der Erbfall rechtlich "eine ungewöhnliche Parteispende von Todes wegen" darstelle. Die AfD selbst habe angegeben, dass noch umstritten sei, ob eine Erbschaft rechtlich eine Parteispende sei.

Freshfields und Cum-Ex-Ermittlungen: lto.de (Anja Hall) macht darauf aufmerksam, dass die Verwicklung der Großkanzlei Frehsfields Bruckhaus Deringer in den Cum-Ex-Skandal bei der Hauptversammlung des Chipherstellers Infineon am 20. Februar eine Rolle spielen wird. Ein Aktionär des Unternehmens hat gefordert, zwei Vorständen die Entlastung für das Geschäftsjahr 2019 zu verweigern, da sie die Kanzlei mandatierten und damit gegen den Code of Conduct und den Code of Ethics des Technologiekonzerns verstoßen hätten. Diese hätten wissen müssen, dass im Rahmen des Cum-Ex-Steuerskandals gegen Freshfields ermittelt wird.

Cum-Ex und Hamburg: Der Hamburger Senat ließ Forderungen des Staates gegen die Privatbank M. M. Warburg aus dem Cum-Ex-Steuerskandal in Höhe von 46,8 Millionen Euro möglicherweise bewusst verjähren. Zu dem fraglichen Zeitpunkt im Jahr 2017, als es zu entsprechenden Gesprächen mit der Bank gekommen sein soll, war Bundesfinanzminister Olaf Scholz regierender Bürgermeister Hamburgs. Es berichten FAZ (Marcus Jung), SZ (Cerstin Gammelin/Peter Burghardt), taz (Malte Kreutzfeldt), spiegel.de (Alexander Preker) und Welt (Ulrich Exner/Jörn Lauterbach).

EU-Vertragsverletzungsverfahren: Das Hbl (Martin Greive) zeigt auf, dass derzeit gegen Deutschland 76 EU-Vertragsverletzungsverfahren anhängig sind, womit Deutschland im europäischen Vergleich an der Spitze liege.

Besteuerung von Digitalunternehmen: Der Steuerrechtsanwalt Sebastian Benz erläutert in einem Beitrag auf lto.de den Stand der Verhandlungen der G20-Staaten zur Besteuerung multilateraler Digitalkonzerne und gibt einen Einblick in die vorgesehenen Modelle. Verhindert werden soll, dass die Unternehmen ihre Steuerlast durch rechtliche Gestaltungen verringern.

 

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lto/cc

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. Februar 2020: EGMR zu Zurückweisungen / OVG Münster zu Ruhezeiten / Immunität von Salvini aufgehoben . In: Legal Tribune Online, 14.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40287/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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