Die juristische Presseschau vom 13. Februar 2020: Google vor dem EuG / US-Staats­an­wälte kri­ti­sieren Trump / Beschwerde gegen Staats­an­walt­schaft im Win­ter­korn-Pro­zess

13.02.2020

Erstes Verfahren wegen Missbrauchs marktbeherrschender Stellung durch Google hat begonnen. Nach Trump-Intervention protestieren Staatsanwälte. Dienstaufsichtsbeschwerde eines Richters im Winterkorn-Prozess.

Thema des Tages

EuG – Google: Von Mittwoch bis Freitag verhandelt das Gericht der Europäischen Union über die Geldbuße in Höhe von 2,42 Milliarden Euro, die die EU-Kommission Google 2017 wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung auferlegt hat. Vorgeworfen wurde Google, den eigenen Preisvergleichs-Dienst systematisch in 13 EU-Staaten gegenüber der Konkurrenz bevorzugt zu haben. Auch gegen die weiteren Milliardenbußgelder aus 2018 und 2019 hat Google bereits Klage erhoben, Verhandlungstermine hierfür stehen aber noch nicht fest. Die beiden Bußgelder in Höhe von 4,34 und 1,49 Milliarden Euro betrafen die Bevorzugung der eigenen Suchmaschine auf Android-Mobilfunk-Betriebssystemen sowie den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung bei der Online-Werbung zum Nachteil von Konkurrenten. SZ (Björn Finke)FAZ (Timo Kotowski/Roland Lindner) und taz (Christian Rath) berichten. SZ und FAZ weisen zudem auf die Beschwerde einer Gruppe von Unternehmen hin, die Ferienhäuser vermitteln und sich durch die überproportionale Prominenz des Google-eigenen Ferienwohnungs-Suchdienstes benachteiligt fühlen. Rechtsanwalt Thomas Höppner vertritt diese Gruppe und bezeichnet den aktuellen Rechtsstreit um Google Shopping als Präzedenzfall, der maßgeblichen Einfluss auf Gesetzesvorhaben der EU-Kommission gegen die Marktmacht von Unternehmen wie Google, Amazon oder Facebook haben werde.

Rechtspolitik

Vollverschleierung: Im Interview mit verfassungsblog.de (Max Steinbeis/Anna von Notz) zur Vollverschleierung, insbesondere in Schulen und Universitäten im Besonderen spricht sich Rechtsprofessor Christian Waldhoff für eine situationsabhängige Differenzierung aus. Er ist gegen ein allgemeines Burkaverbot. Ein Verbot sei aber vor allem dort angebracht, wo es um Gefahrenabwehr gehe, etwa im Straßenverkehr, oder wo die "verfassungsrechtlich gewollte Funktionstüchtigkeit von staatlichen Einrichtungen" betroffen sei. Sowohl in der Schule als auch in Seminaren mit kleinen Gruppen an der Universität könne ein Verschleierungsverbot gerechtfertigt sein.

Verbrennen von Flaggen: Nach Kritik aus Politik und Rechtswissenschaft ist die Union nun zu Änderungen des Vorhabens, das Verbrennen ausländischer Flaggen unter Strafe zu stellen, bereit. Wie lto.de (Hasso Suliak) berichtet, sorgte bei einer Anhörung im Bundestag insbesondere für Unmut, dass der geplante Straftatbestand "wenig Spielraum für eine Berücksichtigung der Meinungsfreiheit" ließe und somit nicht nur etwa das Wegwerfen von Flaggen nach Demonstrationen den Tatbestand erfülle, sondern auch Beschädigungen oder Zerstörungen im Rahmen von Satire oder Kunst, so Rechtsprofessor Eisele. Ob solchen Bedenken durch das zusätzliche Erfordernis des "Verunglimpfens" ausreichend begegnet werden könne, sei fraglich angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der bereits im bestehenden Schutz der deutschen Flagge nur "antidemokratische Aktionen" bestraft werden sollen.

Wahlrecht zum Bundestag: Anlässlich der aktuellen Diskussion um die Wahlrechtsreform erläutert Rechtsanwalt Sebastian Roßner auf lto.de die aktuelle Rechtslage sowie die Erfolgsaussichten der unterschiedlichen Reformvorschläge und weist schließlich darauf hin, dass eine etwaige Reform bereits bis zum 25. Juni 2020 verabschiedet sein müsste. Bundestagskandidaten können gemäß dem Bundeswahlgesetz nämlich ab diesem Zeitpunkt aufgestellt werden und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebiete es, dass den Kandidaten das für die Wahl gültige Wahlrecht bekannt sei. Es sei unwahrscheinlich, dass eine Reform in dieser Zeit verabschiedet werde.

Wahlalter in NRW: Einen Gesetzentwurf der SPD, das Wahlalter für die nordrhein-westfälische Landtagswahl auf 16 Jahre herabzusetzen, lehnte das Düsseldorfer Parlament ab, so lto.de.

Europäisches Flüchtlingsrecht: In einem ausführlichen Beitrag im Hbl (Ozan Demircan u.a.) werden aktuelle Zahlen und Herausforderungen im Zusammenhang mit der Zuwanderung nach Europa dargestellt und verschiedene Vorschläge für eine solidarischere Lösung vorgestellt. So wird etwa in einem Eckpunktepapier von Horst Seehofer das Dublin-System für "gescheitert" erklärt und stattdessen eine rasche Prüfung an den Außengrenzen vorgeschlagen. Anschließend könnten diejenigen mit guten Chancen auf Asyl per Zufallsverteilung in die übrigen Mitgliedstaaten gebracht werden.

In einem begleitenden Interview im Hbl (Moritz Koch) mit dem Chef des International Rescue Committees, David Miliband, spricht sich dieser gegen den Vorstoß Österreichs aus, Schiffbrüchige nach Afrika zurückzubringen und pocht auf die Verständigung auf ein gemeinsames Asylpaket auf europäischer Ebene.

Justiz

EGMR – Pushbacks: Die große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entscheidet am heutigen Donnerstag über eine Pushback-Aktion der spanischen Grenzpolizei gegen Flüchtlinge, die von Marokko aus nach Spanien gelangen wollten. In der SZ (Wolfgang Janisch) wird zudem geschildert, wie diverse europäische Staaten versuchen, Menschen vor oder an den Grenzen abzufangen, um eine menschenrechtliche Verpflichtung zur Prüfung von Asylverfahren zu vermeiden. Solche pauschalen Rückschiebeaktionen bärgen die Gefahr, das völkerrechtliche non-refoulement-Verbot zu verletzen, also die Abschiebung in ein Land, in dem Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe droht. 

BVerfG - Neutralitätspflicht von Seehofer: Nun berichten auf verfassungsblog.de auch die Jurastudentin Veronika Budnik und die Doktorandin Maryam Kamil Abdulsalam über die Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts vom Dienstag. Die AfD klagte gegen die Veröffentlichung eines AfD-kritischen Seehofer-Interviews auf der Homepage des Bundesinnenministerium.

BVerfG zu EU-Grundrechten: Alexander Brade und Markus Gentzsch stellen auf juwiss.de in der Form von Leitsätzen ein Alternativkonzept vor, das die Schwächen des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung Recht auf Vergessenwerden II zu überwinden sucht.

OVG Schleswig – Fehmarnbelt-Tunnel: An diesem Donnerstag und Freitag werden die ersten von mehreren Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau der B207 im Rahmen des Fehmarnbelt-Tunnelbaus vor dem OVG Schleswig verhandelt, wie die FAZ (Christian Müßgens) meldet. Die Gemeinden Fehmarn und Großenbrode sehen unter anderem ihr Selbstverwaltungsrecht verletzt. Daneben werden am Bundesverwaltungsgericht ab September auch noch weitere Verfahren verhandelt, die sich unter anderem mit Umweltschutzbelangen des Großprojektes beschäftigen.

LG Braunschweig – Winterkorn: Im Verfahren gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn und vier weitere VW-Manager vor dem Landgericht Braunschweig geht der Richter nun mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Staatsanwaltschaft vor, so lto.de, SZ und FAZ. Informationen zum Inhalt der Beschwerde könnten in dem nicht-öffentlichen Zwischenverfahren nicht bekannt gegeben werden, erklärte eine Gerichtssprecherin. Im April 2019 hatte die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den Diesel-Abgasmanipulationen Anklage gegen Winterkorn wegen Betrugs erhoben. 

LG Berlin – Goldmünzenraub: Anlässlich der für den heutigen Donnerstag terminierten Schlussplädoyers der Verteidiger im Prozess um den Berliner Goldmünzenraub berichtet die Zeit (Tobias Timm) über die diversen Kuriositäten, die den Raub erst ermöglichten. Die Vitrine etwa, in der sich die Münze befand, sei nicht alarmgeschützt gewesen und mangels ausreichender Videoüberwachung gelang es den Angeklagten, die Vitrine zu erreichen, ohne dabei gefilmt zu werden.

Recht in der Welt

Polen – Richter: Am 19. Februar wird das polnische Verfassungsgericht entscheiden, ob das Oberste Gericht Polens die Legitimität neu ernannter Richter in Frage stellen durfte. Der NGO-Mitarbeiter Jakub Jaraczewski stellt auf lto.de die Alternativen vor. Sollte das Verfassungsgericht urteilen, dass die Ablehnung von vermeintlich politisch installierten Richtern nicht mit polnischem Recht vereinbar sei, würde es gegen die im EuGH-Urteil aufgestellten Kriterien einer unabhängigen Justiz verstoßen und damit den Rechtstaatskonflikt weiter befeuern. Angesichts der bevorstehenden polnischen Präsidentschaftswahlen könnte das Verfassungsgericht die Anfechtung der neu ernannten Richter aber auch für zulässig erklären.

Bulgarien – Staatsanwälte: Die Dozentin Radosveta Vassileva beschreibt auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) die Strategien der bulgarischen Regierung, ein nunmehr zehn Jahre altes Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR), nicht umsetzen zu müssen. In dem Urteil hebt der EGMR hervor, dass die zentralisierte Struktur der bulgarischen Staatsanwaltschaft die Durchführung von Ermittlungen zu Tatbeständen, die den Generalstaatsanwalt belasten, unmöglich macht, da die Staatsanwaltschaft ein Monopol auf den Ermittlungsprozess hat.

Italien – Salvinis Immunität: U.a. die SZ (Andrea Bachstein) berichtet, dass der italienische Senat die Immunität des Lega-Chefs Matteo Salvini aufgehoben hat, damit jener wegen schwerer Freiheitsberaubung vor Gericht gestellt werden kann. Der damalige Innenminister Salvini hatte im letzten Sommer einem Boot mit mehr als 130 aus Seenot geretteten Migranten tagelang trotz drastischer Zustände an Bord die Landung verboten. Er berief sich dabei auf Artikel 52 der Verfassung, der "die Verteidigung des Vaterlandes" als heilige Pflicht jedes Bürgers festlege.  

Spanien – Sterbehilfe: In Spanien stimmte eine Mehrheit des Parlaments für einen Gesetzentwurf, der die aktive Sterbehilfe legalisieren soll. Spanien kann damit neben den Niederlanden, Belgien und Luxemburg zum vierten Staat in der EU mit einer gesetzlichen Regelung für die aktive Sterbehilfe werden. Wie die FAZ (Hans-Christian Rößler) erläutert, ist geplant, dass neben der Meinung von zwei Ärzten auch die Zustimmung eines extra dafür gebildeten Gremiums eingeholt werden muss.

USA – Trump-Berater: Die vier mit dem Fall um den Trump-Berater Roger Stone befassten Staatsanwälte kündigten nun aus Protest gegen die Einmischung Trumps an, den Fall niederzulegen, so u.a. die FAZ (Majid Sattar) und SZ (Christian Zaschke). Trump hatte ein niedrigeres Strafmaß gefordert, Justizminister Barr hob daraufhin die Forderung der Staatsanwälte auf. In einem Kommentar kritisiert Carsten Luther (zeit.de), dass dieser Vorgang Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz aufkommen lasse. 

Türkei – Deniz Yücel: In einem Interview mit der taz (Ali Çelikkan) geht Yücel-Anwalt Veysel Ok davon aus, dass Yücel freigesprochen wird, verweist aber auch auf die Unberechenbarkeit türkischer Gerichte. Die Staatsanwaltschaft soll sich heute in Istanbul in Abwesenheit Yücels zu der Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts vom letzten Sommer äußern, in der Yücels Artikel als von der Meinungsfreiheit gedeckt angesehen wurden.

Japan – Carlos Ghosn: spiegel.de, zeit.de und die FAZ (Patrick Welter) melden, dass Nissan von seinem Ex-Chef Carlos Ghosn nun einen zweistelligen Millionenbetrag als Schadensersatz für dessen jahrelanges "betrügerisches" und "korruptes" Verhalten fordere. Das japanische Unternehmen habe beim Bezirksgericht in Yokohama eine Zivilklage eingereicht, teilte der Renault-Partner mit.

Sonstiges

Pfandflaschen im Strafrecht: Rechtsprofessorin Elisa Hoven erklärt im FAZ-Einspruch die strafrechtlichen Feinheiten des Pfandflaschen-Diebstahls. Während beim Kauf von standardisiertem Leergut, sogenannten Einheitsflaschen, zivilrechtlich Eigentumserwerb erfolgt, behält bei Individualflaschen die auf der Flasche eingeprägte Firma, zum Beispiel "Coca Cola", weiterhin Eigentum an der Flasche. Eine für den Tatbestand des Diebstahls notwendige Zueignungsabsicht sei demnach nur bei der Einheitsflasche unproblematisch, da die Eigentümerstellung bei Individualflaschen erkennbar nicht in Frage gestellt wird.

 

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lto/jpw

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. Februar 2020: Google vor dem EuG / US-Staatsanwälte kritisieren Trump / Beschwerde gegen Staatsanwaltschaft im Winterkorn-Prozess . In: Legal Tribune Online, 13.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40267/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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