Die juristische Presseschau vom 11. Februar 2020: See­hofer-Inter­view vor BVerfG / Kün­di­gung von VW-Mit­ar­beiter / Sabine und Arbeits­recht

11.02.2020

In Karlsruhe wird heute über ein Interview verhandelt, in dem Horst Seehofer die AfD scharf kritisiert hat. Außerdem in der Presseschau: Die Kündigung eines VW-Mitarbeiters war rechtswidrig und der Sturm wirft arbeitsrechtliche Fragen auf.

Thema des Tages

BVerfG – Seehofer-Interview: Am heutigen Dienstag wird vor dem Bundesverfassungsgericht darüber verhandelt, ob Bundesinnenminister Horst Seehofer durch ein mit der dpa geführtes und anschließend auf der Internetseite des Ministeriums veröffentlichtes Interview die Rechte der AfD verletzt hat. Seehofer hatte in dem Gespräch unter anderem die AfD als "staatszersetzend" bezeichnet. In Karlsruhe wird es unter anderem um die Frage gehen, ob Seehofer als Parteipolitiker oder als Minister gehandelt hat, wie die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) zitiert aus einer Stellungnahme des Bundesinnenministeriums an das Bundesverfassungsgericht. Darin wird darauf verwiesen, dass die "Realbedingungen der politischen Kommunikation" durch Internet und Social Media rauer geworden seien und Äußerungen im politischen Meinungskampf "durchaus farbenfroh und deutlich ausfallen" könnten.

Rechtspolitik

Flüchtlinge auf griechischen Inseln: In einem Gastbeitrag für FAZ-Einspruch spricht sich die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) für ein Sofortprogramm zur Hilfe von Menschen in besonders prekärer Situation aus. Es reiche nicht aus, dass die Bundesregierung sich für eine europäische Lösung ausspricht, die nicht zustande kommen werde.

Wahlrecht: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Jerome Schröder analysiert auf verfassungsblog.de die letzte Woche bekannt gewordenen Vorschläge aus der SPD-Bundestagsfraktion zur Reform des Wahlrechts. Der erste Vorschlag, der unter anderem eine Verrechnung von Überhangmandaten mit anderen Listen vorsieht, sei mit der CSU nicht zu machen. Der zweite Vorschlag beinhalte unter anderem eine Abkehr von der Erfolgswertgleichheit, was ihn verfassungsrechtlich problematisch mache.

Pflichtverteidiger: Auf lto.de nimmt Rechtsanwalt Volker Römermann ein Verfahren vor dem Oberlandesgericht München zum Anlass, sich grundsätzliche Gedanken zur Bestellung, Abberufung und Vergütung von Pflichtverteidigern zu machen. Die bisherigen Regelungen führten dazu, dass Richter in der Tendenz angenehme Verteidiger auswählen. Zudem würden Pflichtverteidiger in einer finanziellen Abhängigkeitssituation zum Vorsitzenden sein. Erforderlich sei daher, dass unbeteiligte Richter über Bestellung, Abberufung und Vergütung entscheiden.

Staat und Islam: Die FAZ (Constantin van Lijnden) stellt einen Sammelband mit dem Titel "Rechtliche Optionen für Kooperationsbeziehungen zwischen deutschem Staat und muslimischen Gemeinschaften" vor, in dem überwiegend Jurist*innen zu Wort kommen. Behandelt werden insbesondere die Anerkennung als Religionsgemeinschaft sowie die Erfahrungen mit Pilotprojekten beim Religionsunterricht. Zudem wird ein vergleichender Blick auf jüdische Religionsgemeinschaften und ins europäische Ausland geworfen.

Sicherheitsunion: Die FAZ (Thomas Gutschker) stellt die Vorhaben des Vizepräsidenten der EU-Kommission Margaritis Schinas vor, der für die "Förderung unserer europäischen Lebensweise" zuständig ist. Neben der Koordination in der Migrationspolitik beschäftige sich Schinas mit neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz sowie dem Schutz kritischer Infrastruktur. Europol will er stärken.

EZB – Nachhaltigkeit: In einem Gastbeitrag für das Hbl befasst sich Rechtsprofessor Wolf-Georg Ringe mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Europäischen Zentralbank. Zwar sei die EZB in erster Linie der Preisstabilität verpflichtet, jedoch genieße sie dabei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof einen weiten Spielraum. Angesichts der wirtschaftlichen Risiken des Klimawandels erscheine es zumindest vertretbar, dass auch durch Umweltschutz indirekt die Preisstabilität gefördert wird. Problematisch sei jedoch, dass für derartige Richtungsentscheidungen grundsätzlich gewählte Organe zuständig seien. Die EZB brauche daher ein klares Mandat und gegebenenfalls eine aktualisierte Aufgabenumschreibung.

Justiz

BVerfG – § 219a StGB: Die Habilitandin Anna-Lena Hollo begründet auf juwiss.de ihre Auffassung, wonach die Strafbarkeit der "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" (§ 219a Strafgesetzbuch) gegen die Meinungsfreiheit verstößt. Der Straftatbestand sanktioniere sowohl Werturteile als auch meinungsbildende Tatsachenbehauptung. Er sei jedoch kein allgemeines Gesetz und damit keine taugliche Grundrechtsschranke, weil ihm eine Wertung gegen Schwangerschaftsabbrüche zugrunde liege. Gegen die Verurteilung einer Ärztin ist eine Verfassungsbeschwerde anhängig.

BVerfG – Abwahl von Stephan Brandner: Die AfD-Bundestagsfraktion hat gegen die Abwahl seines Mitglieds Stephan Brandner vom Posten des Rechtsausschussvorsitzenden Organklage beim Bundesverfassungsgericht erhoben und mit einem Eilantrag verbunden. Das bestätigte ein Pressesprecher des Gericht gegenüber lto.de (Hasso Suliak). Die AfD-Fraktion, die durch den Privatdozenten Michael Elicker vertreten wird, argumentiert, dass es keine Rechtsgrundlage für die Abwahl gebe und sie daher in ihren Minderheitsrechten als Oppositionsfraktion verletzt sei. Brandner war wiederholt wegen Twitter-Äußerungen in die Kritik geraten und schließlich von den Abgeordneten der anderen Fraktionen abgewählt worden.

LG Braunschweig – Myright-Klagen: Über die Absicht des Landgericht Braunschweig, eine Klage des Legal-Tech-Unternehmens Myright gegen Volkswagen abzuweisen, berichtet jetzt auch das Hbl (Heike Anger). Das Landgericht sieht in der Abtretung von Ansprüchen schweizerischer und slowenischer VW-Kunden einen Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz.

LG München I zu Uber: Das Landgericht München I hat die weitere Nutzung der Apps "Uber Black", "Uber X" und "Uber Van" untersagt. Das melden spiegel.de und lto.de. Der Anbieter verstößt nach Auffassung des Gerichts gegen das Personenbeförderungsgesetz, weil die Mietwagen nicht nach jedem Auftrag an den Sitz des Unternehmens zurückkehren. Vielmehr begünstige die App, dass Fahrer unterwegs eigenständig neue Aufträge annehmen.

LG Hamburg zu Werbung für Finanzprodukte: Das Landgericht Hamburg hat die Finanzplattform Exporo zu einer Geldzahlung verurteilt, weil diese in einer Werbung auf Youtube nicht hinreichend vor Risiken gewarnt habe. In dem Fall ging es um Werbung für riskante Nachrangdarlehen für Immobilienprojekte. In dem Video werde zwar vor den Gefahren gewarnt, jedoch nur für zwei Sekunden und in kleiner Schrift. Das sei nicht ausreichend, befand das Landgericht laut SZ (Jonas Schulze).

ArbG Braunschweig zu VW-Mitarbeiter: Ein ranghoher VW-Mitarbeiter hat sich erfolgreich gegen seine Kündigung infolge des Abgasskandals gewehrt. Das melden die FAZ und spiegel.de. Das Arbeitsgericht Braunschweig erklärte die Kündigung für unwirksam, weil der Betriebsrat fehlerhaft informiert worden sei. VW habe den Eindruck erweckt, dass es mehrere Zeugen gebe, die Mitarbeiter belasten. Nach der Auffassung des Gerichts gab es jedoch nur einen Zeugen, der sich auf sein Aussageverweigerungsrecht berufe.

LG Kleve – Autorennen: Vor dem Landgericht Kleve hat die Verhandlung in einem Strafverfahren gegen zwei Männer begonnen, denen vorgeworfen wird, ein Autorennen mit tödlichem Ausgang für eine unbeteiligte Frau veranstaltet zu haben. Der Unfallfahrer ist wegen Mordes und Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge angeklagt. Die Staatsanwaltschaft argumentiert, dass er den Tod von Passanten billigend in Kauf genommen habe. Von der Verhandlung berichten die FAZ (Reiner Burger) und spiegel.de. bild.de (Andreas Wegener/Daniel Müller) macht darauf aufmerksam, dass einer der Zeugen, auf den eines der Fahrzeuge gemeldet war, ein ehemaliger Fußball-Bundesliga-Spieler ist.

Recht in der Welt

EuGH – Transitzonen in Ungarn: Vor dem Europäischen Gerichtshof wurde gestern über ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wegen der Transitzonen an den ungarischen Grenzen verhandelt. Die Kommission wirft Ungarn mehrere Verstöße gegen die Asylverfahrensrichtlinie vor, unter anderem wegen des eingeschränkten Zugangs zum Asylverfahren und der Internierung von Asylsuchenden. lto.de (Christian Rath) hat vorab das Thema vorgestellt und weist auf andere anhängige Verfahren hin.

Österreich – Kurz und die Justiz: Dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz wird vorgeworfen, die Unabhängigkeit der Justiz angreifen zu wollen. Bei einem Hintergrundgespräch mit Journalisten soll er die Wirtschafts- und Korruptionsanwaltschaft attackiert haben, die es seiner Auffassung nach vor allem auf konservative Politiker abgesehen habe. Kurz bestritt die veröffentlichten Äußerungen nur dem Wortlaut, aber nicht der Richtung nach, so die FAZ (Stephan Löwenstein). Hintergrund ist unter anderem ein als "Casino-Affäre" bekannt gewordener Korruptionsverdacht gegen Mitglieder der früheren ÖVP-FPÖ-Regierung.

Großbritannien – Schengen-Informationssystem: Bei einer Evaluation der Teilnahme Großbritanniens am Schengener Informationssystem wurden zahlreiche Verstöße festgestellt. So seien teils unzulässige Kopien von Daten erstellt worden und Treffer bei Fahndungen nicht unverzüglich an andere Staaten weitergegeben worden. Die Kommission hat daher Verbesserungsvorschläge gemacht. Dies deutet laut netzpolitik.org (Matthias Monroy) darauf hin, dass Großbritannien auch nach dem Brexit am Informationssystem teilnehmen will.

Russland – Terrornetzwerk: Ein russisches Militärgericht hat sieben junge Männer zu sechs bis 18 Jahren Lagerhaft verurteilt. Den Männern, die sich teilweise als Antifaschisten und Anarchisten bezeichnen, wird vorgeworfen, ein Terrornetzwerk namens "Netz" gegründet zu haben. Kritiker behaupten, dass das Urteil auf Aussagen gestützt wurde, die unter Folter zustande gekommen seien, und sehen in den Verurteilten politische Gefangene. Die FAZ (Friedrich Schmidt) berichtet.

Internationales Steuerrecht: In einem Gastbeitrag für das Hbl koemmentiert Rechtsprofessorin Johanna Hey die internationalen Entwicklungen im Steuerrecht. Zwar hätten sich 137 Staaten im Rahmen der OECD auf ein "Inclusive Framework" verständigt. Von einer internationalen Steueraufteilung und einer weltweiten Mindeststeuer sei man jedoch noch weit entfernt.

Sonstiges

Angriffe auf FDP-Politiker: Reinhard Müller (FAZ) kommentiert die in den letzten Tagen verzeichneten tätlichen und verbalen Angriffe auf FDP-Politiker infolge der Ereignisse in Erfurt: "Wer im Rechtsstaat Jagd auf Andersdenkende macht, gehört niemals zu den Anständigen."

Corona-Virus und Arbeitsrecht: Die SZ (Catrin Gesellensetter) beantwortet mit Hilfe verschiedener Rechtsanwälte die wichtigsten arbeitsrechtlichen Fragen zum Umgang mit dem Corona-Virus. Thematisiert wird unter anderem der Schutz von Mitarbeitern durch Atemschutzmasken und Gehaltsansprüche bei Betriebsschließungen und angeordneter Quarantäne.

Sturm und Arbeitsrecht: Welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen sich aus dem Sturmtief Sabine ergeben können, erläutert faz.net (Marcus Jung). Arbeitnehmer würden grundsätzlich das Wegerisiko tragen. Sie müssten auch geeignete Vorkehrungen treffen um rechtzeitig bei der Arbeit zu erscheinen. Heimarbeit sei nur mit Genehmigung möglich. Auch spiegel.de beantwortet arbeitsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit dem Orkan.

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lto/dw

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. Februar 2020: . In: Legal Tribune Online, 11.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40225 (abgerufen am: 08.10.2024 )

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