Die juristische Presseschau vom 23. Januar 2020: Online-Glücks­spiel wird lega­li­siert / Straf­ver­fol­gungs­an­spruch bei Fixie­rung / Rich­terin mit 25

23.01.2020

Die Bundesländer einigen sich über weitreichende Reformen des Glücksspielstaatsvertrages. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen Fixierung. Eine 25 Jahre alte Richterin berichtet. 

Thema des Tages

Online-Glücksspiel: Die Bundesländer haben sich auf eine Änderung des Glücksspielstaatsvertrages geeinigt, nach der erstmals Glücksspiele und Sportwetten im Internet weitgehend erlaubt werden sollen. Eine bundesweit zuständige Behörde solle zur Regulierung des Online-Angebots eingerichtet werden und Spieler dürften nicht mehr als 1000 Euro pro Monat über alle Angebote hinweg einzahlen. Eine Sperrdatei solle Spielsüchtige von allen Spielangeboten abschneiden und Anbieter müssten ein automatisiertes System zur Früherkennung von glücksspielsuchtgefährdeten Spielern nachweisen. Über die geplanten Änderungen berichten SZ (Jan Willmroth) und FAZ (Michael Ashelm).

Michael Ashelm (FAZ) begrüßt die Reform grundsätzlich, da durch Legalisierung und Regulierung Suchtgefahren gezielter bekämpft werden könnten und der Staat Steuereinnahmen erzielen könne. Gleichzeitig warnt er vor der geplanten Kontrollbehörde, welche etwa persönliche Daten speichern wolle. Jan Willmroth (SZ) gibt zu bedenken, dass der Staat sich mit der geplanten Kontrolle der strengen Regeln wohl selbst überfordere. Auch das bisherige Verbot des Online-Glücksspiels sei nie wirklich umgesetzt worden, die Anbieter hätten den Staat "unverfroren an der Nase herumführen können, ohne Sanktionen zu befürchten".

Rechtspolitik

EU-Staatsanwaltschaft: Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf beschlossen, der den Aufbau einer europäischen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Straftaten zu Lasten des EU-Haushalts vorsieht. Die Behörde soll Ende des Jahres ihre Arbeit aufnehmen und ihren Sitz in Luxemburg haben. Es berichtet die FAZ (Helene Bubrowski).

Justiz

BVerfG zu Strafverfolgung wegen Fixierung: Die Staatsanwaltschaft Kiel hat zu Unrecht die Ermittlungen zur rechtswidrigen Fixierung einer Patientin am Uniklinikum Kiel eingestellt. Die Frau war nach einem Sturz mit Gedächtnislücken eingeliefert worden und hatte das Uniklinikum gegen ärztlichen Rat verlassen, woraufhin sie mithilfe der Polizei zurückgeholt wurde und mit Gewalt ans Bett gefesselt wurde. Das Verhalten wurde später von den Fachgerichten für rechtswidrig erklärt, jedoch wurden die strafrechtlichen Ermittlungen eingestellt. Das Bundesverfassungsgericht entschied nun laut FAZ (Marlene Grunert) und lto.de, dass der Sachverhalt weiter hätte aufgeklärt werden müssen und die Ermittler sich insbesondere mit den Folgen des Vorfalls für die Patientin hätten auseinandersetzen müssen. 

BGH – Verjährung: Rechtsanwalt Björn Gercke erläutert auf lto.de einen Anfragebeschluss des 1. Strafsenats an die übrigen Strafsenate des Bundesgerichtshofs zur Frage, wann das Delikt des Vorenthaltens und Veruntreuens von Sozialversicherungsbeträgen nach § 266a Strafgesetzbuch verjähre. Nach bisheriger Praxis könne dies bis zu dreieinhalb Jahrzehnte dauern. Denn nach § 25 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch IV verjähre die Beitragsschuld bei vorsätzlicher Beitragsvorenthaltung erst nach 30 Jahren, und erst dann beginne die strafrechtliche Verjährungsfrist von fünf Jahren überhaupt zu laufen. Diese "faktische Unverjährbarkeit" stelle sich im Vergleich zu anderen Tatbeständen mit vergleichbarem Unrechtsgehalt und ähnlicher Strafandrohung wie etwa der Steuerhinterziehung als systemwidrig dar und sorge in der Praxis für Frust.

BVerwG – Indymedia-linksunten: Die Juristen David Werdermann und John Philipp Thurn berichten auf carta.info über eine Klage gegen das 2017 vom Bundesministerium des Innern erlassene Verbot der linken Internetplattform linksunten.indymedia, über die das Bundesverwaltungsgericht ab dem 29. Januar verhandeln will. Das BMI stützte sich damals auf § 3 des Vereinsgesetzes und berief sich auf strafrechtlich relevante Inhalte auf der Website. Die Autoren kritisieren unter anderem die fehlende Zuständigkeit des BMI, da die Gesetzgebungskompetenz für die inhaltsbezogene Aufsicht über (Tele-)Medien allein bei den Ländern liege. Überdies sei das Totalverbot unverhältnismäßig, weil sich auf der Website auch eine Vielzahl strafrechtlich unbedenklicher Inhalte befunden hätten und sich die Betreiber mit den strafbaren Inhalten nicht identifizierten.

BAG zu Abfindung für Air-Berlin-Kabinenpersonal: Das Bundesarbeitsgericht hat die Zahlung von Abfindungen für das Kabinenpersonal der insolventen Fluglinie Air Berlin abgelehnt und damit Urteile der Landesarbeitsgerichte Düsseldorf und Berlin-Brandenburg bestätigt. Dies berichtet nun auch community.beck.de (Markus Stoffels). Die Personalvertretung der Flugbegleiter sei in Ansehung ihrer eigenen Belange mit dem Versuch eines Interessenausgleichs ausreichend beteiligt worden.

OLG München zu Urkundenprozess: Der Urkundenprozess ist gemäß dem Oberlandesgericht München nach Meldung von zpoblog.de (Benedikt Windau) auch nach teilweise einseitiger Erledigungserklärung statthaft. Dem stehe nicht entgegen, dass die einseitige Erledigungserklärung eine Klageänderung in eine Feststellungsklage darstelle, welche ihrerseits grundsätzlich nicht Gegenstand des Urkundenverfahrens sein könnten. Denn das Urkundenverfahren sei für die Fälle der nur teilweisen Erledigungserklärung interessengerecht. Andernfalls könne etwa der Beklagte einen kleinen Teil eines einheitlichen Klageanspruch zahlen und den Kläger aus Kostengründen so zu einer Teilerledigungserklärung zwingen.

LG Berlin zu Renate Künast: Im Interview mit der SZ (Detlef Esslinger) äußert sich Grünen-Politikerin Renate Künast zum neuen Beschluss des Landgerichts Berlin, wonach sechs ursprünglich vom Gericht nicht beanstandete Facebook-Kommentare nun doch als Beleidigungen der Politikerin zu werten seien. Dabei kritisiert sie das Gericht dennoch, weil es 16 andere Äußerungen auch weiterhin nicht beanstandet und ihr Persönlichkeitsrecht nicht ausreichend gewürdigt habe. Zudem fordert sie, bei Mehrfachtätern den Strafrahmen der Beleidigung auszuschöpfen und eventuell Freiheitsstrafen auszusprechen.

Der Tsp (Maria Fiedler/Jost Müller-Neuhof) stellt weitere Maßnahmen von Ländern und Bund dar, um Politiker besser vor Beleidigungen und Bedrohungen zu schützen. Dazu gehöre eine geplante Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, nach der soziale Netzwerke strafbare Inhalte direkt ans Bundeskriminalamt melden und dabei zugleich Nutzerdaten herausgeben müssten.

LG Berlin – Mord an Georgine K.: Die SZ (Verena Mayer) berichtet von einem Mordprozess vor dem Landgericht Berlin, bei dem der Angeklagte von drei verdeckten Ermittlern belastet wird, jedoch keine Leiche gefunden wurde. Die drei Polizeibeamten waren auf den in der Nachbarschaft des verschwundenen Mädchens lebenden Mann angesetzt worden, weil er als Sexualstraftäter bekannt war. Ihnen gegenüber soll er die Tötung gestanden haben.

LG Köln zu Tina-Turner-Plakat: Das Landgericht Köln hat den Veranstaltern einer "Tribute Show" an Tina Turner die Verwendung eines Werbeplakats untersagt, melden FAZ (Reiner Burger) und lto.de. Obwohl auf dem Plakat eine wohl 50 Jahre jüngere Doppelgängerin der Sängerin zu sehen ist, bestünde eine Verwechslungsgefahr und es könne der Eindruck entstehen, die echte Tina Turner würde an dem Musical teilnehmen. Dies folge auch aus der Tatsache, dass die Sängerin noch lebe und ihr Name großflächig auf dem Plakat zu sehen sei.

VG Stuttgart – Zwangsgelder: Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat Zwangsgelder in Höhe von 25.000 Euro gegen das Land Baden-Württemberg verhängt, weil dieses ein Gerichtsurteil zur nötigen Verhängung von Fahrverboten nicht umgesetzt hat. Damit geht das Gericht zur Verhängung von Zwangsmitteln der Zivilprozessordnung (ZPO) über, hielt aber den Einsatz von Zwangshaft für Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) noch für unverhältnismäßig, wie die taz (Christian Rath) berichtet. Das Geld soll an die Kinderkrebshilfe fließen.

VG Leipzig – Silvester in Leipzig-Connewitz: Ein Twitter-Nutzer, den die Polizei in einem Tweet über die Silvester-Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz namentlich erwähnte, hat laut lto.de vor dem Verwaltungsgericht Leipzig Klage gegen die Polizei erhoben. Er begehrt die Feststellung, dass die Behauptung der Polizei, er habe in einem Tweet schwerste Verletzungen von Menschen gerechtfertigt, nicht den Tatsachen entspreche. 

Zentrale Stelle Ludwigsburg: Die Zeit (Christian Staas) erläutert die Arbeit der "Zentralen Stelle der Justizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" in Ludwigsburg, welche Vorermittlungen leistet, um die letzten noch überlebenden NS-Täter vor Gericht zu bringen. Bedeutsam hierfür sei die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Fall Oskar Gröning aus dem Jahr 2016 gewesen, nach der bereits die Mitarbeit im "organisierten Tötungsapparat" der Vernichtungslager als Beihilfehandlung ausreiche. Spätestens 2026 solle die Arbeit jedoch eingestellt werden: Dann wäre der letzte potentielle Angeklagte, der bei Kriegsende volljährig war, 99 Jahre alt.

Recht in der Welt

USA – Harvey Weinstein: Im Prozess gegen den früheren Filmproduzenten Harvey Weinstein sind die Eröffnungsplädoyers gehalten worden, wie u.a. zeit.de meldet. Dabei warf die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten schwere Sexualverbrechen vor. spiegel.de (Marc Pitzke) stellt die Staatsanwältin Joan Illuzzi-Orbon und Weinsteins Anwältin Donna Rotunno gegenüber, welche sich vor Gericht einen "täglichen Kleinkrieg" lieferten. 

USA – Tötung Soleimanis: Nach der gezielten Tötung des iranischen Generals Soleimani durch die USA stellen die Doktoranden Benjamin Nußberger und Mehrnusch Anssari auf justsecurity.org in englischer Sprache eine Vielzahl staatlicher Reaktionen hierauf zusammen. Diese hätten nicht nur Bedeutung für die politische Bewertung, sondern seien auch für die Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts hinsichtlich des Gewalteinsatzes entscheidend. 

Brasilien – Glenn Greenwald: Der US-amerikanische Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald ist in Brasilien wegen der Veröffentlichung der Chatnachrichten des brasilianischen Justizministers Sergio Moro angeklagt worden. Dieser hatte unter anderem den ehemaligen Staatschef Lula da Silva in Haft gebracht und damit den einzigen ernstzunehmenden Konkurrenten des heutigen Präsidenten Bolsonaro im Wahlkampf 2018 aus dem Weg geräumt. Die Chatnachrichten hatten nun Zweifel an der Unparteilichkeit des damaligen Richters genährt und eine Nähe zum zuständigen Staatsanwalt suggeriert. Greenwald nannte die Anklage einen Angriff auf die Pressefreiheit, wie u.a. SZ (Benedikt Peters), taz (Simon Sales Prado) und netzpolitik.org (Thomas Rudl) berichten.

Brasilien – Anklage gegen TÜV Süd: Im brasilianischen Brumadinho sind Mitarbeiter des Bergbaukonzerns Vale und der brasilianischen Tochtergesellschaft des deutschen Prüfkonzerns TÜV Süd wegen eines verheerenden Dammbruches angeklagt worden. Bei dem Unglück waren im Januar 2019 259 Menschen gestorben, elf weitere werden noch immer vermisst. Mit dem Ziel, den inakzeptablen Sicherheitszustand mehrerer Staudämme zu verheimlichen, hätten die beiden Unternehmen bewusst zusammengearbeitet, so die Staatsanwaltschaft. Sie werden dabei nicht nur wegen "Verbrechen gegen Flora und Fauna" und wegen Umweltverschmutzung angeklagt, sondern auch wegen Mordes. Es berichten u.a. FAZ (Henning Peitsmeier) und SZ (Klaus Ott/Benedikt Peters).

Türkei – Anklage gegen Enver Altaylı: Zweieinhalb Jahren nach der Inhaftierung des deutsch-türkischen Autors Enver Altaylı hat die türkische Staatsanwaltschaft eine Anklage vorgelegt. Danach soll er eine "bewaffnete Terrororganisation" aufgebaut haben, meldet zeit.de. Der deutsche Botschafter besuche Altaylı regelmäßig, einen Termin für den Prozessbeginn gebe es aber noch nicht.

Juristische Ausbildung

Richterin mit 25: Im Interview mit lto.de (Annelie Kaufmann) spricht die 25-jährige Richterin am Amtsgericht Bad Neustadt, Lara Winkler, über ihre Entscheidung, in die Justiz zu gehen. Schon während des Referendariats habe ihr gefallen, dass dort auch jungen Juristen in der Ausbildung bereits viel zugetraut werde, etwa die Sitzungsvertretung bei der Staatsanwaltschaft. Während der Verhandlung als Richterin sei ihr junges Alter noch nie zum Thema gemacht worden – in der Robe werde man als Respektsperson wahrgenommen.

Sonstiges

Thüringen – Wahl des Ministerpräsidenten: lto.de bespricht verschiedene Rechtsansichten zu einer Vorschrift der thüringischen Landesverfassung, welche der Wahl von Bodo Ramelow (Linke) zum Ministerpräsident einer Minderheitsregierung entgegenstehen könnte. Scheitere ein Kandidat in den ersten beiden Wahlgängen, sei nach der Verfassung "gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält." Einerseits könne dies bedeuten, dass es im dritten Wahlgang alleine auf die Ja-Stimmen ankomme und somit Ramelow auch mit einer einzigen Ja-Stimme gewählt werden könne, solange es keine Gegenkandidaten mit mehr Ja-Stimmen gäbe. Andererseits werde die Auffassung vertreten, dass zwingend mehr Ja- als Nein-Stimmen notwendig seien, wie es auch für andere Thüringer Verfassungsorgane der Fall sei.

KI im Polizeirecht: Auf verfassungsblog.de befasst sich der Wissenschaftliche Mitarbeiter Sebastian Golla mit der Zulässigkeit verschiedener polizeirechtlicher Regeln, welche den Einsatz Künstlicher Intelligenz erlauben. In vielen Fällen werde es notwendig sein, Befugnisse im Nachhinein der technischen Entwicklung anzupassen, um den Einsatz von KI zu rechtfertigen. Erste Regelungsschritte sollten dabei kritisch begleitet werden, wofür Evaluations- und Berichtspflichten, wie sie die Polzeigesetze in Baden-Württemberg oder Hamburg vorsehen, ein möglicher Weg seien.

 

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lto/mps

(Hinweis für Journalisten)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. Januar 2020: Online-Glücksspiel wird legalisiert / Strafverfolgungsanspruch bei Fixierung / Richterin mit 25 . In: Legal Tribune Online, 23.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39839/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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