Die juristische Presseschau vom 17. Januar 2020: Reform der Organ­spende / Patent­rechts­ve­r­ein­fa­chung / Kritik an pol­ni­schen Jus­tiz­re­formen

17.01.2020

Der Bundestag beschließt die erweiterte Entscheidungslösung für die Organspende. Justizministerin Lambrecht will das Patentrecht vereinfachen und die Venedig-Kommission kritisiert die geplanten Justizreformen in Polen.

Thema des Tages

Organspende: Der Bundestag hat eine Reform der Organspende beschlossen. Durchgesetzt hat sich nicht der u.a. von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) eingebrachte Vorschlag einer Widerspruchslösung, sondern die sogenannte erweiterte Entscheidungslösung von Annalena Baerbock (Grüne), Katja Kipping (Linke) und anderen. Die Bürger sollen künftig häufiger als bislang aktiv daran erinnert werden, über ihre Haltung zur Organspende nachzudenken. Organspenden bleiben jedoch weiterhin nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt, wie u.a. spiegel.de und die FAZ (Helene Bubrowski) berichten. Verfassungsrechtliche Gründe hätten einer Einführung der Widerspruchslösung nicht entgegengestanden, legt lto.de (Pia Lorenz) dar. Zu diesem Ergebnis waren die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages in zwei Gutachten 2011 und 2018 gekommen.

Im Vorfeld hatte sich Jost Müller-Neuhof (Tsp) für den Spahnschen Gesetzentwurf stark gemacht. Die Widerspruchslösung werbe nicht, sondern zwinge dazu, sich mit dem eigenen Tod zu befassen und damit, dass jeder Mensch auf andere angewiesen ist. Der Eingriff in die Willensfreiheit sei kleiner, als er gemacht werde und der Entwurf ein echter Schritt nach vorne. Der Rechtsprofessor Volker Boehme-Neßler kritisierte indessen auf zeit.de den Entwurf. Er sei zu moralisch und manipulativ, handele es sich doch um eine Form von "Nudging". Der Entwurf sei nicht mit Menschenwürde und Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zu vereinbaren.

Rechtsprofessor Michael Kubiciel kritisiert auf FAZ-Einspruch ein "großes Maß an Widersprüchlichkeit" der Entscheidungen des Parlaments zu medizinethischen Fragen. In den Entscheidungen zur Patientenverfügung und zu § 217 Strafgesetzbuch zeige sich ein "Schlingerkurs". Mit der gestrigen Entscheidung scheine es, als ob dem Gesetzgeber die Wahrung der Selbstbestimmung über Organe von Verstorbenen wichtiger sei als die Selbstbestimmung des Lebenden über sein Leben. 

Rechtspolitik

"CO₂-Steuer": Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Rike Kraemer-Hoppe befasst sich auf verfassungsblog.de mit der Vereinbarkeit des Gesetzes über ein nationales Emissionshandelsystem für Brennstoffemissionen (BEHG), das eine "CO₂-Steuer" einführt, mit dem Grundgesetz. Entgegen einiger Gutachten könne das BEHG durchaus verfassungskonform sein. Es handele sich zwar um finanzverfassungsrechtliches Neuland. Der Spielraum der Verfassung sei jedoch auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung weiter, als zuweilen angenommen werde. 

Strafmündigkeit: In seiner Kolumne auf spiegel.de kritisiert Ex-Bundesrichter Thomas Fischer den Vorschlag der CSU, schwere Straftaten "altersunabhängig" zu sanktionieren. Es gebe keine belastbaren Zahlen, die eine Zunahme von Straftaten durch Kinder unter 14 Jahren belegen. Außerdem sei es "fernliegend anzunehmen, durch Bedrohung von Kindern mit Gefängnis lasse sich mehr und Besseres erreichen als durch sozialpädagogische und familiengerichtliche Maßnahmen". 
 
NetzDG: Nun berichtet auch lto.de (Annelie Kaufmann) über den Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, der sich derzeit in der Ressortabstimmung befindet.

Sorgerecht lesbischer Mütter: Die taz (Franziska Schindler) berichtet über die bis in die 1990er Jahre reichende Praxis deutscher Gerichte, lesbischen Müttern das Sorgerecht für ihre leiblichen Kinder mit der Begründung zu entziehen, die sexuelle Orientierung der Mütter gefährde das Kindeswohl. Viele der Gerichtsurteile sind weiterhin rechtskräftig. Die Praxis soll nun auf Initiative der Grünen aufgearbeitet werden. 

Wohnungstausch: Die FAZ (Julia Löhr u.a.) befasst sich ausführlich mit den Plänen der Grünen, eine gesetzliche Möglichkeit zum Wohnungstausch zu schaffen. Vermieter sollen dazu gebracht werden, einen Tausch von Wohnungen in ihrem Bestand zu akzeptieren. Bislang ist jedoch noch unklar, ob dies nur für große und kommunale Wohnungsbaugesellschaften gelten soll, oder auch auf private Vermieter ausgeweitet wird.

In einem gesonderten Kommentar meint Michael Psotta (FAZ), der Tauschansatz klinge sinnvoll, ein gesetzlicher Zwang hingegen sei es nicht, da er das Recht des Eigentümers unterlaufe, sich seine Mieter selbst auszusuchen. Stattdessen sollten Konzepte entwickelt werden, die auf Freiwilligkeit gründen.

Polizei-Kinderpornos: Auf taz.de (Christian Rath) findet sich ein Gespräch mit dem SPD-Politiker Johannes Fechner. Er erläutert, wie es der Polizei ermöglicht werden soll, am Computer Kinderpornografie zu produzieren, um Zugang zu Internetforen zu erlangen, in denen Kinderpornografie getauscht wird. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll am heutigen Freitag im Bundestag beschlossen werden.

Verbrennen von Flaggen: Nun berichtet auch lto.de über Pläne der Bundesregierung, das Verbrennen ausländischer Flaggen unter Strafe zu stellen. Dazu soll der § 104 Strafgesetzbuch entsprechend geändert werden.

Vereinfachung im Patentrecht: Das Hbl (Heike Anger) schreibt über das Vorhaben von Justizministerin Christine Lambrecht (SPD), Missbrauchspotenziale im Patentrecht dadurch einzuschränken, dass ein patentrechtlicher Unterlassungsanspruch im Ausnahmefall auch unverhältnismäßig sein kann. Dies ergebe sich bereits aus einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2016, solle nun aber gesetzgeberisch klargestellt werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf wird derzeit im Justizministerium ausgearbeitet. In diesem Zuge soll zudem das Prozessrecht geändert werden.

Justiz

BVerfG – BND-Gesetz: Nun berichten auch netzpolitik.org (Anna Biselli) und ausführlich spiegel.de (Dietmar Hipp) über die zweitägige Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts, die sich mit den Befugnissen des Bundesnachrichtendienstes (BND) zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs zwischen Ausländern im Ausland befasste.

BVerfG – Kinderehe: Einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zufolge wird auch sein Vizepräsident Stephan Harbarth über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen entscheiden. Es bestehe kein ausreichender Anlass dafür, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln, auch wenn er als Bundestagsabgeordneter zuvor intensiv in die Vorbereitung und Verabschiedung des Gesetzes eingebunden war. Die nötige Offenheit in den zentralen Fragen sei ihm nicht abzusprechen, so das Gericht laut lto.de.

BVerfG – Klimaklage: Nun berichtet auch lto.de über die von Aktivisten und Umweltverbänden eingereichte Verfassungsbeschwerde, mit der die Bundesregierung verpflichtet werden soll, mehr für den Klimaschutz zu tun. Der Rechtsprofessor Alexander Graser fragt auf FAZ-Einspruch eingehend, ob das Bundesverfassungsgericht sich in den Umweltschutz einmischen dürfe, könne und solle. Im Ergebnis spricht aus seiner Sicht nichts dagegen, dass sich das BVerfG an den Bemühungen um eine Bewältigung des Klimawandels beteiligt. Ein realistischer Beitrag des Gerichts bestehe darin, die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Klimapolitik zu explizieren, zu konkretisieren und ihre Einhaltung zu überwachen.

VG Düsseldorf – Waffenschein für Bürgermeister: lto.de (Tanja Podolski) berichtet über die Klage eines Bürgermeisters auf Erteilung eines Waffenscheins vor dem Düsseldorfer Verwaltungsgericht. Ein Waffenschein sei notwendig als Reaktion auf Bedrohungen von rechts. Der Mann hat jedoch mittlerweile seine Klage zurückgenommen, meldet spiegel.de.

LG Berlin – Goldmünzen-Diebstahl: spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet über die Fortsetzung des Prozesses um eine aus dem Berliner Bode-Museum gestohlene Goldmünze vor dem dortigen Landgericht. Dort sagte die eigens aus der Türkei angereiste Großmutter eines der Angeklagten aus. Sie sei sehr vermögend und von ihr habe der Angeklagte Geld und eine goldene Halskette erhalten. Das Interesse des Angeklagten an Immobilien und Autos nach dem Diebstahl habe deshalb mit der Münze nichts zu tun. Am Montag sollen nun die Schlussvorträge beginnen.

LG München II – Falscher Wissenschaftler: Die Seite Drei der SZ (Annette Ramelsberger) berichtet über den Prozess gegen einen Mann vor dem Landgericht München II, der junge Frauen dazu brachte, sich Stromstöße durch den Körper zu jagen. Für die Stöße sollten sie ein Honorar erhalten. Der Mann, der sich als Mediziner ausgab und behauptete, eine Studie zur Schmerzempfindlichkeit durchzuführen, ist nun wegen versuchten Mordes in 88 Fällen angeklagt. Ein Gutachter attestiert ihm eine verkorkste Sexualität mit fetischistischen und sadistischen Zügen. Durch seinen Autismus habe er sich nicht steuern können und sei eingeschränkt schuldfähig.

StA Leipzig – Connewitz-Krawalle: In der Diskussion über die Ausschreitungen in Connewitz in der Silvesternacht beklagen laut taz (Konrad Litschko) Anwälte von Festgenommenen, es sei teilweise rechtswidrig Untersuchungshaft angeordnet worden. Der Rechtsanwalt Jürgen Kasek äußert die Vermutung, dass an den Festgenommenen "ein Exempel statuiert werden" solle.  

Recht in der Welt

USA – Impeachment: Im US-Senat hat das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Trump begonnen, wie u.a. zeit.de berichtet. Anlässlich dessen portraitiert die SZ (Alan Cassidy) den Chief Justice des Supreme Court, John Roberts. Er leitet den Prozess gegen den Präsidenten im Senat. Die FAZ (Majid Sattar) bringt ein ausführliches Porträt von Rudy Giuliani, dem persönlichen Rechtsanwalt von Präsident Trump.

Polen – Justiz-Reform: Die sogenannte Venedig-Kommission des Europarats hat scharfe Kritik an den geplanten polnischen Justizreformen geäußert. Polen kündige den Grundsatz des Vorrangs von EU-Recht vor nationalem Recht auf. Ein geplantes Disziplinierungsgesetz ziele "grundlegend darauf, Kritik zu unterdrücken" und reduziere die schon zuvor "bedeutend verringerte" Unabhängigkeit der Justiz weiter. Dies widerspreche EU-Recht und der Menschenrechtskonvention, so die Kommission laut SZ (Florian Hassel) und lto.de.

In einem gesonderten Kommentar schreibt Florian Hassel (SZ), das polnische Parlament werde das Gesetz wohl dennoch in der nächsten Woche beschließen. Danach sei Polens Richtern der Mund verschlossen. Alle Anstrengungen der EU dürften zu wenig sein, um in Polen die Abschaffung des Rechtstaates noch zu verhindern.

Russland – Verfassungsreform: In Russland soll eine Arbeitsgruppe mit 75 Mitgliedern Details einer umfassenden Verfassungsänderung formulieren, die zahlreiche Staatsorgane betreffen soll. Zudem soll unter anderem festgeschrieben werden, dass nationales Recht Vorrang vor internationalen Gerichten und Völkerrecht hat. Dies sei ein Angriff insbesondere auf Entscheidungen des Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg, berichten SZ (Silke Bigalke/Frank Nienhuysen) und die FAZ (Friedrich Schmidt)

Sonstiges

Maut-Gutachten: SZ (Markus Balser) und spiegel.de berichten über ein Gutachten der Kanzlei Chatham in Bezug auf die gescheiterte Pkw-Maut, wonach das Bundesverkehrsministerium bei der Auftragsvergabe "in mehrfacher Hinsicht gegen das geltende Vergaberecht verstoßen" habe. So sei bereits zweifelhaft, ob angesichts des laufenden Rechtstreits ein Vergabeverfahren überhaupt hätte erfolgen dürfen. 

DSGVO-Bußgelder: Einem Bericht von spiegel.de (Markus Becker) zufolge hat die EU-Kommission keinen Überblick über Zahl und Höhe der Bußgelder, die bisher für Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verhängt wurden. Dies erschwere eine Überprüfung und Bewertung der Auswirkungen der DSGVO, die in diesem Jahr erfolgen soll. 

Behörden auf Sozialen Medien: netzpolitik.org (Lucia Parbel) schreibt über die Diskussion darüber, ob Behörden große, kommerzielle soziale Netzwerke nutzen dürfen. Der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Stefan Brink hatte angekündigt, wegen Datenschutzbedenken seinen Twitter-Account zu löschen. Die dortige Landesregierung erklärt hingegen, man sei zur Information verpflichtet. Dafür sei man auch auf Facebook und Twitter angewiesen.

Influencer-Leben: lto.de (Marcel Schneider) bringt ein Interview mit dem vormaligen Juristen und jetzigen Influencer Johannes Richter, in dem dieser seine Entscheidung schildert, den Juristenberuf aufzugeben. Zudem erläutert er sein Geschäftsmodell. 


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lto/jng

(Hinweis für Journalisten)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. Januar 2020: Reform der Organspende / Patentrechtsvereinfachung / Kritik an polnischen Justizreformen . In: Legal Tribune Online, 17.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39731/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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