Die juristische Presseschau vom 16. Januar 2020: Kli­ma­schutz vor BVerfG / Gene­ral­an­walt zu Vor­rats­da­ten­spei­che­rung / Ver­fas­sungs­än­de­rung in Russ­land

16.01.2020

Mehrere Verfassungsbeschwerden sollen die Bundesrepublik zu mehr Klimaschutz zwingen. Außerdem in der Presseschau: EuGH-Generalanwalt kritisiert Vorratsdatenspeicherung und Putin will die Verfassung ändern.

Thema des Tages

BVerfG – Klimaschutz: Mit drei Verfassungsbeschwerden wollen Kinder und Jugendliche die Bundesrepublik zu einem effektiveren Klimaschutz zwingen. Eine erste Verfassungsbeschwerde wurde von 15 Beschwerdeführern aus Nepal und Bangladesch eingereicht, die ihr Recht auf Leben und Unversehrtheit durch die Emissionen aus Deutschland verletzt sehen. 10 Kinder aus Deutschland argumentieren, dass die Erde im Laufe ihres Lebens um 4 Grad Celsius erwärmen könne, was auch das Leben in Deutschland beeinträchtigen würde. Schließlich will auch eine Gruppe um die Aktivistin Luisa Neubauer nach Karlsruhe ziehen. Unterstützt werden die Beschwerdeführer von Greenpeace, der Deutschen Umwelthilfe und Germanwatch. Die SZ (Clara Lipkowski), die taz (Bernhard Pötter), die Welt (Daniel Wetzel) und die FAZ (Hendrik Wieduwilt u.a.) berichten.

Bernhard Pötter (taz) meint, Karlsruhe sei der "falsche Ort für eine effektive Klimapolitik". Das Verfassungsgericht diene dem gesellschaftlichen Ausgleich und konserviere damit im besten Sinne den Status quo. In der Klimakrise sei jedoch "ein grundsätzlich neues Denken und Handeln" erforderlich. Daniel Wetzel (Welt) sieht auch wenig Erfolgsaussichten, aber auch Chancen. Ein Klimaprozess vor dem Verfassungsgericht könne "heilsam sein, wenn dort alles auf den Tisch kommt und seziert wird".

Die Zeit (Petra Pinzler) wirft einen Blick auf andere Klimaklagen, die weltweit eingereicht werden. Dargestellt wird dabei auch ein Urteil des niederländischen obersten Gerichts, das den niederländischen Staat zu einer ambitionierteren Klimapolitik verpflichtet.

Rechtspolitik

NetzDG: Das Bundesjustizministerium hat den bereits angekündigten Gesetzentwurf zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes fertiggestellt und in die Ressortabstimmung gegeben. Der Entwurf, der der SZ (Robert Roßmann) vorliegt, sieht vor, dass Nutzer künftig leichter gegen Löschungen vorgehen können. Zugleich soll aber auch die Meldung von Beiträgen sowie die Durchsetzung von Auskunftsansprüchen gegen die Netzwerke erleichtert werden. Zudem sollen Transparenzpflichten erhöht und Schlichtungsstellen ermöglicht werden.

In einem gesonderten Kommentar wirft Robert Roßmann (SZ) die Frage auf, ob Netzwerkbetreiber wirklich die "richtige Instanz" dafür sind, "Fragen zu entscheiden, die auch die Meinungsfreiheit betreffen können". Eigentlich sei dafür die Justiz zuständig.

Digitaler Hass: Der Deutsche Juristinnenbund kritisiert in einer Stellungnahme, über den sueddeutsche.de (Constanze von Bullion) berichtet, den "Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität" des Bundesjustizministeriums. Dieser würde nicht ausreichend die frauenfeindliche und antifeministische Motivation vieler Angreifer berücksichtigen. Konkret fordert der Juristinnenbund etwa, dass Frauenhass strafschärfend bei der Strafzumessung berücksichtigt werden müsse.

Klarnamenspflicht: Sascha Lobo vergleicht in seiner Kolumne auf spiegel.de die Verfechter der Klarnamenspflicht im Internet mit Impfgegnern, weil sie Netzpolitik nach "Bauchgefühl" betreiben würden. Das Problem sei nicht die Anonymität sondern der nicht-anonyme Hass. Anonymität sei zudem ein Schutz gegen "Stalker, Mobber und Todeslistenfans".

Leistungsschutzrecht: Das Bundesjustizministerium will das europäische Leistungsschutzrecht zügig in das nationale Recht umsetzen. Das berichtet focus.de unter Berufung auf einen Entwurf des Ministeriums. Vorgesehen ist danach auch eine Definition der sogenannten Snippets, die auch weiterhin von Suchmaschinen frei verwendet werden dürfen.

Regierungsbildung in Thüringen: Reinhard Müller (FAZ) befasst sich anlässlich der Regierungsbildung in Thüringen grundlegend mit dem Verhältnis von Regierung und Parlament. Zitiert wird der Rechtswissenschaftler Wolfgang Zeh, nach dem das gesamte Parlament "zu verantworten hat, was diese Regierung tut und was aus ihr wird". Eine Regierung, der man nicht ansehen könne, wie viele Abgeordnete sie gewählt haben, sei "keine parlamentarische Regierung".

Gemeinnützigkeitsrecht: krautreporter.de (Rico Grimm) zeichnet die Entwicklungen des letzten Jahres im Gemeinnützigkeitsrecht nach. Nach dem attac-Urteil des Bundesfinanzhofs sei mehreren Vereinen die Gemeinnützigkeit aberkannt worden. Aktuell arbeite das Finanzministerium an einer Reform.

Kirchenaustritt: Der emeritierte Rechtsprofessor Bernhard Schlink plädiert in der FAZ dafür, dass der Kirchenaustritt nicht mehr vor dem Amtsgericht oder dem Standesamt sondern bei der Kirche selbst erklärt wird. Dafür bräuchte es einer gesetzlichen Grundlage, die sicherstellt, dass anschließend auch der Staat über den Austritt informiert wird. Verfassungsrechtliche Bedenken seien unberechtigt. Insbesondere sei die negative Religionsfreiheit nicht dadurch verletzt, dass der Austrittswillige sich an die Kirche wenden müsse.

Justiz

EuGH – Vorratsdatenspeicherung: Der Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona empfiehlt dem Europäischen Gerichtshof, an seiner strengen Linie zur Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung festzuhalten. In den Schlussanträgen geht es um Vorschriften aus Frankreich, Großbritannien und Belgien. Der Generalanwalt sieht keinen Grund vom EuGH-Urteil von 2016 abzuweichen, nach der eine "allgemeine und unterschiedslose" Vorratsdatenspeicherung unzulässig ist. Möglich seien jedoch möglicherweise anlassbezogene Vorratsdatenspeicherungen, etwa nach einem Terroranschlag. lto.de (Christian Rath) und netzpolitik.org (Alexander Fanta) stellen das Gutachten vor.

BVerfG – BND-Gesetz: Am zweiten Verhandlungstag zum BND-Gesetz wurden in Karlsruhe die Details der Datenerhebung durch den Bundesnachrichtendienst sowie der Austausch von Daten mit den Geheimdiensten anderer Länder thematisiert. Zudem stellte das Bundesverfassungsgericht kritische Fragen zum Schutz vor Berufsgeheimnisträgern. Die Welt (Ibrahim Naber) und der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichten. Es sei deutlich geworden, dass das Gericht dem BND die Auslandsaufklärung nicht gänzlich aus der Hand schlagen, dafür aber Grenzen setzen werde.

Diese Grenzen, so Wolfgang Janisch (SZ), "werden den BND nicht zerstören". Sie würden jedoch der rechtsstaatlichen Kontrolle zu mehr Wirksamkeit verhelfen. Jost Müller-Neuhof (Tsp) meint, Spionage demokratisch einzuhegen, müsse möglich sein. Sonst sei sie selbst unmöglich.

BVerwG/BVerfG – Suizid-Medikamente: Wie die Welt (Kaja Klapsa) berichtet, blockiert Gesundheitsminister Jens Spahn weiter die Genehmigung zum Erwerb von tödlichen Medikamenten für schwerkranke Suizidwillige. Er widersetzt sich damit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das 2017 entschieden hat, dass schwer und unheilbar Kranke bei einer extremen Notlage einen Anspruch auf Genehmigung haben. Inzwischen hat das Verwaltungsgericht Köln das Gesetz zur Prüfung dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.

BVerfG zu Recht auf Vergessen I: In einem Gastbeitrag für die Zeit erläutert Sven Krüger die Hintergründe zur Entscheidung zum Recht auf Vergessen I, die er als Rechtsanwalt selbst erstritten hat. Sein Mandant, der sich gegen die namentliche Nennung im Online-Archiv einer Zeitung im Zusammenhang mit einer Jahrzehnte zurückliegenden Straftat wehrt, hatte vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg.

VGH Mannheim zu Windkrafterlass: Der baden-württembergische Windkrafterlass ist rechtswidrig. Das hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim entschieden. Nach dem Erlass entscheiden die Regierungspräsidien über die Veränderung der Waldnutzung und die Landratsämter über den Betrieb der Anlage. Das Bundesimmissionsschutzgesetz sehe jedoch, so der VGH, eine "konzentrierte Genehmigung" durch eine Behörde vor. Jetzt müssen laut FAZ (Rüdiger Soldt) 14 Projekte mit 44 Windrädern neu genehmigt werden, was den Ausbau weiter verzögern würde.

OLG Frankfurt am Main zu Berichterstattung über Plagiat: Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main darf der Journalist Jochen Zenthöfer bei der Berichterstattung über einen Plagiatsfall den Namen der ehemaligen Juradozentin und Vizepräsidentin der Universität Flensburg nennen. Diese hatte sowohl in ihrer Doktorarbeit als auch in ihrer Habilitationsschrift plagiiert und war nach der Aufdeckung gegen verschiedene Medien vorgegangen, die ihren Namen nannten. Das Oberlandesgericht bejahte jetzt ein öffentliches Interesse an der Namensnennung, weil es ansonsten zu einer "Perpetuierung dieser Plagiate" kommen könne. Über den Fall berichtet jmwiarda.de (Jan-Martin Wiarda).

FG Köln zu Cum-Ex: Das Finanzgericht Köln hat die Entscheidungsgründe seines Urteils zu den sogenannten Cum-Ex-Geschäften vom Sommer letzten Jahres veröffentlicht. Danach sei "logisch unmöglich", dass eine Aktie gleichzeitig mehrere Eigentümer habe. Auch habe der Gesetzgeber die Deals nicht etwa gebilligt. Ein amerikanischer Fonds hatte auf Erstattung der Kapitalertragsteuer geklagt. Die FAZ (Corinna Budras u.a.) und lto.de berichten.

LG Saarbrücken – Wirtschaftsdetektiv: Der Wirtschaftsdetektiv Medard Fuchsgruber muss sich vor dem Landgericht Saarbrücken wegen gewerbsmäßigem Betrug und Untreue behaupten. Ihm wird vorgeworfen, die durch Urteile und Vergleiche erlangten Gelder nicht an die Anleger weitergeleitet zu haben, die ihn beauftragt hatten. Über die Verhandlung berichtet das Hbl (Lars-Marten Nagel).

Recht in der Welt

EuGH – Justizreform in Polen: Die Europäische Kommission hat einen Eilantrag beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Dieser soll die Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs aufheben, da ansonsten ein "irreparabler Schaden" drohe. Die Kammer, die in Disziplinarverfahren gegen Richter urteilen soll, wurde vom Landesjustizrat besetzt, der seinerseits von regierungsfreundlichen Vertretern dominiert wird, so die FAZ (Gerhard Gnauck/Thomas Gutschker).

Polen – Rechtsstaatlichkeit: Im zweiten Teil ihres (englischsprachigen) Beitrags auf verfassungsblog.de gehen die Rechtswissenschaftler Laurent Pech und Patryk Wachowiec auf einige Entwicklungen in Polen ein, die vom Europäischen Gerichtshof bislang nicht adressiert wurden, und ziehen Bilanz: Die Rechtstaatlichkeit werde abgeschafft, die Funktionsfähigkeit des europäischen Rechtsystems sei in Gefahr.

Spanien – Unabhängigkeit der Justiz: Der Rechtsprofessor Joaquín Urías begründet auf verfassungsblog.de anhand verschiedener Beispiele, warum die Justiz in Spanien zunehmend als nicht unabhängig angesehen wird. Als Ursache nennt er unter anderem die Gesetze, die den Zugang zum Justizdienst und die Wahl der Richter regeln.

Italien – Verfassungsänderung: In Italien wird ein Referendum über die Verkleinerung des Parlaments stattfinden. Der Doktorand Edoardo D'Alfonso Masarié erläutert auf verfassungsblog.de, warum es zu dem Referendum kommt. Die Abstimmung diene dazu, eine breite politische Akzeptanz der Verfassungsänderung zu sichern.

Schweiz – Klimaaktivisten: In der Schweiz sind Klimaaktivisten vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen. Sie waren in eine Filiale der Schweizer Großbank Credit Suisse in Lausanne eingedungen und hatten dort in Anlehnung an Tennisstar Roger Federer Tennis gespielt, um gegen eine klimaschädliche Investitionspolitik zu protestieren. Das Gericht in Renens befand, dass sie sich auf rechtfertigenden Notstand berufen können, schreibt die SZ (Isabel Pfaff).

USA – Tötung von Soleimani: Anlässlich der Tötung des iranischen Generals Qasem Soleimani untersucht Russel Miller (FAZ-Einspruch) (in englischer Sprache) die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Kongress und Präsident hinsichtlich der Initiierung und Durchführung von Militäroperationen. Während sich der Kongress auf die Zuständigkeit berufen könne, den Krieg zu erklären, sei der Präsident nach der amerikanischen Verfassung der "Commander in Chief" der Armee.

USA – Hintertüren in IT-Geräten: Das US-amerikanische IT-Unternehmen Apple wehrt sich gegen Bestrebungen von US-Präsident Donald Trump, Hersteller von Geräten zu verpflichten, Hintertüren für staatliche Überwachung in ihre Geräte einzubauen. Die FAZ (Roland Lindner,/Hendrik Wieduwilt) geht auch auf Pläne der Bundesregierung ein, Ermittlern den Zugang zu Internetdiensten und Geräten zu erleichtern. Ein Anspruch gegen Gerätehersteller sei jedoch nicht geplant.

Russland – Verfassungsänderung: Der russische Präsident Wladimir Putin hat eine umfassende Verfassungsreform angekündigt. Danach solle das Parlament gestärkt werden, etwa indem es das Recht bekomme, den Ministerpräsidenten und die Kabinettsmitglieder zu wählen. Gleichzeitig soll der Staatsrat, ein Organ von Spitzenbeamten und Gouverneuren, gestärkt werden. Über die Pläne berichten die SZ (Silke Bigalke) und die FAZ (Friedrich Schmidt).

Laut Christian Esch (spiegel.de) geht es Putin um die "Beschneidung von Vollmachten der Regionen und der Gemeinden", um "maximale Kontrolle". Frank Nienhuysen (SZ) meint, die russische Verfassung sei schon jetzt gut. Das Problem sei, "dass es an Pluralismus und Opposition mangelt".

Sonstiges

Rückkehr nach Elternzeit: Die Richterin Dietlinde-Bettina Peters befasst sich auf lto.de mit der Rückkehr zum Arbeitsplatz nach der Elternzeit. Nach Unionsrecht hätten Elternzeitrückkehrer vorrangig einen Anspruch auf den bisherigen Arbeitsplatz. Nur wenn das nicht möglich ist, könne ihm eine entsprechend gleichwertige Arbeit zugewiesen werden. Bei Missachtung dieses Rechts könnten auch Entschädigungsansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz entstehen.

Das Letzte zum Schluss

Falsche Zwanziger: Die SZ (Katharina Kutsche) weist darauf hin, dass sich das gerade begonnene Jahr hervorragend für die Manipulation von Verträgen, Kündigungen oder sonstigen Dokumenten eignet. Aus dem "16. Januar 20" werde beispielsweise schnell der "16. Januar 2019".

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dw

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. Januar 2020: Klimaschutz vor BVerfG / Generalanwalt zu Vorratsdatenspeicherung / Verfassungsänderung in Russland . In: Legal Tribune Online, 16.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39705/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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