Die juristische Presseschau vom 14. Januar 2020: Spahn igno­riert BVerwG-Urteil / Ermitt­lungen gegen Haken­k­reuz-Refe­rendar ein­ge­s­tellt / Organ­spende-Reform

14.01.2020

Auf Weisung von Gesundheitsminister Spahn wurde über 100 Patienten der Zugang zu tödlichen Medikamenten verwehrt. Die Ermittlungen gegen einen sächsischen Rechtsreferendar werden eingestellt und Diskussion über die Reform der Organspende.

Thema des Tages

BVerwG – Sterbehilfe: Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2017, wonach Schwerkranken unter bestimmten Bedingungen der Zugang zu tödlichen Medikamenten nicht verwehrt werden darf, wird in der Praxis weiterhin ignoriert. Wie u.a. Tsp (Jost Müller-Neuhof) und lto.de berichten, hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bisher 102 Anträge schwerstkranker Patienten auf Zugang zu tödlichen Medikamenten abgewiesen, 24 weitere sind in der Zwischenzeit verstorben. Das Bundesgesundheitsministerium hatte das Bundesinstitut 2018 angewiesen, trotz der Entscheidung des BVerwG entsprechende Anträge von Bürgern abzulehnen. Spahn verwies dabei auf das 2015 vom Bundestag beschlossene Verbot der organisierten Sterbehilfe in § 217 Strafgesetzbuch. Über dessen Verfassungsmäßigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht Ende Februar.

Rechtspolitik

Organspende: Am Donnerstag stimmt der Bundestag über zwei Entwürfe zur Reform der Organspende ab. Nach der "doppelten Widerspruchslösung" wäre bereits jeder ein potentieller Organspender, der nicht explizit widersprochen hat. Die "Entscheidungslösung" hingegen sähe vor, dass die Bürger regelmäßig über ihre Bereitschaft zur Organspende befragt und ermuntert würden. Die taz (Wolfgang Löhr/Ariane Lemme) bringt aus diesem Anlass ein Pro und Kontra zu den beiden Entwürfen. In einem weiteren Beitrag verweist die taz (Barbara Dribbusch) auf die Beispiele Spaniens und der Niederlande, welche Widerspruchslösungen bereits verabschiedet haben. Die Widerspruchsrate liegt dort jeweils bei etwa 15 Prozent. Die Welt (Matthias Kamann) bringt ein Interview mit dem Vorsitzenden der Deutschen Stiftung Organtransplantation, Axel Rahmel, der sich im Grundsatz für die Widerspruchlösung ausspricht: Bloße Aufklärungskampagnen hätten sich erschöpft.

Berliner "Mietenstopp": Die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Nora Wienfort analysiert auf verfassungsblog.de, ob das Berliner Gesetz zum "Mietenstopp" gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoße. Der Senat hatte einen Stichtag vor tatsächlichem Inkrafttreten des Gesetzes gewählt, ab dem es verboten sei, eine höhere Miete zu fordern als die zu diesem Zeitpunkt vereinbarte. Hierdurch habe er in zulässiger Weise ein etwaiges Vertrauen der Vermieter auf einen Fortbestand des mietrechtlichen Status Quo zerstört.

Verbrennen von Flaggen: Christian Rath spricht sich in der taz gegen die Pläne der Bundesregierung aus, das Verbrennen ausländischer Flaggen unter Strafe zu stellen. Zwar liege darin eine aggressive Symbolik, auch diese müsse als Machtkritik jedoch erlaubt bleiben. Einzig die Flagge Israels verdiene möglicherweise einen erhöhten Schutz angesichts der besonderen Verantwortung Deutschlands vor dem Hintergrund des Holocausts.

Arbeitszeiterfassung: Das Hbl (Frank Specht) berichtet über Unstimmigkeiten innerhalb der Bundesregierung über eine mögliche Reform der Arbeitszeiterfassung, um einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes Rechnung zu tragen. Verschiedene Rechtsgutachten seien zu dem Schluss gekommen, dass das Urteil eine gesetzliche Neuregelung notwendig mache, was das Bundeswirtschaftsministerium jedoch lange abgelehnt habe. Das Arbeitsministerium bereite nun neue Regeln zur Arbeitszeiterfassung vor, wolle dabei aber behutsam vorgehen und "nicht alles auf den Kopf stellen."

Henrike Rossbach (SZ) sieht in der notwendig gewordenen Neuregelung eine Chance, um für mehr Flexibilität zu sorgen und unbezahlte Überstunden zu verhindern. 

Justiz

BVerfG – Porträt Johanes Masing: Die SZ (Wolfgang Janisch) porträtiert den Verfassungsrichter Johannes Masing, welcher in dem Dienstag und Mittwoch zur Verhandlung anstehenden Verfahren über die Abhörbefugnisse des Bundesnachrichtendienstes als Berichterstatter fungiert. Masing habe sich einen "Platz in der Geschichte" mit den kürzlich veröffentlichen zwei Beschlüssen zum "Recht auf Vergessenwerden" gesichert. Hier habe das Gericht erstmals klargestellt, dass es europäische Grundrechte in eigener Hoheit anwende. Masing habe hierauf seit langem hingearbeitet – selbst auf einer Dienstreise nach Mauritius 2018 habe er am Pool an dem Beschluss gearbeitet.

OLG Stuttgart zu Massaker in Syrien: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat vier syrische Staatsangehörige zu hohen Haftstrafen verurteilt, die als Mitglieder von terroristischen Vereinigungen in Syrien an einem Massaker auf einer Müllkippe teilgenommen hatten. Ein Angeklagter erhielt dabei eine lebenslange Freiheitsstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Dies melden FAZ (Rüdiger Soldt), Welt (Martin Oversohl) und zeit.de.

BAG zu Mitbestimmung bei Personalplanung: Auf lto.de bespricht Rechtsanwalt Alexander Willemsen ein im November ergangenes Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Frage, ob die Mitbestimmungsrechte beim betrieblichen Gesundheitsschutz auch Regelungen zur personellen Mindestbesetzung in Dienstplänen umfassen. Das Gericht habe es ausdrücklich vermieden, diesbezüglich eine Klarstellung zu treffen, was eine Rechtsunsicherheit zur Folge habe.

OLG Karlsruhe zu VW-Abgasaffäre: Wer 2016 einen VW-Gebrauchtwagen im Wissen gekauft hat, dass dieser vom Dieselskandal betroffen war, kann keine Ansprüche gegen VW geltend machen. Über diese Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe berichtet lto.de. Mängelgewährleistungsansprüche seien nach § 442 BGB ausgeschlossen und auch ein Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB komme nicht in Betracht. Denn VW habe ab Mitte Dezember 2015 die Öffentlichkeit so weitgehend informiert, dass zwischen dem ursprünglichen Verhalten – der Konzernentscheidung zur Implementierung der Software – und dem Erwerb des Fahrzeugs kein rechtlich zurechenbarer Zusammenhang mehr bestehe. 

LG Hamburg – Stutthof-Prozess: Im Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof hat ein angeblicher Lagerinsasse seine Nebenklage zurückgezogen. Wie u.a. spiegel.de (Moritz Gerlach) und zeit.de (Elke Spanner) berichten, war der Mann tatsächlich niemals in dem Lager gewesen. Noch im November hatte er im Prozess ausgesagt und dabei für Aufsehen gesorgt, als er den Angeklagten umarmt und angekündigt hatte, ihm zu verzeihen.

LG Berlin – Bode-Museum: Der Prozess um den Diebstahl einer riesigen Goldmünze aus dem Bode-Museum vor dem Landgericht Berlin steht kurz vor dem Abschluss. Wie spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet, könnten bereits Donnerstag das letzte Wort der Angeklagten gesprochen und die Plädoyers der Staatsanwaltschaft gehalten werden.

VerfGH RP – Radarfallen: Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz wird sich nach Meldung von lto.de mit der Zulässigkeit bestimmter Radarfallen beschäftigen. Die Beschwerdeführer bemängeln, dass das betreffende Anhänger-Blitzgerät keine Rohmessdaten für Überprüfungen auf etwaige Messfehler speichere, sondern nur das Endergebnis. Dies verletze das Recht des betroffenen Autofahrers auf ein faires Verfahren und eine effektive Verteidigung. Der Verfassungsgerichtshof Saarland hatte in einem entsprechenden Verfahren im Juli 2019 bereits in diesem Sinne entschieden.

VG Köln – AfD: Die AfD klagt vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen die Einstufung des "Flügels" und der Nachwuchsorganisation "Junge Alternative" als Verdachtsfälle durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Über die am Montag erfolgte Klageeinreichung berichtet taz (Sabine am Orde).  

SG Dortmund zu Unfallversicherungsschutz: Das ehrenamtliche Füttern von streunenden Katzen ist keine Tätigkeit, die unter die gesetzliche Unfallversicherung fällt. Ein Unfall dabei ist nach einer Entscheidung des Sozialgerichts Dortmund nicht als Arbeitsunfall zu werten, meldet lto.de. Es liege beim Katzenfüttern nicht die notwendige abhängige Beschäftigung und angesichts der Ehrenamtlichkeit auch keine Arbeitnehmerähnlichkeit vor.

AG Frankfurt/M. zu Fitnessvertrag: Wer einen Fitnessvertrag aus "gesundheitlichen Gründen" kündigen möchte, muss deren tatsächliches Vorliegen hinreichend darlegen. Der bloße abstrakte Verweis auf ein ärztliches Attest reiche nicht aus, so das Amtsgericht Frankfurt/M. nach einer Meldung von lawblog.de.

Hambacher Forst vor Gericht: Die taz (Bernd Müllender) widmet sich der gerichtlichen Aufarbeitung der Proteste im Hambacher Forst. In einer Vielzahl von Fällen habe es harte erstinstanzliche Urteile etwa wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gegeben, welche in der Rechtsmittelinstanz aufgehoben worden seien. Einige Angeklagte würden sich dabei der Feststellung ihrer Identität entziehen. 

Recht in der Welt

USA – Tötung von Qassem Soleimani: Im FAZ-Einspruch vertritt der Dozent für Völkerrecht Christian Richter die Auffassung, dass die gezielte Tötung des iranischen Generals Soleimani im Irak durch die USA entgegen weitläufiger Ansicht nicht unbedingt völkerrechtswidrig gewesen sein müsse. Eine Rechtfertigung könne sich etwa durch eine Einwilligung des Iraks ergeben. Ebenso käme das Selbstverteidigungsrecht in Betracht, auch wenn die USA Belege für einen vermeintlich bevorstehenden Angriff Irans bislang nicht öffentlich gemacht hätten. Insgesamt sei es der Akzeptanz des Völkerrechts wenig zuträglich, wenn ein Selbstverteidigungsrecht ohne Kenntnis der genauen Umstände vorschnell verneint werde. 

Österreich – Hakenkreuz-Tattoo: In Österreich sind die Ermittlungen gegen einen sächsischen Rechtsreferendar eingestellt worden, der ein Hakenkreuz-Tattoo auf der Brust tragen soll. Man habe nicht ausschließen können, dass die Tätowierungen anstatt eines nationalsozialistischen Hintergrundes auf "nordisch/griechischer Mythologie" basierten, zitiert lto.de (Markus Sehl) die Sprecherin der zuständigen Staatsanwaltschaft Wels. Weil ein entsprechendes Foto des Referendars, welches zur Anzeige durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dresden führte, in Österreich entstanden war, hatte diese Staatsanwaltschaft im August 2019 die Ermittlungen übernommen.

Pakistan – Musharraf: Ein pakistanisches Gericht hat das vor vier Wochen verkündete Todesurteil gegen den ehemaligen Präsidenten Pervez Musharraf aufgehoben. Das Sondergericht, welches Musharraf wegen Hochverrats schuldig gesprochen hatte, sei für verfassungswidrig erklärt worden, erklärte Staatsanwalt Ishtiaq A. Khan laut Meldung u.a. von zeit.de

Sonstiges

Deutsche Richter-Akademie – Finanzierung: Trotz der Kritik vom Bundesrechnungshof hält das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz an der hälftigen Finanzierung des Bundes für Fortbildungen der Deutschen Richter-Akademie fest. Der Rechnungshof hatte bemängelt, dass der Anteil des Bundes zu hoch sei, da fast ausschließlich Landesrichter an den Fortbildungen teilnähmen. Wie lto.de (Annelie Kaufmann) berichtet, plant die Bundesregierung aber trotz dieser überproportionalen Finanzierung mangels Gesetzgebungskompetenz nicht, eine Fortbildungspflicht für Richter zu statuieren.

Fall Lübcke – Widerrufenes Geständnis: Die Welt (Wolfgang Büscher) bespricht im Interview mit dem früheren Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger die Frage, ob das widerrufene Geständnis des Hauptverdächtigen im Mordfall Lübcke trotzdem verwertet werden könne. Es seien einerseits mögliche Motive für ein falsches Geständnis zu berücksichtigen, andererseits die Gründe, welche für einen Widerruf sprechen könnten.

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lto/mps

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. Januar 2020: Spahn ignoriert BVerwG-Urteil / Ermittlungen gegen Hakenkreuz-Referendar eingestellt / Organspende-Reform . In: Legal Tribune Online, 14.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39653/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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