Die juristische Presseschau vom 7. Januar 2020: Kodex für Öff­ent­liche Unter­nehmen - Kritik an NetzDG-Ver­schär­fung - Dis­zi­pli­nie­rung pol­ni­scher Richter

07.01.2020

Empfehlungen für die Binnenstruktur öffentlicher Unternehmen, Aufruf zu Verfassungsbeschwerden gegen die geplante Meldepflicht für soziale Netzwerke durch Liersching und die FAZ schildert Schicksale kritischer polnischer Richter.

Thema des Tages

Public Corporate Governance Musterkodex: Eine Expertenkommission wird an diesem Dienstag auf der Webseite www.pcg-musterkodex.de den Musterentwurf für einen Deutschen Public Corporate Governance Kodex veröffentlichen. Das berichtet exklusiv die FAZ (Tilmann Neuscheler). Nach dem Vorbild des Corporate Governance Kodex für große börsennotierte Unternehmen der Privatwirtschaft soll er den rund 16.500 öffentlichen Unternehmen in Deutschland Empfehlungen für eine gute Unternehmenskultur geben. Vorsitzender und Initiator der Expertenkommission ist der Management-Professor Ulf Papenfuß. Der Kommission gehört auch Ex-Justizministerin Brigitte Zypries an. Empfohlen wird zum Beispiel, dass Aufsichtsräte künftig maximal fünf verschiedene Mandate in öffentlichen Unternehmen wahrnehmen sollen. Neben Stadträten und anderen Politikern soll in einem Aufsichtsrat auch mindestens ein externes sachkundiges Mitglied vertreten sein. 

In einem separaten Kommentar unterstützt Tillmann Neuscheler (FAZ) die Initiative, warnt aber: "Kodifizierte Regeln laufen immer auch Gefahr, mit der Zeit ein Eigenleben zu entwickeln – und vor allem Juristen zu beschäftigen."

Rechtspolitik

Hasskriminalität - NetzDG: Marc Liersching (community.beck.de) hält die geplante Einführung einer Meldepflicht der sozialen Netzwerke im Netzwerkdurchsetzungsgesetz für verfassungsrechtlich bedenklich. Es besetehe die Gefahr, dass die Netzwerke in einer Vielzahl von Fällen Nutzer-Daten dem Bundeskriminalamt preisgeben, obwohl die Nutzer ohne Rechtsverletzung von ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht haben. Liersching sieht in seinem sehr ausführlichen Beitrag Probleme hinsichtlich der Normenklarheit und der Verhältnismäßigkeit des Gesetzentwurfs. Außerdem werde wohl das EU-rechtliche Herkunftslandprinzip verletzt, weil die Meldepflicht auch für Netzwerke aus anderen EU-Staaten gelten soll. Liersching empfiehlt den Neztwerken die Erhebung von Verfassungsbeschwerden. 

Hasskriminalität - Bedrohung: Die SZ (Wolfgang Janisch) zeigt auf, warum es schwer ist, Hass-Äußerungen zu bestrafen. Auch nach der von Justizministerin Lambrecht geplanten Verschärfung des Bedrohungs-Tatbestandes bleibe die Frage: "Wann ist eine Drohung konkret genug?". Diffuse Andeutungen wie "Ich weiß, wo Du wohnst" seien juristisch kaum fassbar.

Terror-Unterstützung: Der Deutsche Richterbund fordert, dass künftig schon der Versuch der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung strafbar ist, meldet die FAZ. Wenn Geld für Terroristen in Syrien gesammelt werde, sei es oft schwer nachzuweisen, dass die Unterstützung auch angekommen ist. 

Hartz IV: lto.de schildert die Diskussion zur Umsetzung des Bundesverfassungsgerichts-Urteils vom November, mit dem Sanktionen auf 30 Prozent der Leistung begrenzt wurden. Die Agentur für Arbeit fordere vor allem eine rechtssichere Auslegung des Urteils, während der DGB auch ein "Recht auf Weiterbildung" etablieren will.

Gemeinnützigkeit monogeschlechtlicher Vereine: Rechtsprofessorin Birgit Weitemeyer kritisiert im FAZ-Einspruch das Vorhaben des Finanzministeriums, Vereine von der Gemeinnützigkeit auszuschließen, die keine Frauen aufnehmen. Ein entsprechendes Urteil des Bundesfinanzhofs von 2017 zu Freimaurerlogen sei differenzierter als meist angenommen. Die bisherige Rechtslage reiche aus und sei besser geeignet, auch kollidierende Verfassungswerte wie die Kunstfreiheit zu berücksichtigen. 

Arbeitsrecht 2020: Anwalt Tim Joppich stellt auf dem Handelsblatt-Rechtsboard ausführlich arbeitsrechtliche Neuerungen vor, die seit Jahresbeginn gelten oder im Jahresverlauf erwartet werden, etwa den Mindestlohn für Auszubildende, Vereinfachungen beim Datenschutz oder Regeln für interne Untersuchungen. 

Justiz

LG Potsdam zu "Migration tötet": Das Landgericht Potsdam hält eine Beschlagnahme von NPD-Wahlplakaten mit dem Slogan "Migration tötet" für unzulässig, weil kein Anfangsverdacht einer Volksverhetzung vorliege, so lto.de. Der Slogan müsse nicht zwingend so verstanden werden, dass alle Migranten Mörder seien. Das Landgericht folgte damit einer Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2019. 

VG Gießen zu Waffenbesitz durch NPD-Kandidat: Personen, die bei Kommunalwahlen auf einer NPD-Liste kandidieren, kann die Waffenbesitzkarte entzogen werden. Diese Auffassung des Wetteraukreises bestätigte jetzt laut FAZ-Einspruch das Verwaltungsgericht Gießen. Auch wenn der Kläger nicht Parteimitglied sei, müsse er sich die laut BVerfG verfassungsfeindlichen Bestrebungen der NPD zurechnen lassen.

AG Tuttlingen zu Doping-Vorwurf gegen Ringer: FAZ-Einspruch (Daniel Meuren) schildert ausführlich das Strafverfahren gegen den Ringer Peter Öhler, dem strafbares Doping vorgeworfen worden war. Er hatte seinem Mannschaftsarzt im Februar 2016 in einer WhatsApp-Nachricht geschrieben: "Hast du heute Zeit mir eine power Mischung zu verabreichen?", garniert mit einem Bizeps-Emoticon. Dies hatte zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und einem Strafbefehl geführt, erst im Frühjahr 2019 sprach ihn das Amtsgericht Tuttlingen frei und warf der Staatsanwaltschaft Ermittlungsfehler vor. In der Zwischenzeit hatte Öhler mehrere internationale Turniere verpasst, zudem war eine Einstellung bei der Polizei gescheitert. 

LG Hamburg - KZ-Wachmann: Im Prozess gegen Bruno D., der als Wachmann im KZ Stutthof gearbeitet hat, sind Zweifel an der Lebensgeschichte eines amerikanischen Zeugen aufgekommen. Dieser war wohl nicht im KZ geboren worden und seine Mutter auch keine Jüdin. Nebenkläger-Anwalt Cornelius Nestler forderte Aufklärung, auch zum Schutz der Glaubwürdigkeit anderer Zeugen. Es berichten die FAZ (Matthias Wyssuwa) und die Welt (Per Hinrichs), wobei letztere auch auf das Gutachten eines historischen Sachverständigen eingeht, der zum Schluss kommt: "Zweifellos war es Bruno D. bewusst, dass er als Sicherungsposten in Stutthof Teil dieser arbeitsteiligen Maschinerie war."

AG Leipzig - Angriffe von Leipzig-Connewitz: Am Mittwoch wird am Amtsgericht Leipzig im beschleunigten Verfahren eine erste Verhandlung gegen einen mutmaßlichen Beteiligten der Silvester-Krawalle von Connewitz stattfinden, meldet die SZ. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte sowie vorsätzliche Körperverletzung vor.

Tod von Oury Jalloh: Zum 15. Jahrestag des Todes von Oury Jalloh, der in einer Dessauer Polizeiwache verbrannt war, ruft Daniel Schulz (taz) dazu auf, "die als Aufklärung getarnte Vertuschung eines wahrscheinlichen Mordes an einem Schwarzen Mann durch Polizisten" nicht hinzunehmen. Bisher ging die Justiz davon aus, dass der gefesselte Jalloh seine Matratze selbst angezündet hat. Ein Gutachter hatte später festgestellt, dass Jalloh vor seinem Tod massiv misshandelt worden sein muss. Doch das Oberlandesgericht Naumburg lehnte im November einen neuen Prozess ab. 

Fortbildung in der Justiz: Die Richterin Christine Schröder schildert auf lto.de die vielfältigen Weiterbildungsangebote für Richter und Staatsanwälte.

Recht in der Welt

Polen - Richtermaßregelung: Die FAZ (Gerhard Gnauck) schildert drei Fälle von polnischen Richtern, die diszipliniert wurden, weil sie die polnische Justizreform in Frage stellen. Inzwischen hat allerdings Wissenschaftsminister Gowin (PiS) zur überparteilichen Suche nach einem Ausweg aus dem Konflikt aufgerufen. 

USA – Tötung von Qassem Soleimani: Der akademische Mitarbeiter Simon Gauseweg untersucht auf lto.de völkerrechtliche Fragen um die Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani durch die USA in Bagdad. Damit habe die USA den Irak und den Iran angegriffen. Der Angriff auf einen General als Kombattant wäre dann gerechtfertigt, wenn sich die USA auf Selbstverteidigung berufen kann, hierzu habe sie aber noch keine ausreichenden Belege vorgebracht. Die Twitter-Ankündigung von US-Präsident Trump, er werde im Falle neuer iranischer Angriffe "unverhältnismäßig" zurückschlagen und "für die Kultur bedeutende Ziele" treffen, sei "nicht mehr weit von der Ankündigung eines Kriegsverbrechens entfernt."

USA – Harvey Weinstein: In New York hat der Vergewaltigungs-Prozess gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein begonnen, berichtet spiegel.de. Inzwischen hat auch die Staatsanwaltschaft in Los Angeles in zwei Fällen Anklage gegen Weinstein wegen Vergewaltigung erhoben. 

Österreich - Sicherheitspaket: Der research assistant Florian Lehne-Gonzalez schildert auf verfassungsblog.de ausführlich die Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshof von Ende 2019, mit der das Sicherheitspaket der ÖVP-FPÖ-Koalition in weiten Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde. Unter anderem war der Einsatz von Staatstrojanern beanstandet worden. Im ÖVP-Grünen-Regierungsprogramm sei nun eine "verfassungskonforme Regelung zur Überwachung unter anderem für verschlüsselte Nachrichten" geplant. 

EuGH - Kroatien/Slowenien-Grenzverlauf: Der Doktorand Jakob Gašperin kritisiert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) einen Schlussantrag des EuGH-Generalanwalts von Ende Dezember. Der Generalanwalt hatte eine EU-Zuständigkeit für den Grenzstreit zwischen Kroatien und Slowenien abgelehnt. Gašperin weist jedoch darauf hin, dass ein von Kroatien ignorierter völkerrechtlicher Schiedsspruch zum Gegenstand der EU-Aufnahmeverträge gemacht worden sei. Hier müsse Völkerrecht vom EuGH nicht interpretiert werden, es gehe nur um seine Einhaltung.

Sonstiges

Sexualstrafrecht: Drei Jahre nach Einführung des Prinzips "Nein heißt Nein" ins Strafgesetzbuch kommt deutschlandfunkkultur.de (Peggy Fiebig) zu einer skeptischen Bilanz. An der Schwierigkeit, eine Sexualstraftat ohne Zeugen zu beweisen, habe sich nichts geändert. Geschildert wird der Fall einer Frau, die vermutet, unter Einsatz von K.o.-Tropfen vergewaltigt worden zu sein. Der Einsatz der Tropfen war allerdings nicht nachweisbar, weil sie nicht binnen 12 Stunden zur Polizei ging. 

Universalschlichtungsstelle: Die Welt (Daniel Zwick) stellt die Universalschlichtungsstelle im badischen Kehl vor, die für ganz Deutschland zuständig ist, wenn es keine speziellere Schlichtungsstelle gibt. Ihr Status beruht auf einem Gesetz von letztem Herbst. Sie könnte zum Beispiel angerufen werden, wenn das Musterfeststellungsverfahren gegen VW zugunsten der Diesel-Käufer ausgeht. Diese könnten, statt individuell vor Gericht zu klagen, auch die Scchlichtungsstelle in Kehl anrufen, was für Privatpersonen kostenlos ist. Allerdings müsste die Gegenseite (hier VW) damit einverstanden sein. 

Legal Tech - Bahnverspätung: Die SZ stellt Startup-Unternehmen vor, die im Namen von Bahnkunden von der Deutschen Bahn die Entschädigung für Verspätungen einfordern. Das Verfahren der Bahn gilt als umständlich.

 

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lto/chr

(Hinweis für Journalisten)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7. Januar 2020: . In: Legal Tribune Online, 07.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39535 (abgerufen am: 08.11.2024 )

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