Die juristische Presseschau vom 3. Januar 2020: Ver­g­leichs­ver­hand­lungen mit VW / Kosten für künst­liche Befruch­tung / Namens­än­de­rung gegen Willen des Kinds­va­ters

03.01.2020

Volkswagen tritt nun doch in Vergleichsverhandlungen wegen des Dieselskandals ein. Außerdem in der Presseschau: Kostenübernahme für künstliche Befruchtung bei älteren Frauen und Änderung des Kindsnamens ist auch gegen den Willen des Vaters möglich.

Thema des Tages

OLG Braunschweig – Musterfeststellungsklage VW: Volkswagen und der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) haben im Musterprozess um mögliche Entschädigungen für Hunderttausende Dieselfahrer mit Vergleichsverhandlungen begonnen. Sie befänden sich nach Aussage von VW und vzbv jedoch noch in einem frühen Stadium, es sei unklar ob es tatsächlich zu einem Vergleich kommen werde. Dies berichten u.a. SZ (Klaus Ott), taz (Christian Rath), Hbl (Stefan Menzel, Dietmar Neuerer/Volker Votsmeier) und lto.de. Rund 2,4 Millionen Kunden hatten VW-Dieselfahrzeuge gekauft, bei denen die Abgasreinigung nur auf den Prüfstanden einwandfrei funktionierte, nicht hingegen bei der gewöhnlichen Nutzung auf der Straße. In vielen Fällen fordern sie nun Schadensersatz wegen des gesunkenen Wiederverkaufswertes ihrer Fahrzeuge. Rund 444.000 von ihnen gehen gemeinsam per Musterfeststellungsklage gegen VW vor, 60.000 weitere bei anderen Gerichten. Die Ansprüche aller anderen Kunden sind nach Ansicht des VW-Konzerns spätestens seit Ende 2019 verjährt. Hbl (Volker Votsmeier) verweist in einem separaten Artikel auf die hohen Rechtskosten für VW, welche sich durchaus im Milliardenbereich bewegen könnten.

Klaus Ott (SZ) kritisiert den VW-Konzern. Er habe mithilfe teurer Anwälte und jedes zulässigen Tricks ein mögliches Grundsatzurteil so lange hinausgezögert, bis weitere Klagen offenbar verjährt wären. Diese harte Linie möge sich finanziell auszahlen, unternehmenspolitisch sei dieser Umgang mit den Kunden für Volkswagen aber eine Bankrotterklärung. Felix W. Zimmermann (zdf.de) verweist insbesondere auf technische Schwierigkeiten bei der Berechnung eines Schadensersatzes auf Grundlage eines möglichen Vergleichs. Wer beispielsweise schon 200.000 Kilometer mit dem gekauften Dieselfahrzeug gefahren sei, bekäme gerichtlich weit weniger zugesprochen als eine Person, die erst 20.000 Kilometer unterwegs war. Eine pauschale Schadensersatzsumme sei daher nicht gerecht.

Rechtspolitik

Kinderpornographie zur "Keuschheitsprobe": Der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer befasst sich in seiner spiegel.de-Kolumne mit den Plänen der Bundesregierung, Ermittlern im Bereich der Kinderpornographie das Verwenden sogenannter "Keuschheitsproben" zu erlauben. Danach sollen Polizeibeamte mit Computertechnologie erstelltes fiktionales kinderpornographisches Material herstellen und verbreiten dürfen, um so Zugang zu pädophilen Netzwerken im Internet erlangen zu können. Der tatsächliche Nutzen sei jedoch zweifelhaft. Es sei zu erwarten, dass die Betreiber derartiger Netzwerke die Anforderungen an "Keuschheitsproben" bald so anpassen würden, dass computergeneriertes Material nicht mehr ausreiche. Im Übrigen kritisiert Fischer die undifferenziert dramatisierende Sprache, wenn von Kinderpornographie die Rede ist.

Digital Economy: In einem Gastbeitrag für die FAZ kritisiert Rechtsanwalt Friedrich Graf von Westphalen die EU-Richtlinie 2019/770 zu digitalen Dienstleistungen. Diese erlaube erstmals einem Verbraucher, für digitale Dienstleistungen nicht mehr mit Geld zu bezahlen, sondern durch die Gestattung der Nutzung seiner personenbezogenen Daten. Der Verbraucher werde so zum Objekt und damit zum Gegenteil dessen, was Juristen das privatautonom agierende Rechtssubjekt nennen würden.

Justiz

BGH zu künstlicher Befruchtung bei später Mutterschaft: Krankenversicherungen können verpflichtet sein, auch älteren Frauen die Kosten einer künstlichen Befruchtung zu erstatten. Dies hat der Bundesgerichtshof nach Meldung u.a. von zeit.de entschieden. Im Fall ging es um eine 44-jährige Frau, deren Mann auf natürlichem Wege keine Kinder zeugen konnte. Die Krankenkasse hatte die Kostenübernahme in Höhe von 17.500 Euro mit dem Hinweis auf das erhöhte Risiko von Fehlgeburten abgelehnt. Der BGH entschied nun, dass für die Einstufung einer künstlichen Befruchtung als medizinisch notwendige Heilbehandlung allein die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft entscheidend sei, nicht deren weiterer Verlauf. Anders liege es lediglich, wenn wegen der Gesundheit der Eltern eine lebende Geburt unwahrscheinlich sei.

BAG – Betriebsratsmitbestimmung auf Twitter: community.beck.de (Christian Rolfs) wirft den Blick auf ein im Februar 2020 anstehendes Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht. Dieses werde über die Frage verhandeln, ob der (Gesamt-)Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Einrichtung eines Twitter-Accounts durch die Arbeitgeberin aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz geltend machen könne.

OLG Frankfurt/M. zu Änderung des Nachnamens: Der Nachname eines Kindes darf auch gegen den Willen des Vaters geändert werden, wenn dies für das Wohl des Kindes erforderlich ist. Dies hat das Oberlandesgericht Frankfurt entschieden, wie u.a. zeit.de (Alena Kammer) und lto.de berichten. In dem Fall ging es um ein Mädchen, das seit 2014 keinen Kontakt mehr mit seinem Vater hat. Die Mutter ist inzwischen wiederverheiratet und trägt den Familiennamen des zweiten Ehemannes, den auch eine inzwischen geborene weitere Tochter trägt. Das Gericht nahm an, dass das Mädchen durch die Verschiedenheit ihres Namens und dem der Mutter sowie der Halbschwester außerordentlich belastet würde. Damit sah das Gericht bereits eine niedrigere Schwelle als ausreichend für die Namensänderung an als der Bundesgerichtshof. Dieser verlangt für eine Namensänderung gegen den Willen des Vaters, dass bereits konkrete Umstände für eine tatsächliche Kindeswohlgefährdung vorliegen. Mit Blick auf die abweichende Rechtsprechung des BGH aus dem Jahre 2005 hat das Gericht die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.

VG Münster zu angebundenen Rindern: Rinder, die in Anbindehaltung untergebracht sind, müssen zumindest im Sommer täglich Auslauf bekommen. Diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts Münster meldet lto.de. Bei der Haltung werden die Tiere mittels einer kurzen Kette, eines Strickes oder eines Eisengestänge am Hals im Stall fixiert. Das Gericht sieht hierdurch nahezu alle durch das Tierschutzgesetz geschützten Grundbedürfnisse der Rinder stark eingeschränkt. Als Folge der Bewegungsarmut könne es auch zu gehäuften Erkrankungen und Schmerzen kommen. Folglich sei eine Anordnung des Kreisveterinäramts rechtmäßig gewesen, wonach die Kühe zumindest vom 1. Juni bis zum 30. September eines jeden Jahres täglich für mindestens zwei Stunden Auslauf bekommen müssen.

Videokonferenz in Zivilverfahren: lto.de (Annelie Kaufmann) berichtet über die Erfahrungen der Justiz mit der Videokonferenz in Zivilverfahren. Bereits seit einigen Jahren bestehe diese Möglichkeit nach § 128a Zivilprozessordnung, werde jedoch von den Gerichten unterschiedlich häufig genutzt. Insbesondere werde die Übertragung von Anwälten beantragt, die sich hiermit eine weite Anreise ersparen könnten. Sie biete sich an, wenn keine umfangreichen Verhandlungen zu erwarten seien oder nur bestimmte Rechtsfragen erörtert werden müssten.

Neuer G20-Prozess in Hamburg: Die taz (Marco Carini) berichtet über ein anstehendes Mammutverfahren zur Aufarbeitung der Vorfälle beim G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017. Es gehe um das Geschehen in der Straße Rondenbarg, in der etwa 150 bis 200 überwiegend dunkel gekleidete Demonstranten und eine Hundertschaft der Bundespolizei aneinandergerieten. Anders als bei anderen Ausschreitungen während des G20-Gipfels sei hier jedoch kein nennenswerter Sach- und kein Personenschaden entstanden. Die Anklageschrift gehe von einer sehr weiten strafrechtlichen Haftung aller Demonstrationsteilnehmer aus, etwa für gemeinschaftlich begangenen schweren Landfriedensbruch, ungeachtet des jeweiligen konkreten Tatbeitrages. Es sei derzeit noch unklar, ob das Verfahren vor dem Amtsgericht oder dem Landgericht stattfinden werde.

Recht in der Welt

Belgien – Puigdemont: Belgien wird den katalanischen Separatistenführer Carles Puigdemont nach dessen Angaben nicht an Spanien ausliefern. Wie er und sein Anwalt übereinstimmend mitteilten, habe ein Brüsseler Untersuchungsrichter den Vollzug des Europäischen Haftbefehls gegen Puigdemont und seinen Politikerkollegen Toni Comín ausgesetzt, melden u.a. FAZ (Hans-Christian Rößler) und lto.de. Die Entscheidung habe er mit deren parlamentarischer Immunität begründet, welche das Europäische Parlament bisher nicht aufgehoben habe. Puigdemont und Comín waren ins Europaparlament gewählt worden, konnten ihr Amt indes bis jetzt nicht antreten, weil Spanien dies verhindert hatte. Kurz vor Weihachten hatte der Europäische Gerichtshof bereits entschieden, dass der in Spanien inhaftierte Separatistenführer Junquera von den spanischen Behörden zu Unrecht an der Aufnahme seines Mandats als Europaabgeordneter gehindert worden sei. Seine parlamentarische Immunität greife mit Verkündung des Wahlergebnisses.

Japan – Carlos Ghosn: Nach der spektakulären Flucht des ehemaligen Chefs der Nissan-Renault-Allianz, Carlos Ghosn, aus seinem Hausarrest in Japan in den Libanon porträtiert Hbl (Martin Kölling) seinen Anwalt Junichiro Hironaka. Dieser hatte Ghosns Flucht zwar als "unverzeihlich" verurteilt, gleichzeitig aber auch Verständnis geäußert. Tatsächlich werde die Strafjustiz in Japan von der dortigen Menschenrechtsvereinigung als "Geiseljustiz" bezeichnet.

USA – Kalifornisches Datenschutzgesetz: Die FAZ (Roland Lindner) berichtet über ein zum Beginn des Jahres in Kraft getretenes kalifornisches Datenschutzgesetz, welches sich die europäische Datenschutzgrundverordnung zum Vorbild genommen hat. Es handele sich wohl um das strengste Datenschutzgesetz, das es in den USA je gegeben habe.

Sonstiges

Angriff in Leipzig-Connewitz: Nach dem Angriff auf einen Polizisten in der Silvesternacht im Leipziger Stadtteil Connewitz ermittelt das Landeskriminalamt Sachsen wegen versuchten Mordes. Dies berichten u.a. spiegel.de (Janne Kieselbach/Marius Mestermann/Robin Wille), SZ (Cornelius Pollmer) und FAZ (Kim Björn Becker), die auch politische Reaktionen auf die Vorfälle in der Silvesternacht zusammenstellen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) etwa nannte den Angriff menschenverachtend. Die taz (Aiko Kempen/Konrad Litschko) beleuchtet ausführlich das seit Langem angespannte Verhältnis zwischen der linken Szene im Stadtteil und der Polizei. zeit.de (Katrin Scheib) präsentiert Zahlen des Bundeskriminalamts aus dem Jahr 2018 zum Ausmaß der Gewalt gegen Polizisten. Die Täter seien in der weiten Mehrheit Einzeltäter, männlich und polizeibekannt, mehr als die Hälfte habe zudem vor der Tat Alkohol getrunken. 

In einem separaten Kommentar fordert Cornelius Pollmer (SZ) eine genaue Aufarbeitung der Vorfälle in der Silvesternacht. Dabei kritisiert er einerseits die "Linksaußen-Szene" für ihre mangelnde Distanzierung von Gewalt, andererseits die Polizei für ihren gezielten Einsatz von Social Media für die öffentliche Meinungsbildung in ihrem Sinne. Auch Tobias Schulze (taz) kritisiert beide Seiten. Es sei zu verurteilen, dass Teile der linken Szene auf Gewalt an Silvester hinfieberten. Gleichzeitig dürfe aber auch das polizeiliche Konzept in Frage gestellt werden, da die massive Präsenz zur Gewaltprävention offensichtlich nicht beigetragen habe.

AfD – Parteispende: Die SZ (Sebastian Pittelkow/Katja Riedel) berichtet über eine juristische Stellungnahme der AfD, mithilfe derer sich diese gegen den Vorwurf einer illegalen Parteispende wehre. Demnach seien die 132.000 Euro, die ein Schweizer Pharmaunternehmen gestückelt auf ein Konto des AfD-Kreisverbandes Bodensee eingezahlt hatte, eine "persönliche Wahlkampfspende" für die damalige Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, Alice Weidel, gewesen, nicht jedoch eine Parteispende.

Brand im Krefelder Affenhaus: Nach dem schweren Brand im Affenhaus im Krefelder Zoo haben sich drei Frauen der Polizei gestellt, die den Brand nach eigenen Angaben durch das Zünden von Himmelslaternen verursacht haben. FAZ (Constantin van Lijnden) und spiegel.de (Florian Diekmann/Janne Kieselbach/Benjamin Maack) erläutern aus diesem Anlass die "paradoxe Rechtslage": Der Verkauf der Himmelslaternen sei erlaubt, nicht aber der Gebrauch. Ermittelt werde nun wegen fahrlässiger Brandstiftung, wobei sich die Selbstanzeige als strafmildernd auswirken dürfte. Auch focus.de beleuchtet die möglichen strafrechtlichen Folgen.

Das Letzte zum Schluss

Geweihtes Löschwasser: Als am Neujahrstag in Burscheid (NRW) ein angetrunkener 39-Jähriger eine Krippenfigur in einer Kirche anzündete, war Hilfe glücklicherweise schnell zur Stelle. Ein Zeuge bewies Tatkraft, schritt zum Weihwasser und löschte den Brand. Es berichtet die Welt.

 

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lto/mps

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. Januar 2020: Vergleichsverhandlungen mit VW / Kosten für künstliche Befruchtung / Namensänderung gegen Willen des Kindsvaters . In: Legal Tribune Online, 03.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39477/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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