Die juristische Presseschau vom 6. Dezember 2019: Pol­ni­sches Urteil für unab­hän­gige Justiz / Anwalt als Bank­vor­stand / Weib­liche Weih­nachts­männer sind mög­lich

06.12.2019

Das Oberste Gericht Polens erklärt den Justizverwaltungsrat für rechtswidrig besetzt. Außerdem in der Presseschau: Neuer Rechtsvorstand der Deutschen Bank beauftragt alte Anwalts-Partner und AGG-Problem bei der Suche nach Weihnachtsmännern.

Thema des Tages

Polen – Unabhängigkeit der Justiz: Das Oberste Gericht Polens hat entschieden, dass die im Rahmen der umstrittenen Justizreformen der nationalpopulistischen PiS-Regierung neu gebildete Disziplinarkammer nicht unabhängig genug und damit rechtswidrig ist. Das Gericht begründete dies damit, dass die Mitglieder der Disziplinarkammer vom Justizverwaltungsrat vorgeschlagen werden, der wiederum selbst seit der Justizreform nicht mehr ausreichend unabhängig ist. Im November hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass das Oberste Gericht Polens über die Unabhängigkeit von Disziplinarkammer und Justizverwaltungsrat selbst entscheiden soll. Dabei könne es EU-Recht anwenden, das Vorrang vor polnischem Recht habe. Es berichten SZ (Florian Hassel) und lto.de.

Rechtspolitik

IMK – Abschiebungen nach Syrien: Die aktuell tagende Innenministerkonferenz wird den Abschiebestopp nach Syrien wohl doch verlängern. Unionsregierte Länder konnten sich mit der Forderung, Abschiebungen von Straftätern zu erlauben, nicht durchsetzen, berichtet die SZ (Constanze von Bullion).

IMK – Nationalität von Tatverdächtigen: Die Innenministerkonferenz kann sich wohl nicht auf eine Empfehlung an die Polizei einigen, stets die Nationalität von Tatverdächtigen anzugeben. Jost Müller-Neuhof (Tsp) plädiert für Beibehaltung der bisher überwiegend zurückhaltend-differenzierten Linie: "Die Herkunft ist kein Tabu. Aber sie ist, für sich genommen, auch kein Faktor von Kriminalität, der in jedem Polizeibericht erscheinen muss."

Trennungsgebot: Die Trennung von Polizei und Geheimdiensten soll im Grundgesetz verankert werden. Das fordert ein Antrag, den die FDP-Bundestagsfraktion am kommenden Dienstag voraussichtlich beschließen wird und über den lto.de (Markus Sehl) exklusiv vorab berichtet. Der Artikel zeichnet die bisherige Diskussion um das Trennungsgebot nach. Außerdem werde die FDP auch eine gesetzliche Grundlage für das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) fordern. 

Tampons: Die türkische Doktorandin İlayda Eskitaşçıoğlu begründet auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache), warum der Zugang zu Menstruationsprodukten wie Tampons ein Grundrecht ist. Anlass ist die in Deutschland erfolgte Senkung des Mehrwertsteuersatzes für solche Produkte von 19 % auf 7 %. Dies entspreche dem weltweiten Trend in Gesetzgebung und Rechtsprechung.

Unternehmensübernahmen: Die Anwälte Lars-Gerrit Lüßmann und Tobias Kraut schildern auf lto.de wie der Bundestag aus Anlass der geplanten Osram-Übernahme sehr kurzfristig Ende November eine Lücke im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz geschlossen hat. Die bisher nur einen konkreten Bieter erfassende Sperrfrist in § 26 WpÜG soll künftig auch andere Interessenten erfassen. Die Autoren halten die Änderung für handwerklich schlecht gemacht.

WTO-Gerichte: Nun schildert auch das Hbl (Jan Dirk Herbermann u.a.) den Konflikt um die durch die USA blockierte Besetzung von Richterstellen in der Streitbeilegungs-Berufungsinstanz der Welthandelsorganisation. Ab nächster Woche werde diese nicht mehr arbeitsfähig sein. 

Justiz

EuGH zu Vollstreckung von niederländischem Bußgeld: EU-Mitgliedstaaten müssen niederländische Verkehrs-Bußgeldbescheide vollstrecken, auch wenn diese grundsätzlich an den Halter des Fahrzeugs gerichtet sind (und nicht wie in Deutschland und anderen Staaten an den Fahrer). Dies entschied jetzt der Europäische Gerichtshof laut lto.de. Ausschlaggebend war, dass nach niederländischem Recht die Vermutung widerlegbar ist, dass der Halter auch der Fahrer war.

BGH zum Pferdekauf: Eine ausgeheilte Rippenverletzung ist bei einem verkauften Pferd kein Sachmangel. Dies entschied laut lto.de der Bundesgerichtshof Ende Oktober in einem jetzt veröffentlichten Urteil. Die Rechtsprechung zu Gebrauchtwagen könne nicht auf Pferde übertragen werden.

OVG Hamburg/OVG Münster zu Dieselfahrverboten: Das Oberverwaltungsgericht Hamburg entschied, dass der Hamburger Luftreinhalteplan, der bisher nur in zwei Straßen Dieselfahrverbote vorsieht, überarbeitet werden muss. Bisher liege nur der Tenor der Entscheidung vor, berichtet spiegel.de. Vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen einigten sich die Deutsche Umwelthilfe und die nordrhein-westfälische Landesregierung auf einen vorläufigen Verzicht auf Dieselfahrverbote in Essen. Stattdessen wurde ein Maßnahmenpaket vereinbart, zu dem eine Nachrüstung der Essener Nahverkehrs-Busse gehört.

LAG Stuttgart zu Rassismus-Kündigung: Das Landesarbeitsgericht Stuttgart bestätigte die fristlose Kündigung eines Mitarbeiters durch die Daimler AG, weil jener einem türkischen Kollegen islamfeindliche Handy-Nachrichten geschickt hatte. Vor und im Gericht kam es zu Rangeleien zwischen IG-Metall-Gewerkschaftern und Unterstützern des Klägers. Es berichten SZ (Stefan Mayr) und focus.de.

LG Köln zu Vergütungsregelung in Kanzlei-AGB: lto.de berichtet über eine Entscheidung des Landgerichts Köln von Januar 2018, die nach Rücknahme der Berufung durch die verurteilte Kanzlei jetzt rechtskräftig wurde. Laut dem Landgericht hatte die Rechtsanwaltskammer Köln zurecht beanstandet, dass die Kanzlei in ihren AGB eine Vergütung pro angefangener Viertelstunde vorsah. Heute seien exaktere Zeiterfassungen möglich. Das Gericht akzeptierte, dass die Kammer als Verband nach dem Unterlassungsklagegesetz direkt gegen die Kanzlei vorging. 

LG Berlin zu Klimapolitik: Das Klima-Urteil des Landgerichts Berlin aus dem Oktober ist rechtskräftig. Greenpeace und die klagenden Familien, die erfolglos eine rigidere Klimapolitik der Bundesregierung erzwingen wollten, haben auf eine Berufung verzichtet, meldet die SZ (Michael Bauchmüller)

VG Gießen zu "Migration tötet": Der Verwaltungsrichter, der als Einzelrichter das "Migration tötet"-Urteil verfasst hatte, meldete sich nach massiver Pressekritik an seiner Urteilsbegründung zu Wort, berichtet lto.de. Er sei missverstanden worden: "Das Urteil rechtfertigt selbstverständlich keine Volksverhetzung, sondern zeigt nur, nach Auswertung der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung auf, dass dem Plakat keine eindeutig volksverhetzenden Äußerungen entnommen werden können".

BVerfG zu Recht auf Vegessenwerden I: Research Fellow Moritz Schramm würdigt auf verfassungsblog.de das Konzept der Grundrechtsvielfalt, das im Beschluss "Recht auf Vergessenwerden I" des Bundesverfassungsgerichts vorige Woche entwickelt wurde. Indem das BVerfG anerkenne, dass das Recht der EU auch bei nationalen Spielräumen "durchgeführt" wird, habe es sich auf den EuGH zubewegt. Dass dann eine Vielfalt nationaler Grundrechtsordnungen gelte, habe "ungemeines Potenzial für eine dynamische Ordnung europäischen Grundrechtsschutzes."

BayVerfGH zum Bayerischen Integrationsgesetz: Die FAZ (Timo Frasch) schildert die Landtagsdebatte über das Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshof von Dienstag: "Die Einschätzungen der Politiker differierten je nach Parteizugehörigkeit so stark, dass man wahlweise den Eindruck haben konnte, die Verfassungsrichter hätten entweder nur kosmetische Änderungen angeregt oder das 2016 mit absoluter CSU-Mehrheit beschlossene Gesetz in der Luft zerrissen."

Reinhard Müller (FAZ) betont, das Integrationsgesetz sei "keineswegs in Gänze für verfassungswidrig erklärt worden, wie Verlautbarungen von interessierter Seite nahelegten." Er kritisiert allerdings, dass das Gericht Grundgesetz-Kurse für Migranten beanstandete, die beharrlich die Grundordnung ablehnen. "Zu unserer Leitkultur gehört offenbar auch, dass wir sie nicht verteidigen wollen. Auch dafür haben Verfassungsfeinde nur Verachtung übrig."

LG Bonn – Cum-Ex: Klaus Ott (SZ) äußert sich im Leitartikel begeistert über das von ihm erwartete Urteil des Landgerichts Bonn gegen zwei Bänker, die sich an Cum-Ex-Steuermanipulationen beteiligt hatten. "Richter Roland Zickler und seine Kollegen werden aufräumen mit der Mär, dass derlei dreiste Steuertricks legal sein könnten." 

Architektenhonorare: Rechtsanwalt Karl Scholtissek schildert in der FAZ die zwei Linien der deutschen Rechtsprechung nach dem EuGH-Urteil vom Juli, mit dem die deutsche Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) beanstandet wurde. Manche Gerichte gehen davon aus, dass nun auch Honorarvereinbarungen wirksam sind, die unter den HOAI-Mindestsätzen liegen. Andere Gerichte halten die Mindestpreisregelungen der HOAI weiterhin für anwendbar. Der Autor tendiert zur ersten Linie. 

Gewalt gegen Polizisten: focus.de (Göran Schattauer) schildert, wie in Bayern mit gerichtlichen "Schnellverfahren" auf Gewalt gegen Polizisten reagiert wird.

Recht in der Welt

China – Auszeichnung für Anwältin: Die chinesische Anwältin Guo Jianmei hat den Alternativen Nobelpreis erhalten. Sie hatte eine Rechtsberatungsorganisation für Frauen aufgebaut und mit ihrem Team landesweit rund 4.000 Prozesse für Frauen geführt. Sie hatte an der Revision des Ehegesetzes mitgearbeitet und einen Rechtsleitfaden für Frauen geschrieben. Die taz (Sven Hansen) portraitiert die Anwältin.

Sonstiges

Thomas Fischer-Kolumne: Ex-Bundesrichter Thomas Fischer beschäftigt sich in seiner spiegel.de-Kolumne diesmal mit drei Themen. Erstens vergleicht er den harten Umgang der Konservativen mit der Ehefrau des Frankfurter OB Feldmann und die milde Reaktion auf den mutmaßlichen Anstellungsbetrug des Polizeigewerkschafters Rainer Wendt in Sachsen-Anhalt. Zweitens kritisert er die Pläne zur Ermöglichung der Wiederaufnahme von Mordprozessen zu Lasten von frei gesprochenen Angeklagten als Tabubruch, der sich auf andere Delikte ausweiten könne. Drittens moniert Fischer, dass die öffentliche Ignoranz bei Gewalt von Frauen gegen Männer damit gerechtfertigt werde, dass viel mehr Gewalt von Männern gegen Frauen ausgeübt werde. Bei anderen Gruppen, etwa Migranten, würde man eine solche Argumentation nicht wagen.

Bankvorstand Stefan Simon: Der designierte neue Rechtsvorstand der Deutschen Bank, Stefan Simon, war früher Partner der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg. Es habe daher für internen Missmut gesorgt, dass er schnell seiner ehemaligen Kanzlei verschiedene Auftrage erteilt hat, berichtet die SZ (Meike Schreiber/Jan Willmroth).

Ulrich K. Preuß: Die FAZ (Christian Geyer) portraitiert den linken Verfassungsrechtler Ulrich K. Preuß aus Anlass seines 80. Geburtstags. "Sein frühes Gespür für überzogene staatliche Homogenitätserwartungen" sei wegweisend gewesen.

Antirassismus-Schild: Die AfD-Fraktion in Frankfurt/M. will gegen ein Schild am Rathaus klagen, auf dem steht: "Respekt! Kein Platz für Rassismus. www.respekt.tv". Grund: Die Respekt-Initiative habe sich eindeutig gegen die AfD positioniert. Ein Schild mit deren Internet-Adresse verstoße daher gegen die staatliche Neutralität. lto.de berichtet. 

Weihnachtsmänner: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Andreas Zöllner mahnt auf lto.de, dass bei der Ausschreibung von Tätigkeiten als Weihnachtsmann auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu beachten sei. Anzeigen müssten geschlechtsneutral (m/w/d) formuliert werden. Auch eine Frau könne Weihnachtsmann spielen, "da die Figur ohnehin größtenteils vom Kostüm geprägt ist."

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

(Hinweis für Journalisten)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. Dezember 2019: Polnisches Urteil für unabhängige Justiz / Anwalt als Bankvorstand / Weibliche Weihnachtsmänner sind möglich . In: Legal Tribune Online, 06.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39103/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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