Die juristische Presseschau vom 3. Dezember 2019: Reform des EU-Asyl­rechts / "Richter Gna­denlos" geht in Rente / Katzen gegen Arten­schutz

03.12.2019

Innenminister Seehofer schlägt Reform des EU-Asylrechts vor. Außerdem in der Presseschau: Richter Alexander Ganter verabschiedet sich in den Ruhestand und frei herumlaufende Katzen sollen gegen EU-Artenschutzrecht verstoßen.

Thema des Tages

EU-Asylrecht: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat in Brüssel Vorschläge zur Reform des europäischen Asylrechts vorgestellt. Danach sollen an den EU-Außengrenzen Vorprüfungen von Asylanträgen stattfinden. Wer aufgenommen wird, solle nach einem Verteilschlüssel einem Mitgliedstaat zugewiesen werden und auch nur dort Sozialleistungen erhalten. Bei den neuen zuständigen EU-Kommissaren stießen die Vorschläge auf Zustimmung, berichten die SZ (Karoline Meta Beisel), die FAZ (Thomas Gutschker) und die Welt (Marcel Leubecher).

Jasper von Altenbockum (FAZ) glaubt, dass die Vorschläge auch auf Bedenken stoßen werden. Das beste Ergebnis wäre eine Kontingentlösung, die aber nur dann "europäisch" zu nennen wäre, wenn auch die osteuropäischen Staaten mitmachten.

Rechtspolitik

Wahlrecht: Politiker von SPD und Union führen Gespräche über eine Reform des Wahlrechts. Bis Januar 2020 wolle man sich auf einen Vorschlag einigen, sagte Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) dem Hbl (Heike Anger). Ziel ist es, den Bundestag zu verkleinern, der zuletzt durch Überhang- und Ausgleichsmandate auf 709 Abgeordnete angewachsen ist.

Mietendeckel Berlin: Die taz (Martin Reeh) stellt die verschiedenen Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Berliner Mietendeckels vor. CDU und FDP im Berliner Abgeordnetenhaus haben bereits einen Normenkontrollantrag beim Berliner Verfassungsgericht angekündigt.

Justiz

VG Gießen zu "Migration tötet": Mit Andreas Höfer, Richter am Verwaltungsgericht Gießen, befasst sich jetzt auch die FAZ (Julian Staib). Der Richter hatte in einem Urteil ausführlich begründet, warum der NPD-Slogan "Stoppt die Invasion: Migration tötet!" teilweise der Realität entspreche.

Für Ronen Steinke (SZ) ist das Urteil "kein Grund, über die Justiz insgesamt zu verzweifeln". Dennoch sei es denkwürdig. Salonfähig zu werden, sei das "strategische Ziel der sogenannten Neuen Rechten". hessenschau.de (Wolfgang Türk) interviewt den Verwaltungsrichter Malte Engeler von der Neuen Richtervereinigung, der in dem Urteil den "Ausdruck einer rassistischen Überzeugung" sieht. Der Richter sei nicht einfach ein "verschrobener Sonderling", sondern wähne sich in einem politischen Klima, in dem es vertretbar geworden sei, sich so zu äußern.

KG Berlin zu Werbung für Schwangerschaftsabbrüche: Das Berliner Kammergericht hat die Verurteilung einer Frauenärztin wegen Werbung für Schwangerschaftsabbrüche bestätigt. Das berichten nun auch spiegel.de (Wiebke Ramm) und lto.de. Damit ist zum ersten Mal ein Urteil nach der Reform des Straftatbestandes rechtskräftig geworden. Durch die Zusätze über die Art und Weise der Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs sah das Gericht den Tatbestand der unzulässigen Werbung erfüllt.

OVG Berlin-Brandenburg / VG Berlin – Rückkehr von IS-Anhängern: Die SZ (Ronen Steinke) weist auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg von Anfang November hin, nach dem die Regierung verpflichtet ist, deutsche Kämpfer des IS und deren Angehörige zurück ins Land zu lassen. Das Urteil sei zwar vordergründig nur auf Kinder bezogen gewesen, jedoch könne es die Schutzpflicht gebieten, auch Eltern zurückzuholen. Beim Verwaltungsgericht Berlin seien drei Klagen und 15 Eilanträge anhängig.

BVerfG zum Recht auf Vergessenwerden II: Rechtsprofessor Marten Breuer kritisiert auf verfassungsblog.de die zweite Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf Vergessenwerden, nach der Karlsruhe zukünftig im Bereich vollharmonisierten Unionsrechts auch die Verletzung von EU-Grundrechten prüft. Hierbei handele es sich um eine verfassungspolitische und nicht um eine verfassungsrechtliche Frage. Positiv fielen die "Sensibilität" hinsichtlich der eigenen Rolle im "europäischen Grundrechtskonzert" sowie das Bekenntnis zur Vorlagepflicht auf.

BVerfG zu Hartz-IV-Sanktionen: In einem Gastbeitrag für FAZ-Einspruch beschäftigt sich Rechtsprofessor Peter Baumeister mit den grundrechtsdogmatischen und verwaltungspraktischen Folgen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen nach dem Sozialgesetzbuch II. Der Autor bemängelt, dass die dogmatische Verortung des Nachranggrundsatzes unklar bleibe. Praktische Schwierigkeiten sieht er bei Sanktionen gegen Leistungsberechtigte unter 25 Jahren und bei Meldeversäumnissen, die nicht Gegenstand des Verfahrens waren aber wohl auch in ihrer derzeitigen Form verfassungswidrig seien. Da die Exekutive nach herrschender Auffassung nicht einfach ein Gesetz außer Acht lassen dürfe, sei es angeraten, dass der Bundestag kurzfristig tätig wird.

LG Mosbach – "Richter Gnadenlos": Nach 36 Jahren als Vorsitzender Richter verabschiedet sich Alexander Ganter in den Ruhestand. Der 65-Jährige hat durch seine straffe Verfahrensführung den Titel "Richter Gnadenlos" erworben. Gegenüber bild.de (Janine Wollbrett) fordert er, dass mehr in die Fortbildung von Richtern zum Thema effektive Verhandlungsführung investiert wird. Ganter ist Landesvorsitzender der CDU-Juristenvereinigung LACDJ Ba.-Wü.

Recht in der Welt

Rechtsstaatlichkeit in der EU: Im Interview mit lto.de (Annelie Kaufmann) erklärt Rechtsprofessor Christoph Möllers, dass die Rolle der Europäischen Kommission bei der Sicherung der Rechtstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten nicht überschätzt werden solle. Da es sich um ein politisches Problem handele, sieht er die mitgliedstaatlichen Regierungen in der Verantwortung. Für Deutschland fordert er eine Wahlrechtsreform und die Stärkung des Föderalismus.

Polen – Richterliche Unabhängigkeit: In Polen sollen am heutigen Dienstag drei neue Verfassungsrichter ihr Amt antreten. Darunter sind zwei umstrittene ehemalige Abgeordnete der PiS-Partei, die die FAZ (Gerhard Gnauck) vorstellt. Für Kritik habe zudem die Suspendierung des Richters Pawel Juszczyszyn gesorgt, der in einem Berufungsverfahren prüfen wollte, ob der erstinstanzliche Richter unter Mitwirkung des Landesjustizrats ins Amt gekommen sei. Der Europäische Gerichtshof hatte die Unabhängigkeit des Justizrates in Zweifel gezogen.

Griechenland – Urteil gegen Ex-Siemens-Chef: Der ehemalige Vorstands- und Aufsichtsratschef von Siemens Heinrich von Pierer ist von einem griechischen Gericht zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Das berichten die SZ (Christiane Schlötzer/Tasos Telloglou) und das Hbl (Gerd Höhler/Axel Höpner). Ihm wird vorgeworfen Schmiergelder an Entscheidungsträger gezahlt zu haben. Pierer will Berufung einlegen.

Großbritannien – Terroranschlag: zeit.de (Bettina Schulz) analysiert die Umstände, die zu dem Terroranschlag in London führten. Der Fall sei symptomatisch für die Mängel des Systems, in dem wegen Sparmaßnahmen oder juristischer Probleme Sicherheitslücken entstanden seien.

Chile – Verfassungsgebung: Rechtsprofessor Sergio Verdugo analysiert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) die zwischen verschiedenen Parteien geschlossene Vereinbarung, die einen Fahrplan zu einer neuen Verfassung für Chile vorsieht. Die Änderung der Verfassung "von innen" berge sowohl Chancen als auch Risiken.

Sonstiges

Verhandlungen mit Hohenzollern: Die Rechtsprofessorin Sophie Schönberger befasst sich in der SZ mit den Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und dem Haus Hohenzollern über Entschädigungen und Rückgaben. Diese Verhandlungen zeigten, dass die deutsche Republik bei ihrer Gründung nicht konsequent mit ihrem monarchischen Erbe gebrochen habe. Es erscheine "zynisch, dass nun gerade um monarchisches Vermögen Verhandlungen geführt werden, auf die viele Nachkommen der Opfer von Nationalsozialismus und Kolonialherrschaft bis heute vergeblich hoffen". Mit den Verhandlungen beschäftigt sich auch die FAZ (Andreas Kilb) in ihrem Feuilleton. Hier wird auch auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von März 2005 eingegangen, in dem es um die Entschädigungsforderung der Erben des Ufa-Eigentümers und rechtsnationalen Politikers Alfred Hugenberg ging.

Katzen und Artenschutz: Katzen dürfen nach geltendem EU-Recht nicht frei herumlaufen. Zu diesem Ergebnis kommen laut spiegel.de (Marco Evers) zwei niederländische Professoren in einem Rechtsgutachten. Indem Katzen Vögel und andere Tiere jagen würden, trügen sie zum Artensterben bei. Die Mitgliedstaaten seien daher unter anderem nach der Vogelschutzrichtlinie der EU verpflichtet, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, was bisher jedoch kein EU-Staat mache.

Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter: Der Rechtsanwalt Christoph Marotzke befasst sich auf lto.de mit der Frage, wann sich ein Nutzer eines E-Scooters wegen Trunkenheitsfahrt strafbar macht. Stelle man allein auf die Antriebsart ab, wie es in der Rechtsprechung zu Segways getan wird, so gelte für E-Scooter die absolute Fahruntüchtigkeitsgrenze von 1,1 Promille. Dies sei jedoch bedenklich, da E-Scooter so "verkehrsrechtlich auf eine Stufe mit zum Beispiel einem SUV oder Lkw gestellt werden".

Festgenommener Ex-Partner von Freshfields: In einem Gastbeitrag für das Hbl meint Aled Wyn Griffiths, Chefredakteur beim Juve Verlag, dass die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer nach der Festnahme eines Ex-Partners wegen seiner Rolle im Cum-Ex-Skandal "noch nicht über den Berg" sei. Durch den Skandal könne die Reputation beschädigt worden sein. Die Anwälte und ihr Ruf seien jedoch "die eigentlichen Vermögenswerte von Anwaltskanzleien".

 

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lto/dw

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. Dezember 2019: Reform des EU-Asylrechts / "Richter Gnadenlos" geht in Rente / Katzen gegen Artenschutz . In: Legal Tribune Online, 03.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39019/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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