Die juristische Presseschau vom 26. November 2019: Kin­der­rechte ins Grund­ge­setz / Neu­re­ge­lung der Gemein­nüt­zig­keit / Gewalt gegen Frauen

26.11.2019

Justizministerin Lambrecht legt einen Gesetzentwurf für Kinderrechte im Grundgesetz vor. Außerdem in der Presseschau: Pläne zur Novellierung des Gemeinnützigkeitsrechts und Diskussionen am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen.

Thema des Tages

Kinderrechte ins Grundgesetz: Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) gibt an diesem Dienstag einen Gesetzentwurf zur Änderung von Artikel 6 Grundgesetz in die Ressortabstimmung. Der neue Absatz 1a, über den die SZ (Wolfgang Janisch) exklusiv berichtet, soll folgenden Wortlaut haben: "Jedes Kind hat das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrechte einschließlich seines Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft. Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, angemessen zu berücksichtigen. Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, einen Anspruch auf rechtliches Gehör." Laut Begründung sollen so die Grundrechte von Kindern "besser sichtbar" werden. Ändern soll sich nichts. Das Verhältnis zwischen Staat, Eltern und Kindern werde "bewusst nicht angetastet".

Wolfgang Janisch (SZ) kommentiert: "Wenn man es allein juristisch betrachtet, könnte man auf einen neuen Absatz im Grundgesetz getrost verzichten", dennoch sei die Reform in ihrer Symbolik "nicht verkehrt". Wichtiger wäre es aber, das "Versprechen der Verfassung" in der Ausstattung von Schulen, Jugendämtern und Kitas sichtbar zu machen.

Rechtspolitik

Gemeinnützigkeit: Die taz (Hannes Koch) berichtet über die vom Bundesfinanzministerium unter Olaf Scholz (SPD) geplante Neuregelung des Gemeinnützigkeitsrechts als Reaktion auf das Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs. Dieser hatte der globalisierungskritischen Organisation wegen ihrer politischen Arbeit den Status als gemeinnützig aberkannt. Nach der Reform solle dieser Status nur solchen Organisationen gebühren, deren politische Betätigung gegenüber ihrem eigentlichen Satzungszweck "weit in den Hintergrund" trete. 

Frauenquote für Vorstände: Justizministerin Christine Lambrecht und Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD) arbeiten an einem Gesetzentwurf, mit dem Frauenquoten für Unternehmensvorstände eingeführt werden sollen, berichtet die SZ (Helena Ott)Details seien noch nicht bekannt. Die CDU/CSU lehne derartige Quoten ab.

Verantwortungseigentum: Im Gesellschaftsrecht soll eine neue Rechtsform eingeführt werden, die "GmbH in Verantwortungseigentum". Das fordert laut FAZ (Julia Löhr) eine neue Stiftung für Verantwortungseigentum, der 30 Unternehmen angehören. Vorbild ist das englische Konstrukt der "Community Interest Company".

Justiz

BGH – Legal Tech: An diesem Mittwoch wird ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zum Thema Legal Tech erfolgen. Der BGH wird klären, ob das Portal "weniger-miete.de" noch eine erlaubte Inkassotätigkeit oder schon eine unzulässige Rechtsdienstleistung anbiete. Das Hbl (Heike Anger) beleuchtet in einem Vorbericht insbesondere die Skepsis etwa der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) gegenüber den neuen Legal Tech-Unternehmen. Deren Befürworter hingegen bemängeln, die Standesvertretung der Anwälte mache "einen Schritt zurück ins 19. Jahrhundert." 

Anwalt Martin W. Huff skizziert auf lto.de die rechtspolitische Diskussion, die wohl einsetzen werde, wenn der Bundesgerichtshof nun akzeptiert, dass Legal Tech-Startups mit einer Inkasso-Lizenz gewisse rechtliche Beratung anbieten dürfen. Anwälte sollten dann solche Legal Tech-Dienstleistungen auch anbieten können – ohne sie in eine andere Gesellschaft auslagern zu müssen. Deshalb müsse zum Beispiel das Verbot von Erfolgshonoraren für Anwälte überdacht werden. Bisher seien die Berufsrechtler allerdings ratlos, so Huffs Beobachtung auf einer Tagung des Instituts für Anwaltsrecht in der vorigen Woche.

OLG Frankfurt/M. zu Handball-Foul: Wenn ein Foul im Handball mit einer "roten Karte ohne Bericht" geahndet wird, kann der Gefoulte keinen Schadensersatz verlangen, da keine "unerlaubte Handlung" im Sinne des Schadensersatzrechts vorliegt, so das Oberlandesgericht Frankfurt/M. laut lto.de. Bei kampfbetonten Manschaftssportarten wie Handball oder Fußball könnten nur grobe Verletzungen der Spielregeln zu Schadensersatz führen. Eine "rote Karte ohne Bericht" führe im Handball zu einer Hinausstellung bis zum Spielende, habe aber keine Auswirkungen auf kommende Spiele.

OLG Dresden zu Flugpreisen: Onlineportale dürfen bei der Angabe der Flugpreise keine Rabatte abziehen, die nur für die Inhaber bestimmter Kreditkarten gelten. Das entschied jetzt das Oberlandesgericht Dresden laut FAZ (Marcus Jung) und lto.de im Fall des Portals "ab-in-den-urlaub.de".

ArbG Braunschweig zu Ex-VW-Manager: Das Arbeitsgericht Braunschweig hielt die fristlose Kündigung des VW-Managers Heinz-Jakob Neußer für rechtmäßig, berichtet die FAZ (Marcus Jung u.a.). Neußer hatte, nachdem er von den VW-Diesel-Manipulationen erfahren habe, eine Festplatte vernichtet. Zugleich lehnte das Gericht die Klage von VW ab, die Haftung Neußers für alle Schäden aus den Diesel-Manipulationen festzustellen.

BVerfG zur Tariffähigkeit von Minigewerkschaften: Den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Tariffähigkeit von Minigewerkschaften beschreibt nun auch community.beck.de (Markus Stoffels). Bei der Frage der erforderlichen Durchsetzungsfähigkeit dürfe maßgeblich auf die Größe und Zusammensetzung der Mitgliederschaft der Vereinigung abgestellt werden.

LG München I – Mordprozess gegen Krankenpfleger: Vor dem Landgericht München I beginnt am Dienstag der Prozess gegen einen aus Polen vermittelten Krankenpfleger, der in Deutschland sechs Senioren getötet haben soll. spiegel.de (Julia Jüttner) beschreibt in einem Vorbericht insbesondere Habgier als mutmaßliches Motiv des Mannes.

LG Wuppertal – Kindesentführung: Das Landgericht Wuppertal hat einen 22-Jährigen wegen Freiheitsberaubung und versuchter Entziehung Minderjähriger zu zwei Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Der Mann hatte einen zehn Jahre alten Grundschüler in ein Mietauto gelockt, um ihn später sexuell zu missbrauchen. Allerdings nahm er von diesem Plan Abstand, nachdem er einen Unfall verursacht hatte. Hierin sah das Gericht einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Missbrauchs. Es berichtet spiegel.de.

Cum-Ex-Verfahren und Anwälte: Die SZ (Jan Willmroth/Nils Wischmeyer) schildert angesichts laufender Strafverfahren die Verwicklung der internationalen Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer in mutmaßlich illegale Cum-Ex-Steuergeschäfte, denen die Kanzlei mit "spitzfindigen Gutachten" Legalität attestiert habe.

Recht in der Welt

Türkei – Vertrauensanwälte: Die Bundesregierung hat die Zusammenarbeit mit sogenannten Vertrauensanwälten in der Türkei eingestellt, nachdem einer von ihnen dort inhaftiert worden ist. Die Anwälte überprüfen für die deutsche Botschaft Angaben von türkischen Staatsbürgern, die in Deutschland Asyl beantragt haben. Durch die Festnahme des Anwalts könnten Akten von 43 Asylbewerbern in die Hände der türkischen Behörden und des Geheimdiensts geraten sein. Es berichtet u.a. zeit.de.

USA/Iran – Schadensersatz für Journalist: Ein US-Bundesgericht in Washington, D.C. hat auf Klage des Journalisten Jason Rezaian den Iran zur Zahlung von rund 180 Millionen Dollar (163 Millionen Euro) Schadenersatz verurteilt. Rezaian war als Iran-Korrespondent der Washington Post 2014 unter Spionageverdacht festgenommen worden und erst nach eineinhalb Jahren freigekommen. Das Gericht warf Iran vor, den Journalist als Geisel gehalten und gefoltert zu haben, "um in den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten einen Vorteil zu erringen", so die FAZ

USA – Jens Söring: Der Schriftsteller und Ex-Anwalt Andrew Hammel schildert im FAZ-Einspruch sehr ausführlich, weshalb der in den USA seit 1989 wegen eines Doppelmordes an den Eltern seiner Freundin inhaftierte Deutsche Jens Söring "ohne jeden Zweifel schuldig" ist. Er widerspricht damit deutschen Journalisten, die Söring für unschuldig halten und sich deshalb für ihn einsetzen. 

Indien – Ayodhya: Die SZ (Arne Perras) nimmt ein Urteil des Obersten Gerichts Indiens vom 5. November zum Anlass für eine Seite 3-Reportage. Laut dem Urteil dürfen Hindus in der Stadt Ayodhya eine Gebetsstätte für den Gott Ram errichten, der dort geboren sein soll. An dieser Stelle hatten allerdings Hindu-Fanatiker im Jahr 1992 eine Moschee zerstört. Die Richter begründeten das Urteil nun mit archäologischen Funden eines früheren Hindu-Tempels, der zeitlich vor der Moschee bestanden haben soll. Hindu-Fanatiker hatten mit neuen Unruhen gedroht, falls das Gericht nicht in ihrem Sinne entscheide. Die Muslime erhalten nun ein anderes Stück Land, um ihre Moschee wieder zu errichten. Der Konflikt spiele in der indischen Politik immer noch eine große Rolle.

Syrien – Verfassung: lto.de (Markus Sehl) spricht mit dem in Deutschland lebenden syrischen Verfassungrechtler Naseef Naeem über die von der UN angestoßenen Genfer Verhandlungen für eine neue syrische Verfassung. Beteiligt sind je 50 Vertreter der Regierung, aus Oppositionskräften und aus der Zivilgesellschaft. Naeem sieht den Sinn der Verhandlungen vor allem darin, wieder "miteinander ins Gespräch zu kommen". 

Sonstiges

Gewalt gegen Frauen: Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) am Montag Zahlen des Bundeskriminalamts (BKA) über Gewalttaten gegen Frauen in Deutschland vorgestellt. Danach wurde 2018 jeden dritten Tag eine Frau durch ihren Mann, Freund oder Ex-Partner umgebracht. Deutschland hat sich mit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention im Jahr 2017 dazu verpflichtet, Frauen vor Gewalt durch den Partner zu schützen und häusliche Gewalt zu bekämpfen. Ab 2020 stelle das Bundesfamilienministerium daher vier Jahre lang 30 Millionen Euro jährlich für den Ausbau von Beratungsstellen und Frauenhäusern bereit, so u.a. die FAZ (Anna-Lena Niemann/Julia Schaaf), die taz (Patricia Hecht) und spiegel.de.

In diesem Kontext interviewt zeit.de (Lena Fiedler) einen Berliner Psychologen, der ein Verhaltenstraining für gewalttätige Männer anbietet. Häusliche Gewalt mache "keinen Halt vor Bildungs- oder Landesgrenzen", wird er zitiert. Ziel des Trainings sei es, Gefahren frühzeitig zu erkennen und Gewalttaten zu verhindern.

Claudia Becker (Welt) spricht sich dafür aus, "milieubedingte Risikofaktoren" nicht aus politischer Korrektheit zu ignorieren. Reinhard Müller (FAZ) kommentiert: Männer bräuchten offensichtlich "auch im westlichen Kulturkreis weiterhin Aufklärung über elementare Rechte wie Schutz von Leben, Freiheit und Gleichberechtigung".

Aufklärung durch Anwälte: Die SZ (Meike Schreiber) schildert, dass die Einschaltung von Anwaltskanzleien in die interne Aufklärung von Unternehmens-Skandalen in der Regel nur zur Sanktionierung von untergeordneten Mitarbeitern führe. Vorstände und Aufsichtsräte müssten sich dagegen in der Regel nicht für Fehlverhalten verantworten.

Klima-Streik und Arbeitsrecht: Der Anwalt Stephan Vielmeier und Rechtsprofessor Volker Rieble beschreiben auf lto.de rechtliche Risiken für Arbeitgeber, die Beschäftigten für die Teilnahme am Klima-Streik freigeben. Weil der Arbeitgeber hier erwünschtes Verhalten belohne, könne dies als unerlaubte Beeinflussung des Privatlebens gewertet werden. Manager, die auf Kosten des Unternehmens Beschäftigten freigeben, könnten sich wegen Untreue strafbar machen. Außerdem müssten Arbeitgeber alle Beschäftigten gleich behandeln, das heißt am Freitag auch Beschäftigten freigeben, die nicht zur Klima-Demo gehen oder die an einem anderen Tag zur Pegida-Demo gehen wollen. 

Staatsfreiheit der Meinungsbildung: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Friedrich Schmitt befasst sich auf juwiss.de mit der Frage, ob staatliche Aktivitäten im Internet mit der Staatsfreiheit der Meinungsbildung vereinbar sind. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass eine derartige Staatsfreiheit entgegen weiterverbreiteter Annahmen gar nicht existiere: Der Begriff suggeriere nämlich "eine strikte Trennung von Staat und Gesellschaft, die der Demokratie im Sinne des Grundgesetzes fremd" sei, so nicht existiere und "zu (juristischen) Kurzschlüssen" führen könne.

 

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lto/chr/mps

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. November 2019: Kinderrechte ins Grundgesetz / Neuregelung der Gemeinnützigkeit / Gewalt gegen Frauen . In: Legal Tribune Online, 26.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38885/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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