Die juristische Presseschau vom 15. November 2019: Keine Zwangs­haft für Amts­träger / Aus­sa­gepf­licht von Unter­neh­mens­ver­t­re­tern / beA ist sicher genug

15.11.2019

EuGH-Generalanwalt gegen Zwangshaft von Ministerpräsident Söder. Außerdem in der Presseschau: Digitalisierungsgesetz normiert Aussagepflicht von Unternehmensvertretern und AGH findet das besondere elektronische Anwaltspostfach sicher genug.

Thema des Tages

EuGH – Zwangshaft: Befolgt ein deutscher Amtsträger rechtskräftige Urteile nicht, darf auch zur Befolgung EU-rechtlicher Pflichten keine Zwangshaft gegen ihn verhängt werden. Diese Ansicht vertritt der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) Henrik Saugmandsgaard Øe in seinem Schlussantrag. Der Bayrische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hatte dem EuGH diese Frage vorgelegt, nachdem die Deutsche Umwelthilfe (DUH) zuvor eine solche Zwangshaft gegen den bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und weitere Amtsträger beantragt hatte. Der BayVGH hielt eine Zwangshaft für Amtsträger nach deutschem Recht für ausgeschlossen und fragte den EuGH, ob sich aus EU-Recht eine Grundlage für solche Beugemaßnahmen ergibt. Der Generalanwalt stellte fest, dass Deutschland zwar "alle erforderlichen Maßnahmen" ergreifen muss, um EU-Luft-Grenzwerte einzuhalten. Die EU-Grundrechte verhinderten jedoch, daraus eine Möglichkeit oder gar Pflicht zur Zwangshaft für Amtsträger abzuleiten. Denn hierfür wäre eine klare gesetzliche Grundlage im deutschen Recht erforderlich, die nach Auffassung des BayVGH fehle. Nach dem Schlussantrag des Generalanwalts steht noch die Entscheidung des EuGH aus. Folgen die Richter der Einschätzung des Generalanwalts, wird das Verfahren wieder an den BayVGH verwiesen. Es berichten die taz (Christian Rath), die FAZ, lto.de (Tanja Podolski) und die SZ.

Udo Vetter (lawblog.de) findet diese Position "sehr rechtsstaatlich" und deutet aufkommende Diskussionen um die Schließung einer eventuellen Gesetzeslücke in der Zivilprozessordnung (ZPO) an.

Rechtspolitik

Hass im Internet: Immer mehr Bundesländer haben Initiativen gestartet, um gegen Hasspostings im Internet effektiver vorzugehen. Die SZ (Wolfgang Janisch) beschreibt die Entwicklungen in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Allen Initiativen ist gemein, dass sie vereinfachte Online-Verfahren entwickelt haben, um Hassmeldungen schnell und anonym anzeigen zu können. Je besser die Personen in Medien und Verbänden geschult seien, die von diesen Verfahren Gebrauch machen können, um so höher sei die Zahl der Ermittlungsverfahren, die aus den Anzeigen erfolgt.

Impfpflicht: Mit einer breiten Mehrheit wurde am Donnerstag im Bundestag ein neues Gesetz verabschiedet, welches unter anderem ab dem 1. März 2020 eine Impfpflicht in Kindergärten und Schulen vorsieht. Ziel ist es, die Masern in Deutschland endgültig zu bekämpfen. Bei Verstößen gegen die Pflicht können Bußgelder von bis zu 2.500 Euro drohen. Es berichten die SZ (Kathrin Zinkert), die taz (Dorian Baganz) und mit Fragen und Antworten im Überblick welt.de. Welche weiteren Neuregelungn das Gesetz zudem vorsieht, erläutert lto.de.

Klima: Wie die taz meldet, werden in Schleswig-Holstein zukünftig alle Gesetze und Verordnungen auf die Vereinbarkeit mit den Klimaschutzzielen des Landes hin überprüft. Das hat der schleswig-holsteinische Landtag fraktionsübergreifend beschlossen, wobei nur die AfD-Fraktion dagegen stimmte. 

GWB-Digitalisierungsgesetz: In einem Gastbeitrag auf lto.de befasst sich die Rechtsanwältin Ricarda Christine Schelzke mit dem Referentenentwurf zum "Zehnten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0", kurz Digitalisierungsgesetz. Dabei konzentriert sie sich vor allem auf die verfassungsrechtlich nicht unbedenkliche Aussagepflicht von Unternehmensvertretern, die in dem neuen Gesetz verankert werden soll. In diesem Zusammenhang wird diskutiert, ob es sich dabei um einen Verstoß gegen den nemo-tenetur-Grundsatz handele und ob das ebenfalls vorgesehene Beweisverwendungsverbot als Ausgleich ausreiche.

Justiz

BGH zu Flüchtling als Schleuser: Der BGH bestätigte die Verurteilung eines Afghanen, der sich gegenüber seinem Schleuser bereit erklärt hatte, als Ansprechpartner für zwei afghanische Frauen und deren Kinder bei deren gemeinsamer Überfahrt nach Griechenland zu fungieren, wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise. Der BGH verwarf damit die Revision des Mannes, stellte aber fest, dass die Beihilfe am unteren Rand des Möglichen geblieben war und dass der Afghane zugleich Täter und Opfer war. Das überladene Boot war auf dem Weg gekentert, wobei ein Großteil der Geflüchteten, die an Bord waren, gestorben waren. Es berichten lto.de und die taz (Christian Rath).

BGH – Rezensionen bei Amazon: Der Bundesgerichtshof prüft derzeit, ob ein Anbieter bei Amazon für dort zu seinem Produkt abgegebenen Kundenbewertungen verantwortlich gemacht werden kann, wie die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet. Auf Amazon hatte eine Firma "Kinesiologie Tapes" angeboten. In einem vorherigen Verfahren war der Firma untersagt worden, Werbung mit einem irreführenden Inhalt zu machen. Kurz darauf erschienen begeisterte Kundenbewertungen auf deren Seite, wogegen der Verband Sozialer Wettbewerb klagte. Allerdings war die Klage vom Landgericht Essen und dem Oberlandesgericht Hamm abgewiesen worden. Die Entscheidung des BGH ist noch offen, das Urteil wird in einigen Wochen verkündet.

OLG Köln zu Bewertungsplattform: Weil die Ärzte-Bewertungsplattform Jameda einzelnen Kunden "verdeckte Vorteile" zukommen lasse, sei sie keine neutrale Plattform zum Austausch von Informationen und deshalb nicht als solche geschützt. Dies entschied das Oberlandesgericht Köln, wie lto.de meldet. Zwei Ärzte hatten gegen das Online-Bewertungsportal auf Löschung der ohne ihr Einverständnis erstellten Profile geklagt. Dies ist nicht der erste Fall gegen Jameda. Das Gericht hat die Revision zugelassen.

OLG Schleswig zu Schadensersatz gegen VW: Das Oberlandesgericht Schleswig hat entschieden, dass ein Käufer, der sich wissentlich ein gebrauchtes, vom Dieselskandal betroffenes Fahrzeug kauft, keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen Volkswagen (VW) hat und wies damit die Berufung gegen das Urteil des Kieler Landgerichts zurück. Wie lto.de weiter berichtet, hatte eine Frau geklagt, die sich 2016 einen Gebrauchtwagen kaufte, mit dem Wissen, dass in diesem ein vom Abgasskandal betroffener Motor verbaut war.

OVG Berlin-Brandenburg zu Kommunalwahl: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat am Donnerstag entschieden, dass die Kommunalwahl im Jahr 2014 in Cottbus ungültig war, weil die Wahlkreise sich in der Größe zu stark unterschieden. Durch diese Einteilung sei das Gebot der Gleichheit der Wahl verletzt worden. Damit bestätigen die Richter das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus und wiesen die Berufung zurück. Die Wahlkreise wurden bereits verringert, weshalb das Urteil auch keine Auswirkungen auf die Wahlen von diesem Frühjahr hat. Es berichtet SZ.de.

OVG Berlin-Brandenburg zu IS-Rückführung: Die Bundesregierung muss weitere Anhänger des "Islamischen Staats" (IS) nach Deutschland zurückholen. Das entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Fall einer Frau und ihrer zwei Kinder, wie spiegel.de meldet. Vor einiger Zeit war die Frau mit ihren Kindern in das Gebiet des IS gereist. Nun ermittelt der Generalbundesanwalt gegen sie wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

In einem Beitrag in der FAZ (Helene Bubrowski) werden die derzeitigen Rücknahme-Fälle erläutert und wie die deutschen Behörden sich auf das potentielle Risiko einstellen. Außerdem erklärt der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius in einem Interview mit der SZ (Ronen Steinke), dass Deutschland zur Rücknahme von deutschen Bürgern verpflichtet sei und auch das neue Staatsangehörigkeitsgesetz daran häufig nichts ändere. Er fordert zudem, dass solche Rückführungen geordnet stattfinden müssen, damit die nötigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden können.

LG München – getötete Jesidin: Wie die SZ (Annette Ramelsberger) berichtet, läuft vor dem Landgericht München seit einigen Wochen ein Verfahren gegen eine Anhängerin des Islamischen Staates wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Mord durch Unterlassen. Sie und ihr Ehemann sollen im Irak eine Jesidin und ihre Tochter als Sklaven gehalten haben. Weil der Mann das jesidische Kind an einen Baum kettete, starb dieses in der prallen Sonne. Nun erschien eben jener Mann als Zeuge vor Gericht und sagte teilweise aus.

LG München II – Stromschlagexperimente: In einem Prozess am Landgericht München II hat, wie spiegel.de (Wiebke Ramm) meldet, am Donnerstag eine Nebenklägerin ausgesagt. Diese war – wie 87 andere Frauen – vom Angeklagten unter einem Vorwand und mit dem Versprechen Geld dafür zu erhalten, zu Experimenten überredet worden, bei denen sie sich schwere Stromschläge versetzte. Der 30-jährige Angeklagte schaute dann per Skype dabei zu. Er ist deshalb wegen versuchten Mordes in 88 Fällen angeklagt. 

LG Rostock zu Rechtsbeugung: Weil ein früherer Amtsrichter 816 Ordnungswidrigkeitsverfahren derart lange liegen ließ, dass diese verjährten, forderte die Staatsanwaltschaft, den 58-Jährigen wegen Rechtsbeugung zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren zu verurteilen. Dies lehnte das Landesgericht Rostock in seinem Urteil jedoch ab, da der angeklagte Amtsrichter aufgrund einer psychischen Krankheit nicht in der Lage gewesen sei, das Arbeitspensum zu bewerkstelligen. Vielmehr hätte sein Vorgesetzter hier Abhilfe schaffen müssen, wie spiegel.de und die SZ ferner berichten.

LG München I zu Fake-Bewertungen: Das Reisportal Holidaycheck klagte gegen eine Firma aus Südamerika, die erfundenen Kundenrezensionen an mehrere Hoteliers veräußert hatte. Nun urteilte das Landgericht München I, dass solche Fake-Bewertungen rechtswidrig sind und die Firma diese löschen und der Klägerin mitteilen muss, woher die Bewertungen stammen. Das Urteil erging als Versäumnisurteil, da die belizianische Firma nicht erschien, so die SZ weiter.

AGH Berlin zu beA: Weil das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ausreichend sicher sei, wies der Anwaltsgerichtshof (AGH) Berlin am Donnerstag die Klage von sieben Rechtsanwälten aus ganz Deutschland ab. Diese hatten gegen die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) als Betreiberin des Postfachs geklagt, weil das System nicht wie von der BRAK beworben mit einer Ende-zu-Ende Verschlüsselung versehen ist. Durch die Verpflichtung zur Nutzung des beA trotz aus ihrer Sicht erheblicher Sicherheitslücken fanden sich die klagenden Rechtsanwälte unter anderem in ihrer Berufsausübungsfreiheit verletzt, wie lto.de (Pia Lorenz/Hasso Suliak) berichtet. Laut AGH haben die Anwälte aber keinen Anspruch auf ein bestimmtes Sicherheitskonzept für das beA gegenüber der BRAK.

Jusitzvollzug: In Hamburg soll ab 2021 "die modernste Jugendanstalt Deutschlands" entstehen, wie der Justizminister Hamburgs Till Steffen (Grüne) verlauten ließ. Die Bürgerschaft hat den Plänen bereits zugestimmt. Laut Experten ähnelt die geplante Justizvollzugsanstalt (JVA) aber eher einem Hochsicherheitsgefängnis und entspräche nicht den Anforderungen an einen modernen Jugendvollzug, wie in einem Beitrag in der SZ (Peter Burghardt) mit Vergleichen zu anderen JVAs näher erläutert wird.

Recht in der Welt

CAS - Dopingprobe: Wie die SZ (Claudio Catuogno/Lea Deuber) und die taz berichten, wird heute in einem öffentlichen Verfahren der Prozess gegen den chinesischen Weltklasse-Schwimmer Sun Yang vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) verhandelt. Dem 27-Jährigen wird vorgeworfen, sich einer Dopingkontrolle entzogen, Beweismaterial vernichtet und sich deshalb des Betruges strafbar gemacht zu haben. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) als Klägerin in dem Verfahren fordert eine Sperre von bis zu acht Jahren.

Sonstiges

EU-Kommission gegen Großbritannien: Weil Großbritannien auch nach mehrfachen Aufforderungen keinen EU-Kommissar vorgeschlagen hat, hat die Europäische Kommission nun ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Königreich eingeleitet, wie SZ.de (Karoline Meta Beisel/Matthias Kolb) meldet. Die Pflicht aus Artikel 17 Absatz 4 des Vertrags der Europäischen Union (EUV), einen Kommissar zu entsenden, war Teil der letzten Fristverlängerung zum Brexit-Deal gewesen. Großbritannien hat jetzt eine Woche Zeit, Stellung zu beziehen.


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lto/ali

(Hinweis für Journalisten)  www.lto.de/index.php?id=459

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. November 2019: Keine Zwangshaft für Amtsträger / Aussagepflicht von Unternehmensvertretern / beA ist sicher genug . In: Legal Tribune Online, 15.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38723/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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