Die juristische Presseschau vom 1. November 2019: Kli­maklage abge­wiesen / Keine Strafe für Acker­mann & Co / Reform des Schwer­punkt­stu­diums

01.11.2019

Das VG Berlin hat die Klage gegen die Klimapolitik der Bundesregierung abgewiesen. Außerdem in der Presseschau: BGH bestätigt Freispruch für ehemalige Manager der Deutschen Bank und das Schwerpunktstudium soll vereinheitlicht werden.

Thema des Tages

VG Berlin zu Klimaklage: Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Klagen von Greenpeace und drei Bauernfamilien gegen die Bundesregierung als unzulässig abgewiesen. Die Kläger wollten mit der Klage erreichen, dass die Bundesregierung mehr gegen den Klimawandel unternimmt. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts fehlte ihnen dafür jedoch die erforderliche Klagebefugnis. Bei dem Kabinettbeschluss zum "Klimaziel 2020" handele es sich nicht um einen juristisch verbindlichen Rechtsakt. Bei der Erfüllung der sich aus Art. 14 GG ergebenden staatlichen Schutzpflicht stünde der Bundesregierung ein gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Greenpeace könne sich auch nicht auf ein Verbandsklagerecht berufen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ließ die Kammer die Berufung zum Oberverwaltungsgericht zu. Über die Entscheidung und die bemerkenswert ausführliche Verhandlung berichten die FAZ (Hendrik Wieduwilt), die taz (Christian Rath), der Tsp (Jost Müller-Neuhof) sowie lto.de (Markus Sehl).

In einem Video-Kommentar erklärt Hendrik Wieduwilt (faz.net), warum die Klage für die Kläger trotz der Abweisung ein Erfolg gewesen sei. Es sei ihnen gelungen, Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Rechtspolitik

Maßnahmen gegen Rechtsextremismus: zeit.de (Veronika Völlinger) analysiert den vom Bundeskabinett beschlossenen Neun-Punkte-Plan gegen Hasskriminalität. Es gebe Zweifel daran, dass die Verschärfung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes und des Strafrechts die Flut der Hasskommentare im Internet stoppen könne. Nach Ansicht vieler Beteiligter fehle es vor allem am Personal.

Beschäftigtendatenschutz: Im Interview mit netzpolitik.org (Alexander Fanta) äußert sich Rechtsprofessor Peter Wedde zu Problemen im Beschäftigtendatenschutz. Durch den technischen Fortschritt sei eine Vielzahl neuer Kontrollmöglichkeiten für Arbeitgeber entstanden. Die Datenschutzbehörden würden zwar einen guten Job machen, sich an der Schnittstelle von Datenschutz- und Arbeitsrecht jedoch vielfach zurückhalten. Eine mögliche Lösung wäre eine unabhängige Aufsichtsbehörde für Beschäftigtendatenschutz. Zudem bedürfe es eines eigenen Gesetzes für den Beschäftigtendatenschutz.

Europäische Staatsanwaltschaft: Der Universitätsassistent David Löffler geht auf juwiss.de der Frage nach, ob die Europäische Staatsanwaltschaft ein wirksames Instrument zur Bekämpfung von Korruption ist. Die Schaffung einer unabhängigen Ermittlungsbehörde, welche sachlich umfassend und grenzüberschreitend tätig werden kann, stellt seiner Ansicht nach einen wichtigen Schritt bei der Bekämpfung von Straftaten zulasten des EU-Haushalts dar. Jedoch hänge der Erfolg von der Unterstützung durch die Mitgliedstaaten ab. Zudem drohe eine "Zweiklassengesellschaft bei der Verfolgung von Straftaten", weil nicht alle Mitgliedstaaten beigetreten sind.

Justiz

BGH zu Ackermann & Co: Der Bundesgerichtshof hat die Freisprüche der ehemaligen Chefs der Deutschen Bank Rolf Breuer, Josef Ackermann und Jürgen Fitschen bestätigt. Den Managern wurde vorgeworfen, versuchten Prozessbetrug im Zivilrechtsstreit um die Kirch-Pleite begangen zu haben, indem sie Aussagen abgesprochen haben. Kirch hatte damals Schadensersatz von der Deutschen Bank gefordert, weil Breuer 2002 die Kreditwürdigkeit Kirchs öffentlich angezweifelt hatte. Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs enden somit jahrzehntelange juristische Auseinandersetzungen, die die FAZ (Marcus Jung), die Welt (Anne Kunz) und das Hbl (Yasmin Osman) Revue passieren lassen.

EuGH zu Europäischem Haftbefehl: Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil von Mitte Oktober die Mindestanforderungen an die Haftbedingungen konkretisiert, die erfüllt sein müssen, um einen Europäischen Haftbefehl vollstrecken zu dürfen. Dem war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorausgegangen, nach der das Oberlandesgericht Hamburg zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof verpflichtet war. Der Gerichtshof bestätigt und konkretisiert seine Rechtsprechung, nach der eine Überstellung unterbleiben muss, wenn eine echte Gefahr unmenschlicher und erniedrigender Behandlung besteht. Die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Eva Neumann erklärt auf voelkerrechtsblog.de, dass sich der Gerichtshof mit der Entscheidung sensibel für die Anforderungen nationaler Verfassungen zeige und zugleich Symmetrie zwischen der Auslegung der Charta und der EMRK herstelle.

LG Bonn – Cum-Ex: Der Kronzeuge im Cum-Ex-Strafverfahren vor dem Landgericht Bonn hat zahlreiche Namen von Unternehmern genannt, die sich an den Geschäften beteiligt haben sollen. Das berichtet die FAZ (Marcus Jung). Zudem habe er über die Methoden berichtet, mit denen Druck auf Behörden und Justiz ausgeübt worden sein soll. Der Vorsitzende Richter Roland Zickler habe in der Verhandlung das Phänomen des "Mietschreibens", also in Auftrag gegebene und finanzierte Fachartikel durch renommierte Steuerprofessoren, kritisiert.

AG Frankfurt/M. – Abtreibungsaktivist: Das Strafverfahren gegen einen Aktivisten, der gegen Abtreibungsgegner protestiert hat, wurde vom Amtsgericht Frankfurt am Main gegen Zahlung von 200 Euro an eine Schwangerenberatungsstelle eingestellt. Das meldet die taz (Christoph Schmidt-Lunau). Der Aktivist hatte sich als Bischof verkleidet und unter anderem Rote-Beete-Saft ausgegossen sowie einen Taschenalarm eingesetzt. Ihm wurde ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz vorgeworfen.

VG Berlin – Auskunft über Interviews von Merkel: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im vergangenen Jahr deutlich weniger Interviews gegeben als in den Jahren zuvor. Das geht laut Tsp (Jost Müller-Neuhof) aus einer Auskunft des Bundespresseamtes hervor. Zuvor hatte ein Anwalt einen Informationsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht, woraufhin die Bundesregierung den Anspruch anerkannte. Zu den sogenannten Hintergrundgesprächen mit Journalisten ist eine weitere Klage vor dem Verwaltungsgericht anhängig.

Recht in der Welt

EuGH zu Umverteilung von Asylbewerbern: Nach Auffassung der Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof Eleanor Sharpston haben Ungarn, Tschechien und Polen gegen Unionsrecht verstoßen, indem sie sich weigerten, einen Beschluss zur Umverteilung von Asylbewerbern aus Griechenland und Italien umzusetzen. Es sei das "Wesen der Solidarität", Druck von diesen Ländern zu nehmen, so die Generalanwältin laut FAZ (Marlene Grunert) und lto.de. Die Kommission hat das Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, nachdem zuvor bereits eine Klage gegen den Umverteilungsbeschluss vom Europäischen Gerichtshof abgewiesen worden war.

Spanien – Urteil gegen Separatisten: In einem (englischsprachigen) Beitrag für verfassungsblog.de befasst sich der Wissenschaftliche Mitarbeiter Rohan Sinha mit der Frage, ob das Urteil des Obersten Gerichts Spaniens gegen katalanische Separatistenführer gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Zwar seien die Zusammenkünfte bei dem Unabhängigkeitsreferendum wohl als Versammlungen im Sinne von Art. 11 EMRK zu klassifizieren, jedoch seien die Strafnorm hinreichend bestimmt und die Haftstrafen verhältnismäßig.

Italien – Regionalwahl: In der italienischen Region Umbrien hat eine rechte Koalition einen erdrutschartigen Sieg gegen den von der Fünf-Sterne-Bewegung und den Sozialdemokraten unterstützten Kandidaten errungen. Rechtsprofessor Francesco Palermo erläutert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) die politischen Hintergründe und sieht eine abnehmende Bedeutung der politischen Parteien seit der Einführung des präsidentiellen Systems auf Regionalebene.

Türkei – Justiz: In einem "Brief aus Istanbul" beschreibt Bülent Mumay für die FAZ, wie die türkische Justiz gegen die regierungskritische Presse vorgeht, zuletzt im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Krieg in Nordsyrien. Die Gerichte in der Türkei seien "natürlich nicht über Nacht zu einem Instrument, das der Regierung den Weg ebnet", geworden. Inzwischen seien jedoch die Hälfte der Verfassungsrichter und neunzehn von 67 Dekanen rechtswissenschaftlicher Fakultäten keine Juristen.

Juristische Ausbildung

Schwerpunktstudium: Der Koordinierungsausschuss zur Harmonisierung und Angleichung der Juristenausbildung (KOA) hat Handlungsempfehlungen für die Justizministerkonferenz zur Reform des Schwerpunktstudiums zusammengestellt, die lto.de (Marcel Schneider) vorliegen. Danach sollen weder das Schwerpunktstudium insgesamt noch seine Berücksichtigung bei der Notenbildung abgeschafft werden. Stattdessen sollen die Prüfungsbedingungen und -anforderungen vereinheitlicht werden. So soll der Schwerpunkt künftig nur noch aus mindestens zwei, höchstens drei Prüfungsleistungen bestehen und die einzelnen Noten sollen aufgeschlüsselt werden.

Sonstiges

Doktortitel von Franziska Giffey: Das Präsidium der Freien Universität zu Berlin hat entschieden, dass die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) ihren Doktortitel behalten darf. Die plagiierten Passagen würden die Arbeit weder quantitativ noch qualitativ prägen. Die FAZ (Heike Schmoll) lässt unter anderem den Rechtsprofessor Gerhard Dannemann zu Wort kommen, der bei VroniPlag mitarbeitet, der Plattform die das Verfahren angestoßen hat. Er ist der Ansicht, dass die Universität "Jahrzehnte ständiger Rechtsprechung umschifft". Danach sei es nicht zulässig, "alle Plagiatsstellen abzuziehen" und dann den Rest der Arbeit zu beurteilen.

In einem gesonderten Beitrag kritisiert Jochen Zenthöfer (FAZ) die Entscheidung der Universität. So werde der Prüfungsmaßstab der Entscheidung nicht begründet. Zudem habe die Hochschule nicht verifiziert, ob die Passagen, die von VroniPlag nicht beanstandet wurden, tatsächlich nicht plagiiert seien. Die von der Universität ausgesprochene Rüge gegenüber Giffey sei in der Promotionsordnung nicht vorgesehen.

Regierungsbildung in Thüringen: Die Juraprofessorin Anna Leisner-Egensperger untersucht auf verfassungsblog.de die Regelungen der thüringischen Landesverfassung zur Regierungsbildung, die die Besonderheit aufwiesen, dass es keine Frist für die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten gibt. Unter dem Blickwinkel des Demokratieprinzips möge es unbefriedigend erscheinen, dass die Interimslösung der geschäftsführenden Landesregierung länger andauert. Andererseits ermögliche sie es den politischen Akteuren Spielräume der Zusammenarbeit ohne Zeitdruck auszuloten.

Konstitutionalismus: Der US-amerikanische Jurist Russel Miller berichtet für FAZ-Einspruch von einer Podiumsdiskussion in Münster, die er moderiert hat. Die Rechtswissenschaftler Ebrahim Afsah, Judit Bayer, Oliver Lepsius und Paulina Starski diskutierten über die Herausforderungen, die sich dem Konstitutionalismus weltweit stellen.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dw

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. November 2019: Klimaklage abgewiesen / Keine Strafe für Ackermann & Co / Reform des Schwerpunktstudiums . In: Legal Tribune Online, 01.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38507/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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