Die juristische Presseschau vom 15. Oktober 2019: Kata­la­ni­sche Sepa­ra­tisten ver­ur­teilt / Neue Kom­pe­tenzen für den Ver­fas­sungs­schutz / New York schützt Immi­granten

15.10.2019

Gericht verurteilt katalanische Separatisten zu langen Haftstrafen. Außerdem in der Presseschau: Innenministerium will Kompetenzen des Verfassungsschutzes ausweiten und New York verbietet Diskriminierung unabhängig vom Aufenthaltsstatus.

Tagesthema

Spanien – Separatistenurteil: Das Oberste Gericht Spaniens verurteilte gestern neun katalanische Politiker zu Haftstrafen, die sich an den Separationsbestrebungen vor zwei Jahren beteiligt hatten. Die katalanische Regionalregierung hatte die Unabhängigkeit von Spanien erklärt und wurde daraufhin seitens der Zentralregierung abgesetzt. Das Gericht verurteilte sie wegen Aufruhrs und Veruntreuung öffentlicher Gelder. Der Forderung der Staatsanwaltschaft, die Angeklagten wegen Rebellion zu verurteilen, folgte es jedoch nicht. Hauptangeklagter war der stellvertretende frühere Regionalpräsident Oriol Junqueras, der zu 13 Jahren Haft verurteilt wurde, der damalige Regionalpräsident Carles Puigdemont ist noch immer im Exil in Belgien und stand daher nicht vor Gericht. Der Prozess wurde live im spanischen Fernsehen übertragen und von zahlreichen Protesten begleitet. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez forderte "die unabhängige Arbeit der Justiz zu respektieren". Über die Ereignisse vor zwei Jahren, das Urteil und die Reaktionen in der Bevölkerung berichten unter anderem SZ (Thomas Urban), taz (Reiner Wandler), lto.de und FAZ (Hans-Christian Rössler).

Thomas Urban (SZ) vertritt die Auffassung, dass der Konflikt zwischen Katalonien und der Zentralregierung nicht mit juristischen Mitteln zu lösen sein werde, stattdessen solle Madrid den Separatisten einen "Rückzug in Ehren" ermöglichen. Paul Ingendaay (FAZ) hingegen sieht in dem Urteil einen Mittelweg, der langfristig zu einer Befriedung des Konflikts führen könnte. Die Richter seien deutlich hinter dem geforderten Strafmaß zurückgeblieben und hätten auf eine Verurteilung wegen Rebellion verzichtet. Zugleich hätten sie aber auch bekräftigt, dass niemand über dem Gesetz stehe und die Verfassung nicht ungestraft verletzt werden dürfe.

Rechtspolitik

Anschlag in Halle – Überwachungsmaßnahmen: Nach dem Anschlag auf die Hallenser Synagoge in der vergangenen Woche intensiviert sich die Diskussion um gesteigerte Sicherheitsmaßnahmen, die entsprechende Taten künftig verhindern sollen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) schlug vor, "die Gamerszene stärker in den Blick zu nehmen". Zudem wird der Einsatz von "Software zur Analyse von Big Data" gefordert, mit der eine Art digitale Rasterfahndnung durchgeführt werden kann, um das Internet nach bestimmten Begriffen oder IP-Adressen zu durchsuchen. Außerdem sollen die Strafverfolgung von Hass-Postings konsequenter und der Verfassungsschutz ermächtigt werden, auf verschlüsselte Nachrichten von Messengerdiensten Zugriff zu nehmen. Den Maßnahmenkatalog stellen unter anderem deutschlandfunk.de (Gudula Geuther), taz (Konrad Litschko), FAZ (Helene Bubrowksi/Eckart Lohse), Hbl (Dietmar Neuerer) dar.

Die Welt (Thomas Vitzthum) interviewt die Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU), die sich dagegen ausspricht, die Gamerszene unter Generalverdacht zu nehmen und für eine schnellere Ahndung von online erfolgten Beleidigungen plädiert.

Dietmar Neuerer (Hbl) warnt derweil vor einem gefährlichen Aktionismus, der zu einem "sicherheitspolitischen Dammbruch" führen könnte. Statt neuer Kompetenzen bräuchten die Sicherheitsbehörden nach seiner Auffassung mehr qualifiziertes Personal. In einem Gastbeitrag für zeit.de äußern auch der Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte Ulf Buermeyer und der Experte für Cybersicherheitspolitik Sven Herpig Zweifel an der Verhältnismäßigkeit und der Wirksamkeit weitergehender Befugnisse für die Sicherheitsbehörden. Sie plädieren für eine Analyse seitens Bund und Ländern, welche Befugnisse die Sicherheitsbehörden bereits haben und welche Defizite es auszuräumen gilt.

Prostitution: Wie die taz (Patricia Hecht) berichtet, tritt heute erstmals ein fraktionsübergreifender Parlamentskreis zu einer möglichen Reform des Prostitutionsrechts zusammen. Diskutiert werden soll die Einführung des sogenannten "nordischen Modells", das nicht die Prostitution, also das Anbieten sexueller Dienstleistungen, bestraft sehen will, wohl aber deren Inanspruchnahme.

Patricia Hecht (taz) kritisiert es sei ein Trugschluss, dass eine solche Reform nur die Freier treffe. Sie treibe stattdessen Prostitution in den Untergrund, ein besserer Schutz der Sexarbeiter könne jedoch nur durch mehr Sichtbarkeit erreicht werden.

Justiz

BayObLG zum "Containern": Das Bayerische Oberste Landesgericht bestätigte gestern das erstinstanzliche Urteil gegen zwei Frauen, die entsorgte Lebensmittel aus einem Abfallcontainern vor einem Supermarkt genommen hatten. Es folgte damit der Auffassung, dass der Supermarkt die weggeworfenen Lebensmittel nur zugunsten des Entsorgungsunternehmens aufgeben möchte und mithin kein das Eigentum beendender Verzichtswille vorliege. Es wendete damit den gleichen rechtlichen Maßstab wie bei Kleiderspenden und Sperrmüll an. Das Urteil fasst lto.de (Manuel Göken) zusammen.

AG Bonn zu antisemitischem Übergriff: Das Amtsgericht Bonn hat einen jungen Mann der Volksverhetzung schuldig gesprochen, der einem Professor aus den USA letztes Jahr mehrfach die Kippa vom Kopf geschlagen hatte. Der Angeklagte bereute seine Tat. Das Opfer war im Prozess nicht anwesend, ließ jedoch durch seine Anwälte eine Erklärung verlesen. Sie besagte, was ihm "von einer Gang von vier Bonner Polizisten angetan worden sei, halte er für viel schlimmer als den Angriff des Angeklagten". Nach dem Übergriff hatten vier herbeigerufene Polizisten das Opfer für de Angreifer gehalten, den Gastprofessor überwältigt und ins Gesicht geschlagen. Die Staatsanwaltschaft kam in ihren Ermittlungen zu dem Ergebnis, der Polizei sei kein Fehlverhalten nachzuweisen. Über das Urteil berichten welt.de, zeit.de und spiegel.de.

AG Nürnberg zu Sportwetten: lto.de fasst ein kürzlich ergangenes Urteil des Amtsgerichts Nürnberg zu Sportwetten zusammen. Geklagt hatte ein Mann, der wegen eines fälschlicherweise nicht anerkannten Tores eine Sportwette nicht gewann. Nun verlangte er Schadensersatz von dem Schiedsrichter, der die Fehlentscheidung zu verantworten hatte. Er blieb ohne Erfolg, eine Fehlentscheidung gehöre zum Wettrisiko.

OVG RP zu Entlassung eines Soldaten: In einem nun veröffentlichten Beschluss entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, dass die Entlassung eines Soldaten aus dem Dienst rechtmäßig war und auf einer Verletzung der militärischen Dienstpflichten beruhte. Der Zeitsoldat hatte sich geweigert, Frauen die Hand zu geben. Er selbst begründete dies als Hygienemaßnahme, die Richter sahen darin jedoch "angesichts seiner konsequenten Hinwendung zum Islam" eine bloße Schutzbehauptung. Der respektlose Umgang mit Frauen gefährde den militärischen Zusammenhalt und die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. Über den Beschluss berichten FAZ-Einspruch und lto.de.

Staatsanwaltschaft Köln – Cum Ex: Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt gegen zwei ehemalige Mitarbeiter der HSH-Nordbank wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Hamburg entsprechende Ermittlungen eingestellt, so Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier), SZ (Jan Willmroth) und FAZ (Christian Müßgens).

Volker Votsmeier (Hbl) kritisiert das Vorgehen der Hamburger Staatsanwaltschaft und erinnert daran, dass sie nach dem Legalitätsprinzip verpflichtet ist, Ermittlungen einzuleiten.

VG Kassel zu Wursthersteller: Der Wursthersteller Wilke ist mit einem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Kassel gescheitert. Wilke hatte gegen die Entscheidung der zuständigen Lebensmittelüberwachung geklagt, den Betrieb zu schließen, nachdem Listerien-Keime in Produkten der Firma gefunden wurden und es zu drei Todesfällen kam. Es berichtet die FAZ.

BVerfG zur "Mietpreisbremse": Im FAZ-Einspruch nehmen Sebastian Schlüsselburg und Halina Wawzyniak Stellung zum kürzlich ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Mietpreisbremse. Die beiden Linken-Politiker erwidern damit auch auf die Kritik, der Beschluss stelle einen unverhältnismäßigen Eigentumseingriff dar. Sie erläutern dazu näher die Funktionsweise der Mietpreisregulierung und setzen sie in Bezug zu anderen Regulierungsinstrumenten. Schlüsselburg und Wawzyniak kommen zu dem Ergebnis, dass die Kritik "dass sich das Bundesverfassungsgericht nicht mit der Frage der Planungssicherheit auseinandergesetzt hätte" unzutreffend sei und es lediglich in seiner Auseinandersetzung zu Antworten gekommen sei, die "nicht jedem gefallen, am wenigsten den auf Rendite schielenden Shareholdern".

Zustand der Strafjustiz: Die Bild-Zeitung (Andreas Wegener) berichtet über ein neu erschienenes Buch des Strafrichters Thorsten Schleif. Der Richter kritisiert darin eine unzureichende Juristenausbildung: "Es ist, als arbeite man nach einem Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein im Rettungsdienst". Zudem moniert er eine unzureichende finanzielle Entlohnung des Richteramts. Weiterhin seien viele Richter zu wenig selbstbewusst und zu bequem, um harte Urteile zu treffen.

Recht in der Welt

USA – Sanctuary City: New York hat eine neue Richtlinie verabschiedet, die eine Diskriminierung von Immigranten unter Strafe stellt, unabhängig davon ob diese einen legalen Aufenthaltsstatus haben. New York ist eine der sogenannten "sanctuary cities", der Zufluchtsstädte, die Einwanderer gegen die immer restriktivere Bundesgesetzgebung unterstützen. New York verweigert auch schon seit einigen Jahren die Zusammenarbeit mit den Ausländerbehörden, so spiegel.de (Marc Pitzke).

Hongkong – Notstandsgesetze: Laut FAZ (Friederike Böge) plant die Honkonger Regierung, die Polizei durch externe Kräfte aufzustocken. So sollen zukünftig auch Feuerwehrmänner, Zollbeamte und Gefängniswärter gegen die Demonstranten eingesetzt werden können. Das Gesetz soll unter Umgehung des Parlaments als Notstandsgesetz verabschiedet werden.

USA – Schwangerschaftsabbruch: Auf verfassungsblog.de befasst sich die Rechtswissenschaftlerin Sarah Katharina Stein mit der in Bälde zu erwartenden Entscheidung des U.S. Supreme Courts in der Rechtssache June Medical v. Gee. Sie stellt die bisherige Entwicklung der Rechtsprechung dar und zeigt auf, welche Entwicklungen unter der konservativen Mehrheit des Gerichts denkbar sind.

Sonstiges

"Krieg der Richter": Anlässlich der morgen beginnenden Frankfurter Buchmesse mit dem Gastland Norwegen bespricht Rechtsprofessor Michael Stolleis in der FAZ das Buch "Der Krieg der Richter. Die deutsche Besatzung 1940–1945 und der norwegische Rechtsstaat" des norwegischen Rechtswissenschaftlers Hans Petter Graver. Das Buch untersucht, welche Veränderungen das norwegische Rechtssystem unter deutscher Besatzung erfuhr und welche Spielräume für Widerstand verblieben.

Legal Tech: Im FAZ-Einspruch untersucht Constantin van Lijnden, welche Möglichkeiten und rechtlichen Grenzen derzeit bei der Anwendung von Legal-Tech-Produkten bestehen. Er unterzieht dazu die wegweisenden Urteile des Landgerichts Köln zum Vertragsgenerator "Smartlaw" und des Bundesgerichtshof zu "Wenigermiete" einer kritischen Bilanz und zeigt auf, welche rechtlichen Reformen in Zukunft erforderlich sind um die Potenziale von Legal Tech tatsächlich ausschöpfen zu können.

Gerhard Strate: Der dieswöchige LTO-Podcast (Peggy Fiebig) befasst sich mit dem Strafverteidiger Gerhard Strate, der 1986 in einem aufsehenerregenden Prozess die Wiederaufnahme eines Verfahrens erreichte, nachdem seine Mandantin bereits wegen dreifachen Mordes verurteilt worden war. Der Strafverteidiger erzählt im Podcast von seinen Prozesserfolgen und -rückschlägen und kritisiert die Justiz, die ihre Urteile mitunter "mit Zähnen und Klauen" verteidige.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/asp

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. Oktober 2019: Katalanische Separatisten verurteilt / Neue Kompetenzen für den Verfassungsschutz / New York schützt Immigranten . In: Legal Tribune Online, 15.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38167/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen