Die juristische Presseschau vom 8. Oktober 2019: Kar­tell­rechts­ver­schär­fung / Wer­bung als Teil der Pres­se­f­rei­heit / Straf­bar­keit von Adbus­ting

08.10.2019

Das BMWi plant Rechtsverschärfungen zur Beschränkung der Marktmacht großer Tech-Unternehmen. Außerdem in der Presseschau: Adblocker gefährden lauf BVerfG nicht die Pressefreiheit und das AG Berlin verhandelt zur Strafbarkeit von Adbusting.

 

Thema des Tages

Kartellrecht: Das Wirtschaftsministerium plant eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts, die die Macht großer Tech-Unternehmen einschränken soll. Dazu soll der Begriff der Marktmacht erweitert werden, um auch die "Intermediationsmacht" großer Unternehmen zu erfassen, die als Vermittler zwischen Unternehmen und Verbrauchern fungieren. Ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Plattformunternehmen wie Amazon könnte dann etwa bei einer ungleichen Darstellung von Suchergebnissen von Wettbewerbern und eigenen Angeboten vorliegen. Zudem soll Benutzern von Internetplattformen der Zugriff auf eigene Daten erleichtert werden und die Rechte von Whistleblowern sollen gestärkt werden. Die Gesetzesnovelle stellen die FAZ (Henrik Wieduwilt), das Hbl (Moritz Koch/Dietmar Neuerer) und spiegel.de (Gerald Traufetter) vor.

Das Hbl (Till Hoppe) zeigt außerdem auf, in welchem Zusammenhang die deutschen Regelungsansätze zu der europäischen Entwicklung im Wettbewerbsrecht stehen. Sowohl auf Unionsebene als auch in anderen Mitgliedstaaten gibt es Bestrebungen das Kartellrecht im Umgang mit großen Tech-Unternehmen wirkungsvoller zu gestalten und wieder auf das lange Zeit ungenutzte Instrument "einstweiliger Maßnahmen" zurückzugreifen.

Rechtspolitik

Klimapaket zu Bahnreisen: Auf FAZ-Einspruch legt Manfred Schäfers dar, welche rechtlichen Schwierigkeiten sich aus der von der Bundesregierung im Zuge des Klimapakets geplanten steuerlichen Vergünstigung von Bahnreisen ergeben könnten. Er stellt in Frage, ob das Unionsrecht der steuerlichen Bevorzugung von Bahnreisen gegenüber Flug- und Busreisen entgegenstehen würde. Zudem könnte dem Vorhaben der Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer im Wege stehen.

Justiz

StA Itzehoe – KZ-Schreibkraft: Wie FAZ (Marlene Grunert) und spiegel.de melden, hat die Staatsanwaltschaft Itzehoe Ermittlungen gegen eine Frau aufgenommen, die als Schreibkraft im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig tätig war. Die Staatsanwaltschaft reagiert damit auf Ermittlungsergebnisse der zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg und folgt der neuen Rechtsprechung, wonach auch "neutrale" Tätigkeiten in Konzentrationslagern eine Beihilfe zum vielfachen Mord darstellen können.

OVG NRW zu Kopftuchverbot: Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat über die Klagen zweier kopftuchtragender Frauen entschieden, die nicht in den Schuldienst aufgenommen, beziehungsweise nicht verbeamtet wurden. Sie machen geltend, dass das Land aufgrund dem 2015 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten pauschalen Kopftuchverbot handelte, das derzeit in NRW galt. Das Land habe damit gegen das AGG verstoßen, weswegen die beiden Frauen nun eine Entschädigung forderten. Das OVG gab den Klagen nicht statt. Es sei unter anderem nicht sicher feststellbar, dass Grund für die Nichteinstellung das Kopftuchverbot und nicht mangelnde Leistungen gewesen seien, so lto.de.

AG Berlin – Adbusting: Vor dem Amtsgericht Berlin wird heute erstmals über einen Fall von Adbusting, der satirischen Verfremdung von Werbeplakaten verhandelt. Angeklagt wegen Sachbeschädigung und schwerem Diebstahl ist ein Mann, der Plakate entfernt und verfremdet haben soll. Die betroffene Werbefirma selbst hat keine Anzeige gestellt, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen öffentlichen Interesses. Über das Verfahren berichtet die taz (Peter Nowak)

BGH zu ortsüblicher Vergleichsmiete: Der Bundesgerichtshof hat in einem gestern veröffentlichten Urteil entschieden, dass die ortsübliche Vergleichsmiete nicht mit Angaben aus einer Nachbarstadt begründet werden kann. Geklagt hatte ein Vermieter, der einen ortsfremden Mietspiegel zur Begründung einer Mieterhöhung herangezogen hat, weil es für die Stadt in der sich die Immobilie befand keinen Mietspiegel gab. Das Urteil fasst die FAZ (Marcus Jung) zusammen.

ArbG Berlin zu Kurierfahrern: Das Hbl (Heike Anger/Frank Specht) berichtet über ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin. Zwei ehemalige Kurierfahrer des Lieferdienstes Deliveroo klagen auf Feststellung, dass es sich bei Ihrer Tätigkeit für den Lieferdienst um ein Arbeitsverhältnis handelte. Die Entscheidung, ob es sich um Fälle von Scheinselbständigkeit handelte, könnte auch Auswirkungen auf zahlreiche andere Kurierfahrer haben.

BVerfG zu Adblocker: Wie FAZ-Einspruch (Constantin van Lijnden) meldet, liegt in einem fehlenden Verbot von Werbeblockern nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine Verletzung der Pressefreiheit. Der Springer-Verlag hatte gegen den Anbieter eines Werbeblockers geklagt, dem er vorwarf das Finanzierungsmodell von Onlinemedien zu zerstören und somit das digitale Presseangebot zu gefährden. Das BVerfG stellte nun fest, dass "aufgezwungene Werbeanzeigen nicht unter die Pressefreiheit fallen".

OLG Stuttgart zu Dieselskandal: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in einem nun vorliegenden Urteil vom 24. September eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung von VW-Kunden festgestellt. Die Schädigung sei auch bei einem Kauf des Wagens bei einem Gebrauchtwagenhändler noch VW zurechenbar. Die konkludente Täuschung wirke fort, weil der Gebrauchtwagenhändler lediglich auf die vom Hersteller übermittelten Angaben zurückgreife. Dass die VW-Führung in die Abgasmanipulation nicht eingeweiht gewesen sei widerspreche "jeder Lebenswahrscheinlichkeit". Das Urteil fasst lto.de zusammen.

LSG Niedersachsen-Bremen zum Arbeitsweg: Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschied, dass es Leistungsempfängern zumutbar ist bis zu zehn Kilometer mit dem Fahrrad zu fahren, um ihre Arbeitsstelle oder den öffentlichen Nahverkehr zu erreichen, meldet lto.de.

EuGH – Cookie-Entscheidung: Thomas Stadler (internet-law.de) kommentiert die letzte Woche ergangene Cookie-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Deren Relevanz wird nach seiner Auffassung überschätzt. Offen geblieben sei, unter welchen Umständen das Setzen eines Cookies "unbedingt erforderlich" im Sinne von Art. 5 Abs. 3 ePrivacy-Richtlinie sei und ob es neben der Einwilligung auch noch andere Rechtfertigungstatbestände gebe.

Trojanerattacke am KG-Berlin: Laut lto.de (Markus Sehl) ist das Kammergericht Berlin nach einem Angriff durch Schadsoftware Ende September noch immer vom Internet getrennt. Emails würden "in Amtshilfe für das Kammergericht" durch die Senatsverwaltung versendet, über das elektronische Anwaltspostfach an das Gericht gesendete Nachrichten kommen aber weiterhin an.

Recht in der Welt

England – Hillsborough-Katastrophe: In Liverpool hat der Prozess gegen einen ehemaligen Polizisten begonnen, dem vorgeworfen wird für die Hillsborough-Katastrophe 1989 mitverantwortlich zu sein. Damals waren bei einer Massenpanik in einem Stadion 96 Anhänger des FC Liverpool ums Leben gekommen, lange Zeit wurde dafür nicht das Fehlverhalten der Polizei sondern die Fans verantwortlich gemacht. Die Geschehnisse und den Prozess schildert die SZ (Holger Gertz).

Polen – EuGH und EGMR zu Rechtstaatlichkeit: In einem Gastbeitrag für lto.de fasst der polnische Jurist Oscar Szerkus anlässlich der im Oktober anstehenden Parlamentswahlen in Polen den Stand der vor dem Europäischen Gerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängigen Verfahren zusammen, die sich mit Aspekten der Rechtsstaatlichkeit Polens befassen.

USA – Trumps Steuerunterlagen: US-Präsident Trump erlitt heute zunächst eine Niederlage vor einem New Yorker Bundesgericht, das ihn verpflichtete seine bislang nicht publiken Steuererklärungen zu veröffentlichen. Nur zwei Stunden später hatte er jedoch Erfolg mit einem Eilantrag vor einem Berufungsgericht. Aus den Steuererklärungen könnte hervorgehen, ob der US-Präsident während der letzten Präsidentschaftswahlen Schweigegelder bezahlt hat. Über die Kontroverse, wie weit die strafrechtliche Immunität des US-Präsidenten reicht, berichten unter anderem zeit.de, die SZ (Christian Zaschke) und die FAZ.

Sonstiges

Anwaltswerbung: Der Rechtsanwalt Martin Huff legt in einem Gastbeitrag für lto.de dar, warum er das Vorgehen einer Kanzlei für verbotene Anwaltswerbung hält. Die Kanzlei zahle Versicherungsvermittlern 150 €, wenn diese ihre von VW geschädigten Kunden an sie weiterverweisen. Der Autor zeigt auf, gegen welche Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung dieses Vorgehen verstößt.

Kommunale Finanzen: Anlässlich eines Konflikts zwischen dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Landkreistag und dem Städte- und Gemeindebund über die Tilgung der Schulden von Städten und Gemeinden beleuchtet die FAZ (Jasper von Altenbockum) die Besonderheiten und aktuellen Tendenzen der Finanzierung kommunaler Aufgabenerfüllung. Das verfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip verkehre sich in sein Gegenteil, wenn der Bund für finanzielle Unterstützung eine Ausweitung seiner Kompetenzen verlange. Aus "Wer bestellt, der bezahlt" werde dann "Wer bezahlt, der bestellt".

Das Letzte zum Schluss

Wenn das Letzte keinen Schluss findet: Vor dem Landgericht Hamburg ist ein zermürbender Prozess gegen einen Serienbankräuber zu Ende gegangen. Der 71-Jährige, der nach eigenen Angaben "die meisten Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen hat", beendete das Verfahren mit letzten Worten, die über fünf Verhandlungstage andauerten bis sie von der Richterin abgebrochen wurden. Ob dies das Letzte war, was man von ihm zu hören bekommt, oder ob er, wie schon einmal in den neunziger Jahren geschehen, eine Gefangenenrevolte anzetteln wird, bleibt abzuwarten. Das Verfahren schildert zeit.de (Elke Spanner).

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lto/asp

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. Oktober 2019: Kartellrechtsverschärfung / Werbung als Teil der Pressefreiheit / Strafbarkeit von Adbusting . In: Legal Tribune Online, 08.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38037/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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