Die juristische Presseschau vom 19. September 2019: Aus­kunft über Hin­ter­grund­runden / Kamera-Attrappen unzu­lässig / Rechts­lage beim poli­ti­schen Streik

19.09.2019

Das Bundesverwaltungsgericht entschied zu Behörden-Hintergrundgesprächen. Außerdem in der Presseschau: Kamera-Attrappen verletzen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und Klimaproteste führen zu Fragen nach politischem Streikrecht.

Thema des Tages

BVerwG zu Hintergrundtreffen mit Journalisten: Der Bundesnachrichtendienst (BND) muss Journalisten bestimmte Informationen über vertrauliche Hintergrundgespräche erteilen, die seine Vertreter mit anderen ausgewählten Journalisten führen. Dies befand das Bundesverwaltungsgericht und gab damit der Klage des Journalisten Jost Müller-Neuhof vom Berliner Tagesspiegel statt. Die Richter entschieden, dass das Informationsinteresse der Presse hier sowohl gegenüber den Interessen des BND als auch gegenüber dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der teilnehmenden Journalisten überwiegt. In einem ähnlich gelagerten Verfahren, das am Verwaltungsgericht Berlin im Frühjahr 2020 verhandelt wird, verlangt Müller-Neuhof von Bundeskanzlerin Angela Merkel Auskunft darüber, mit welchen Journalisten sie sich zu Hintergrundgesprächen getroffen hat. Es berichten SZ (Ronen Steinke), FAZ (Marlene Grunert), taz (Christian Rath) und lto.de (Markus Sehl).

Christian Rath (taz) begrüßt in einem gesonderten Kommentar das Urteil. So sei die Kontrolle staatlicher Informationspolitik eine wichtige Aufgabe der Presse. Bei Hintergrundgesprächen zu nicht vertraulichen Themen könne zumindest "der Eindruck entstehen, dass nur solche Journalisten eingeladen werden, die die Regierung und den Staat nicht allzu sehr kritisieren". Gleichzeitg betont er, dass Hintergrundtreffen nicht in jeder Form überflüssig seien, weil dort zum Beispiel Minister offen über Themen aus anderen Ressorts sprechen könnten.

Rechtspolitik

Berechnung der Vergleichsmiete: Wie lto.de und SZ (Robert Roßmann) berichten, hat das Bundeskabinett eine Änderung bei der Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete beschlossen, um gegen steigende Mieten vorzugehen. So sollen künftig die Mieten aus sechs statt nur vier zurückliegenden Jahren berücksichtigt werden, wodurch sich kurzfristige Steigerungen weniger stark auswirken und die häufig über Mietspiegel ermittelte Vergleichsmiete tendenziell sinken soll. Der Mieterbund kritisiert, dass Mietsteigerungen dadurch aber "nur in einem homöopathischen Ausmaß" gedämpft würden. Die neue Berechnung ist Ergebnis des Wohngipfel-Treffens vom 21. September 2018.

Polizeigesetz Hamburg: Die taz-Nord (André Zuschlag) hat mit dem Leiter der Hamburger Datenschutzbehörde, Johannes Caspar, über die Auswirkungen des geplanten neuen Hamburger Polizeigesetzes auf die Befugnisse seiner Behörde gesprochen. So soll es etwa im Bereich der präventiven Polizeiarbeit keine Anordnungskompetenz der Datenschutzbehörde mehr geben, was vor dem Hintergrund der EU-Richtlinie zum polizeilichen Datenschutz problematisch wäre.

Upskirting: Am Freitag wollen die Länder Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern und Schleswig-Holstein einen Gesetzentwurf zur Kriminalisierung des sogenannten Upskirtings in den Bundesrat einbringen. FAZ-Einspruch (Constantin van Lijnden) beschreibt, warum das Fotografieren des Intimbereichs unter der Kleidung bisher nicht strafbar ist.

Unterhalt: Aus Anlass des bis Samstag stattfindenden Familiengerichtstags spricht die SZ (Edeltraud Rattenhuber) mit dem Familienrichter Heinrich Schürmann über den Anpassungsbedarf des Unterhaltsrechts an neue Entwicklungen, zum Beispiel mit Blick auf das Wechselmodell.

Anwaltschaft und Rechtsstaat: Die FAZ (Helene Bubrowski) widmet sich erneut der vergleichsweise schwachen Stellung von Anwälten, den "Hausärzten des Rechtsstaats", und nimmt Bezug auf das Gespräch mit Edith Kindermann, Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins, und Ulrich Wessels, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, im zurückliegenden FAZ-Einspruch.

Justiz

LG Bremen – BAMF-Mitarbeiter: Die Staatsanwaltschaft Bremen hat gegen die Ex-Chefin der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie zwei Rechtsanwälte Anklage erhoben. Die ehemalige Leiterin, der Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung und Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt sowie Bestechlichkeit vorgeworfen werden, soll sich in knapp hundert Fällen strafbar gemacht haben. Den beiden Anwälten, die an vielen Asylverfahren in Bremen beteiligt waren, wird zur Last gelegt, bei der Verleitung zum Asylmissbrauch "gewerbsmäßig" gehandelt zu haben. Für eine "bandenmäßige" Manipulation von Asylverfahren gebe aber es keine Belege. Es berichten spiegel.de (Hubert Gude und Wolf Wiedmann-Schmidt), FAZ (Reinhard Bingener) und taz (Dinah Riese/Benno Schirrmeister).

LG Bonn – Cum-Ex: Einer der beiden Angeklagten hat im Strafprozess um die umstrittenen Cum-Ex-Transaktionen vor dem Landgericht Bonn umfassend ausgesagt, insbesondere über die zentrale Abwicklungs- und Verwahrgesellschaft Clearstream. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt mittlerweile in 56 Verfahrenskomplexen gegen mehr als 400 Personen. Es berichtet die FAZ (Marcus Jung).

LG Bayreuth zu Mord an Sophia L.: Das Landgericht Bayreuth hat einen Lastwagenfahrer wegen Mordes an der Studentin Sophia L. zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Er habe ihr nach einem zurückgewiesenen Annährerungsversucht mit einer Eisenstange schwer auf den Kopf geschlagen und sie anschließend getötet, um die gefährliche Körperverletzung zu verdecken. Dabei sei die Steuerungsfähigkeit des "massiv gekränkten" Mannes durch eine affektive Bewusstseinsstörung "nicht ausschließbar" vermindert gewesen, berichtet die FAZ (Karin Truscheit). In einer Seite-3-Reportage der SZ (Hans Holzhaider) wird zudem Kritik der Angehörigen von Sophia L. an der Polizei thematisiert. Diese habe auf die Vermisstenmeldung viel zu zögerlich reagiert und daher eine Rettung der Frau verhindert. Die Angehörigen nehmen an, dass der eigentliche Tötungsakt erst zwei Tage nach der Körperverletzung stattfand. Das Gericht ging allerdings davon aus, dass der Mord bereits rund zehn Minuten nach der Körperverletzung verübt wurde.

AG Sonthofen – Kirchenasyl: Wie spiegel.de meldet, hat das Amtsgericht Sonthofen das Verfahren gegen den angeklagten evangelischen Pfarrer wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt eines abgelehnten Asylbewerbers eingestellt. Der Pfarrer muss eine Geldauflage in Höhe von 3.000 Euro zahlen, während der Flüchtling 80 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten muss. Das Gericht traf keine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Kirchenasyls, bei dem es sich nach Aussage der Amtsrichterin um ein "juristisches Nirwana" handele.

LG Koblenz zu Kamera-Attrappe: Aus den Unterlassungsansprüchen aus § 1004 und § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ergibt sich, dass auf das Grundstück des Nachbarn ausgerichtete Kameras – ob funktionstüchtig oder reine Attrappe – entfernt werden müssen. Dies entschied das Landgericht Koblenz und bestätigte damit das Urteil des Amtsgerichts Betzdorf vom April. Denn auch bei einer Attrappe entstehe beim Nachbarn ein "Überwachungsdruck", der das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletze. lto.de berichtet.

VG München zu Haltung von Ziegenbock: Das Verwaltungsgericht München entschied, dass die Zwergziege "Hui Buh" auf einem Gnadenhof bleiben muss und nicht zu seinen ursprünglichen Haltern, die mit dem Tier in der eigenen Wohnung lebten, zurückkehren darf. Es bestätigte damit die vom Landratsamt angeordnete Enteignung der Familie aufgrund nicht artgerechter Haltung. Zwar sei die behördliche Entscheidung hart, so das Gericht. Der Nachweis, dass es dem Wohl des Ziegenbocks entspreche, aufgrund einer Erkrankung einzeln gehalten zu werden, sei jedoch nicht erbracht worden. lto.de berichtet.

BVerwG – Aachener Luftreinhalteplan: Das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) hat im Streit um Fahrverbote mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) Revision zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt, wie lto.de meldet. Grund sei, dass das Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW eine Änderung des Bundesgesetzes zum Immissionsschutz nicht berücksichtigt habe, wonach Fahrverbote bei leichter Überschreitung der Stickoxid-Grenzwerte in der Regel unverhältnismäßig sein sollen.

BAG zu Mitbestimmung in der Matrix: Die Rechtsanwälte Wolfgang Lipinski und Gerd Kaindl setzen sich auf lto.de mit der jetzt veröffentlichten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) in der modernen Organisationsform der sogenannten Matrix auseinander. Sie kritisieren, dass die Entscheidung an den Bedürfnissen der Praxis vorbeigehe, für die Matrixstrukturen unentbehrlich geworden seien.

Rückgabeforderungen der Hohenzollern: Die Zeit (Stefan Willeke) widmet sich ausführlich der Familie Hohenzollern und den Rechtsstreitigkeiten, die diese um die Rückgabe von Kulturgütern gegen die Bundesrepublik führen. Zuletzt hatte die bis 1918/19 den preußischen König stellende Familie im Juni einen Prozess um die Burg Rheinfels in der Nähe der Loreley verloren, aber Berufung eingelegt. Zudem läuft eine Klage über 1,2 Millionen Euro Entschädigung und auch weitere Konflikte könnten vor Gericht enden.

Supervisionen in der Justiz: In seiner Serie "Meine Urteile" in der Zeit befasst sich der Richter Thomas Melzer mit der Bedeutung von professionellen Supervisionen in der Justiz und stellt bestehende Supervisionsangebote vor. Er bedauert, dass es eine "deutschlandweite Kultur der strukturierten analytischen Reflexion unter Richtern" (noch) nicht gebe.

Recht in der Welt

Israel – Netanjahu: Die SZ (Moritz Baumstieger) stellt die gegen den langjährigen israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu laufenden Ermittlungen von Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit dar und erklärt, warum ein Prozess nun näher rücke. In einem separaten Beitrag beleuchtet die SZ (Wolfgang Janisch) die Bedeutung der Immunität hoher Staatsämter gegen Strafverfolgung.

EGMR – Türkei: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verhandelte in der Großen Kammer über die Beschwerde des kurdischen Oppositionspolitikers Selahattin Demirtaş gegen die Türkei, wie die SZ (Wolfgang Janisch/Christiane Schlötzer) berichtet. Das Verfahren ist brisant, da der Gerichtshof nun auch in letzter Instanz feststellen könnte, dass die Türkei mit Hilfe der Justiz systematisch Kritiker verfolgt. Ein Urteil wird in einigen Monaten erwartet.

EuG – Apple-Rulings: Die taz (Svenja Bergt) berichtet anlässlich des Verfahrens zwischen Apple und der EU-Kommission wegen einer Steuernachzahlung in Höhe von 13 Milliarden Euro vor dem Gericht der Europäischen Union über weitere Unternehmen-Staat-Konstellationen, bei denen es um zweifelhafte Steuerpraktiken geht. In zwei vergleichbar gelagerten Verfahren – gegen Starbucks und eine Fiat-Tochter – werden in der kommenden Woche Urteile erwartet.

Vatikanstaat – Missbrauch: Die Staatsanwaltschaft des Vatikanstaats hat gegen einen Priester und den früheren Rektor des Präseminars St. Pius X. im Vatikan Anklage erhoben, wie die FAZ (Matthias Rüb) schreibt. Dem Priester wird habitueller Missbrauch junger Ministrantenschüler im Internat innerhalb des Vatikans vorgeworfen, dem ehemaligen Rektor Beihilfe zum Missbrauch und Vertuschung einer Straftat. In dem Fall wird seit 2017 sowohl von den italienischen Strafverfolgungsbehörden als auch im Vatikanstaat ermittelt.

USA – Abgasregeln in Kalifornien: Das US-Justizministerium hat gegen Kalifornien ein Kartellverfahren eingeleitet, um zu untersuchen, ob ein vom damaligen Präsidenten Barack Obama mit Kalifornien ausgehandelter Deal eine illegale Absprache zu Lasten der Verbraucher darstellt. Der Deal sieht für Kalifornien ein Sonderrecht zur Begrenzung von Autoabgasen vor: Autoherstellern dürfen danach schärfere Auflagen für Abgase gemacht werden, wie die FAZ (Winand von Petersdorff) berichtet.

USA – Edward Snowden: Wie nun auch die FAZ (Majid Sattar) meldet, hat die US-amerikanische Regierung gegen den Whistleblower Edward Snowden Klage wegen der Veröffentlichung seiner Memoiren "Permanent Record" eingelegt. Er habe dadurch gegen Vertraulichkeitsvereinbarungen mit den Nachrichtendiensten CIA und NSA verstoßen. Ziel der Klage sei nicht etwa, die Veröffentlichung des Buches zu stoppen, sondern vielmehr, auf Snowdens Einnahmen aus dem Verkauf zuzugreifen.

Sonstiges

Globaler Klimastreik: community.beck.de (Markus Stoffels) behandelt die Frage, ob eine Teilnahme an dem für den 20. September geplanten sogenannten "Globalen Klimastreik" im arbeitsrechtlichem Sinne als zulässiger Streik bewertet werden könne. Da ein Streik jedoch nur ein "Hilfsinstrument der Tarifautonomie" darstelle, sei dies hier nicht der Fall. Vielmehr handele es sich um einen unzulässigen politischen Streik.

Mit der Geschichte des politischen Streiks setzt sich die taz-Berlin (Volkan Ağar) auseinander. Sie weist auf die uneindeutige Rechtslage zum politischen Streik hin, der weder im bundesdeutschen noch im europäischen Recht verboten sei, und merkt an, dass der "Klimastreik" eine Gelegenheit zur Erweiterung und Aktualisierung des Streikbegriffs bieten könne.

 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. September 2019: Auskunft über Hintergrundrunden / Kamera-Attrappen unzulässig / Rechtslage beim politischen Streik . In: Legal Tribune Online, 19.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37709/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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