Die juristische Presseschau vom 5. September 2019: Bonner Cum-Ex-Pro­zess hat begonnen / Alter­na­tive Unter­neh­mens-Sank­tionen / Min­der­jäh­rigen-Ehe kann fort­be­stehen

05.09.2019

Am Landgericht Bonn hat der Pilotprozess gegen die doppelte Steuererstattung begonnen. Außerdem in der Presseschau: Familienunternehmer legen Gegenentwurf zu Unternehmens-Sanktionen vor und OLG Frankfurt/M. lehnt Ehe-Auflösung ab.

Thema des Tages

LG Bonn – Cum-Ex: Am Landgericht Bonn hat der erste deutsche Strafprozess wegen Steuerhinterziehung durch Cum-Ex-Geschäfte begonnen. Staatsanwältin Anne Brorhilker las zwei Stunden lang den Anklagesatz vor. Die beiden angeklagten Briten hätten ein Geschäftsmodell verfolgt, das "auf der betrügerischen Erlangung von Steuergeldern basierte". Das Gericht wies darauf hin, dass nach seiner Ansicht der Schaden nur bei knapp 400 Millionen Euro liege (statt 447,5 Mio. Euro). Außerdem komme eine Verurteilung wegen Beihilfe statt Täterschaft in Betracht. Die Anwältin des Angeklagten Martin S. kündigte vor Journalisten an, ihr Mandant werde auch vor Gericht umfassend aussagen. Es berichten die SZ (Jan Wilmroth/Nils Wischmeyer), die FAZ (Marcus Jung), lto.de und das Hbl (Volker Votsmeier u.a.).

Rechtspolitik

Unternehmenssanktionen: Der Verband der Familienunternehmer hat einen von Rechtsprofessor Frank Saliger und Anwälten verfassten Gegenentwurf zum Gesetzentwurf von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) für ein Unternehmenssanktionenrecht vorgelegt, über den die FAZ (Marcus Jung) berichtet. Im Gegenentwurf sollen kleine Unternehmen generell ausgenommen sein, für Unternehmen bis 500 Mio. Euro Umsatz sollen Sanktionen auf 20 Mio. Euro gedeckelt werden. Nur das Handeln von Leitungspersonen soll den Unternehmen zugerechnet werden können. Das Legalitätsprinzip soll modifiziert werden, indem Ermittlungen gegen Unternehmen bis zum Abschluss der Ermittlungen gegen natürliche Personen ausgesetzt werden können.

Anwaltliches Berufsrecht: Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag lehnt Kapitalbeteiligungen durch externe Investoren an Anwaltskanzleien ab. Das Fremdkapitalverbot müsse erhalten bleiben, heißt es in einer Online-Vorabmeldung der NJW (Joachim Jahn). Justizministerin Lambrecht will eine Öffnung zumindest prüfen.

Sozialisierung von Wohnungsunternehmen: "Eine Vergesellschaftung des Wohnungsbestandes von Immobilienunternehmen in Berlin mit mindestens 3.000 Wohnungen wäre auf der Grundlage von Art. 15 GG möglich." Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Diensts des Berliner Abgeordnetenhauses, über das die taz-Berlin (Erik Peter) berichtet. Trotz gewisser Bedenken könne die Verhältnismäßigkeit des Vergesellschaftungsgesetzes, für das ein Volksentscheid angestrebt wird, bejaht werden. Eine Entschädigung "deutlich unter dem Verkehrswert" sei aber nicht angemessen.

Menschenrechte und Unternehmen: Angesichts der deutschen Regierungspläne für ein Wertschöpfungskettengesetz stellt die Anwältin Anahita Thoms im FAZ-Einspruch ähnliche Gesetze aus anderen Industriestaaten vor: den Modern Slavery Act aus Großbritannien, das Wet zorgplicht kinderarbeid aus den Niederlanden und den California Supply Chains Act.

Kopftuchverbot für Schülerinnen: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Joshua Moir kritisiert auf verfassungsblog.de das Gutachten von Rechtsprofessor Martin Nettesheim, in dem dieser ein Kopftuchverbot für Schülerinnen unter 13 Jahren für verfassungskonform hält. Nettesheim nehme zu Unrecht an, dass es bei der Religionsfreiheit eine "Grundrechtswahrnehmungsfähigkeit" erst ab einem bestimmten Alter gebe und dass Artikel 7 Grundgesetz ein Erziehungsziel "Erziehung zur Freiheit" zu entnehmen sei.

Umweltverbandsklagen: Der Generalsekretär der CDU, Paul Ziemiak, schlägt laut Hbl (Dietmar Neuerer/Klaus Stratmann) vor, das Planungsrecht in Deutschland zu reformieren. "Bei Infrastrukturprojekten, die von nationalem Interesse sind, können wir nicht mehr jeden Umwelt- und Naturschutzverband zur Klage zulassen." Ähnlich argumentiert der FDP-Fraktionsvize Michael Theurer: "Die Abmahn- und Klageindustrie muss auf ein vernünftiges Maß geschrumpft werden."

Justiz

BAG zur Kündigung wegen Islamophobie: Ein IT-Mitarbeiter des Landeskriminalamts Thüringen durfte nicht fristlos gekündigt werden, nachdem er privat in sozialen Netzwerken Muslime als "Abschaum" bezeichnet hatte. Das entschied jetzt laut spiegel.de das Bundesarbeitsgericht. Eine ordentliche Kündigung hätte genügt. Bis dahin hätte der Mann in weniger sicherheitsrelevanten Bereichen beschäftigt werden können.

OLG Frankfurt/M. zu einer Minderjährigenehe: Die in Bulgarien erfolgte Eheschließung einer 17-Jährigen mit einem älteren Mann durfte in Deutschland nicht aufgehoben werden, weil sonst die Freizügigkeit innerhalb der EU gefährdet wäre. Dies entschied laut FAZ und lto.de das Oberlandesgericht Frankfurt/Main. Es habe auch keine Anzeichen gegeben, dass die Minderjährige die Tragweite und die Rechtsfolgen der Eheschließung bei der Heirat nicht erfasst habe.

LG Köln zu Aussagen über Strauß-Erbe: Das Landgericht Köln hat einem Buchverlag die Aussage untersagt, der bayerische Ex-Ministerpräsident Franz-Josef Strauß habe ein Konto im Wert von 300 Millionen Euro vererbt. Geklagt hatte der Sohn Max Strauß, der aber laut lto.de keine Entschädigung erhält, da er erst rund sechs Jahre nach Erscheinen des fraglichen Buches Ansprüche angemeldet hatte und deshalb kein "unabwendbares Bedürfnis" bestehe.

BAG zu sachgrundloser Befristung: Nun stellt auch community.beck.de (Markus Stoffels) die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts von Ende August vor. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung nach einer Vorbeschäftigung gelte nicht, wenn die Vorbeschäftigung schon 22 Jahre zurückliege. Ob auch weniger Jahre ausreichten, bleibe offen. Für Rechtssicherheit müsse der Gesetzgeber sorgen.

OLG Düsseldorf – IS-Mitglied Nils D.: Der Islamist Nils D., der 2016 bereits als IS-Mitglied verurteilt worden war und dann als Zeuge gegen andere Islamisten aussagte, steht jetzt erneut vor Gericht. Inzwischen war er angeschuldigt worden, dass er in Syrien bei Folterungen Menschen getötet habe. Er ist nun am Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Kriegsverbrechen und Mord angeklagt. Der Bundesgerichtshof sah keinen Strafklageverbrauch durch die erste Verurteilung, berichtet die FAZ (Reiner Burger).

StA München I – Export von Staatstrojanern: Auf Strafanzeige von Bürgerrechtlern hat die Staatsanwaltschaft München I ein Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter mehrerer Münchener Firmen aufgenommen, die Überwachungssoftware ("Staatstrojaner") u.a. in die Türkei exportierten. Da keine Genehmigung der Bundesregierung vorliege, könnte es sich um einen Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz handeln. Es berichten die SZ (Jannis Brühl u.a.) und netzpolitik.org (André Meister). Bei netzpolitik.org wird auch die Strafanzeige dokumentiert.

Recht in der Welt

Guatemala – CICIG: Die SZ (Christoph Gurk) portraitiert die Internationale Kommission gegen Straflosigkeit (CICIG) in Guatemala und ihren letzten Leiter, den kolumbianischen Staatsanwalt Iván Velásquez Gómez. Die "Comisión Internacional contra la Impunidad en Guatemala" hatte 2006 auf Wunsch Guatemalas die Arbeit aufgenommen und gemeinsam mit der örtlichen Staatsanwaltschaft Menschenrechtsverletzungen und Korruption aufgeklärt. Nachdem die CICIG zuletzt auch gegen den Präsidenten Morales und seine Familie ermittelte, ließ dieser einfach das Mandat der Kommission auslaufen. Jetzt haben die Mitarbeiter das Land verlassen.

Großbritannien – Brexit/Parlamentspause: Das oberste schottische Zivilgericht Court of Session hat eine Klage von 75 Abgeordneten gegen die von Premier Boris Johnson initiierte mehrwöchige Zwangspause für das Londoner Parlament, die nächste Woche beginnen soll, abgelehnt. Es sei nicht zuständig, meldet lto.de. Am Donnerstag wird der High Court in London über eine ähnliche Klage verhandeln.

Sonstiges

Presseberichte über Strafermittlungen: Nachdem die Bild-Zeitung als erste über die Ermittlungen gegen Ex-Fußball-Star Christoph Metzelder wegen Verbreitung von Kinderpornographie berichtete, stellt bild.de (Alina Vick) nun dar, welche Regeln für Medien gelten, wenn sie über Ermittlungsverfahren berichten. Der Betroffene dürfe durch die Berichterstattung nicht vorverurteilt werden, es müsse eine Abwägung zwischen der Informationspflicht und den Persönlichkeitsrechten stattfinden, grundsätzlich müsse es genügend Anhaltspunkte geben, dass möglicherweise eine Straftat begangen wurde. Außerdem müsse die mögliche Straftat eine gravierende Bedeutung haben. "Wenn man sich für eine Berichterstattung entscheidet, muss auf Ausgewogenheit geachtet werden."

Töten im Krieg: Seit Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuchs 2002 gebe es insoweit keine Notwendigkeit mehr, auf Normen des Strafgesetzbuchs zurückzugreifen: Der Soldat, der einen Feind erschießt, sei kein gerechtfertigter Mörder, erklärt Christian Richter auf juwiss.de und kritisiert damit die Rechtsauffassung des Generalbundesanwalts.

Autonomes Fahren: Der Anwalt Carsten Straub gibt auf lto.de einen Überblick über die strafrechtliche Haftung bei unterschiedlich automatisierten Formen der Autofahrt. Probleme seien zunächst auf der Grundlage geltenden Rechts zu lösen, bevor nach dem Gesetzgeber gerufen werde.

Das Letzte zum Schluss

Gescheiterter Urin-Trick: Ein bekiffter Autofahrer hatte bei einer Urin-Kontrolle drogenfreien Urin aus einer in der Unterhose mitgeführten Plastiktüte in den Becher gefüllt. Der Schwindel flog aber auf, als sich am Hintern des Mannes ein nasser Fleck abzeichnete, meldet die WZ.

 

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lto/chr

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. September 2019: Bonner Cum-Ex-Prozess hat begonnen / Alternative Unternehmens-Sanktionen / Minderjährigen-Ehe kann fortbestehen . In: Legal Tribune Online, 05.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37449/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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