Die juristische Presseschau vom 30. August 2019: BMJV-Eck­punkte zum anwalt­li­chen Berufs­recht / Kopf­tuch­verbot für Mäd­chen? / Par­la­ments­fe­rien und Brexit

30.08.2019

Das Justizministerium schlägt neue anwaltlliche Berufsmodelle vor. Außerdem in der Presseschau: Ein Gutachten eröffnet neuen Streit über Kopftuchverbote an Schulen. Die britische Zwangs-Parlamentspause sorgt für Verfassungsdiskussionen.

Thema des Tages

Anwaltliche Berufsausübungsgesellschaften: Das Bundesjustizministerium hat "Eckpunkte für eine Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften" vorgelegt. Danach sollen solchen Gesellschaften grundsätzlich alle nationalen und europäischen Rechtsformen zur Verfügung stehen. Ob dazu auch die GmbH & Co KG gehören wird, soll im Rahmen eines separaten gesellschaftsrechtlichen Gesetzgebungsvorhabens entschieden werden. Anwälte sollen künftig interdisziplinär mit Angehörigen aller Berufe zusammenarbeiten können, die Rechtsanwälte auch selbst als Zweitberuf ausüben können. Die neuen Berufsausübungsgesellschaften sollen in einem von der Bundesrechtsanwaltskammer geführten elektronischen Verzeichnis erfasst werden und könnten auch ein eigenes Kanzleipostfach für den elektronischen Rechtsverkehr bekommen. Kapitalbeteiligungen von Gesellschaftern, die nicht selbst in der Gesellschaft sind, sollen grundsätzlich verboten bleiben. Nur wenn Anwälte hohe Anfangsinvestitionen erbringen müssen, um neue Rechtsdienstleistungen, wie Legal Tech-Anwendungen, erbringen zu können, soll die Annahme von Fremdkapital möglich sein. Berufsrechtliche Sanktionen sollen künftig auch gegen eine Sozietät möglich sein. Die Einstellung eines Compliance Officers wird aber nicht gefordert.
lto.de (Pia Lorenz) stellt die Eckpunkte und die Haltung der Anwaltsverbände ausführlich vor. Dort wird vor allem die Lockerung des Fremdkapitalverbots bei Legal Tech-Projekten kritisiert. 

Rechtspolitik

Einbürgerung von NS-Opfer-Nachfahren: Mit zwei Erlassen will Innenminister Horst Seehofer die Möglichkeit von Nachfahren emigrierter NS-Opfer verbessern, sich in Deutschland einbürgern zu lassen. Es geht um Fälle, bei denen der Anspruch auf Wiedereinbürgerung bisher abgelehnt wurde, weil die Staatsbürgerschaft der Vorfahren (auch) aus anderen als Verfolgungsgründen verloren ging. Anträge auf Ermessenseinbürgerung sollen künftig wohlwollend geprüft werden. Betroffene sind vor allem in England lebende Juden, die EU-Bürger bleiben wollen. Sie hätten einen gesetzlichen Einbürgerungsanspruch bevorzugt. Es berichten die FAZ (Alexander Haneke), die taz (Julia Kitzmann) und die Welt (Frederik Schindler).

Kopftuchverbot für Mädchen: Rechtsprofessor Martin Nettesheim hat im Auftrag von Terre des Femmes ein Gutachten vorgelegt. Danach wären gesetzliche Kopftuchverbote für Mädchen unter 14 Jahren mit dem Grundgesetz vereinbar. Solche Verbote könnten mit Erziehungs- und Bildungszielen gerechtfertigt werden und wären auch verhältnismäßig. Allerdings müssten dann auch andere religiöse Symbole wie das Kreuz oder die Kippa verboten werden. Es berichten  die FAZ (Helene Bubrowski), die SZ (Paul Munzinger), die Welt (Sabine Menkens) und spiegel.de.

Susanne Klein (SZ) warnt, dass Kopftuchverbote für Schülerinnen den Dialog mit konservativen muslimischen Eltern behindern könnten. Dabei sei der Dialog "in der Schule nun mal das Wichtigste". Merve Kayikci (spiegel.de) kritisiert: "Solche Verbote verstärken nur Ängste, rassistische Strukturen und verhindern Integration." Betroffene Mädchen fühlten sich dann noch zerrissener zwischen Schule und Elternhaus, eventuell würden sie sogar von den Eltern ins Ausland geschickt. Reinhard Müller (FAZ) findet es richtig, "Schülern" zu untersagen, "das Kopftuch als Symbol eines politischen Islams zu tragen". Er wendet sich generell dagegen, Kinder als Objekte zu behandeln, in denen Eltern sich verwirklichen. 

Unternehmenskriminalität: Die Anwälte Emanuel Ballo und Christian Schoop stellen auf dem Handelsblatt-Rechtsboard den Gesetzentwurf von Justizminister Christine Lambrecht zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität vor. Sie kritisieren die "automatische Zurechnung" des rechtswidrigen Verhaltens von Leitungsorganen zum Unternehmen und fordern einen Beschlagnahmeschutz für interne Untersuchungen. 

EU-Vereinsrecht: Der grüne Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky fordert im FAZ-Einspruch ein gesamteuropäisches Vereins- und Gemeinnützigkeitsrecht. Erforderlich sei dies auch zum Schutz von NGOs vor autoritären Regierungen wie in Ungarn oder Polen. Nicht nur Kapitalgesellschaften sollten sich europäisch konstituieren können.

Justiz

BVerwG zum Auskunftsanspruch der Presse: Die Berichterstattung über den Einsatz von Polizei und Steuerfahndung in einem Swinger-Club ist nicht von öffentlichem Interesse. Das entschied jetzt laut lto.de das Bundesverwaltungsgericht. Das Finanzamt durfte Auskünfte über diesen Einsatz unter Hinweis auf das Steuergeheimnis verweigern. 

BVerwG zum Verbraucherinformationsgesetz: Behörden müssen Auskünfte über alle aus den Akten ersichtlichen lebensmittelrechtlichen "Abweichungen" geben. Es ist nicht erforderlich, dass diese Abweichungen per Verwaltungsakt festgestellt wurden. Das entschied jetzt das Bundesverwaltungsgericht in einem Verfahren, bei dem es um Informationen zum Geflügelproduzenten Wiesenhof ging. Die SZ (Anika Blatz) berichtet.

BFH zur Rückforderung von Riester-Zulagen: Die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen kann Zulagebeträge von einer Rentenanwärterin zurückfordern, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass sie eigentlich gar nicht berechtigt war und die Zulagen nur aufgrund falscher Angaben eines Rentenberaters erhielt. Dass die Anwärterin selbst kein Verschulden traf, sei irrelevant, weil die Rückforderungsmöglichkeit verschuldensunabhängig sei, so der Bundesfinanzhof laut lto.de. 

LVerfG SH zu Sayn-Wittgenstein: Der Ausschluss der Landtagsabgeordneten Doris von Sayn-Wittgenstein aus der AfD-Fraktion in Schleswig-Holstein hat keine Rechte der Abgeordneten verletzt, entschied jetzt laut lto.de das Landesverfassungsgericht von Schleswig-Holstein. Die Entscheidung sei nicht willkürlich und die Abgeordnete habe Gelegenheit gehabt, sich zu äußern. Der Ausschluss war mit Werbung für einen rechtsextremistischen Verein begründet worden, der auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht. 

OVG B-BB zum Tagebau Jänschwalde: Der Hauptbetriebsplan des Braunkohle-Tagebaus Jänschwalde durfte nicht ohne Umweltverträglichkeitsprüfung genehmigt werden. Dies entschied nun auf Antrag der Deutschen Umwelthilfe das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Wenn das Verwaltungsgericht Cottbus nicht noch eine Fristverlängerung für die Nachreichung ausreichender Unterlagen gewährt, müssen die Bagger am 1. September stoppen.
Die FAZ (Andreas Mihm) berichtet.

OVG NRW zur Lage im Irak: Eine Schiitin aus Bagdad hat keinen Anspruch auf subsidiären Schutz in Deutschland. Die militärische und humanitäre Lage in Bagdad sei nicht so dramatisch, dass dieser Status generell zu gewähren sei, entschied das Oberverwaltungsgericht Münster laut lto.de.

LG Stuttgart zu Facebook-Sperre: Facebook darf den Account eines Nutzers für 30 Tage sperren, wenn dieser einen Post weiterverbreitet und verharmlost, in dem "Migranten auf dem Mittelmeer" pauschal unterstellt wird, sie würden in Zukunft schwere Straftaten begehen. Facebook könne sich dabei auf seine Gemeinschaftsstandards berufen, so das Landgericht Stuttgart laut 
zeit.de

LG Chemnitz zu Messerangriff auf Deutsch-Kubaner: In seiner Kolumne auf spiegel.de kritisiert Ex-Bundesrichter Thomas Fischer die Berichterstattung über das Urteil des Landgerichts Chemnitz, das vor einigen Tagen den Syrer Alaa S. zu einer Freiheitsstrafe von neuneinhalb Jahren wegen Totschlags verurteilte. "Wenn ein Gericht verurteilt, weil es keine Zweifel hat, dann kann das zwar aus allen möglichen Gründen falsch sein, ist aber ganz gewiss kein Verstoß gegen den Zweifelssatz. Wer das behauptet, hat einfach keine Ahnung und sollte es unbedingt unterlassen, Leitartikel über Strafprozesse zu schreiben." Fischer kritisiert dabei die Berichte und Kommentare alle Medien außer FAZ und Deutschlandfunk. Soweit Kommentare das Urteil als "ungeheuerlich" und "politisch motiviert" kritisieren, sei es inkonsequent, nicht zugleich Anzeige wegen Rechtsbeugung zu erstatten oder zu Demonstrationen aufzurufen.

VGH München - Airbnb: Der Verwaltungsgerichtshof München hat ernstliche Zweifel an einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts München und deshalb die Berufung zugelassen, so lto.de. Das VG hatte entschieden, dass Airbnb der Stadt München die Namen und Adressen von Anbietern illegal genutzter Ferienwohnungen preisgeben müsse. Der VGH findet dagegen, dass sich Auskunftsersuchen auf Einzelfälle zu beschränken haben, was einen konkreten Anfangsverdacht für eine Zweckentfremdung voraussetze. 

AG Lübeck - Ex-Weißer Ring-Vorsitzender: Im Verfahren gegen den Ex-Vorsitzenden des Weißen Ring in Lübeck, Detlef Hardt, schilderten zwei Zeuginnen weitere nicht angeklagte Übergriffe durch den Angeklagten. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet über den Verhandlungstag und schreibt: "Wenn stimmt, was die Frauen unabhängig voneinander berichten, dann hat Hardt nicht nur keinerlei professionelle Distanz gewahrt, sondern massiv Grenzen überschritten. Wenn stimmt, was die Frauen berichten, dann hat er sich um die besondere Verantwortung, die Helfern im Umgang mit Opfern von Gewalt und Missbrauch zukommt, kaum geschert."

Angeklagte ohne Namen: lto.de (Markus Sehl) schildert die Probleme der Justiz, wenn autonome Aktivisten verhindern, dass ihre Identität festgestellt wird und deshalb nur gegen eine "UP" (unbekannte Person) verhandelt werden kann. Die Annahme von Fluchtgefahr sei problematisch, weil die Angeklagten sich dem Prozess, den sie gerne zum Spektakel nutzen, nicht entziehen wollen. In der Praxis werden UPs aus der U-Haft entlassen, wenn sie dem Gericht eine unwiderrufliche Ladungs- und Zustellungsvollmacht für den Verteidiger vorlegen. Verurteilungen seien möglich. Die Berücksichtigung von Vorstrafen aber unmöglich und die Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung schwierig. 

Recht in der Welt

Großbritannien - Brexit und Parlamentspause: Im Interview mit lto.de (Markus Sehl) beschreibt Rechtsprofessor Martin Schmidt-Kessel, dass das englische Parlament wohl keinen gerichtlichen Rechtsschutz gegen die von der Queen auf Wunsch von Premier Boris Johnson angeordnete ungewöhnlich lange Parlamentspause vor dem Brexit erlangen kann. Erfolgversprechender wäre es, ein Gesetz zu beschließen, das Parlamentssitzungen auch während der Parlamentsferien erlaubt. In der FAZ kritisiert Rechtsprofessor Christoph Schönberger die Queen. Ihre Anlehnung an den Premierminister entspreche zwar der britischen Verfassungstradition. Allerdings sei Boris Johnson kein seriöser Premierminister, sondern setze die Demokratie und auch die Monarchie aufs Spiel. Auf verfassungsblog.de warnt der PostDoc-Forscher Stefan Theil (in englischer Sprache), dass die Parlamentsferien auch noch deutlich verlängert werden könnten.

EGMR - Haftstrafen gegen ETA-Mitglieder in Spanien: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Beschwerden von vier ehemaligen Mitglieder der baskischen Terrororganisation ETA abgelehnt. Diese hatten moniert, dass spanische Gerichte bei der Verhängung von langen Freiheitsstrafen nicht ihre Haftzeiten in französischen Gefängnissen berücksichtigt hatten. Dadurch seien ihre Rechte aber nicht verletzt worden, so der EGMR laut lto.de, weil eine solche Berücksichtigung gesetzlich nicht vorgesehen sei und sie diese auch nicht erwarten konnten.

Südkorea - Prozess gegen Ex-Staatschefin: Das Oberste Gericht Südkoreas hat die Verurteilung von Ex-Staatschefin Park Geun-hye zu 25 Jahren Freiheitsstrafe aufgehoben und einen neuen Prozess angeordnet, so die SZ. Die Vorinstanz habe Verfahrensfehler gemacht. Korruptionsvorwürfen gegen einen amtierenden oder früheren Staatschef müssten getrennt von anderen Anklagepunkten verhandelt werden.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

(Hinweis für Journalisten)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. August 2019: BMJV-Eckpunkte zum anwaltlichen Berufsrecht / Kopftuchverbot für Mädchen? / Parlamentsferien und Brexit . In: Legal Tribune Online, 30.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37337/ (abgerufen am: 17.04.2024 )

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