Die juristische Presseschau vom 20. bis 22. Juli 2019: Stra­f­aus­wei­tung bei Kin­des­miss­brauch? / Wahl­fest­stel­lung ver­fas­sungs­mäßig / Ohne Belag kein Früh­s­tück

22.07.2019

Die Bundesregierung prüft eine Erhöhung der Strafen für Kindesmissbrauch. Außerdem in der Presseschau: Das Bundesverfassungsgericht billigt die Wahlfeststellung im Strafrecht und ein Frühstück ohne Belag ist steuerrechtlich keines.

Thema des Tages

Strafverschärfung bei Kindesmissbrauch: Nach Information der WamS erwägt die Bundesregierung, die Strafen für Kindesmissbrauch deutlich anzuheben. Damit kommt sie einer Prüfbitte der Länder nach. Die Länder hatten auf der Innenministerkonferenz im Juni gefordert, sexuellen Kindesmissbrauch und die Verbreitung kinderpornographischer Schriften künftig als Verbrechen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr einzustufen. Hintergrund ist auch der Missbrauchsfall von Lügde. Wie die Mo-Welt (Alexej Hock/Martin Lutz) berichtet, begrüßten Vertreter der Regierungsparteien eine Strafausweitung. Verhaltener reagierten Vertreter von FDP und Grünen, wie auch der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, der den aktuellen Strafrahmen für angemessen hält.

Rechtspolitik

Masern-Impfpflicht: Heribert Prantl (Sa-SZ) hält die in der vergangenen Woche vom Bundeskabinett auf den Weg gebrachte Regelung zur Masern-Impflicht für dringend geboten. "Die Impfung ist keine Privatsache", kommentiert er die Pflichtimpfung für Masern, Mumps und Röteln. Er sieht in der Impfpflicht ab März 2020 zwar einen Eingriff in die Grundrechte, hält diesen aber für verhältnismäßig.

EU-Entsenderichtlinie: Warum die Änderungen der EU-Entsenderichtlinie keine gerechtere Arbeitswelt in der Europäischen Union bewirkten, erläutern die Rechtsanwälte Jörn Kuhn und Alexandra Groth auf lto.de. Mit der Änderungsrichtlinie solle zwar eine Anpassung der Lohnstandards innerhalb der Mitgliedstaaten erfolgen, die Regelung der Sozialversicherung des Heimatlandes des Arbeitnehmers gelte jedoch für den Zeitraum der Entsendung fort, wodurch das Sozialdumping und ein Ungleichgewicht bestehen bleibe.

EU-Rechtsstaatsverfahren: Die Mo-taz (Christian Rath) und die Mo-Welt (Hannelore Crolly) setzen sich mit den Plänen der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) zur Rechtsstaatlichkeit in EU-Staaten auseinander. Der angekündigte jährliche Überprüfungsmechanismus sei bereits beschlossen.

Digitalsteuer: Rechtsprofessor Wolfgang Schön äußert sich in einem Interview mit der Mo-FAZ (Heike Göbel) zu der Einigung der G-7-Finanzminister vom Freitag, die Besteuerung von Digitalkonzernen neu zu regeln. Europäische exportorientierte Unternehmen müssten allerdings auch eine Besteuerung beim Kunden erwarten, wie sie für die Digitalunternehmen geplant sei. Letztlich handele es sich um einen Verteilungskampf zwischen den Staaten.

Windkraftprämie: Über ein neues brandenburgisches Gesetz, das die Betreiber von Windenergieanlagen verpflichtet, für neue Anlagen 10.000 Euro an die Standortgemeinden zu zahlen berichtet die Mo-taz (Bernward Janzing). Die Zahlungen sollten die Akzeptanz für die Anlagen in der Bevölkerung erhöhen, Experten zweifelten jedoch an der Verfassungsmäßigkeit der Sonderabgabe.

Justiz:

BVerfG zur Wahlfeststellung: Die Wahlfeststellung im Strafrecht ist verfassungskonform. Nach Bericht von lto.de hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss klargestellt, dass im Strafrecht ein Angeklagter weiterhin im Rahmen der Wahlfeststellung verurteilt werden kann, wenn beispielsweise Zweifel bestehen, ob der Täter Dieb oder Hehler war, jedoch feststehe, dass er eine der beiden möglichen beiden Taten beging. Die Richter unterstrichen jedoch den Ausnahmecharakter dieses Rechtsinstituts.

BFH zur steuerlichen Mahlzeit: Unbelegte Brötchen mit einem Heißgetränk stellen nach Entscheidung des Bundesfinanzhofs steuerrechtlich kein Frühstück dar und sind daher nicht als amtliche Sachbezüge zu versteuern. Schon die Vorinstanz hielt Wurst und Käse für einen "integralen Bestandteil" eines Frühstücks. Geklagt hatte ein Softwareunternehmer, der für seine Angestellten jeden Morgen Brötchen und Heißgetränke zur Verfügung gestellt hatte, und bei einer Lohnsteueraußenprüfung zur Nachzahlung von insgesamt 30.000 Euro verpflichtet wurde. lto.de stellt die Entscheidung vor.

BVerfG – NPD-Parteifinanzierung: Der Antrag von Bundesregierung, Bundestag und Bandesrat, die NPD von der Parteienfinanzierung auszuschließen, wurde laut Sa-FAZ (Marlene Grunert), lto.de und spiegel.de beim Bundesverfassungsgericht gestellt.

Nach Ansicht von Christian Rath (Mo-taz) ist an diesem Verfahren lediglich sinnvoll, dass es klare Signale an die AfD aussende. Würde der Höcke-Flügel dominieren, dann sei auch ein Verbotsantrag möglich und erfolgsversprechend.

BGH zur Haftung für Wisente: Ein Tierschutzverein, der Wisente ausgewildert hat, muss gegenüber Waldbauern für durch die Tiere entstandene Schäden aufkommen, urteilte der Bundesgerichtshof. Ob die Waldbauern aber auch verpflichtet sind, das Betreten ihrer Wälder durch die Tiere zu dulden, muss das Oberlandesgericht Hamm entscheiden, an das die Sache zurückverwiesen wurde. Davon ist abhängig, ob sich die Waldbauern gegen den Rinder-Verein auf einen Ausgleichsanspruch wegen ihrer Duldungspflichten berufen können oder einen Schadensersatzanspruch aus Tierhalterhaftung geltend machen müssen. Es berichten lto.de und Mo-taz (Heike Holdinghausen).

VG Stuttgart zu Fahrverbot: Das Land Baden-Württemberg muss zum wiederholten Mal Zwangsgeld zahlen, weil es den Luftreinhalteplan für die Stadt Stuttgart Fahrverbote nicht auf Diesel-Fahrzeuge mit der Abgasnorm Euro 5 erweitern will. Das Verwaltungsgericht Stuttgart beschloss zum Zwangsgeld auf Antrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Über den Beschluss berichten Sa-FAZ (Susanne Preuß) und lto.de.

Arbeitsgericht Braunschweig – Diesel-Skandal: Am kommenden Donnerstag entscheidet das Arbeitsgericht Braunschweig über den Fall einer Volkswagen-Ingenieurin, die zugegeben hatte, von der Manipulation der Abgaswerte gewusst zu haben und diese auch deckte. Der VW-Konzern kündigte ihr und verlangt nun bis zu 33 Milliarden Dollar Schadensersatz von der Mitarbeiterin, die zuletzt über ein Monatseinkommen von rund 15.000 Euro verfügte. Auf Verfahren und Hintergründe blickt die FAS (Corinna Budras).

Recht in der Welt

Niederlande/Ex-Jugoslawien – Srebrenica: Das höchste niederländische Gericht in Den Hag hat geurteilt, dass die Niederlande nur eingeschränkt für den Tod von 350 bosnisch-muslimischen Männern in Srebrenica haftbar sind, so spiegel.de und zeit.de. Die Männer befanden sich 1995 auf dem Gelände der niederländischen UN-Soldaten und wurden weggeschickt, bevor sich die niederländischen Soldaten kampflos den serbischen Truppen ergaben. Dies sei zwar ein Fehler, die Überlebenschancen für die Opfer seien jedoch aufgrund der Übermacht der Serben sehr gering gewesen.

Türkei – Gezi-Proteste: Über das Verfahren gegen den Philanthropen Osman Kavala, dem die türkische Regierung vorwirft, er habe mit den Gezi-Protesten vor sechs Jahren versucht, die türkische Regierung zu stürzen, berichtet ausführlich die Sa-SZ (Christiane Schlötzer). Kavala wird vorgeworfen, die Proteste mit ausländischer Hilfe finanziert zu haben.

Frankreich – Estonia: Ein französisches Gericht hat eine Schadensersatzklage von Opfern und Hinterbliebenen des Untergangs der Ostseefähre "Estonia" gegen die deutsche Meyer-Werft und eine französische Gesellschaft zurückgewiesen. Den Beklagten konnte kein schwerer oder absichtlicher Fehler hinsichtlich des Fährunglücks im Jahr 1997 nachgewiesen werden. Über das Verfahren berichten Sa-SZ (Silke Bigalke/Leo Klimm), Sa-taz (Reinhard Wolff) und spiegel.de.

Bulgarien – Richterstaatsangehörigkeit: Auf verfassungsblog.de befasst sich die Dozentin Radosveta Vassileva (in englischer Sprache) mit der Frage, ob der umstrittene Präsident des Stadtgerichts Sofia überhaupt die erforderliche bulgarische Staatsangehörigkeit besitzt oder Russe ist.

KSC/Kosovo – Ramush Haradinaj: Die Mo-FAZ (Michael Martens) und spiegel.de beleuchten die Hintergründe des Rücktritts des kosovarischen Ministerpräsidenten Ramush Haradinaj, der in dieser Woche vor dem Sondertribunal für den Kosovo, den Kosovo Specialist Chambers (KSC), in Den Haag als Verdächtiger aussagen soll. Haradinaj war bereits 2005 und 2012 vor dem Ex-Jugoslawien-Tribunal angeklagt, beide Verfahren endeten jedoch mit einem Freispruch. Es soll jedoch jeweils zur Einschüchterung von Zeugen gekommen sein.

USA – Mueller-Bericht: In einem Gastbeitrag für die WamS stellt der US-Autor Marc Bowden umfangreich die Ergebnisse des Mueller-Reports dar. In dem Bericht des Sonderermittlers Robert Mueller geht es u.a. um die Frage, inwieweit Donald Trump während seines Wahlkampfes unerlaubte Geschäfte mit Russland tätigte.

Juristische Ausbildung

Noten im Staatsexamen: Der Diplom-Jurist Maximilian Lüderwaldt setzt sich im FAZ-Einspruch mit dem Bewertungssystem in den juristischen Staatsexamina auseinander. Er hält die Notenvergabe für willkürlich und fordert eine öffentliche Debatte über das Thema, schließlich hänge allein von der Note ab, wer später als Anwalt, Staatsanwalt, Richter oder in der Verwaltung arbeite.

Sonstiges

NetzDG– Facebook: Wie Sa-FAZ (Hendrik Wieduwilt) und spiegel.de melden, hat Facebook gegen das vom Bundesamt für Justiz verhängte Bußgeld in Höhe von zwei Millionen Euro wegen Verstoßes gegen das  Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Einspruch eingelegt. Nach Konzernangaben solle der Einspruch aber zurückgezogen werden, wenn eine Lösung mit dem Bundesamt für notwendige Änderungen gefunden sei.

Legal Tech und Strafzumessung: In einem Projekt an der Universität zu Köln wird versucht, mit dem Einsatz von Legal Tech Strafzumessungen bundesweit zu vergleichen. Das "Legal Tech Lab Cologne" entwickelt seit Februar diesen Jahres zu diesem Zweck eine Datenbank, wie lto.de (Annelie Kaufmann) berichtet.

Westliche Demokratien: Mit dem Zustand der westlichen Demokratien befasst sich der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio in einem Gastbeitrag für die Montags-FAZ. Er zeichnet ein kritisches Bild der Parteiensysteme im Kontext eines zusammenwachsenden Europas und arbeitet ein bestehendes Identitätsdefizit hinsichtlich der Europäischen Union heraus, das zu einem Neonationalismus führe. Wichtig sei es, zukünftig eine Freund-Feind-Lagerbildung zu vermeiden und stattdessen Brücken zwischen Altem und Neuem zu schlagen.

Gedenken zum 20. Juli: Anlässlich des 75. Jahrestags des gescheiterten Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944 blickt die Sa-SZ (Ronen Steinke) auf das Plädoyer des Staatsanwaltes Fritz Bauer im Remer-Prozess zurück. Remer hatte die Gruppe um Stauffenberg in der Nachkriegszeit als Verräter bezeichnet, Bauer klagte ihn 1952 wegen übler Nachrede erfolgreich an. In einem Gastbeitrag für die Sa-Welt blickt Magdalena Köhler auf ihren Urgroßvater, den Rechtsanwalt Josef Wirmer, der nach einem erfolgreichen Umsturz Justizminister hätte werden sollen. Mit einem Verwaltungsgerichtsverfahren um eine Schauspielerin, die einen Sympathisanten des Attentats den Behörden preisgab, befasst sich lto.de (Martin Rath). Reinhard Müller (Sa-FAZ) erinnert im Zusammenhang mit dem 20. Juli daran, dass das im Grundgesetz verankerte Widerstandsrecht heute aus gutem Grund nur gelte, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist: "In unserem funktionierenden Rechtsstaat ist andere Abhilfe möglich."

Notstandsrecht: Die Montags-SZ (Rolf Lamprecht) stellt das Buch "Die Stunde der Exekutive" des Historikers Martin Diebel vor, in dem die Rolle von Spitzenbeamten des Innenministeriums thematisiert wird, die zwischen 1949 und 1968 ein antidemokratisches Notstandsrecht in der Bundesrepublik etablieren wollten. Lamprecht kritisiert dabei die Intransparenz von Verordnungen gegenüber der Transparenz von Gesetzen.

JVA-Stammheim: Der FAZ-Einspruch (Rüdiger Soldt) beschäftigt sich mit der Frage, was mit der berühmten Mehrzweckhalle auf dem Gelände der JVA Stammheim geschehen soll, nachdem diese seit April nicht mehr als Verhandlungssaal des Oberlandesgerichts Stuttgart gebraucht wird. Im Gespräch ist unter anderem, am Ort der RAF-Prozesse eine Gedenkstätte zu errichten. Vielleicht müsse das Gebäude aber auch einem Haftkrankenhaus weichen.

Das letzte zum Schluss

Teurer Kaffee: Zwei deutsche Touristen haben in Venedig unbeabsichtigt den wohl teuersten Kaffee ihres Lebens getrunken. Wie spiegel.de berichtet, müssen die zwei Berliner insgesamt 950 Euro Strafe bezahlen, weil sie sich auf ihrem Camping-Kocher an der berühmten Rialto-Brücke einen Kaffee aufsetzten. Damit nicht genug, die beiden wurden auch aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Das harte Durchgreifen der venezianischen Behörden bleibt dabei in Italien kein Einzelfall. Wie die Mo-FAZ (Matthias Rüb) weiß, kostet ein Bad im Trevi-Brunnen in Rom 500 Euro pro Person.

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lto/kk

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. bis 22. Juli 2019: Strafausweitung bei Kindesmissbrauch? / Wahlfeststellung verfassungsmäßig / Ohne Belag kein Frühstück . In: Legal Tribune Online, 22.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36609/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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