Die juristische Presseschau vom 28. Juni 2019: Pro­zess im Fall Lügde hat begonnen / Neue Jus­tiz­mi­nis­terin wurde ver­ei­digt / Ver­fas­sungs­schutz­be­richt liegt vor

28.06.2019

Vor dem Landgericht Detmold wird nun zum Missbrauchsfall von Lügde verhandelt. Außerdem in der Presseschau: Christine Lambrecht ist neue Bundesjustizministerin und in Berlin wurde der aktuelle Verfassungsschutzbericht vorgestellt.

Thema des Tages

LG Detmold – Prozessauftakt Missbrauchsfall Lüdge: Vor dem Landgericht Detmold hat der Prozess um den jahrelangen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen auf einem Campingplatz im nordrhein-westfälischen Lügde begonnen. Dabei geht es um hunderte Taten und Dutzende Opfer. Zu Beginn der Verhandlung legten die drei Angeklagten umfangreiche Geständnisse ab. Zunächst sind neun weitere Verhandlungstage angesetzt, ein Urteil könnte Ende August ergehen. Ausführliche Berichte zum ersten Verhandlungstag finden sich u.a. in der taz (Simone Schmollack), bei zeit.de (Christian Parth) und in der FAZ (Reiner Burger).

Silke Mertins (taz) meint in ihrem Kommentar, es sei nicht allein der Missbrauch, sondern auch das Versagen der Behörden, das den Fall einzigartig in der deutschen Kriminalgeschichte mache. Eine Aufklärung des Missbrauchs sei bereits vor zwei Jahrzehnten möglich gewesen. Dass diese unterblieben sei, bleibe unverzeihlich.

Rechtspolitik

Neue Justizministerin: In Berlin ist die bisherige Bundesjustizministerin Katarina Barley verabschiedet und ihre Nachfolgerin Christine Lambrecht (SPD) ins Amt eingeführt worden. Auf der Agenda der neuen Ministerin stehen u.a. Reformen der Strafprozessordnung und des Mietrechts, berichtet lto.de (Annelie Kaufmann). Die SZ (Robert Rossmann) beschreibt den ersten Arbeitstag der Ministerin.

Neue EGMR-Richterin: Laut lto.de ist die Heidelberger Rechtsprofessorin Anja Seibert-Fohr von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zur neuen deutschen Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewählt worden. Sie tritt Anfang 2020 die Nachfolge von Angelika Nußberger an, die dem Gericht seit 2011 angehört.

Staatsangehörigkeitsrecht: Der Bundestag hat laut zeit.de eine Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts beschlossen. Demnach soll nur noch eingebürgert werden, wer sich in "deutsche Lebensverhältnisse" eingeordnet hat. Zudem ist unter bestimmten neuen Umständen die Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit möglich. deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) hat vor der Abstimmung die Debatte zusammengefasst.

"Volkseinwand": Antonie Rietzschel (SZ) kritisiert in einem Kommentar die vom sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) vorgebrachte Idee eines "Volkseinwandes", durch den die Bürger die Möglichkeit bekommen sollen, nach einer Minderheiteninitiative über im Landtag beschlossene Gesetze abzustimmen. Dies stärke nicht die Demokratie, sondern klinge nach "institutionalisiertem Gemecker", das am Ende die parlamentarische Demokratie schwäche.

"Mietendeckel": Im FAZ-Einspruch (Corinna Budras) findet sich ein Gespräch mit dem Rechtsprofessor Franz Mayer zum vom Land Berlin geplanten sogenannten Mietendeckel. Ein solches Gesetz sei in Bezug auf die Länderzuständigkeit "definitiv verfassungsrechtlich zulässig", die Initiative Bestandteil einer "Renaissance der Bundesstaatlichkeit". Der Eingriff in die Eigentumsgarantie sei durch die Sozialbindung des Eigentums gedeckt. Privatautonomie heiße nicht, dass es keine Regulierung geben dürfe.

Datenschutzanpassungsgesetz: netzpolitik.org (Anna Biselli) widmet sich in einem kritischen Beitrag dem Datenschutzanpassungsgesetz, das Änderungen an 150 anderen Gesetzen vorsieht und gestern im Bundestag verabschiedet wurde. Durch das Gesetz soll das deutsche Datenschutzrecht an die EU-Datenschutzgrundverordnung angepasst werden.

"Clankriminalität": In einem Gastbeitrag für lto.de plädiert der Rechtsdozent Florian Albrecht dafür, gegen kriminelle sogenannte Familien-Clans mit dem Mittel des Vereinsverbotes nach Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz und § 3 Vereinsgesetz vorzugehen.

Social-Media-Blocks: Der Rechtsprofessor Jörn Reinhardt befasst sich auf verfassungsblog.de mit der Frage, welchen grundrechtlichen Bindungen staatliche Akteure unterliegen, wenn sie in den sozialen Medien unliebsame Kritiker blockieren.

Grundsteuer: Grüne und FDP wollen den Plänen der Bundesregierung zur Reform der Grundsteuer in ihrer jetzigen Form nicht zustimmen. Dabei wollen die Grünen Mieter von der Grundsteuer befreien, der FDP hingegen ist das Modell zu kompliziert. Die Stimmen der Opposition sind notwendig, da ein Teil der Regelung eine Änderung des Grundgesetzes notwendig macht. Es berichten die SZ (Cerstin Gammelin) und die FAZ (Hendrik Wieduwilt).

Justiz

GBA – Fall Lübcke: Im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) sind zwei Männer vorläufig festgenommen worden, die 2016 an der Beschaffung der späteren Tatwaffe beteiligt gewesen sein sollen. Es berichten u.a. zeit.de (Daniel Müller, Christian Fuchs u.a.) und die taz (Konrad Litschko).

BAG zu Pauschalvergütung: In einem Gastbeitrag auf lto.de stellt der Rechtsanwalt Patrick Mückl eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Pauschalvergütung von Mehrarbeit vor. Das BAG hat darin die Vorgaben präzisiert, die für Pauschalisierungsregeln in Betriebsvereinbarungen gelten. Mit ihnen sollen Schwierigkeiten bei der Bestimmung vergütungspflichtiger Mehrarbeit vermieden werden.

BSG zu Elterngeld: Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts müssen in der Berechnung des Elterngeldes, das Eltern für die ersten 14 Lebensmonate des Kindes beziehen, unter bestimmten Voraussetzungen auch Gehaltsnachzahlungen berücksichtigt werden. Dies meldet der FAZ-Einspruch (Marcus Jung).

VG Köln – ZPS: Der Leiter des Künstlerkollektives "Zentrum für politische Schönheit" (ZPS), Philipp Ruch, hat laut taz (Christian Rath) Klage gegen seine Ausladung von einem Kongress der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht. Die Ausladung war vor dem Hintergrund strafrechtlicher Ermittlungen gegen das ZPS auf Weisung des Innenministeriums erfolgt. Ruch führt an, durch die Ausladung in Persönlichkeitsrechten sowie seiner Kunstfreiheit verletzt zu sein.

Recht in der Welt

Polen – Justizreform: Der FAZ-Einspruch (Marlene Grunert) sowie lto.de berichten über die Schlussanträge von Generalanwalt Evgeni Tanchev in einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zu Polens Justizreform. Konkret geht es um die neu geschaffene Disziplinarkammer des polnischen Obersten Gerichts, an die sich Richter wenden können, um gegen die Herabsenkung des Rentenalters auf 65 Jahre vorgehen zu können. Die Kammer entspricht nach den Schlussanträgen jedoch nicht den Anforderungen des Unionsrechts an die richterliche Unabhängigkeit.

Türkei – Politikerinnen-Prozess: Die SZ (Christiane Schlötzer) stellt in einem Portrait die türkische Politikerin Canan Kaftancıoğlu vor. Die Vorsitzende der oppositionellen CHP und "Erzfeindin" von Präsident Erdoğan muss sich vor einem Istanbuler Gericht wegen Präsidentenbeleidigung, Beleidigung der Türkischen Republik und Terrorpropaganda verantworten. Die Staatsanwaltschaft verlangt bis zu 17 Jahre Haft.

USA – Gerrymandering: Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat das Zuschneiden von Wahlkreisen nach parteipolitischen Gesichtspunkten, das sogenannte Gerrymandering, zur "political question" erklärt, die der Rechtsprechung der US-Bundesgerichte nicht zugänglich ist. Die parteipolitische Natur des Wahlkreiszuschnitts sei den Verfassungsvätern bewusst gewesen, argumentiert das Mehrheitsvotum laut FAZ (Majid Sattar). Die Entscheidung erging mit fünf zu vier Stimmen.

Sonstiges

Verfassungsschutzbericht: Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2018 ist insbesondere die Gefahr durch Rechtsextremismus hervorgehoben worden. So habe die Zahl der Rechtsextremisten in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht. Deren hohe Gewaltbereitschaft und Waffenaffinität sei "ausgesprochen besorgniserregend", sagte Bundesinnenminister Seehofer. Darstellungen des Berichts finden sich u.a. in der SZ (Georg Mascolo/Jens Schneider) und bei spiegel.de (Alexander Sarovic). netzpolitik.org (Anna Biselli) befasst sich mit der zunehmenden Mobilisierung über soziale Netzwerke.

In seinem Kommentar meint Jasper von Altenbockum (FAZ), in den "Deformationen einer zügellosen Öffentlichkeit" sei eine gemeinsame Wurzel von Radikalisierung zu finden. Dagegen helfe die konsequente Anwendung des Strafrechts. Frank Specht (Hbl) merkt an, der Verfassungsschutz müsse das in der NSU-Affäre verloren gegangene Vertrauen zurückgewinnen. Zudem müsse der Staat entschieden vorgehen, wo ein Rechtsruck in Polizei, Bundeswehr oder Behörden auffalle.

Jahresbericht BKartA: In Bonn hat das Bundeskartellamt seinen Tätigkeitsbericht 2017/18 und seinen Jahresbericht 2018 vorgestellt. Es sind Bußgelder von insgesamt 376 Millionen Euro gegen 22 Unternehmen verhängt worden. Die von Tech-Konzernen mithilfe von Daten ausgeübte Macht sei jedoch "das zentrale Thema der Zeit", äußerte sich Behördenchef Andreas Mundt. Hier sei auch die Bundesregierung bei der bevorstehenden Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gefragt. Es berichten lto.de, die SZ (Benedikt Müller) und die FAZ (Helmut Bünder).

"Deutschlands beste Anwälte": Anlässlich der Veröffentlichung der neuen Edition des Rankings zu "Deutschlands besten Anwälten" finden sich in einem Sonderteil des Hbl (Désirée Balthasar u.a.) Berichte zu den mit dem bevorstehenden Brexit einhergehenden Ungewissheiten für Wirtschaftsanwälte und zu den Ermittlungen bei der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer sowie ein Interview mit den Strafverteidigern Hanns Feigen und Bernd Groß.

Nachruf auf Kirchenrechtler: Die SZ (Heribert Prantl) bringt einen Nachruf auf den Münchner Kirchenrechtler Peter Landau, der Ende Mai gestorben ist. Er sei ein großer Gelehrter, eine weltweit honorierte Koryphäe gewesen, ohne aber großzutun.

Föderalismus: In einem Gastbeitrag für die FAZ befasst sich Rechtsprofessor Hanno Kube mit der föderalen Finanzverfassung des Grundgesetzes. Unter Verweis auf die gesamtstaatliche Bedeutung bestimmter Sachmaterien und mit dem Anspruch, es besser zu können, greife der Bund immer stärker in die Aufgabenzuständigkeit der Länder ein. Es bedürfe einer neuen Aktivierung der Länderebene und eines Bewusstseins für Verantwortung im Bundesstaat.

Bagatellkündigungen: Im Hbl (Susanne Schier) findet sich ein Bericht über Kündigungen bei wertmäßig kleinen Diebstählen am Arbeitsplatz. Das Thema habe auch nach dem sog. Emmely-Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2010 nicht an Brisanz verloren. Der Beitrag erläutert ausführlich die Voraussetzungen einer derartigen Kündigung sowie die relevante Rechtsprechung.

Das Letzte zum Schluss

Unzuverlässiger Mörder: Eine Spanierin hat sich bei der Auswahl eines Auftragsmörders geirrt und wollte das nicht auf sich sitzen lassen. Wie die FAZ meldet, hatte sie ihren Schwiegersohn angeheuert – und ihn anschließend wegen Betrugs bei der Polizei angezeigt, weil er den Auftrag nicht ausführte. Die Beteiligten wurden festgenommen. Der als Mordopfer auserkorene Lebensgefährte der Frau hingegen erfreue sich laut Polizei weiterhin "bester Gesundheit".

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/jng

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. Juni 2019: Prozess im Fall Lügde hat begonnen / Neue Justizministerin wurde vereidigt / Verfassungsschutzbericht liegt vor . In: Legal Tribune Online, 28.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36153/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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