Die juristische Presseschau vom 4. Juni 2019: Mig­ra­ti­ons­ge­setze kommen / Lebens­lang für Mord­ver­such / Kein Haft­be­fehl für Ass­ange

04.06.2019

Die Regierungskoalition verständigt sich auf verschiedene Migrationsgesetze. Außerdem in der Presseschau: Lebenslang für Mordversuch im Rockermilieu und Haftbefehl gegen Julian Assange wird abgelehnt.

Thema des Tages

Migrationsgesetze: Laut FAZ (Helene Bubrowski) haben sich die Bundestagsfraktionen aus CDU/CSU und SPD auf ein umfangreiches Gesetzespaket zur Migration geeinigt. Das sogenannte "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" solle zusammen mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und sechs weiteren noch in dieser Woche im Bundestag verabschiedet werden. SZ (Bernd Kastner) befasst sich mit der Anhörung des Innenausschuss des Bundestages am Montag. Eine Vielzahl von Organisationen wie Pro Asyl oder die Neue Richtervereinigung lehnten den Entwurf des "Geordnete-Rückkehr-Gesetzes" ab. Andere, wie der Rechtsprofessor Daniel Thym, begrüßten ihn angesichts eines "Vollzugsdefizits" bei Abschiebungen. Das Gesetz solle Abschiebungen forcieren, indem es etwa die Abschiebehaft ausweite und einen neuen, minderwertigen Duldungsstatus einführe für Personen, deren Identität unklar sei. 

In einem separaten Kommentar kritisiert Bernd Kastner (SZ), dass das Bundesinnenministerium von rund 240.000 "vollziehbar Ausreisepflichtigen" spreche, obwohl sich darunter eine Vielzahl Geduldeter befinde. Diese würden als "notorische Ausreiseverweigerer und Sozialschmarotzer" verdächtigt, obwohl sie etwa traumatisiert seien oder man ihre Arbeitskraft benötige.

Rechtspolitik

Hackback: Auf verfassungsblog.de befasst sich Dennis-Kenji Kipker mit einem Konzeptpapier der Bundesregierung zur Regelung des sogenannten "Hackbacks". Danach sollen deutsche Behörden nach einem "erheblichen Cyber-Angriff aus dem Ausland" stufenweise Gegenmaßnahmen ergreifen dürfen und dabei auch fremde Netze aktiv infiltrieren, um Daten zu verändern oder zu löschen. Dies könne durchaus sinnvoll sein, jedoch dürften solche "Hackbacks" aufgrund der engen verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der Bundeswehr keine Cyber-Angriffe sein, die letztlich einer militärischen Operation gleichkämen. Auch sei fraglich, ob Nachrichtendienste für "Hackbacks" die richtigen Akteure seien, da ihre eigentliche Aufgabe in der Sammlung und Auswertung von Informationen bestehe.

E-Evidence: Auf zeit.de spricht sich Martin Klingst gegen die geplante E-Evidence-Verordnung aus. Danach hätten die Strafverfolgungsbehörden anderer europäischer Staaten das Recht, sich auf ihrer Suche nach elektronischen Beweisen für eine schwere Straftat unmittelbar an die in Deutschland tätigen Internet- und Telefonfirmen zu wenden und von ihnen die Herausgabe sämtlicher Kundendaten eines Verdächtigen zu verlangen. Es wäre dann kein deutscher Richter mehr als Kontrollinstanz dazwischengeschaltet, der darauf achten würde, ob das Auskunftsersuchen im Einklang mit dem deutschen Datenschutz stünde. 

Justiz

BSG – Honorarärzte: Das Bundessozialgericht verhandelt am Dienstag zu der Frage, ob Honorarärzte weiterhin als Selbständige an Kliniken arbeiten dürfen oder ob sie scheinselbständig sind. Nach Ansicht der Deutschen Rentenversicherung ist letzteres der Fall, weil sie wie die Angestellten in die klinischen Hierarchien eingebunden und deshalb sozialversicherungspflichtig seien. Verschiedene Sozialgerichte hatten in der Sache unterschiedlich geurteilt, weshalb nun ein klärendes Grundsatzurteil erwartet wird. Es berichtet SZ (Larissa Holzki/Michaela Schwinn).

BVerfG – Parteinahe Stiftungen: Auf lto.de erläutert der Wissenschaftliche Mitarbeiter Alexander Hobusch die Hintergründe eines anhängigen Organstreitverfahrens zur Finanzierung von parteinahen Stiftungen vor dem Bundesverfassungsgericht. Trotz staatlicher Zuwendungen von insgesamt 581 Millionen Euro im Jahr 2017 würden die Stiftungen noch immer nicht durch ein formelles Gesetz reguliert. Es spreche vieles dafür, dass die Stiftungen weder personell noch organisatorisch unabhängig von den Parteien seien, weshalb man eine Stiftungsfinanzierung auch als Parteienfinanzierung begreifen müsse.

OLG Koblenz zu Friedhofswerbung: Ein Werbeverbot auf Friedhöfen kann auch für Aufkleber auf Blumenvasen gelten. Dies hat das Oberlandesgericht Koblenz im Fall eines Steinmetzes geurteilt, der Vasen mit Werbung für seinen Betrieb zur kostenlosen Mitnahme angeboten hatte. Nach Ansicht des Gerichts sei er zudem unabhängig davon verantwortlich, ob er selbst oder seine Kunden die Vasen aufgestellt hätten. Der Mann sei gehalten, alles Zumutbare zu tun, um derartige Verstöße zu verhindern, weshalb aus der Pflicht zur Unterlassung auch eine Pflicht zum aktiven Tun entstehen könne, so das Gericht. Es berichtet lto.de.

OLG Köln zu Clickbait: Die Programmzeitschrift "TV Movie" muss dem Fernsehmoderator Günther Jauch 20.000 Euro zahlen, weil sie ein Foto von ihm unerlaubt als "Clickbait" verwendet hat. Dies meldet lto.de. Dabei ging es um einen Facebook-Post der Zeitschrift zu einem Bericht über die Krebserkrankung des Moderators Roger Willemsen. Daneben hatte die Zeitschrift die Bilder mehrerer anderer prominenter Moderatoren gepostet zusammen mit der Überschrift "Einer dieser TV-Moderatoren muss sich wegen Krebserkrankung zurückziehen." Nach Ansicht des Gerichts habe die Veröffentlichung des Bilds von Jauch in diesem Zusammenhang keinerlei Informationswert, sondern liege vielmehr an der Grenze zu einer bewussten Falschmeldung. Die Zeitschrift habe die Beliebtheit der anderen Moderatoren gezielt ausgenutzt, um durch die so erzeugten Klicks Werbeeinnahmen zu erzielen.

LG Hamburg zu Hells Angels-Mordanschlag: Das Landgericht Hamburg hat den Drahtzieher eines Mordanschlags auf einen Anführer der Hells Angels in Hamburg zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Dies berichten FAZ (Matthias Wyssuwa) und taz. Das Opfer war an einer Ampel auf dem Millerntorplatz von einem unbekannten Schützen aus einem Auto heraus beschossen worden und hatte nur knapp überlebt. Die Fahrerin des Autos wurde zu zwölf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Der Hauptangeklagte, der früher Mitglied der mit den Hells Angels in Konkurrenz stehenden Mongols gewesen sein soll, hatte beide aus dem Gefängnis heraus angestiftet, wo er wegen anderer Vergehen einsaß. Auf ihn und die Mitangeklagte war vor zwei Jahren ein ähnlicher, bis heute nicht aufgeklärter Anschlag verübt worden, für den beide die Hells Angels verantwortlich machten.

LG Düsseldorf – "Audi-Bande": Vor dem Landgericht Düsseldorf hat der Prozess gegen drei Männer begonnen, die als Teil der sogenannten "Audi-Bande" regelmäßig Geldautomaten aufgesprengt haben sollen. Sie sollen nachts aus den Niederlanden angereist sein und "hochprofessionell" bevorzugt in Nordrhein-Westfalen tätig geworden sein. Dabei sollen sie mehr als 600.000 Euro erbeutet haben, wie FAZ (Reiner Burger) und Welt (Kristian Frigelj) berichten.

IStGH – Flüchtlinge in Libyen: Eine Gruppe internationaler Menschenrechtsanwälte hat Verantwortliche der Europäischen Union beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angezeigt. Sie wirft ihnen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise im Mittelmeer. Die EU habe eine große Zone ohne Seenotrettungskapazitäten geschaffen und sei daher verantwortlich für den Tod Tausender Menschen durch Ertrinken. Auch fördere sie den Rücktransport Zehntausender Geflohener durch die libysche Küstenwache in Lager, in denen grauenhafte Verbrechen stattfänden. Es berichten spiegel.de (Fidelius Schmid) und taz

Externes Weisungsrecht bei Staatsanwaltschaft: Angesichts der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, nach dem deutsche Staatsanwaltschaften nicht unabhängig genug sind um einen Europäischen Haftbefehl auszustellen, befasst sich Jost Müller-Neuhof (Tsp) mit dem dieser Einschätzung zugrundeliegenden externen Weisungsrecht. Dieses habe durchaus seine Funktion, da es die parlamentarische Kontrolle verlängere. Es stelle sicher, "dass Staatsanwälte nicht aus der Rolle fallen."

Überlange Strafverfahren: Der Präsident des Oberlandesgerichts Dresden, Gilbert Häfner, hat in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur die angespannte Personallage in der Justiz und die Länge von Strafverfahren kritisiert. Dies meldet lto.de. Aufwendige Verfahren würden "ohne Ende Personal im richterlichen Bereich, aber auch bei Wachtmeistern und den Geschäftsstellen" binden, welches an anderer Stelle fehle. Vorbild für eine Verkürzung könnten Frankreich oder die Niederlande sein, wo durch das Vorlesen von früheren Vernehmungen etwa ein Mordprozess schon in ein paar Tagen zu Ende sein könne.

Recht in der Welt

Schweden – Julian Assange: Das Bezirksgericht im schwedischen Uppsala hat den Erlass eines Haftbefehls gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange abgelehnt. Die Voruntersuchungen hinsichtlich der gegen ihn erhobenen Vergewaltigungsvorwürfe sollen zwar weiterverfolgt werden, jedoch solle Assange hierfür in England befragt werden. Dort ist er derzeit wegen des Verstoßes gegen Kautionsauflagen inhaftiert. Wegen der Wikileaks-Enthüllungen haben die USA zwischenzeitlich Anklage erhoben und werfen Assange Straftaten nach dem US-Spionagegesetz vor. Es berichten spiegel.de (Sonja Peteranderl), zeit.deSZ und FAZ (Matthias Wyssuwa).

Schweiz – Caster Semenya: Das Schweizer Bundesgericht hat die Regel des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF zu Testosteron-Grenzwerten in der Frauen-Leichtathletik vorläufig ausgesetzt. Dies berichten u.a. spiegel.deSZ und FAZ (Christoph Becker). In dem Fall geht es um die südafrikanische Läuferin Caster Semenya, welche vor dem Schweizer Bundesgericht gegen eine Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofs CAS vorgeht. Dieser hatte die Grenzwert-Regelung kürzlich aufrechterhalten.  

Bulgarien – Justizreform: In einem englischsprachigen Beitrag auf verfassungsblog.de warnt der rumänische Rechtsanwalt Simeon Stoychev vor einer anstehenden Justizreform in Bulgarien. Diese diene zwar vorgeblich der Umsetzung von EU-Vorgaben und solle die Beurlaubung hoher Amtsträger bei Straftaten oder professionellem Fehlverhalten ermöglichen. Vieles spreche indes dafür, dass die Reform spezifisch gemünzt sei auf Lozan Panov, den Präsidenten des Obersten Kassationshofs. Dieser habe sich in der Vergangenheit als Kritiker von Korruption und Verteidiger der richterlichen Unabhängigkeit hervorgetan, womit er das Missfallen etwa des bulgarischen Premiers geweckt habe. Werde die Reform umgesetzt, werde Panov wohl aufgrund vermeintlichen Fehlverhaltens beurlaubt.  

Österreich – Verfassungskrise: Mit den verfassungsrechtlichen Hintergründen der jüngsten politischen Entwicklungen in Österreich befassen sich der österreichische Rechtsprofessor Konrad Lachmayer und der Wissenschaftliche Mitarbeiter Lukas Wieser in einem englischsprachigen Beitrag auf verfassungsblog.de

Sonstiges

BRAK – Zahlen zur Anwaltschaft: Die Bundesrechtsanwaltskammer hat aktuelle Zahlen zur deutschen Anwaltschaft veröffentlicht, meldet lto.de. So habe sich der Frauenanteil leicht erhöht auf nunmehr 35 Prozent, ebenso steige der Anteil an Syndikusrechtsanwälten.

Vertrauensfrage: Angesichts der Unsicherheiten um den Fortbestand der Regierungskoalition erläutern FAZ (Reinhard Müller) und Tsp (Jost Müller-Neuhof) die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen zum Herbeiführen von Neuwahlen. Grundsätzlich kenne das Grundgesetz kein Recht des Parlaments, sich selbst aufzulösen. In der Staatspraxis und mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts habe sich jedoch die Vertrauensfrage zu einem solchen Instrument entwickelt. Nach Artikel 68 Grundgesetz könne bei einer verlorenen Vertrauensfrage der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen. Das Verfassungsgericht behalte sich dabei lediglich eine Plausibilitäts- und Missbrauchskontrolle vor.

Legal Tech: Das Hbl (Heike Anger) widmet sich dem Umgang verschiedener deutscher Großkanzleien mit Legal Tech. Durch den Einsatz von Algorithmen sei es etwa möglich, auch große Mengen von Dokumenten auszuwerten.

Das Letzte zum Schluss

Im Schlaf gewandelt: Ein 37-Jähriger hatte nächtens seine Wohnung verlassen und schlafwandelte nackt durch die Kölner Innenstadt. Ein aufmerksamer Mitbürger alarmierte die Polizei, welche helfen konnte. Sie begleitete den Mann nach Hause, öffnete die ins Schloss gefallene Tür und ließ sich zu guter Letzt zur Kontrolle den Ausweis des nunmehr erwachten Mannes zeigen. Es berichtet spiegel.de.

 

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lto/mps

(Hinweis für Journalisten)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. Juni 2019: Migrationsgesetze kommen / Lebenslang für Mordversuch / Kein Haftbefehl für Assange . In: Legal Tribune Online, 04.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35737/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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