Die juristische Presseschau vom 17. Mai 2019: "Geord­nete-Rück­kehr-Gesetz" / Ver­fas­sungs­be­schwerde gegen Wirt­schafts­pakt / Auto­ma­ti­sierter Rechts­schutz

17.05.2019

Seehofer stellt "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" im Bundestag vor. Außerdem in der Presseschau: Politische Gruppen legen Verfassungsbeschwerde gegen Freihandelsabkommen EUSFTA ein und automatisierter Rechtsschutz als Rechtsdienstleistung?

Thema des Tages

"Geordnete-Rückkehr-Gesetz": Im Bundestag wurde in erster Lesung das sogenannte "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" beraten. Der von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vorgestellte Gesetzentwurf sieht unter anderem die Erleichterung und Ausweitung der Abschiebehaft und die Einführung eines neuen Duldungsstatus für Migranten vor. Ferner sollen Sozialleistungen unter bestimmten Umständen gekürzt oder gar gestrichen werden können. Breite Kritik kam von Seiten der Opposition, wie deutschlandfunk.de (Gudula Geuther), FAZ (Helene Bubrowski), die taz (Daniel Godeck) und die SZ (Constanze von Bullion) weiter berichten. So kritisierten Abgeordnete von Linken und Grünen das Gesetz als mit den Grundrechten nicht vereinbar. Zudem wurde über zwei weitere Migrationsgesetze, das Staatsbürgerschaftsgesetz und das "Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz" von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) beraten.

Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) merkt an, dass das Ziel des ersteren Gesetzes die Stärkung des sozialen Friedens sein sollte, befürchtet aber, es könnte vielmehr das Gegenteil bewirken.

Rechtspolitik

70 Jahre Grundgesetz: Anlässlich des 70-jährigen Bestehens des Grundgesetzes am 23. Mai wurde vorab in einer Bundestagsdebatte die Verfassung gewürdigt. Laut lto.de, FAZ (Eckart Lohse) und SZ (Stefan Braun) wurde dabei aber auch über eine Aktualisierung diskutiert und auf Missstände aufmerksam gemacht.

In seinem Kommentar bezeichnet Reinhard Müller (FAZ) das Grundgesetz als "zukunftsfest", mahnt aber, sich nicht darauf auszuruhen.

Digitalpakt: Der von Bund und Ländern beschlossene Digitalpakt tritt in Kraft. Wie die FAZ (Heike Schmoll) rekapituliert, war der Unterzeichnung eine Grundgesetzänderung vorausgegangen. Danach darf der Bund alle Kommunen finanziell unterstützen, "sofern dadurch die Leistungsfähigkeit der kommunalen Bildungsinfrastruktur […] gesteigert wird".

Waffengesetz: In einem Interview mit der SZ (Constanze von Bullion) erläutert der Innenminister von Niedersachsen, Boris Pistorius (SPD), die Beweggründe und die Ausgestaltung eines Messerverbots für öffentliche Räume. Über ein solches Verbot soll auf Initiative der Länder Bremen und Niedersachsen im Bundesrat am heutigen Freitag beraten werden.

E-Scooter: Laut SZ (Markus Balser) wird im Bundesrat über eine Verordnung zur Nutzung von sogenannten E-Rollern im öffentlichen Straßenverkehr entschieden. Die elektromotorisierten Roller sollen auf dem Fahrradweg fahren und gewisse Sicherheitsstandards, beispielsweise Reflektoren und Klingel, einhalten müssen. Ein Führerschein soll nicht nötig sein.

Deutscher Anwaltstag I: Seit Mittwoch findet unter dem Motto "Rechtsstaat leben" in Leipzig der 70. Deutsche Anwaltstag statt. Dabei ging es unter anderem um die rechtsstaatsfeindlichen Entwicklungen und die Rolle der Anwaltschaft in Ländern wie Polen, Ungarn und der Türkei. Auch kritische Entwicklungen in Deutschland wurden analysiert, beispielsweise mit Blick auf Auseinandersetzungen um das Wahlverfahren zum Bundesverfassungsgericht. So entstand laut lto.de (Markus Sehl) zeitweise auch der Eindruck eines "Krisengipfels" der Anwaltschaft.

Deutscher Anwaltstag II: Da die letzte Reform des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes sieben Jahre zurückliegt, fordert der Deutsche Anwaltverein (DAV) gemeinsam mit der Bundesrechtsanwaltskammer die dringende Anpassung des Gesetzes an die Tariflohnentwicklung. Wie die FAZ (Markus Jung) meldet, soll über eine solche Erhöhung der Anwaltsgebühren im Juni auf der Justizministerkonferenz der Länder beraten werden. Auf lto.de wird zudem berichtet, dass der DAV der geplanten StPO-Reform skeptisch gegenübersteht und vor "einer Aushöhlung der Beschuldigtenrechte" warnt.

Justiz

BVerfG – Freihandelsabkommen EUSFTA: Laut taz (Christian Rath) und FAZ (Marcus Jung/Hendrik Kafsack) haben die Nichtregierungsorganisationen (Non-governmental organization, NGO) Foodwatch, Campact und "Mehr Demokratie" gegen das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Singapur (EUSFTA) Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die Verfassungsidentität des Grundgesetzes sei verletzt, vor allem durch Ausschüsse mit Regelungskompetenz, die demokratisch nicht legitimiert seien. Über das EU-Only-Abkommen war im Bundestag nicht abgestimmt worden, was die NGOs jedoch für zwingend halten.

BVerwG – Kükenschreddern: Ob das betriebsmäßige Töten von männlichen Küken mit dem deutschen Tierschutzrecht vereinbar ist, entscheidet am 23. Mai das Bundesverwaltungsgericht. In der mündlichen Verhandlung ging es vor allem um die Abwägung, was ein "vernünftiger Grund" ist, "der es rechtfertigt, Tieren Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen", so die SZ (Wolfgang Janisch). Überprüft wird ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, das zwei Brutbetrieben recht gab, die sich gegen die von den Kreisverwaltungen erlassenen Untersagungsverfügungen wehrten. Es berichtet ferner die taz (Julia Springmann).

BAG zu Beschäftigungsgarantie: Wie das Bundesarbeitsgericht entschied, besteht für schwerbehinderte Arbeitnehmer keine absolute Beschäftigungsgarantie. Zwar genießen Arbeitnehmer mit einer schweren Behinderung einen besonderen Kündigungsschutz. Wird ein Betrieb allerdings derart umstrukturiert, dass der bisherige Arbeitsplatz wegfällt, muss nicht zwangsweise ein neuer geschaffen werden. Vorliegend klagte ein Schwerbehinderter, dessen Arbeitsplatz wegen eines neuen Organisationskonzepts wegfiel. Es berichtet tagesschau.de.

LG Oldenburg – Niels Högel: Im Fall des Krankenpflegers Nils Högel hat am Donnerstag die Verlesung der Plädoyers begonnen. Laut Oberstaatsanwaltschaft werden Högel 97 Morde vorgeworfen, bei drei weiteren fehlen ausreichende Indizien. Nach der ursprünglichen Klage soll Högel zwischen 2000 und 2005 in den Krankenhäusern Oldenburg und Delmenhorst 100 Patienten mit Medikamenten getötet haben. Es berichten spiegel.de (Wiebke Ramm) und die SZ (Peter Burghardt).

LSG Erfurt zu Volkspolizistenrente: Wie das Thüringer Landessozialgericht in Erfurt urteilte, müssen ehemalige Volkspolizisten der DDR mehr Rente als zuvor erhalten. Laut dem Gericht gilt das den DDR-Polizisten gezahlte Verpflegungsgeld auch als Einkommen und ist deshalb bei der Berechnung der Renten zu berücksichtigen. Geklagt hatte ein Mann, der seit 1958 bei der Volkspolizei beschäftigt war, so die SZ weiter. Bis April 2018 gab es bereits circa 3.000 entsprechende Überprüfungsanträge.

Recht in der Welt

Österreich – Kopftuchverbot: Das österreichische Parlament hat ein Verbot von Kopftüchern an Grundschulen beschlossen. Danach wird "das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung, mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist" untersagt. Das Tragen der Kippa oder der Patka fällt nicht unter das Gesetz. Lehrerinnen bleibt das Kopftuchtragen erlaubt. Es ist von Beschwerden gegen das Gesetz vor dem Verfassungsgerichtshof auszugehen, wie deutschlandfunk.de (Clemens Verekotte) ferner meldet.

Matthias Dobrinski (SZ) sieht den gewünschten Schutz von jungen Mädchen vor religiösem Fanatismus verfehlt und meint, dass vielmehr "muslimische Eltern unter Pauschalverdacht" gestellt würden. Ralf Leonhard (taz), kommentiert, das Verbot diene vor allem dem Wahlkampf der rechten FPÖ und der neokonservativen ÖVP.

Sonstiges

Belästigung in juristischen Berufen: Eine Umfrage der International Bar Association ergab, dass ein Drittel der Frauen auf juristischen Arbeitsplätzen schon einmal sexuell belästigt wurde, ebenso einer von 14 Männern, berichtet lto.de (Anja Hall). Die häufigsten Formen der Belästigung waren sexistische Kommentare (68 Prozent) oder sexuelle Anspielungen (67 Prozent). 22 Prozent der sexuell belästigten Umfrageteilnehmer waren gestreichelt, geküsst oder begrabscht worden, drei Prozent wurden sexuell missbraucht. Jede zweite Frau und jeder dritte Mann wurden außerdem im Zusammenhang mit ihrem Beruf gemobbt. An der Umfrage nahmen weltweit 7.000 Personen teil (davon 155 aus Deutschland), die in Anwaltskanzleien, Behörden, Rechtsabteilungen, in Anwaltskammern, Behörden und in der Justiz arbeiten.

Clan-Kriminalität: Aufgrund einer Gesetzesänderung zur Vermögenabschöpfung vom Juli 2017 ist es für Ermittler leichter geworden, Immobilien oder Fahrzeuge, die aus Straftaten wie Menschenhandel oder Geldwäsche stammen, einzuziehen. Dies nutzt die Berliner Staatsanwaltschaft im Kampf gegen die sogenannte Clan-Kriminalität und beschlagnahmte 77 Immobilien. Welche Probleme daraus für die in den Objekten wohnenden Mieter resultieren und warum die neue Regelung eventuell nicht mit dem Rechtstaatsprinzip vereinbar ist, wird in der FAZ (Corinna Budras/Michael Psotta) weiter dargelegt.

Weil der Staat die "Clan-Strukturen" in der organisierten Kriminalität kaum mehr beherrsche, seien solche Beschlagnahmungen jedoch nur ein "Akt der Verzweiflung", meint Corinna Budras (FAZ-Einspruch).

Automatisierter Rechtsschutz: In einem ausführlichen Beitrag befasst sich SZ.de (Wolfgang Janisch) mit dem auf Internetportalen angebotenen Rechtschutz auf Algorithmenbasis. Dabei wird sich Mitte Juni der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinandersetzen, ob es sich bei den Beratungsangeboten um "Rechtsdienstleistungen" handelt, die nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz jedoch nicht erlaubt wären. Ferner geht der Beitrag auf die wachsende Zahl von Schlichtungsverfahren und die Prozesskostenhilfe ein.

70 Jahre Grundgesetz: Privatdozent Mathias Hong schreibt in Fortsetzung der LTO-Reihe anlässlich des nun 70 Jahre alten Grundgesetzes auf lto.de über die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Dabei geht er sowohl auf ihre Geschichte als auch ihre Bedeutung und Herausforderungen in der heutigen Zeit ein und begründet, warum er sie gemeinsam mit der Meinungsfreiheit als "unbequemes Grundrecht" bezeichnet.

 

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lto/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. Mai 2019: "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" / Verfassungsbeschwerde gegen Wirtschaftspakt / Automatisierter Rechtsschutz . In: Legal Tribune Online, 17.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35437/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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