Die juristische Presseschau vom 7. Mai 2019: Alter­na­tive zur Wider­spruchs­lö­sung / Keine Immunität von Staats­ober­häup­tern / Anwalt­liche Robenpf­licht bleibt

07.05.2019

Abgeordnete machen einen Alternativvorschlag für eine Reform des Organspenderechts. Außerdem in der Presseschau: Der Internationale Strafgerichtshof sieht keine Immunität für Staatsoberhäupter und die anwaltliche Robenpflicht bleibt bestehen. 

Thema des Tages

Organspenderecht: Über den von einer fraktionsübergreifenden Gruppe von Abgeordneten eingebrachten Alternativvorschlag für eine Reform des Organspenderechts berichten die SZ (Kristiana Ludwig), die FAZ (Kim Björn Becker) und die taz (Barbara Dribbusch). Nach dem Gesetzentwurf sollen Bürger unter anderem bei der Verlängerung des Personalausweises auf die Möglichkeit einer Organspende angesprochen werden. Im Gegensatz dazu sieht ein Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn vor, dass Bürger widersprechen müssen, wenn sie keine Organspende wollen.

Christina Berndt (SZ) begrüßt den Vorstoß. Nur mit Information und Freiwilligkeit könne Organspende funktionieren. Schließlich gehe es um eine sehr persönliche Entscheidung. Barbara Dribbusch (taz) begrüßt es, dass Hausärzte eingebunden werden und mit ihren Patienten über die Organspende sprechen sollen. Auch Kim Björn Becker (FAZ) hält den Gesetzentwurf für klüger als die Widerspruchslösung. Es wäre absurd, wenn es ausgerechnet bei der Integrität des eigenen Körpers genügen soll, dass ein mutmaßlicher Wille einfach unterstellt wird.

Rechtspolitik

Einbürgerung bei Vielehe: Nach dem Willen von Bundesinnenminister Horst Seehofer sollen Personen, die in einer Vielehe leben, künftig nicht mehr eingebürgert werden. Einen entsprechenden Gesetzentwurf will das Ministerium auf den Weg bringen, wie FAZ (Helene Bubrowski) und zeit.de schreiben. Laut taz.de (Christian Rath) war ein Fall aus Baden-Württemberg der Auslöser. Ein Syrer war eingebürgert worden, später stellte sich heraus, dass er in Syrien eine zweite Frau geheiratet hat. Das Bundesverwaltungsgericht entschied im Mai 2018, dass das Bestehen einer Zweitehe zwar die privilegierte Einbürgerung als Ehegatte verhindere, nicht aber den eigenständigen Einbürgerungsanspruch nach achtjährigem rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland.

Syndikusgesetz: Das Hbl (Heike Anger) fasst die Stellungnahmen verschiedener Anwaltsorganisationen zum 2016 in Kraft getretenen Syndikusgesetz zusammen. Die berufsrechtliche Anerkennung der Syndikusanwälte wird positiv bewertet. Vorgeschlagen werden verschiedene Nachbesserungen, wie eine Ruhensregel für Sabbatical, Betriebsratstätigkeiten oder Projektarbeit oder eine Legaldefinition, wann eine Änderung des Arbeitsverhältnisses wesentlich ist.

Facebook: Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wirft in einem Gastbeitrag für das Hbl die Frage auf, ob eine Zerschlagung von Facebook geboten ist. Die Nutzer hätten wegen der marktbeherrschenden Stellung von Facebook nach wie vor keine Datenhoheit.

Justiz

VG München zu Hausverboten gegen AfD: Das Verwaltungsgericht München hat die Hausverbote der Stadt München gegen Redner der AfD bei einer Veranstaltung des Parteinachwuchses aufgehoben. Dies meldet lto.de. Es sei nicht ausreichend dargelegt worden, dass die Veranstaltung eskalieren könnte und dass Störungen von Seiten der AfD zu erwarten seien. Die Stadt teilte mit, sie werde gegen die Entscheidung keine Beschwerde beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einlegen.

OLG Braunschweig zu herabgestürztem Lautsprecher: Das Oberlandesgericht Braunschweig hat eine Klage abgewiesen, die eine Konzertbesucherin wegen einer Verletzung durch einen herabgestürzten Lautsprecher erhoben hatte. Sie habe nicht nachweisen können, welcher Musiker den Sturz des Lautsprechers verursacht habe, und die Bandmitglieder seien nicht für ein mögliches Fehlverhalten ihrer Kollegen (mit)verantwortlich. Auch eine Haftung des Gaststättenbetreibers scheide aus – er habe nicht damit rechnen müssen, dass Gegenstände von der Bühne herabfallen. Daher sei ihm nicht vorzuwerfen, dass er Tische und Stühle zu nah an der Bühne aufgebaut habe. Es berichtet lto.de.

LAG Berlin-Brandenburg zu Bildungsurlaub für Yoga-Kurs: Ein Volkshochschulkurs mit dem Titel "Yoga I – erfolgreich und entspannt im Beruf mit Yoga und Meditation" erfüllt die Voraussetzung für einen Bildungsurlaub. Ein solcher habe etwa der beruflichen Weiterbildung zu dienen, wobei dies weit zu verstehen sei. Er solle unter anderem auch der Förderung der Anpassungsfähigkeit und Selbstbehauptung unter den Bedingungen fortwährenden und sich beschleunigenden technischen und sozialen Wandels dienen. Ein Yoga-Kurs mit didaktischem Konzept könne diese Anforderung erfüllen. Es berichtet community.beck.de (Markus Stoffels).

VG Köln – AfD als "Prüffall": Nachdem verschiedene Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums trotz gerichtlichen Verbotes die AfD als "Prüffall" für den Bundesverfassungsschutz bezeichnet haben, hat die Partei weitere rechtliche Mittel angekündigt. Dies berichtet Tsp (Jost Müller-Neuhof). Das Verwaltungsgericht Köln hatte die Bezeichnung als "Prüffall" Ende Februar untersagt, da sie eine "mittelbar belastende negative Sanktion" sei, für die es keine gesetzliche Grundlage gebe.

AG Tiergarten – Deniz Yücel: Deniz Yücel wird nach einer Meldung der FAZ am Freitag vor dem Amtsgericht Tiergarten aussagen. Das zuständige Gericht in der Türkei, vor dem Yücel nach wie vor angeklagt ist, hatte im vergangenen Jahr verfügt, dass der deutsch-türkische Journalist seine Aussage auch in Deutschland tätigen kann. Der Termin findet nichtöffentlich statt.

Recht in der Welt

Spanien – Puigdemont: Der ehemalige katalanische Regierungschef Carles Puigdemont sowie zwei seiner Minister dürfen bei den EU-Wahlen kandidieren. Das hat der oberste spanische Gerichtshof entschieden, wie taz (Reiner Wandler) und spiegel.de melden. Die Entscheidung der spanischen Wahlbehörde, die Politiker nicht auf der Liste von "Lliures per Europa" (Frei für Europa) antreten zu lassen, verstoße gegen das passive Wahlrecht. Puigdemont hält sich seit November 2017 in Belgien auf. In Spanien droht ihm ein Verfahren wegen Rebellion.

Polen – Unabhängigkeit der Justiz: Die SZ (Florian Hassel) befasst sich mit dem Ringen um die Unabhängigkeit der Justiz in Polen und die Rolle des Europäischen Gerichtshofs. Neben mehreren von der EU-Kommission angestoßenen Verfahren, lägen in Luxemburg bereits mindestens zehn Anträge auf Eilentscheidungen von polnischen Richtern vor. Um Vorlagen von polnischen Gerichten mit rückwirkender Wirkung zu verhindern, habe das polnische Parlament in der Nacht auf den 27. April ein Gesetz verabschiedet.

IStGH zu Immunität von Staatsoberhäuptern: Amtierende Staatsoberhäupter können sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof nicht auf Immunität berufen. Mit dieser Entscheidung bekräftigten die Richter der Berufungskammer in Den Haag ein entsprechendes Urteil der ersten Instanz, wie FAZ (Marlene Grunert) und zeit.de berichten. In dem Fall ging es um den inzwischen abgesetzten sudanesischen Präsidenten Omar al Baschir, gegen den der Gerichtshof 2009 einen Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord in der Region Darfur erlassen hatte. Jordanien hatte Bashir 2017 unter Berufung auf dessen Immunität nicht festgenommen, als dieser zu einem Gipfeltreffen nach Amman reiste. Dies stellt ein Fehlverhalten dar, urteilte der Gerichtshof.

In einem gesonderten Kommentar schreibt Marlene Grunert (FAZ), dass die "alten Immunitätsvorstellungen zugunsten von Staats- und Regierungschefs" mit der Idee des Völkerstrafrechts unvereinbar sind. Anstatt dem Trend aus Pragmatismus entgegenzukommen hätten die Richter klar gemacht, dass ein Staatsamt nicht vor Strafe schütze.

Russland im Europarat: Die FAZ (Alexander Graser) bespricht das von den Völkerrechtlern Lauri Mälksoo und Wolfgang Benedek herausgegebene Buch "The Strasbourg Effect". Darin gehen verschiedene Experten der Frage nach, welche Auswirkungen der Beitritt Russlands zum Europarat vor rund zwanzig Jahren hatte. Das Buch stellt die Interaktion zwischen der russischen Justiz und dem Straßburger Gericht dar, enthält drei gründliche Fallstudien zu konkreten Grundrechtsfragen und beleuchtet den zeitgeschichtlichen und politischen Kontext. Die Frage nach dem "Russia Effect" auf Straßburg werde in dem Buch jedoch nur angerissen.

EGMR – Einreiseverbot für Kinder von IS-Kämpfern: Die französische Regierung ist wegen ihrer Weigerung, Kindern von französischen Dschihadisten die Rückkehr aus Syrien zu ermöglichen, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt worden. Dies meldet spiegel.de. Die Mutter der beiden Kinder hatte sich in Syrien dem IS angeschlossen und ist inzwischen in einem von Kurden verwalteten Lager im Nordosten Syriens untergebracht. Dort seien Mutter und Kinder unmenschlicher Behandlung ausgesetzt, so die Anwälte der Großeltern.

Frankreich – Mobbing vor Gericht: In Paris müssen sich sieben ehemalige Manager der französischen Telekom wegen Mobbings vor Gericht verantworten, wie Welt meldet. Sie sollen in den Jahren 2008 und 2009 bei France Télécom eine derart von Druck geprägte Atmosphäre geschaffen haben, dass 35 Mitarbeiter aus Verzweiflung Selbstmord begangen hätten. Bei dem Umbau des Unternehmens nach der Privatisierung mussten damals 22.000 der rund 120.000 Mitarbeiter gehen. Den Angeklagten drohen je bis zu einem Jahr Haft und Geldstrafen von 15.000 Euro.

Juristische Ausbildung

Reform des Jurastudiums: In der taz spricht sich Sina Aaron Moslehi, Jurastudent und Chefredakteur der studentischen Fachzeitschrift "Hamburger Rechtsnotizen" dafür aus, die Stoffmenge im Jurastudium zu reduzieren. Volljurist sein bedeute nicht "nahezu alles auf Anhieb wissen zu müssen", sondern "ein sicheres Gespür für die elementarsten Fragen der Rechtsgebiete zu besitzen und mit juristischem Handwerkszeug verschiedenste Lebenssachverhalte zu durchdringen in der Lage zu sein". Wenn man weiterhin Studierende dazu zwinge, "die nahezu unvorstellbare Stofffülle in sich reinzuprügeln", solle man sich im Klaren sein, dass ein zusätzliches Regelstudiensemester allenfalls eine Nebelkerze sein kann.

Sonstiges

Anwaltsparlament – Robenpflicht: Die anwaltliche Robenpflicht bleibt bestehen. Wie lto.de meldet, wurde ein Antrag zur Abschaffung auf der 6. Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer mit einer Mehrheit von 70 zu 2* Stimmen abgelehnt. Bereits im Vorfeld waren dem Antrag nur geringe Erfolgschancen eingeräumt worden, da viele Berufsträger großen Wert auf die Amtstracht legten. 

Petitionsrecht: Im Interview mit lto.de (Marcel Schneider) erläutert Rechtsprofessor Hartmut Bauer das Petitionsgrundrecht aus Artikel 17 Grundgesetz. Dieses flankiere den gerichtlichen Rechtsschutz und ermögliche, "auch allgemeinere Interessen durchzubringen, ohne selbst betroffen sein zu müssen und einen rechtlichen Anspruch verfolgen zu können." So habe eine Petition an den Deutschen Bundestag das Brandenburger Bombodrom, einen Truppenübungsplatz für Schießübungen, zu Fall gebracht. 

Betriebsrat und DSGVO: Auf efarbeitsrecht.de befasst sich Rechtsanwalt Tim Wybitul mit der Frage der Haftung für Datenschutzverstöße durch Betriebsratsmitglieder. Unklar sei bereits, ob nach der geltenden Rechtslage der Betriebsrat als eigener datenschutzrechtlicher Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) anzusehen sei. Empfehlenswert sei daher, die Frage der datenschutzrechtlichen Einordnung im Interesse der Rechtssicherheit in einer Betriebsverordnung zu regeln. Neben einer möglichen Haftung des Betriebsrats als Gremium für Datenschutzverstöße käme auch die Haftung einzelner Betriebsratsmitglieder in Frage. Allerdings hätten viele Datenschutzbehörden bereits klargestellt, dass Betriebsräte nicht im Fokus ihrer Ermittlungstätigkeit stehen würden.

Gedenksymposium Ernst-Wolfgang Böckenförde: verfassungsblog.de widmet dem am 24. Februar verstorbenen Ernst-Wolfgang Böckenförde ein Gedenksymposium. Privatdozentin Anna Katharina Mangold und Akademischer Rat Benjamin Rusteberg würdigen ihn als einflussreichen Verfassungsrichter, Wissenschaftler und public intellectual, dessen Beiträge auch jenseits der rechtswissenschaftlichen Disziplin und außerhalb Deutschlands Aufmerksamkeit und Anerkennung gefunden hätten. Benjamin Rusteberg erläutert anhand von vier Aufsätzen Böckenfördes der Jahre 1974 bis 2003 dessen wesentliche Positionen zu Grundrechtstheorie, Grundrechtsinterpretation und Grundrechtsdogmatik. Diese seien geprägt von dem Versuch, die Freiheit des Einzelnen ebenso zu schützen wie die politische Gestaltungsmacht des Gesetzgebers. Der Historiker Frieder Günther widmet sich den Positionen Böckenfördes in der Staatsrechtslehre. Er habe den Staat als den zuverlässigsten Freiheitsgaranten gesehen, der auch in Zukunft zur souveränen Entscheidung fähig sein müsse. Dies könne am besten erreicht werden, wenn zwischen Staat und Gesellschaft konsequent unterschieden würde. 

Sperrung von Twitter-Accounts: Nach den neuen Regeln des Nachrichtendienstes Twitter können Accounts gesperrt werden, wenn von ihnen Tweets ausgegangen sind, die "irreführend in Bezug auf Wahlen sind". Getroffen hat es nun unter anderem die SPD-Politikerin Sawsan Chebli und den Rechtsanwalt Thomas Stadler, die beide Tweets mit Bezug zur AfD abgesendet hatten. Nach Protesten wurden die Accounts inzwischen wieder freigeschaltet, schreibt die FAZ (Hendrik Wieduwilt).

In einem gesonderten Kommentar gibt Hendrik Wieduwilt (FAZ) der Politik eine Mitverantwortung für den "digitalen Stubenarrest". Der Staat lege die Rechtsdurchsetzung Stück für Stück in die Hände der Konzerne. Die Plattformen würden mit jeder Regulierung mächtiger, immer häufiger löschten sie auch legale Meinungsäußerungen.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dw/mps

*Anm. d. Red.: Fehlerhaft war zunächst vermeldet, es sei mit 70 zu 20 Stimmen entschieden worden. Das ist nicht korrekt, für eine Abschaffung der Robenpflicht gab es lediglich zwei Stimmen. Korrektur am 08.05.2019, 9:18 Uhr (pl) 

(Hinweis für Journalisten)   

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage. 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7. Mai 2019: Alternative zur Widerspruchslösung / Keine Immunität von Staatsoberhäuptern / Anwaltliche Robenpflicht bleibt . In: Legal Tribune Online, 07.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35217/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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