Die juristische Presseschau vom 16. April 2019: BVerfG ermög­licht ink­lu­sives Wahl­recht / EU-Urhe­ber­rechts­re­form be­schlos­sen / Anklage gegen Martin Win­ter­korn

16.04.2019

Das Bundesverfassungsgericht gibt u.a. Betreuten das Wahlrecht zur Europawahl im Mai. Außerdem in der Presseschau: Die EU-Urheberrechtsreform hat die Hürde des Rates genommen und Martin Winterkorn wird vor dem LG Braunschweig angeklagt.

Thema des Tages

BVerfG zu inklusivem Wahlrecht: Das Bundesverfassungsgericht hat einem Eilantrag der Bundestagsabgeordneten von Grünen, FDP und Linken stattgegeben. Demnach dürfen unter Vollbetreuung stehende Menschen sowie wegen Schuldunfähigkeit in der Psychiatrie untergebrachte Straftäter an der bevorstehenden Europawahl am 26. Mai teilnehmen. Die große Koalition hatte einen Gesetzesentwurf vorgelegt, nach dem ein inklusives Wahlrecht erst ab dem 1. Juli gelten sollte. Nach dem jetzigen Urteil sind die den Wahlausschluss regelnden Vorschriften des Europawahlgesetzes jedoch schon zur kommenden Europawahl nicht anzuwenden, wenn ein Antrag auf Eintragung ins Wählerverzeichnis gestellt wird. Insgesamt geht es um etwa 83.000 Betroffene. Das BVerfG hatte die Wahlausschlüsse im Bundestagswahlgesetz vor einigen Wochen für verfassungswidrig erklärt. Der damalige Beschluss hatte jedoch keine direkte Wirkung für das Europawahlgesetz, weshalb das jetzige Eilverfahren erforderlich wurde. Das Gericht verhandelte am Montagnachmittag, verkündete im Anschluss aber nur den Tenor seiner Entscheidung. Die Entscheidungsgründe will es in einigen Tagen veröffentlichen. Über das Urteil berichten u.a. sz.de (Wolfgang Janisch), die FAZ (Marlene Grunert), spiegel.de (Dietmar Hipp), die BadZ (Christian Rath), lto.de und die FR (Ursula Knapp).

Rechtspolitik

EU-Urheberrechtsreform: Der EU-Ministerrat hat der umstrittenen Reform des Urheberrechts zugestimmt. Während Luxemburg, die Niederlande, Polen, Italien, Finnland und Schweden dagegen stimmten und Belgien, Slowenien und Estland sich enthielten, stimmte Deutschland der Richtlinie zu und gab damit den Ausschlag. Die Bundesregierung hat jedoch eine rechtlich nicht bindende Protokollerklärung abgegeben, die die Absicht benennt, Uploadfilter im Wege des Umsetzungsgesetzes zu verhindern. Darüber schreiben taz.de (Christian Rath), netzpolitik.org (Markus Reuter/Alexander Fanta), sz.de (Karoline Meta Beisel) und die FAZ (Hendrik Wieduwilt).

In einem Kommentar kritisiert Svenja Bergt (taz) die Unentschlossenheit der Berliner Koalition, die sich auch im vagen Text der Protokollerklärung ausdrücke. Dadurch werde das Vertrauen in die Politik geschwächt. Den relativierenden Klang der Erklärung kritisiert auch Michael Hanfeld (faz.net), sie klinge, "als sei sie von Piraten, Grünen, Linken und FDP formuliert worden". Eva Fischer (Hbl) resümiert in ihrem Leitartikel, die Richtlinie sei "eine Geschichte, aus der die Gewinner am Ende als Wahlverlierer hervorgehen und die Verlierer als Helden, die gegen die 'lügenden Politiker' einfach keine Chance hatten". 

Legal Tech: Die FDP möchte mit einem Gesetzentwurf rechtssichere Bedingungen für die Arbeit von Legal-Tech-Unternehmen schaffen. Zu diesem Zweck solle das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG), aber auch die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) sowie das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) geändert werden. lto.de (Pia Lorenz) gibt einen Überblick über den Entwurf. 

Identitätstäuscher: Das Bundesinnenministerium will das Staatsangehörigkeitsgesetz derart reformieren, dass die Staatsangehörigkeit bis zu zehn Jahre nach der Einbürgerung entzogen werden kann, sofern über die Identität getäuscht wurde. Die bisherige Frist werde um fünf Jahre verlängert. Es berichten lto.de und zeit.de.

"Geordnete-Rückkehr-Gesetz": Die Bundesländer kritisieren den Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums. Sie sehen vor allem eine mögliche Aufweichung des europarechtlichen Gebots der Trennung von Abschiebehaft und normalem Strafvollzug kritisch, so zdf.de (Florian Neuhann) und die FAZ (Helene Bubrowski/Rüdiger Soldt). Das Ministerium beruft sich hingegen auf eine Ausnahmeregelung der Rückführungsrichtlinie, die für den Fall einer Kapazitätsüberlastung ein temporäres Außerkraftsetzen ermöglicht. 

Vergesellschaftung: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Maximilian Pichl befasst sich auf verfassungsblog.de mit der Kontroverse um Art. 15 Grundgesetz (GG). Durch die Berliner Initiative zur Sozialisierung großer Wohnungsunternehmen würden verfassungspolitische Handlungsspielräume für Antworten auf die Wohnungsfrage erweitert. Das Denken der Marburger Schule um den 1985 verstorbenen Rechtsprofessor Wolfgang Abendroth erlange dadurch neue Relevanz.

IT-Sicherheitsgesetz: In einem Gastbeitrag bei spiegel.de kritisiert Sven Herpig, Mitarbeiter der "Stiftung Neue Verantwortung", den Entwurf des neuen IT-Sicherheitsgesetzes. Es gehe dem Bundesinnenministerium offensichtlich nicht nur um IT-Sicherheit, sondern auch um eine Stärkung der öffentlichen Sicherheit in verhüllter Form. Dies sei "nicht ganz ehrlich und aus demokratischer Sicht schwer nachvollziehbar".

Justiz

BVerfG – Suizidhilfe: Am heutigen Dienstag und am morgigen Mittwoch verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerden gegen den § 217 Strafgesetzbuch (StGB), der seit 2015 die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung durch Vereine oder Ärzte unter Strafe stellt. Wie die taz (Barbara Dribbusch) berichtet, leiten die Beschwerdeführer aus ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Die SZ (Michaela Schwinn) portraitiert auf ihrer Seite 3 einen der Beschwerdeführer und schildert ausführlich die Vorgeschichte.

EuGH zu Dublin-Verfahren: Die Rechtsprofessorin Anna Lübbe erläutert auf verfassungsblog.de die Konsequenzen eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs zum Asylrecht von Anfang April (in englischer Sprache). Danach ist bei bereits gewährtem Schutz in einem EU-Mitgliedstaat kein neuer Antrag in einem anderen Mitgliedstaat zulässig. Lübbe gibt zu bedenken, dass die Orientierung am bevorzugten Asylstaat sekundäre Migration verhindern könnte.

BAG zu Betriebsrats-Informationsanspruch: Auf dem Handelsblatt-Rechtsboard erläutert die Rechtsanwältin Aziza Yakhloufi einen in der vergangenen Woche ergangenen Beschluss des Bundesarbeitsgerichts. Dabei ging es um die Möglichkeit der Informationsweitergabe über eine Schwangerschaft von Arbeitnehmerinnen an den Betriebsrat, wenn dieser Weitergabe zuvor durch die Arbeitnehmerin widersprochen wurde. Das BAG verwies die Sache ohne Entscheidung an das vorlegende Landesarbeitsgericht zurück.

BAG zu freiwilliger Betriebsvereinbarung: community.beck.de (Christian Rolfs) stellt eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Dezember 2018 vor. Das Gericht konkretisierte in dieser Sache die Anforderungen an die Wirksamkeit einer freiwilligen Betriebsvereinbarung.

BFH zu Firmenwagen für Ehegatten: Sixten Abeling (Hbl) greift eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs aus dem Oktober 2018 zur steuerlichen Absetzbarkeit von Aufwendungen als Betriebsausgabe auf. Unter nahen Angehörigen sei das Kriterium der "Fremdüblichkeit" zu beachten.

VG Berlin – Böhmermann/Merkel: In einem Kommentar begrüßt der Tsp (Jost Müller-Neuhof) die von Satiriker Jan Böhmermann angestrengte Unterlassungsklage gegen die Bundeskanzlerin, die heute verhandelt wird. Angela Merkel habe unüberlegt gehandelt, als sie Böhmermanns Erdoğan-Text "bewusst verletzend" nannte, und hätte ihre Äußerung zurücknehmen sollen.

LG Braunschweig – Winterkorn: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat Anklage wegen schweren Betrugs gegen den früheren VW-Chef Martin Winterkorn und vier weitere Beschuldigte erhoben. Winterkorn habe bereits seit Mai 2014 durch eine hausinterne E-Mail über die Dieselmanipulationen Bescheid gewusst und es unterlassen, diese offenzulegen und die Verwendung zu untersagen. Vielmehr habe er im November 2014 ein Softwareupdate eingeführt, das der Verschleierung der erhöhten Stickoxidwerte diente. Er selbst hatte angegeben, erst im September 2015 von den Manipulationen erfahren zu haben. Sollten die Vorwürfe in einem Strafverfahren erwiesen werden, könnte sich dies auch auf die zivilrechtlichen Gerichtsverfahren mit VW auswirken. Es berichten u.a. die FAZ (Carsten Gemis/Hendrik Wieduwilt), die Welt (Philipp Vetter), die SZ (Klaus Ott).

Sören Götz (zeit.de) und Carsten Gemis (faz.net) äußern in ihren Kommentaren übereinstimmend Zweifel am Aufklärungswillen von VW. Der Imageschaden sei schon jetzt immens, befindet Simon Hage (spiegel.de). Für Winterkorn gebe es jetzt jedoch die Möglichkeit, Verantwortungsbewusstsein zu zeigen, so Angelika Slavik (sz.de).

AG Dresden – fotografierter Haftbefehl: Laut zeit.de und spiegel.de hat die Dresdener Staatsanwaltschaft Anklage wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen gegen einen Justizbeamten erhoben, der im August 2018 einen Haftbefehl fotografiert und in einer Chatgruppe verbreitet haben soll. Der Haftbefehl stand im Zusammenhang mit der Tötung eines Mannes in Chemnitz und war unter anderem vom Pegida-Mitgründer Lutz Bachmann verbreitet worden.

Recht in der Welt

USA – Mueller-Bericht: Wie zeit.de meldet, plant das US-Justizministerium, den Bericht zur möglichen Verstrickung der Wahlkampagne Donald Trumps mit russischen Stellen am Donnerstag in redigierter Fassung zu veröffentlichen.

USA – Patentstreit: In den USA beginnt die nächste Episode eines milliardenschweren Patentprozesses zwischen Apple und Qualcomm. Dabei wirft Apple Qualcomm vor, für gehaltene Patente überhöhte Lizenzgebühren verlangt zu haben, so faz.net (Roland Lindner). Qualcomm habe viel zu verlieren, letztlich gehe es um die Zukunft des Unternehmens, meint Roland Lindner (FAZ) in einem separaten Kommentar.

Türkei – Repression gegen Anwälte: Das Hbl (Heike Anger/Ozan Demircan) berichtet von Hunderten strafrechtlicher Verfahren gegen Rechtsanwälte im Anschluss an den gescheiterten Putschversuch 2016. Staatsanwälte schauten sich die Klienten von Kanzleien an und erhöben auf dieser Grundlage Anklage gegen die Anwälte. Besorgt über die Rechtsstaatlichkeit äußerte sich Stefan von Raumer, Mitglied im Ausschuss des Deutschen Anwaltvereins für Menschenrechte.

Sonstiges

EU-Justizbehörde: In der FAZ (Michael Stabenow) äußert sich der Präsident von Eurojust, Ladislav Hamran, über die koordinatorischen Aufgaben und die finanziellen Sorgen seiner Behörde.

Schirach-Verfilmung: Das Romandebüt "Der Fall Collini" des Strafverteidigers Ferdinand von Schirach ist verfilmt worden. Schauspieler Elyas M'Barek spielt darin einen Rechtsanwalt, der mit der Frage konfrontiert wird, warum Menschen töten. lto.de liefert eine Rezension des Films.

Medienverantwortung: In einem Gastbeitrag für deutschlandradio.de befasst sich Heribert Prantl mit unsauberer Berichterstattung im Zusammenhang mit Rechtsextremismus. Hass und Hetze verdienten "genaueste Beobachtung, subtile Einordnung und konsequente Bestrafung".

Das Letzte zum Schluss

Sammelwut: Weil die Eltern seine umfangreiche Pornografie-Sammlung weggeworfen haben, prozessiert ein 40-Jähriger jetzt in den USA. Die Sammlung enthalte wertvolle, jahrzehntealte Filme. Deshalb sollten ihm die Eltern 87.000 Dollar Schadensersatz zahlen, meldet unter anderem spiegel.de. Der Vater hingegen äußerte, er habe seinem Sohn einen Gefallen getan.

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lto/jng

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. April 2019: BVerfG ermöglicht inklusives Wahlrecht / EU-Urheberrechtsreform beschlossen / Anklage gegen Martin Winterkorn . In: Legal Tribune Online, 16.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34925/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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