Die juristische Presseschau vom 9. April 2019: Ver­fah­rens­ein­stel­lung "Zen­trum für poli­ti­sche Schön­heit" / Dis­kus­sion über Ver­ge­sell­schaf­tungen / Pflege-Oma ver­ur­teilt

09.04.2019

Das Verfahren um das "Zentrum für politische Schönheit" wird nach Protesten eingestellt. Außerdem in der Presseschau: Diskussion um Vergesellschaftung von Wohnraum und "Pflege-Oma" wegen Totschlags zu langer Haft verurteilt.

Thema des Tages

StA Gera – Ermittlungen gegen "Zentrum für politische Schönheit": Die Ermittlungen gegen den Aktionskünstler der Gruppe "Zentrum für politische Schönheit" Philipp Ruch, wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Strafgesetzbuch, sind mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellt worden. Dies berichten u.a. lto.de (Markus Sehl), netzpolitik.org (Markus Reuter), SZ (Cornelius Pollmer), taz (Dominik Baur) und Welt (Claus Christian Malzahn).  Anlass für die seit 16 Monaten laufenden Ermittlungen war eine Aktion der Gruppe gewesen, bei der sie in der Nachbarschaft des AfD-Politikers Björn Höcke einen Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals eröffnet und behauptet hatte, den Politiker auszuspähen. Dieser hatte zuvor seinerseits das Mahnmal als "Denkmal der Schande" bezeichnet. In der letzten Woche war bekannt geworden, dass der leitende Staatsanwalt Martin Zschächner selbst der AfD nahesteht und der Partei Geld gespendet hatte. Der Mann werde nun auf eigenen Wunsch mit anderen Aufgaben in der Staatsanwaltschaft betraut und auch nicht weiter als deren Pressesprecher tätig sein, so eine Pressemitteilung des Justizministeriums. 

Die FAZ (Marlene Grunert) verweist auch auf eine Reihe anderer fragwürdiger Entscheidungen Zschächners in früheren Verfahren. So habe er Volksverhetzungs-Verfahren zu rassistischen und antisemitischen Äußerungen aus fadenscheinigen Gründen eingestellt, gleichzeitig aber aggressiv Verfahren gegen linke Aktivisten geführt. Ein ehemaliger Kommilitone des Mannes, selbst Richter in Baden-Württemberg, wird mit den Worten zitiert, der Staatsanwalt sei bereits zu Studienzeiten "rechtsaußen" gewesen und "mit Staatsmacht ausgestattet eine Gefahr."

Kia Vahland (SZ) sieht in der Verfahrenseinstellung einen Sieg für die Kunstfreiheit und die politische Vernunft. 

Rechtspolitik

Grundgesetz und Vergesellschaftung: Anlässlich eines Volksbegehrens in Berlin zur Vergesellschaftung von Wohnraum erläutern SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath) und StZ (Christian Gottschalk) die entsprechenden verfassungsrechtlichen Anforderungen. Artikel 15 Grundgesetz erlaube eine Vergesellschaftung, sofern eine Entschädigung gezahlt werde, sei jedoch – anders als der für eine Enteignung maßgebliche Artikel 14 – in der Praxis noch nie zur Anwendung gebracht worden. Die Höhe der Entschädigung müsse sich dabei nicht notwendigerweise am Verkehrswert der Grundstücke orientieren, sondern sei unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Umstritten sei aber, ob eine Vergesellschaftung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müsse.

In einem separaten Kommentar weist Christian Gottschalk (StZ) darauf hin, dass in diesem Fall eine Vergesellschaftung wohl kaum verhältnismäßig sei. Das Repertoire der anderen Möglichkeiten, um bezahlbaren Wohnraum zu gewährleisten, sei noch lange nicht ausgeschöpft.

EU – Terrorinhalte: Der federführende Ausschuss im EU-Parlament hat am Montag über einen Gesetzentwurf zur Löschung von terroristischen Inhalten im Netz beraten. Künftig solle eine einstündige Löschpflicht gelten, innerhalb derer jegliche Online-Anbieter derartige Inhalte sperren oder löschen müssten. Dies könne zu einer praktisch verpflichtenden Verwendung von Upload-Filtern führen, auch wenn diese nicht explizit im Entwurf vorgesehen seien, so netzpolitik.org (Thomas Rudl). 

Justiz

EGMR – MH-17-Absturz: Die Angehörigen der Opfer des Absturzes des Flugs MH-17 haben vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde gegen Russland eingelegt. Dies meldet lto.de. Sie werfen dem Land vor, direkt oder indirekt für den Abschuss der Maschine in der Ostukraine im Juli 2014 verantwortlich zu sein. Mehrere internationale Ermittlungen hatten ergeben, dass das beim Abschuss verwendete Raketensystem der Ausrüstung des russischen Militärs zuzuordnen sei. 

LG Heilbronn zu Pflege-Oma: Das Landgericht Heilbronn hat eine 70-Jährige zu zehneinhalb Jahren Haft wegen Totschlags an einem siebenjährigen Jungen verurteilt, auf den sie über Jahre immer wieder aufgepasst hatte. Dies melden SZ (Moritz Geier), FAZ (Rüdiger Soldt) und spiegel.de. Die Staatsanwaltschaft hatte nach einer ursprünglichen Anklage wegen Totschlages schließlich eine Verurteilung wegen Mordes gefordert, weil die Frau aus Verlustängsten und damit aus niedrigen Beweggründen gehandelt habe. Das Gericht ging hingegen davon aus, dass sie überlastet und aufgewühlt gewesen sei. Es konnte darüber hinaus nicht ausschließen, dass sie zur Tatzeit möglicherweise in ihrer Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei. Die Angeklagte hatte angegeben, sich an die Ereignisse nicht mehr erinnern zu können.

LG Bremen zu Totschlag in Silvesternacht: Das Landgericht Bremen hat zwei Männer wegen Totschlags an einem 15-jährigen Syrer in der Silvesternacht 2016/2017 zu je zwölf Jahren Haft verurteilt. Ein weiterer Mann, der zur Tatzeit 16 Jahre alt war, wurde zu sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt. Die Tatzeugen hätten sich größtenteils unkooperativ mit dem Gericht gezeigt und auf vermeintliche Gedächtnislücken und Alkoholkonsum verwiesen. Es berichten taz (Klaus Wolschner) und spiegel.de.

OLG Frankfurt zu Behandlungsrisiko: Die Aussage, bei einer Operation könne es "vereinzelt" zu Komplikationen kommen, ist kein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht, auch wenn das Risiko tatsächlich bei 20 Prozent liegt. Laut Oberlandesgericht Frankfurt bewege sich eine solche Äußerung noch im Rahmen des allgemeinen Sprachgebrauchs, wie FAZ (Constantin van Lijndnen) berichtet. Ein entsprechender Schadensersatzanspruch sei daher abgelehnt worden. Für die ärztliche Beratung gelte insbesondere nicht die für Beipackzettel verwendete Terminologie, nach welcher schon ein Risiko von einem Prozent als "häufig" bezeichnet werden müsse.  

OVG Rheinland-Pfalz – Burkini-Verbot: Eine Muslima hat vor dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz einen Normenkontrollantrag gegen das Koblenzer Burkini-Verbot gestellt. Das Verbot verletze sie in ihrer Glaubens- und allgemeinen Handlungsfreiheit und verstoße überdies gegen den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Es berichtet lto.de

LG Karlsruhe zu Strafbarkeit von Darknet-Plattformbetreibern: community.beck.de (Jörn Patzak) erläutert ein Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom Dezember 2018 zur Strafbarkeit des Betreibers einer Plattform im sogenannten Darknet. Das Gericht hatte den Mann wegen Beihilfe zum unerlaubten Werben mit Betäubungsmitteln verurteilt. Er habe durch die Schaffung der Unterkategorien auf der Website und die Freischaltung des jeweiligen Werbetextes einen wesentlichen Tatbeitrag geleistet.

LG München II zu "Sparkassen-Affäre": Das Landgericht München II hat die zwei Hauptverantwortlichen in der sogenannten "Sparkassen-Affäre" wegen Untreue verurteilt. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Miesbach-Tegernsee, Georg Bromme, wurde zu achtzehn Monaten, der frühere Vorsitzende des Verwaltungsrats der Sparkasse, Landrat Jakob Kreidl (CSU), zu elf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. In dem Verfahren ging es um Feiern, Fahrten und Geschenke, welche keinen unmittelbaren Bezug zur Geschäftstätigkeit der Kreissparkasse aufgewiesen haben. Vom Vorwurf der Vorteilsgewährung beziehungsweise Vorteilsannahme wurden die Angeklagten indes freigesprochen. 

Sonstiges

Dienstlicher E-Mail-Account: Im Handelsblatt-Rechtsboard erläutert Rechtsanwalt Markus Diepold die Voraussetzungen, unter welchen ein Arbeitgeber den dienstlichen E-Mail-Account eines Arbeitnehmers kontrollieren darf. Bei einer ausschließlich dienstlichen Nutzung habe der Arbeitgeber ein umfassendes Einsichtsrecht. Sei jedoch auch eine Privatnutzung zugelassen, stiegen die datenschutzrechtlichen Anforderungen, ließen eine Einsicht aber etwa bei Verdacht einer Straftat im Arbeitsverhältnis zu.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mps

(Hinweis für Journalisten) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage. 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. April 2019: Verfahrenseinstellung "Zentrum für politische Schönheit" / Diskussion über Vergesellschaftungen / Pflege-Oma verurteilt . In: Legal Tribune Online, 09.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34809/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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