Die juristische Presseschau vom 19. März 2019: Pro­zess um Chemnitzer Mes­ser­an­griff / Kopf­tuch im Gerichts­saal / Tschet­sche­ni­scher Men­schen­rechts­ak­ti­vist ver­ur­teilt

19.03.2019

Das Landgericht Chemnitz verhandelt über die tödliche Messerattacke im Sommer 2018. Außerdem in der Presseschau: Der Bayerische Verfassungsgerichtshof zu religiösen Symbolen im Gerichtssaal und Menschenrechtsaktivist in Tschetschenien verurteilt.

Thema des Tages

LG Chemnitz – Prozess um Messerangriff: Vor dem Landgericht Chemnitz hat der Prozess um einen tödlichen Messerangriff im Sommer 2018 in Chemnitz begonnen. Der Fall hatte besondere Aufmerksamkeit erlangt, weil es im Nachgang zum gewaltsamen Tod des Deutsch-Kubaners zu einem Aufmarsch von Rechtsradikalen in der Stadt gekommen war, weil die Täter mutmaßlich zwei Flüchtlinge waren. Es berichten u.a. SZ (Annette Ramelsberger), FAZ (Stefan Locke), taz (Konrad Litschko), spiegel.de (Beate Lakotta) und Welt (Gisela Friedrichsen).

Vor Gericht steht nur einer von beiden, der zweite ist flüchtig. Die Verteidigung warnte vor politischer Einflussnahme auf das Verfahren und verwies dabei auf eine Äußerung der Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD), wonach diese auf eine Verurteilung hoffe. Zu Beginn richtete die Verteidigung einen Fragenkatalog an die Richter und Schöffen, um etwa deren Haltung zur Flüchtlingspolitik, eine mögliche Mitgliedschaft in der AfD oder eine Teilnahme an Demonstrationen von Pegida herauszufinden. Die Staatsanwaltschaft hielt einen Teil der Fragen für berechtigt, das Gericht stellte den Antrag zunächst zurück. Der erste Zeuge konnte dabei den Angeklagten nicht als Täter identifizieren. Der Prozess findet aus Sicherheitsgründen nicht in Chemnitz statt, sondern im Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Dresden. 

Reinhard Müller erinnert im Leitartikel der FAZ daran, dass es sich bei dem Verfahren trotz möglicher politischer Erwartungen um einen Strafprozess handele, bei dem es lediglich um den konkreten Tatvorwurf gegen den Angeklagten gehe. Dennoch stehe auch die Stadt Chemnitz selbst vor Gericht, da sie zum Synonym etwa für Fremdenfeindlichkeit geworden sei. Gisela Friedrichsen (Welt) hält die Anklage für lückenhaft, die Tat dürfe nur schwer aufzuklären sein. Es fehle "an allem was die hysterische Reaktion auf die Tat und den Druck auf das Verfahren rechtfertigen könnte."

Rechtspolitik

Urheberrechtsreform: Der Vorschlag aus der CDU, Upload-Filter künftig auf nationaler Ebene zu untersagen, erntet Kritik. So führen Netzaktivisten an, dass eine derartige Fragmentierung in der EU nicht vorkommen solle, schreibt SZ (Jannis Brühl). Auch Grüne und FDP riefen die Bundesregierung auf, die befürchtete Pflicht zur Verwendung von Upload-Filtern auf europäischer statt auf nationaler Ebene zu verhindern, berichtet lto.de

Glücksspiel: Die Ministerpräsidenten der Länder wollen am Donnerstag den Dritten Glücksspieländerungsstaatsvertrag unterzeichnen, wie SZ (Jan Willmroth) berichtet. Hiernach müssen die Anbieter Auflagen zum Jugendschutz und zur Suchtprävention erfüllen sowie ein monatliches Einsatzlimit von 1.000 Euro einhalten.

Schwarzfahren: In der taz spricht sich Finn Holitzka für eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens aus, welches danach lediglich als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden solle. Insbesondere die Ersatzfreiheitsstrafe für Zahlungsunfähige sei unverhältnismäßig und mit 200 Millionen Euro Kosten bundesweit pro Jahr zu teuer.

Justiz

BayVerfGH zu Kopftuchverbot: Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat das Verbot des Tragens religiöser Symbole im Gerichtssaal für Richterinnen und Richter in Bayern bestätigt, melden lto.de und zeit.de. Das Verbot folge aus der staatlichen Neutralitätspflicht. Dabei vermochte das Gericht keine Ungleichbehandlung in der Tatsache erkennen, dass in vielen bayerischen Gerichten ein Kreuz als christliches Symbol zu finden ist. Die Ausstattung der Räume sei Angelegenheit der Gerichtsverwaltung und nicht geeignet, Zweifel an der richterlichen Unabhängigkeit und Neutralität zu wecken. Auch eine Diskriminierung von Frauen liege nicht vor, da nicht nur Kopftücher von der Vorschrift umfasst seien, sondern auch typisch männliche Kleidungsstücke wie die Kippa.  

BGH – Schenkung: Der Bundesgerichtshof verhandelt am heutigen Dienstag zur Frage, inwieweit ein Zuschuss für einen Immobilienkauf durch die Eltern einer Lebensgefährtin nach Ende der Beziehung zurückgefordert werden kann. Nach einem Grundsatzurteil des BGH im Jahr 2010 sei bei ehelichen Schenkungen der Fortbestand der Ehe "Geschäftsgrundlage." Werde dieser Zweck verfehlt, löse dies Erstattungsansprüche aus, so SZ (Wolfgang Janisch). Fraglich sei nun, ob diese Grundsätze auch auf nichteheliche Lebensgemeinschaften anwendbar seien.

BVerfG zu "Streikbrecherparagraph": Das Bundesverfassungsgericht hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Anwendung des sogenannten "Streikbrecherparagraphen" des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) abgelehnt. § 11 Abs. 5 S.1 AÜG verbietet den Einsatz von Leiharbeitern, wenn der Entleiherbetrieb unmittelbar von einem Arbeitskampf betroffen ist. Die Beschwerdeführerin sieht hierin einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Unternehmerfreiheit. Das BVerfG hielt die Verfassungsbeschwerde zwar weder für unzulässig noch offensichtlich unbegründet, nahm jedoch in einer Folgenabwägung an, dass eine vorläufige Aussetzung des Vollzugs der angegriffenen Vorschrift nicht geboten sei. Es berichtet community.beck.de (Markus Stoffels)

OLG Frankfurt/M. zu Leihmutterschaft: Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. hat es einer Frau erlaubt, ihr von einer ukrainischen Leihmutter ausgetragenes Kind zu adoptieren. Das Kind war aus der Eizelle der Frau und dem Samen ihres Mannes gezeugt worden. Die Ukrainerin gelte zwar nach deutschem Recht als Mutter, die Annahme als Kind sei jedoch nicht zu beanstanden, so das OLG. Die Vorinstanz hatte demgegenüber noch ausgeführt, dass die Leihmutterschaft eine "gesetzeswidrige Vermittlung" sei, weshalb die Adoption nur dann zulässig sei, wenn es das Kindeswohl unbedingt erfordere. Es berichtet Tsp (Jost Müller-Neuhof)

AG München zu Verzögerung am Check-In: Wegen einer langen Schlange am Check-In verpasste eine vierköpfige Familie den All-Inclusive-Urlaub. Wie lawblog.de berichtet, sprach ihnen das Amtsgericht München hierfür Schadensersatz zu. Dieser sei jedoch um 50 Prozent gekürzt worden: Nach der fast anderthalbstündigen Wartezeit hätten die Reisenden einen Mitarbeiter fragen können, anstatt sehenden Auges den Flug zu verpassen. Unzumutbar sei es jedoch, von den Reisenden zu verlangen, mit ihrem Gepäck an der Schlange vorbeizugehen, um den Flug noch zu ereichen. Ein solches Verhalten werde zumeist als sozial unerwünscht wahrgenommen. 

BFH zu Gemeinnützigkeit: Im Hbl bespricht Rechtsprofessorin Johanna Hey das Urteil des Bundesfinanzhofes zur Organisation Attac. Der BFH hatte deren fehlende Gemeinnützigkeit damit begründet, dass sich Attac aktiv in die Tagespolitik einmische und dabei eigene politische Ziele verfolge. Mit dem Urteil habe das Gericht sichergestellt, dass die sehr restriktiv geregelte steuerliche Abzugsfähigkeit von Spenden an politische Parteien nicht unterlaufen werde, so Hey. Wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) meldet, wird die Organisation Campact in Reaktion auf das Attac-Urteil ab sofort keine Spendenbescheinigungen mehr ausstellen. Hiermit folge man dem Rat von Steuerberatern und Anwälten. 

Recht in der Welt

Neuseeland – Waffengesetze: Das Kabinett Neuseelands hat angekündigt, die Waffengesetze des Landes verschärfen zu wollen. Dies melden SZ, FAZ (Till Fähnders) und taz (Urs Wälterlin). Hiermit solle auf den rassistisch motivierten Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch reagiert werden, bei dem über 50 Personen getötet wurden. Der mutmaßliche Täter verfügte über einen Waffenschein und hatte mindestens vier Waffen sowie Munition legal über das Internet bestellt. 

Russland – Menschenrechtsaktivist verurteilt: In der russischen Republik Tschetschenien ist der bekannteste Menschenrechtsaktivist der Region, Ojub Titijew, wegen Besitzes von Marihuana zu vier Jahren Straflager verurteilt worden. spiegel.de (Christine Hebel) weist auf eine Vielzahl von Widersprüchen im Prozess hin, welche das Gericht übergangen habe. Inszenierte Drogenfunde seien für das tschetschenische Regime ein beliebtes Mittel, um Kritiker loszuwerden. Wahrscheinlich habe keiner der Prozessbeteiligten daran geglaubt, dass der gläubige Muslim, der weder rauche noch trinke, die Tat wirklich begangen habe, so SZ (Silke Bigalke) – "vielleicht nicht mal die Richterin selbst." Auch FAZ (Friedrich Schmidt) und zeit.de berichten.

Russland- "Fake News"-Gesetz: Der russische Präsident Wladimir Putin hat zwei umstrittene Mediengesetze unterzeichnet, welche u.a. das Verbreiten von Falschinformationen verbieten sollen. Kritiker wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sehen hierin eine Gefahr für die Meinungsfreiheit, da es der Ansicht der Staatsanwaltschaft überlassen sei, was eine Falschinformation darstelle. Es berichten spiegel.de und zeit.de

Sonstiges

Bodycams: Im Interview mit der SZ (Ronen Steinke) zweifelt Rechtsprofessor Christoph Gusy am Beweiswert der durch Bodycams gemachten Aufnahmen. Diese Kameras würden nur sehr einseitig Beweismittel erheben, da mit ihnen lediglich die Person gefilmt werde, mit welcher die Polizei konfrontiert werde. Die Polizisten selbst sehe man nicht. Das Verhalten des Betroffenen lasse sich aber erst richtig würdigen, wenn man die Umstände kenne. 

Das Letzte zum Schluss

Ehrlichkeit lohnt sich: Einen saftigen Finderlohn von 640 Euro erhielt das ehrliche Ehepaar, welches in Viernheim (Hessen) eine Schreibmappe mit Bargeld auf der Straße fand. Anhand der geschäftlichen Unterlagen konnte der Besitzer, ein Geschäftsmann aus dem Ort, ausfindig gemacht werden. Er hatte die Mappe auf das Dach seines Autos gelegt und dies beim Losfahren vergessen. Sie enthielt 20.840 Euro in bar, meldet Welt.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mps

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. März 2019: Prozess um Chemnitzer Messerangriff / Kopftuch im Gerichtssaal / Tschetschenischer Menschenrechtsaktivist verurteilt . In: Legal Tribune Online, 19.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34441/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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