Die juristische Presseschau vom 3. Januar 2019: Abschie­bung aus­län­di­scher Straf­tä­ter / Umfrage zur Über­­las­tung der Justiz / Ken­geter-Ver­fahren ein­ge­s­tellt

03.01.2019

Seehofer fordert erneut die schnellere Abschiebung von straffälligen Ausländern. Außerdem in der Presseschau: Personalmangel in der Justiz und das Verfahren gegen den Ex-Deutsche-Börse-Chef Kengeter wird gegen Geldauflage eingestellt.

Thema des Tages

Abschiebungen von Straftätern: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat nach Prügelangriffen von vier jugendlichen Asylbewerbern im bayrischen Amberg gegenüber bild.de die schnellere Abschiebung von straffällig gewordenen Ausländern gefordert. Die SZ (Bernd Kastner) erläutert aus diesem Anlass die geltende Rechtslage. Grundsätzlich sei eine Abschiebung möglich, wenn eine Person zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden sei. Bei bestimmten Katalogtaten wie Körperverletzung oder Sexualdelikten reiche auch eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, selbst wenn diese zur Bewährung ausgesetzt wurde. Hinzu trete jedoch stets eine Einzelfallprüfung, bei der zwischen den Schutzinteressen des Ausländers und dem Interesse an öffentlicher Sicherheit und Ordnung abgewogen werden müsse. 

Constanze von Bullion (SZ) kritisiert die Forderung Seehofers. Zwar müsse niemand trauern, wenn Gewalttäter das Aufenthaltsrecht in Deutschland verlieren würden, die bisherige Gesetzeslage reiche dafür jedoch aus. Auch Frank Specht rät im Hbl dazu, "den Schaum vor dem Mund trocknen und die Dinge ein wenig sacken zu lassen". Das Abschieberecht sei scharf genug, es bedürfe nur einer personell ausreichend ausgestatteten Justiz, um es auch konsequent zur Anwendung kommen zu lassen. Jasper von Altenbockum verweist im Leitartikel der FAZ auf den Missstand, dass eine rechtlich mögliche Abschiebung von straffällig gewordenen Ausländern in der Praxis oft an fehlenden Papieren scheitere.

Rechtspolitik

Europäische Verbandsklage: In einem Gastbeitrag für lto.de stellen Rechtsanwalt Maximilian Degenhart und Rechtsreferendarin Hannah Seifert die geplante europäische Verbandsklage vor. Diese würde einer amerikanischen "class action" ähneln und die kollektive Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ermöglichen. Darin gehe sie insbesondere über die kürzlich in Deutschland eingeführte Musterfeststellungsklage hinaus. Klagebefugt sollen allerdings nur solche Einrichtungen sein, die auch im Fall einer gerichtlichen Niederlage in der Lage seien, die Gerichtskosten zu tragen.     

Intersexualität: Im Leitartikel der Zeit begrüßt Jochen Bittner das zum 1. Januar 2019 in Kraft getretene Gesetz für Intersexuelle. Hiernach können Personen, die biologisch zwischen den Geschlechtern stehen, künftig im Geburtenregister als "divers" eingetragen werden. Die geänderte Rechtslage ermögliche es diesen Personen möglicherweise, "einen oft steinigen Lebensweg leichter zu ertragen".   

Betriebliche Altersversorgung: Rechtsanwalt Thomas Frank stellt im Handelsblatt-Rechtsboard das Gesetz zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie vor, das zahlreiche Änderungen für die betriebliche Altersversorgung mit sich bringe. So würden etwa Anwartschaften auch nach dem Ausscheiden einer Anpassung unterliegen.

Nachrichtendienstliches Trennungsgebot: In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt es Bestrebungen, das Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizei aufzuheben, meldet die Welt. Dieses sei nicht mehr zeitgemäß, wird der Innenpolitiker Marian Wendt (CDU) zitiert. Polizisten sollten künftig leichteren Zugriff auf Geheimdienstinformationen erhalten können, um beispielsweise zu erfahren, ob eine im Wege der Identitätsfeststellung kontrollierte Person als Gefährder eingestuft werde. Das Trennungsgebot ist eine Folge der Verbrechen der Gestapo im Nationalsozialismus und der Stasi in der DDR. Es verbietet den Austausch von Daten zwischen Geheimdiensten und der Polizei sowie die Vornahme polizeilicher Aufgaben durch die Geheimdienste.    

Justiz

Überlastung der Justiz: Die deutsche Justiz arbeitet vielerorts an der Belastungsgrenze. Dies ergibt eine neue Umfrage, über die lto.de, SZ und FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichten. Viele Berufseinsteiger würden Positionen in der Wirtschaft solchen in der Justiz vorziehen. Überdies würden Strafverfahren zunehmend komplexer und dauerten länger, und eine anstehende Pensionierungswelle verschärfe die ohnehin bestehende Personalknappheit weiter. Zwar hätten mehrere Länder bereits neue Jobs geschaffen, dies reiche jedoch nicht aus. Auch im letzten Jahr hätten etwa Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, da ihnen nicht fristgerecht der Prozess gemacht werden konnte. Zudem sei die Finanzierung der eigentlich im "Pakt für den Rechtsstaat" versprochenen 2.000 Stellen für die Justiz noch nicht geklärt. 

StA Frankfurt/M.  Carsten Kengeter: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat das Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter gegen eine Zahlung von 4,75 Millionen Euro eingestellt. Dies melden u.a. spiegel.de und Tsp. Ihm waren Insidergeschäfte vorgeworfen worden. Er hatte im Dezember 2015 für 4,5 Millionen Euro Aktien der Deutschen Börse gekauft, zwei Monate bevor deren Fusionspläne mit der Londoner Börse LSE öffentlich gemacht wurden. Diese sind zwar inzwischen gescheitert, hatten zwischenzeitlich jedoch die Kurse getrieben. Kengeter bestreitet, von den Plänen vorher gewusst zu haben. Die von ihm investierten 4,5 Millionen Euro wurden im Wege der Vermögensabschöpfung eingezogen, hinzu trat eine Geldzahlung von 250.000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung. 

VG Köln  5G-Vergabe: Nach Telefónica (O2) und Vodafone hat auch die Telekom Klage gegen die Regeln für die Frequenzvergabe beim kommenden Mobilfunkstandard 5G eingereicht, wie nun auch die taz (Finn Mayer-Kuckuk) meldet. In den kommenden Monaten versteigert die Bundesnetzagentur diese Frequenzen, macht dabei jedoch strenge Vorgaben an potentielle Bieter. Die drei klagenden Telekommunikations-Unternehmen halten diese für zu hoch. Sie würden Rechtsunsicherheit schaffen und seien kontraproduktiv.

Finn Mayer-Kuckuk merkt in einem separaten Kommentar in der taz an, dass es zwar das gute Recht der Unternehmen sei, gegen die Vergaberegeln zu klagen. Schlussendlich sollten sie aber dankbar dafür sein, dass sie durch diese "zur Wettbewerbsfähigkeit gezwungen" würden. Dieter Fockenbrock meint im Hbl, dass angesichts der Bedenken der privaten Telekommunikationsunternehmen dem 5G-Ausbau "mehr Staat gut täte", schließlich sei das 5G-Netz ein öffentliches Gut.   

Recht in der Welt

Japan  Walfang: Der Wissenschaftliche Mitarbeiter Valentin Schatz erläutert auf lto.de die Hintergründe des Austritts Japans aus der internationalen Walfangkonvention. Das Land hatte bereits in der Vergangenheit trotz eines Moratoriums kommerziellen Walfang betrieben, indem es von einer Ausnahme für Walfang zu wissenschaftlichen Zwecken Gebrauch machte. Mit dem nun erklärten völkerrechtlich zulässigen Austritt aus der Konvention werde "das bisherige Versteckspiel hinfällig". 

Österreich  "Ehe für alle": Seit dem 1. Januar 2019 ist in Österreich die Eheschließung auch für gleichgeschlechtliche Paare möglich, berichtet SZ (Peter Münch). Hintergrund sei die entsprechende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs aus dem Dezember 2017. Die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ hätten das Urteil indes nur widerwillig umgesetzt. 

Ungarn  Verwaltungsgerichte: Auf verfassungsblog.de befasst sich Rechtsprofessorin Renata Uitz (in englischer Sprache) mit dem Vorhaben der ungarischen Regierung zur Schaffung eines neuen Zweigs der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dessen Besetzung sei vom Justizminister handverlesen, seine Zuständigkeit sei weitreichend und werde voraussichtlich auch Fragen des Wahlrechts umfassen. 

Brasilien  Indigene Völker: Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat der neue brasilianische Präsident Jair Bolsonaro die Zuständigkeit für den Schutz der Gebiete von indigenen Völkern vom Justizministerium auf das Landwirtschaftsministerium übertragen. Dies berichten focus.de und zeit.de. Dieses wird von der ehemaligen Agrarlobbyistin Tereza Cristina Corrêa da Costa Dias geführt, die Forderungen der indigenen Völker ablehnt und die Schutzgebiete wirtschaftlich nutzen möchte.

Sonstiges

70 Jahre Grundgesetz: Angesichts des 2019 anstehenden 70. Geburtstages des Grundgesetzes bespricht der emeritierte Rechtsprofessor und ehemalige Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) in einem Gastbeitrag in der FAZ dessen Vorzüge sowie den Reformbedarf. Positiv sei die gesellschaftspolitische Offenheit der Verfassung, die beispielsweise keine bestimmte Wirtschaftsordnung vorschreibe. Negativ zu bewerten sei jedoch der Föderalismus, der "zu allzu viel Zentralismus und kompetenzieller Uniformität" geführt habe. Auch das Erfordernis der absoluten Mehrheit im Bundesrat aus Artikel 52 Abs. 3 Grundgesetz (GG) sei zu reformieren, da hierdurch auch eine eigentlich legitime Stimmenthaltung de facto als Nein-Stimme gelte. 

Der parlamentarische Staatsekretär Günther Krings (CDU) befasst sich in einem Gastbeitrag für die FAZ mit der Sprache des Grundgesetzes. Es sei zwar bedauerlich, dass viele neuere Verfassungsänderungen "sprachlich kaum das Niveau der Urfassung erreicht" hätten, allerdings sei "eine gewisse Detailtiefe" bei Reformen unvermeidbar.

Auslastung von Gefängnissen: Wie die taz berichtet, stoßen viele Justizvollzugsanstalten (JVA) in Deutschland wegen Überbelegung an ihre Grenzen. Dies belaste Personal wie Gefangene. Bereits bei einer Auslastung von 85 bis 90 Prozent müsse von einer Vollbelegung gesprochen werden, damit Platz bleibe, um Gruppen zu trennen und auf Eventualitäten vorbereitet zu sein. Demgegenüber erreiche etwa die JVA Stuttgart-Stammheim eine Auslastungsquote von 97 Prozent.  

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mps

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. Januar 2019: Abschiebung ausländischer Straftäter / Umfrage zur Überlastung der Justiz / Kengeter-Verfahren eingestellt . In: Legal Tribune Online, 03.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32985/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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