Die juristische Presseschau vom 1. bis 2. Januar 2019: Neues Recht im neuen Jahr / Pro und Kontra Wider­spruchs­lö­sung / Gerech­tig­keit und Gleich­heit

02.01.2019

Im neuen Jahr treten zahlreiche neue Gesetze in Kraft. Außerdem in der Presseschau: Argumente für und gegen die Widerspruchslösung bei Organspenden, Europäisches Subsidiaritätsgericht und erfordert Gerechtigkeit Gleichheit?

Thema des Tages

Neue Gesetze: Mit Beginn des neuen Jahres traten zahlreiche neue gesetzliche Bestimmungen in Kraft. Eine Übersicht von deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) führt als Beispiele Änderungen in den Beiträgen zur Arbeitslosen- und Pflegeversicherung, die Einführung der sogenannten Brückenteilzeit, die Nachjustierung der "Mietpreisbremse" sowie die Förderung von Langzeitarbeitslosen an. Eine Übersicht auf bild.de nennt zudem die Erweiterung des Personenstandsregisters um die Bezeichnung "divers" und weitere, zum Teil noch in der Entwurfsphase befindliche Vorhaben, etwa bei der Abschaffung der Zeitumstellung. Die FAZ (Corinna Budras) geht vertieft auf die mietrechtlichen Änderungen ein. Neben einer vorgeblich erleichterten Rüge einer überhöhten Miete bei Neuvermietungen seien hier auch Eingrenzungen bei der Umlagefähigkeit der Kosten von Modernisierungen beachtlich. Das Teilhabegesetz zur besseren beruflichen Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen wird genauer in der SZ (Jasmin Siebert) beschrieben. Die Regelungen des Brückenteilzeitgesetzes stellt ein ausführlicher Beitrag von Rechtsanwalt Alexander Willemsen auf lto.de vor.

Für Reinhard Müller (FAZ-Einspruch) belegen die Gesetzesänderungen ein Funktionieren des Rechtsstaates. Dieser sei keineswegs selbstverständlich, um ihn müsse "täglich gerungen werden". Dies könne nur mit "Verantwortung und Augenmaß" geschehen, beides fordert Müller vom neuen Jahr.

Rechtspolitik

Individualverfassungsbeschwerde NRW: Mit Beginn des neuen Jahres können sich nordrhein-westfälische Bürger auch mit Individualverfassungsbeschwerden an den Verfassungsgerichtshof des Landes wenden. Rechtsanwalt Robert Hotstegs beschreibt auf lto.de die bisherigen Aufgaben des Gerichtshofs und die Voraussetzungen des neuen Rechtsbehelfs. Der Autor bezweifelt, dass das Gericht in seiner gegenwärtigen organisatorischen Verfasstheit der neuen Aufgabe gewachsen ist und mahnt neben einer besseren Ausstattung auch an, die neue Individualbeschwerde in der Landesverfassung zu verankern.

Widerspruchslösung: Zwei Kommentare in der SZ beleuchten Pro und Kontra der von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgeschlagenen Widerspruchslösung bei Organspenden. Während Michaela Schwinn darauf hinweist, dass gegenwärtig zahlreiche erfolgreich verpflanzte Organe aus Ländern stammten, in denen die Widerspruchslösung praktiziert wird, hält Heribert Prantl fest, dass die Unantastbarkeit der Menschenwürde "im Leben und im Sterben" gelte. Hieraus sei an Anspruch abzuleiten, im Sterben "in Ruhe gelassen und nicht als Ressource für verwertbare Organe weiterbeatmet zu werden". Auch sei es rechtswidrig, an bloßes Schweigen derartig schwerwiegende Konsequenzen zu knüpfen.

Europäisches Subsidiaritätsgericht? Bundesverfassungsrichter Peter Müller hat einer Online-Vorabmeldung der NJW (Joachim Jahn) zufolge der Zeitschrift gegenüber die Einrichtung eines Europäischen Subsidiaritätsgerichts als überdenkenswert bezeichnet. Hierdurch könnte nach Ansicht Müllers dem faktisch kaum beachteten Subsidiaritätsprinzip auf europäischer Ebene Rechnung getragen werden. Die hierfür bislang zuständigen Kontrollinstanzen kämen dieser Aufgabe nur unzureichend nach. Auf nationaler Ebene regt Müller eine "Entrümpelungsoffensive" für das Grundgesetz an.

Kinderrechte: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch sprechen sich Katja Dörner, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, und Till Steffen (Grüne), Hamburger Justizsenator, für die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz aus. Diese sollten nicht zu "reiner Symbolpolitik verkümmern", sondern durch "Festschreibung der grundsätzlichen Kinderrechtsprinzipien" einklagbare Rechtsansprüche begründen. Dies gelinge nicht bei einem bloßen Staatsziel.

Mindestlohn: In einem Kommentar spricht sich Frank Specht (Hbl) dagegen aus, den Mindestlohn weiter als ohnehin bereits beschlossen zu erhöhen. Dass Erhöhungen von einer Kommission festgelegt würden, sei "gut so". Weitergehende Erhöhungen, etwa auf zwölf Euro, gefährdeten dagegen die Tarifautonomie.

Justizvertrauen: In seiner Kolumne für den FAZ-Einspruch setzt sich Arbeitsrechtsprofessor Volker Rieble mit jüngsten Beiträgen zum neuen Verfassungsrichter Stephan Harbarth und dem von der AfD unterbreiteten Vorschlag einer Begründungspflicht für die Nichtannahme von Verfassungsbeschwerden auseinander. Während im ersten Fall der Grundsatz der Bestenauslese zu berücksichtigen sei und beruflicher Erfolg außerhalb der Juristerei kein Ausschlusskriterium für einen Richterposten in Karlsruhe sein dürfe, könne im zweiten Fall die Begründungslosigkeit von Entscheidungen allenfalls justizfunktional erklärt werden. Gerade die Justiz aber sei "auf Akzeptanz oder gar Vertrauen angewiesen".

Moscheesteuer: Die FAZ (Lydia Rosenfeld) beschreibt erneut die rechtlichen Grundlagen und den Anlass der Idee einer sogenannten Moscheesteuer. Zudem wird ein Vorschlag des niedersächsischen Wissenschaftsministers Björn Thümler (CDU) erwähnt, nach dem Studienabsolventen islamischer Theologie als Quereinsteiger Religion unterrichten dürfen sollten. Während die Teilzeitstellen von den Ländern finanziert werden könnten, würde die übrige Arbeitszeit als Imam verbracht und entsprechend von den jeweiligen Gemeinden bezahlt.

Ausländer in der Bundeswehr: In einem Kommentar spricht sich Konrad Schuller (faz.net) für eine Öffnung der Bundeswehr für alle EU-Bürger aus. Dass die Landesverteidigung nur Landeskindern übernommen werden könne, sei ein Trugschluss, der bereits zur Zeit des Kalten Krieges nicht mehr gegolten habe.

Einwanderung: Rechtsanwalt Sebastian Klaus stellt im Recht-und-Steuern-Teil der FAZ Inhalt und Regelungen des jüngst von der Bundesregierung beschlossenen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vor, das nach Vorstellung des Kabinetts zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft treten solle.

Online-Glücksspiele: Nach Bericht der SZ (Jan Willmroth) könnte im neuen Jahr eine weitgehende Liberalisierung des bisher noch streng regulierten Glücksspielmarktes in Deutschland bevorstehen. Das bisherige Verbot von Online-Glücksspielen sei weitgehend wirkungslos, gleichzeitig komme die avisierte Neufassung des Glücksspielstaatsvertrages nicht von der Stelle. Daher habe sich die neue hessische Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, ein eigenes Glücksspielgesetz auf den Weg zu bringen, wenn bis zum Ende des Jahres keine Lösung für den Glücksspielstaatsvertrag gefunden werde.

Todesstrafe: In einem Facebook-Post hat der Bundestagsabgeordnete Thomas Seitz (AfD) die Ansicht geäußert, dass eine Änderung von Aritikel 102 Grundgesetz (GG), nach dem die Todesstrafe abgeschafft ist, "kein Tabu sein" dürfe. Dies berichtet die FAZ (Justus Bender/Constantin van Lijnden). Seitz war bis zu seiner Wahl als Staatsanwalt tätig.

Justiz

BGH – Rückblick: Neun wichtige Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aus dem vergangenen Jahr stellt lto.de (Pia Lorenz) vor. Die Liste beginnt mit der Aufhebung der Verurteilung zweier Berliner Auto-Raser als Mörder und beschreibt auch die Kritik an diesem Urteil. Weitere vorgestellte Entscheidungen befassen sich beispielsweise mit dem digitalen Erbe, Entwicklungen im Kaufgewährleistungsrecht oder der Verwertbarkeit von Aufnahmen privater Dashcam-Kameras.

Arbeitsrecht – Rückblick: Die Liste herausragender Entscheidungen im vergangenen Jahr setzt Rechtsprofessor Michael Fuhlrott im FAZ-Einspruch im arbeitsrechtlichen Bereich fort. Der Beitrag listet zehn Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, etwa zu befristeten Verträgen im Profi-Fußball oder Arbeitskämpfen auf dem Amazon-Betriebsparkplatz, des Europäischen Gerichtshofs zu den Zugangsvoraussetzungen bei kirchlichen Arbeitsplätzen auf und erwähnt auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der die bisherige Karenzzeitlösung des Bundesarbeitsgerichts bei sachgrundlosen Befristungen als rechtswidrig verworfen wurde.

LVerfG SH – Fracking-Verbot: Eine Volksinitiative für ein Fracking-Verbot in Schleswig-Holstein will den Landtag über das Landesverfassungsgericht dazu zwingen, sich mit ihrem Anliegen zu befassen. Wie die taz-Nord (Esther Geißlinger) berichtet, haben sowohl Regierungs- als auch Oppositionsfraktionen ihre Übereinstimmung mit dem Anliegen der Initiative erklärt. Nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtags habe sich das Parlament aber geweigert, das Anliegen weiterzuverfolgen, weil dem Land eine entsprechende Regelungskompetenz fehle. Für die nun klagende Initiative belege dies eine unzulässige Benachteiligung der Volks- gegenüber der Parlamentsgesetzgebung.

VG Köln – 5G-Vergaberegeln: Nach Informationen der Welt (Thomas Heuzeroth) hat auch die Deutsche Telekom beim Verwaltungsgericht Köln eine Klage wegen der Regeln für die Frequenzvergabe beim Mobilfunkfunkstandard 5G gegen die Bundesnetzagentur eingereicht. Die Auktion sei nach wie vor für das Frühjahr geplant, die Klage habe wie auch jene von Telefónica und Vodafone keine aufschiebene Wirkung.

Ali Aydin: Der FAZ-Einspruch (Alexander Haneke) porträtiert Rechtsanwalt Ali Aydin, der ausschließlich islamistische Angeklagte in Staatsschutzverfahren verteidigt. Der Beitrag beschreibt den Lebensweg des 35-jährigen Juristen und seine Beweggründe, in den von ihm als "politisches Strafrecht" bezeichneten Gebiet tätig zu sein.

Recht in der Welt

Türkei – Deutschland: In einem Kommentar zum verfahrenen Stand der deutsch-türkischen Beziehungen beklagt Wolf Wittenfeld (taz), dass sich die Bundesregierung bis heute weigere, die Schuldigen des Putschversuches aus dem Jahr 2016 zu benennen. Es sei gut, dass hierzulande unabhängige Gerichte über Asylanträge entschieden. Gleichzeitig habe die Regierung in Ankara das Recht auf unvoreingenommene Prüfung ihrer Auslieferungsanträge. Solange dies unterbleibe, werde "man in Ankara nicht glaubwürdig die Rückkehr zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verlangen können".

Russland – Geschäftsleute: In einer Seite-3-Reportage erzählt die FAZ (Friedrich Schmidt) den Fall der russischen Bauunternehmer-Brüder Magomedow als typisches Lehrstück dafür, wie staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, oft unter Beteiligung des Geheimdienstes, dazu benutzt würden, Betroffene zu enteignen. Den Brüdern Magomedow werde die Gründung und der Betrieb einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Sie sollen den Staat bei von ihnen verantworteten Bauprojekten um Millionenbeträge betrogen haben.

USA – Bayer: Nach Einschätzung des Hbl (Bert Fröndhoff) muss sich der Bayer-Konzern in den USA auf weitere Glyphosat-Verfahren einrichten. Insgesamt seien bislang mehr als 9.000 derartiger Klagen anhängig, bereits Ende Februar starte in Kalifornien eine sogenannte Multi-District-Litigation, in der mehr als 600 Klagen zusammengefasst sind.

China – Informations-Management: Der Oberste Gerichtshof Chinas hat seine Türen für einen Rundgang im digitalen "Informations-Management-Zentrum" geöffnet. So konnte sich auch die Welt (Johnny Erling) ein Bild über die Bestrebungen der Volksrepublik machen, bis zum nächsten Jahr über eine Komplettvernetzung der Datenbanken von Behörden und sozialen Netzwerken den "social credit" jedes einzelnen Staatsbürgers zu erfassen.

Sonstiges

Gerechtigkeit und Gleichheit: In einem Beitrag für den FAZ-Einspruch unternimmt Rechtsprofessor Gregor Thüsing eine Annäherung an die "letztlich nicht zu beantwortende Frage des Zusammenhangs von Gerechtigkeit und Gleichheit". Letztere, in ihren oft widersprüchlichen Ausprägungen von Normanwendungsgleichheit und Ergebnisgleichheit, sei "nicht der Kardinalwert, dem sich andere Ziele unterzuordnen hätten", vielmehr selbst der Abwägung bedürftig.

Strafvollzug: Im Interview mit dem FAZ-Einspruch (Marlene Grunert/Rüdiger Soldt) spricht der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf (CDU) über den Anstieg von Häftlingszahlen in den vergangenen Jahren, die mutmaßlichen Gründe hierfür und die Auswirkungen dieser Erscheinung sowie auch den Anteil ausländischer Strafgefangener und Resozialisierungsangebote für diese Häftlingsgruppe.

Das Letzte zum Schluss

Zensur: Sich über das Fernsehprogramm aufzuregen, gehört sicherlich auch im Iran zu den beliebtesten Arten des Zeitvertreibs. Die strengen Zensurbestimmungen der Islamischen Republik haben darüber hinaus auch gleich personelle Konsequenzen notwendig gemacht. Wie die SZ meldet, wurde ein Regionaldirektor des staatlichen Fernsehkanals gefeuert, weil in dem von ihm verantworteten Programm eine Sexszene in einem Film mit Action-Held Jackie Chan übersehen und also ausgestrahlt wurde.

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lto/mpi

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. bis 2. Januar 2019: Neues Recht im neuen Jahr / Pro und Kontra Widerspruchslösung / Gerechtigkeit und Gleichheit . In: Legal Tribune Online, 02.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32965/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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