Die juristische Presseschau vom 23. November 2018: Kon­tro­verse um Asyl­grund­recht / Har­barth wird Ver­fas­sungs­richter / Oberster Richter gegen Trump

23.11.2018

Das Grundrecht auf Asyl gerät nach einer Äußerung von Friedrich Merz in eine Diskussion. Außerdem in der Presseschau: Stephan Harbarth wird neuer Verfassungsrichter und Trump widerfährt Kritik von Supreme-Court-Richter.

Thema des Tages

Grundrecht auf Asyl: Nachdem Friedrich Merz (CDU) am Mittwochabend auf einer Vorstellungsrunde der Kandidaten für Bundesvorsitz seiner Partei das Grundrecht auf Asyl nach Artikel 16a Grundgesetz (GG) in Frage stellte, ist eine Kontroverse entbrannt. Merz hatte geäußert, dass man darüber reden müsse, ob dieses Asylrecht noch in bisheriger Form fortbestehen könne. "Wir müssen irgendwann einmal eine große öffentliche Debatte darüber führen, ob man einen gesetzlichen Vorbehalt ins Grundgesetz schreibt." Andernfalls sei eine europäische Lösung nicht möglich. Nach Kritik, auch aus der eigenen Partei, relativierte Merz seine Aussage am Donnerstag. Er stelle das Grundrecht auf Asyl selbstverständlich nicht in Frage. Bei einer Anerkennungsquote von unter zehn Prozent müsse das Asylrecht mit einer europäischen Lösung in Einklang gebracht werden. Es berichten unter anderen Welt (Robin Alexander u.a.), spiegel.de, taz (Dienah Riese) und Hbl. (Dietmar Neuerer u.a.).

Für Jost Müller Neuhoff (Tsp) ist das Grundrecht auf Asyl eine Antwort auf Flucht und Vertreibung im Zweiten Weltkrieg. Merz habe an diesem Grundrecht und der historischen Verwurzelung schon im Jahr 2000 rütteln wollen, erinnert Heribert Prantl (SZ). Der CDU-Politiker forderte damals, dass sich "unsere Generation" nicht mehr derart in Haftung für die Vergangenheit nehmen lassen wolle. Christian Rath (taz) macht darauf aufmerksam, dass das Asylrecht schon 1993 weitreichend abgeschafft worden ist. Das jetzige Problem liege auch nicht im deutschen Asylrecht, sondern darin, dass Staaten wie Ungarn niemanden aufnehmen wollten. Verfassungsrechtlich möglich hält Reinhard Müller (FAZ) die Streichung des Asylrechts. Dies löse allerdings keine Probleme. Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz weist auf verfassungsblog.de darauf hin, dass das deutsche Asylgrundrecht nach Artikel 16a GG nur noch marginale Bedeutung hat.

Die Hintergründe zum Verhältnis des deutschen Grundrechts auf Asyl zum europäischen Recht auf Asyl stellt die SZ (Wolfgang Janisch) in einem Frage-Antwort-Format dar.

Rechtspolitik

Harbarth zum Verfassungsrichter gewählt: Der Bundestag hat den Politiker und Anwalt Stephan Harbarth zum Richter des Bundesverfassungsgerichts gewählt. Der bisherige stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion folgt dem Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof, dessen Amtszeit schon im Juli abgelaufen war. Harbarth erhielt neben den Stimmen der Regierungskoalition auch Unterstützung seitens der Grünen und der FDP. Es wird erwartet, dass Harbarth am Freitag vom Bundesrat auch zum Vizepräsidenten des Gerichts gewählt wird und 2020 Andreas Voßkuhle als Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts ablöst. Während die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltverein die Wahl eines Kandidaten aus der Anwaltschaft begrüßten, kritisierte der Deutsche Juristinnenbund die Wahl, auch weil Harbarth der dritte gewählte männliche Kandidat in Folge sei. FAZ (Reinhard Müller), Hbl (Heike Anger) und lto.de berichten über die Wahl und den Kandidaten. tagesschau.de (Frank Bräutigam) erläutert das Wahlverfahren.

Zuwanderung: Mit dem Entwurf zu einem "Fachkräfteeinwanderungsgesetz" setzt sich nun auch spiegel.de (David Böcking) auseinander. Der Gesetzentwurf, der noch im Dezember im Kabinett verabschiedet werden soll, soll der Förderung der Einwanderung von Arbeitskräften aus Nicht-EU-Staaten dienen. Ausreichend qualifizierte Fachkräfte sollen in Zukunft nach Deutschland einwandern können, ohne dass noch zu prüfen ist, ob auch ein deutscher oder EU-Arbeitnehmer die Stelle übernehmen kann.

Pakt für den Rechtsstaat: Nach Meldung der SZ hat Justizministerin Katarina Barley (SPD) in der Haushaltsdebatte im Bundestag angekündigt, dass der "Pakt für den Rechtsstaat", der die Schaffung von 2.000 neuen Stellen für Richter und Staatsanwälte vorsieht, noch vor Jahresende stehen soll.

Drittes Geschlecht: Mit dem in den Gesetzesentwurf zum Dritten Geschlecht aufgenommenen Geschlechterbegriff des Bundesverfassungsgerichts setzt sich die Studentin Violetta Rehm im grundundmenschenrechtsblog.de auseinander. Sie kritisiert, dass dem deutschen Recht weiterhin ein fremdbestimmter Geschlechterbegriff zugrunde liege.

Justiz

EuGH – Fluggastrechte: Fluggesellschaften müssen wohl keine Entschädigung an ihre Passagiere zahlen, wenn die Verspätung auf einem Reifenplatzer des Flugzeugs beruht, der durch eine auf dem Flugfeld liegende Schraube verursacht worden ist. Dies ist das Ergebnis der Schlussanträge des Generalanwalts in einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, das die Richter aber nicht bindet. Schrauben auf der Fahrbahn seien ein außergewöhnlicher Umstand, weil der Flughafenbetreiber für die Reinigung des Flugfeldes zuständig sei. Es berichten lto.de und spiegel.de.

EuGH – Kontaktdaten im Onlinehandel: lto.de (Marcel Schneider) stellt ein seitens des Verbraucherzentrale Bundesverbands gegen eine europäische Amazon-Tochter betriebenes Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof vor. Ihm liegt ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof zugrunde, in dem die Verbraucherschützer kritisieren, dass die Telefonnummer des Amazon-Kundenservices auf der Seite nur schwer zu finden sei. Weil aus den unterschiedlichen Sprachfassungen der Verbraucherschutz-Richtlinie verschiedene Anforderungen an die Angabe solcher Kontaktmöglichkeiten gezogen werden können, hat der BGH die Sache nun dem EuGH vorgelegt.

EuGH zu Sozialhilfe: Über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, nach dem anerkannte Flüchtlinge nicht weniger Sozialhilfe erhalten dürfen als Einheimische, berichtet nun auch die taz (Ralf Leonard).

BVerwG zu Zweitkorrektur: Ist eine juristische Examensklausur vom Erstkorrektor mit vier Punkten und vom Zweitkorrektor nur mit drei Punkten bewerteten worden, muss der Zweitprüfer seine Ansicht nicht besonders begründen, auch wenn der Kandidat aus diesem Grund durch das Examen fällt. Weil für alle Kandidaten die gleichen Maßgaben gelten, gebe es keine besonderen Rechtfertigungspflichten, nur weil die Korrektur über das Bestehen entscheide. lto.de (Maximilian Amos) stellt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht vor.

BAG zu Streik auf Betriebsgelände: Auf dem Handelsblatt-Rechtsboard stellt die Rechtsanwältin Bettina Scharff zwei Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vor, nach denen der Arbeitgeber unter Umständen einen Streik auf dem von ihm angemieteten Betriebsgelände dulden muss. Sofern nach den äußeren Gegebenheiten eine Gewerkschaft nur auf diese Weise mit den zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmern kommunizieren kann, müssten situative Beeinträchtigungen des durch Artikel 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützten Besitzes an dem Betriebsgelände hingenommen werden.

LG Augsburg zu VW-Rückgabe: Nach Bericht von focus.de hat das Landgericht Augsburg entschieden, dass VW wegen der Verwendung unerlaubter Software einen sechs Jahre alten Golf zurücknehmen und den Kaufpreis zuzüglich Zinsen zu erstatten hat, ohne dass der Käufer für die Zeit eine Nutzungsentschädigung entrichten muss. Denn eine Nutzungsentschädigung widerspräche der Wertung eines Schadensersatzanspruchs nach § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen "massenhaft sittenwidrigen Verhaltens", den das Gericht hier annahm.

LG München I – Mietpreisbremse: Wie die FAZ (Marcus Jung) berichtet, hat das Landgericht München I eine Amtshaftungsklage des Rechtsdienstleisters wenigermiete.de gegen das Land Bayern abgewiesen. Der Rechtsdienstleister sah in der fehlerhaften Umsetzung der Mietpreisbremse in München eine Pflichtverletzung. Er klagte aus abgetretenem Recht auf Schadensersatz wegen zu hoher Miete. Der Kläger hat bereits angekündigt, Berufung einzulegen.

LG Münster  SS-Wachmann: In dem Strafverfahren gegen einen früheren Wachmann des KZ Stutthof hat der Historiker Stefan Hördler klargestellt, dass der Angeklagte sich in Ungarn freiwillig zur Waffen-SS gemeldet habe, weil eine Zwangsrekrutierung auf dem Staatsgebiet des verbündeten Ungarn gar nicht möglich gewesen sei. Es berichtet die Welt (Per Hinrichs).

LG Oldenburg – Nils Högel: Die Welt (Gisela Friedrichsen) berichtet umfangreich über den Prozess gegen den ehemaligen Krankenpfleger Nils Högel, dem zur Last gelegt wird, mindestens 100 Menschen getötet zu haben. Sie beschreibt, wie dem Angeklagten in der zum Gerichtssaal umgebauten Festhalle der Weser-Ems-Halle die immer gleichen Fragen zu den einzelnen Taten gestellt werden. Bei den Antworten des Angeklagten sei nicht nachvollziehbar, weshalb er sich an einige Tagen gut erinnern könne, an andere hingegen gar nicht.

Recht in der Welt

USA – Richterkritik: Der Vorsitzende Richter des Obersten Gerichtshofs der USA, John Roberts, hat US-Präsident Donald Trump dafür kritisiert, einen Bundesrichter als "Obama-Richter" bezeichnet zu haben. Es gebe keine Obama-Richter oder Trump-Richter, Bush-Richter oder Clinton-Richter. "Wir alle sollten dafür dankbar sein, dass wir eine unabhängige Justiz haben", so Roberts weiter. Es berichten SZ (Alan Cassidy), FAZ (Andreas Ross) und spiegel.de.

Andreas Ross (FAZ) bezweifelt, ob sich Roberts mit der Aussage einen Gefallen getan hat. Zum einen war mit dem Gegenschlag Trumps zu rechnen, zum anderen könnte jedes künftige Schweigen als Billigung interpretiert werden.

Spanien/EGMR  Meinungsfreiheit: Die Verurteilung eines Demonstranten durch ein spanisches Gericht wegen Verleumdung, weil dieser Polizeimaßnahmen als Folter bezeichnet hatte, verletzt den Demonstranten in seinem Recht auf Meinungsfreiheit. Dies urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, wie lto.de berichtet. Die Straßburger Richter hielten dem Mann zugute, dass er vorrangig die Gewaltanwendung gegen sich kritisieren wollte und daher den Folterbegriff nicht strafrechtlich, sondern umgangssprachlich gemeint hatte. 

GB/EU – Brexit: Großbritannien und die verbliebenen EU-Mitgliedstaaten haben sich auf eine gemeinsame Erklärung zu ihren künftigen Beziehungen geeinigt. Die Erklärung begleitet den Ausstiegsvertrag. In dem Papier wird insbesondere die Absicht geäußert, eine Freihandelszone etablieren und die Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik fortsetzen zu wollen. Die Freizügigkeit des Personenverkehrs werde hingegen beendet, neue Regelungen müssten noch getroffen werden. Offen sind auch noch die Regelungen hinsichtlich des Status des britischen Überseegebiets Gibraltar. Es berichten unter anderem spiegel.de (Markus Becker/Peter Müller), taz (Eric Bonse/Reiner Wandler) und FAZ (Michael Stabenow und Marcus Theurer).

Polen/Ungarn – Rechtsstaatsverfahren: Die Rechtsprofessorin Renáta Uitz (Budapest) befasst sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) mit der aktuellen Entwicklung der Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn und Polen nach Artikel 7 des Vertrages über die Europäische Union.

Schweiz – Normenhierarchie: Die Schweizer Volkspartei (SVP) möchte per Referendum den Vorrang Schweizer Rechts vor völkerrechtlichen Verträgen in der Verfassung festschreiben. Internationales Recht dürfe nicht mehr angewendet werden, wenn es "verfassungswidrig" sei. Ausnahmen würden dann nur für völkerrechtliche Verträge gelten, denen das Volk in einem Referendum zugestimmt hat. Dies sei erforderlich, um die Schweizer vor Abschaffung der Demokratie zu retten. In Meinungsumfragen hat die Initiative, die am kommenden Sonntag zur Abstimmung steht, eine Mehrheit. Es berichten FAZ (Johannes Ritter) und taz (Andreas Zumach).

Malediven – Wahlprüfung: Der Doktorand Ahmed Nazeer berichtet auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) über die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der Malediven über die Gültigkeit der Präsidentschaftswahlen 2018.

Sonstiges

Bußgeld nach DSGVO-Verstoß: Erstmals haben Behörden auf Grundlage der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ein Bußgeld verhängt. Das soziale Netzwerk Knuddels muss 20.000 Euro zahlen, weil es die Passwörter seiner Kunden nicht ausreichend geschützt hat. Das Bußgeld fällt aufgrund der Kooperation der Plattform niedrig aus, möglich sind Bußgelder bis zu 20 Millionen Euro. Es berichten FAZ (Corinna Budras/Jonas Jansen) und lto.de.

Marke "Black Friday": Die SZ (Valentin Dornis) beschäftigt sich mit der Problematik der Verwendung des Begriffs "Black Friday". Dieser wurde 2013 als Marke eingetragen. Händler, die während der Rabattaktionen am Freitag nach Thanksgiving in den letzten Jahren Rabattaktionen mit dem Begriff bewarben, ohne eine Lizenz bei der Rechteinhaberin zu erwerben, wurden abgemahnt. Das Deutsche Patent- und Markenamt löschte die Eintragung im März, weil es sich in Deutschland nur um einen sachbezogenen, werbenden Hinweis auf den Freitag nach Thanksgiving handele. Weil die Rechteinhaberin Beschwerde einlegte, könnte eine Entscheidung des Bundespatentgerichts folgen.

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/kk

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. November 2018: Kontroverse um Asylgrundrecht / Harbarth wird Verfassungsrichter / Oberster Richter gegen Trump . In: Legal Tribune Online, 23.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32285/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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