Die juristische Presseschau vom 11. Dezember 2018: Brexit in West­minster und Lux­em­burg / UN-Mig­ra­ti­ons­pakt ver­ab­schiedet / Wei­tere Dis­kus­sion um § 219a StGB

11.12.2018

Die Abstimmung über das Brexit-Vertragswerk wird verschoben. Außerdem in der Presseschau: Der UN-Migrationspakt wird verabschiedet, weitere Diskussion um § 219a StGB und das BVerfG terminiert die Verhandlung zu Hartz-IV-Sanktionen.

Thema des Tages

Exit vom Brexit?: Die britische Premierministerin Theresa May hat die für den heutigen Dienstag geplante Abstimmung über das Brexit-Vertragswerk abgesagt. Dies berichten u.a. SZ (Cathrin Kahlweit), taz (Dominic Johnson/Christian Rath), Hbl (Ruth Berschens/Kerstin Leitel/Dana Helde), FAZ (Jochen Buchsteiner), zeit.de und spiegel.de. Sie begründete dies damit, dass der Vertrag anderenfalls abgelehnt worden wäre. Sie beabsichtige daher, die umstrittene Regelung zu einer künftigen EU-Außengrenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland nachzuverhandeln. Die EU-Kommission lehnt eine solche Nachverhandlung indes ab.

Ebenfalls am Montag urteilte der Europäische Gerichtshof, dass Großbritannien seine Austrittserklärung aus der Europäischen Union einseitig widerrufen könne. Er ist damit dem Antrag des Generalanwalts gefolgt, wie u.a. SZ (Wolfgang Janisch) berichtet. Wie der Austritt sei auch der Abbruch des Austritts ein Ausdruck der staatlichen Souveränität und nicht von der Zustimmung der anderen Mitgliedstaaten abhängig. Er könne bis zum Eintritt der Austrittswirkungen erklärt werden, müsse jedoch auf Grundlage eines "demokratischen Prozesses" zustande gekommen sein.

Auf verfassungsblog.de befasst sich Rechtsprofessor Kenneth Armstrong (in englischer Sprache) mit diesem Erfordernis eines demokratischen Prozesses. Der Europäische Gerichtshof lasse offen, was hierunter zu verstehen sei. Nach Ansicht Amstrongs reiche indes ein Parlamentsvotum aus, ein zweites Referendum sei nicht notwendig. Auf lto.de betont Rechtsprofessor Martin Schmidt-Kessel, dass der Luxemburger Gerichtshof das einseitige Widerspruchsrecht aus dem Gedanken der Integration abgeleitet habe. Ziel der EU sei eine "Ever Closer Union", weshalb kein Staat gegen seinen Willen zum Verlassen der Union gezwungen werden könne. Trotz des Erpressungspotenzials, das aus einer risikolosen Austrittserklärung resultiere, sei die Entscheidung als ein "wohlfundiertes Bekenntnis zum Integrationsziel" zu begrüßen.

Rechtspolitik

UN-Migrationspakt: In Marrakesch ist der "Globale Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration" verabschiedet worden. Dies melden u.a. lto.de, zeit.de, taz (Christian Jakob), FAZ (Hans-Christian Rößler) und Welt (Robin Alexander). Die Vereinbarung stellt Leitlinien zur verbesserten internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Migration auf. 164 der 193 UN-Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, stimmten für den Pakt. Die USA und einige europäische Länder wie Österreich und Ungarn lehnten ihn ab.

Christian Rath (taz) befürwortet den Pakt. Die Übereinkunft sei ein "Mittel der Diplomatie", das in der Sache überzeuge. Auch Katharina Schuler begrüßt auf zeit.de, dass sich die überwiegende Mehrheit der Staaten nicht von Populisten habe verschrecken lassen. Der Pakt wahre die Souveränität der Staaten, könne aber dazu beitragen, das Elend vieler Arbeitsmigranten zu lindern. Bernd Kastner (SZ) dagegen bemängelt, die Bundesregierung habe den Pakt der Bevölkerung gegenüber nicht ausreichend erklärt und beworben. Jan Dirk Herbermann (Hbl) merkt an, dass der Pakt einseitig die Vorteile der Migration beschwöre und lediglich die Rechte von Migranten anspreche, nicht jedoch ihre Pflichten. Reinhard Müller (FAZ) betont im Leitartikel, dass auch unverbindliche Abkommen große politische Wirkungen entfalten könnten, wie es etwa die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte getan habe.

Im Interview mit deutschlandfunk.de (Jörg Münchenberg) kritisiert der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel das Bekenntnis zur Migration innerhalb des Paktes als "blauäugig". Dieser werde zudem trotz seiner rechtlichen Unverbindlichkeit rechtliche Wirkungen zeigen, indem er etwa von den Verwaltungsgerichten zur Auslegung bestimmter Rechtsnormen herangezogen werde.

§ 219a StGB: Teile der SPD und die Opposition fordern erneut eine Streichung des in § 219a Strafgesetzbuch normierten Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche. Wie SZ (Kristiana Ludwig/Mike Szymanski), taz (Dinah Riese) und FAZ (Helene Bubrowski) berichten, gibt es im Bundestag eine fraktionsübergreifende Mehrheit für eine ersatzlose Streichung der Norm. Daher sei auch eine Abstimmung ohne Koalitionsdisziplin denkbar. Dies könne jedoch den Bestand der Regierungskoalition aufs Spiel setzen, da viele innerhalb der Union eine Streichung ablehnten. Auch die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer habe sich gegen eine Abschaffung des § 219a StGB ausgesprochen.

Jost Müller-Neuhof (Tsp) fordert einen Kompromiss, der zwar die Werbung verbiete, nicht jedoch die sachliche Information über Angebote für einen Abbruch. Auf community.beck.de macht Rechtsprofessor Henning Ernst Müller einen Kompromissvorschlag für eine Neuregelung des § 219a StGB.

Europäischer Verteidigungsfonds: Der geplante Europäische Verteidigungsfonds verstößt laut einem von Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano im Auftrag der Linken-Fraktion im EU-Parlament erstellten Gutachten gegen EU-Recht, dies berichtet spiegel.de (Markus Becker). Der EU-Vertrag verbiete die Finanzierung militärischer oder verteidigungspolitischer Projekte aus dem Gemeinschaftshaushalt. Zwar führe die EU-Kommission als Zweck des Fonds allein die Industrie- und Forschungsförderung an. Damit versuche sie jedoch lediglich, die Zwecke umzudeklarieren, verwische dabei "die Spuren aber nicht sorgfältig genug".

Deutsche Umwelthilfe: Das Umwelt- und das Wirtschaftsministerium haben erklärt, der Deutschen Umwelthilfe auch weiterhin Finanzmittel gewähren zu wollen. Dies berichtet die taz (Malte Kreutzfeld). Am Wochenende hatte der CDU-Parteitag gefordert, dem Verband die Gemeinnützigkeit aberkennen und keine staatlichen Fördergelder mehr zukommen zu lassen. Die Ministerien führten demgegenüber an, dass ein Ausschluss von staatlicher Förderung nur bei einer nicht ordnungsgemäßen Verwendung der Gelder möglich sei. Dafür bestünden bei der Deutschen Umwelthilfe keine Anhaltspunkte.

Humanitäres Visum: Martin Klingst spricht sich auf zeit.de für die Einführung des Humanitären Visums aus, über das in dieser Woche das Europäische Parlament abstimmen soll. Hiermit könnten EU-Staaten schutzbedürftigen Menschen schon jenseits des Mittelmeers Visa erteilen, mit deren Hilfe diese ungefährdet und erlaubt in die EU einreisen dürften.

Company Law Package: Im Hbl spricht sich Rechtsanwalt Niels George für die Verabschiedung des "Company Law Packages" ein. Dieser Richtlinienvorschlag innerhalb des Gesellschaftsrechts der Europäischen Union würde es ermöglichen, Kapitalgesellschaften digital und ohne den Gang zum Notar zu gründen. Er stehe im Frühjahr 2019 zur Entscheidung an.

Justiz

BVerfG  Hartz-IV-Sanktionen: Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am 15. Januar 2019 zur Zulässigkeit von Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger. Dies berichtet u.a. die FAZ (Marcus Jung). Im konkreten Fall geht es um eine Vorlage des Sozialgerichts Gotha zu einem Mann, dessen Leistungen wegen wiederholter Verstöße um 60 Prozent gekürzt wurden.

OLG München zu Taliban-Kämpfer: Das Oberlandesgericht München hat einen 37-Jährigen wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu sechs Jahren Haft verurteilt. Dies melden spiegel.de und FAZ. Der Mann war Ende 2012 von Deutschland nach Pakistan gereist und hatte sich dort den Taliban angeschlossen. Den Vorwurf des versuchten Mordes sah das Gericht hingegen nicht als erwiesen an.

BSG zu Arbeitsunfall im Home-Office: community.beck.de (Christian Rolfs) stellt zwei Entscheidungen des Bundessozialgerichts vor, in denen es zu erkennen gebe, dass auch Unfälle im eigenen Haus als Arbeitsunfall gelten können, wenn die betroffene Person dort ihr Home-Office unterhält.

AG Köln zu Blitzer-Attrappe: Das Amtsgericht Köln hat ein Verfahren gegen einen Mann eingestellt, der eine Blitzerattrappe in seinem Vorgarten installiert hatte. Dies berichten u.a. lto.de und spiegel.de. Grundsätzlich sei hierin zwar eine strafbare Amtsanmaßung nach § 132 Strafgesetzbuch (StGB) zu erkennen, ungeachtet der Tatsache dass die Attrappe nicht tatsächlich blitze. Jedoch sei die Schuld als gering anzusehen und es bestehe kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung. Der Mann hatte angegeben, die Attrappe mit seinen Kindern gebaut zu haben, um die Einhaltung einer 30-Zone zu erreichen.

AG München zu Verkehrskontrollen auf Privatgrundstück: Allgemeine Verkehrskontrollen dürfen auch auf dem Privatgrundstück eines Autofahrers durchgeführt werden. Wie das Amtsgericht München entschied, bestehe diesbezüglich kein Verwertungsverbot, meldet lto.de. Im zugrunde liegenden Fall waren die Polizisten einem 27-Jährigen bis zu einem Parkplatz auf seinem Privatgrundstück gefolgt und hatten dort einen Alkoholtest durchgeführt. Dies war nach Ansicht des Gerichts gerechtfertigt, da der Mann zuvor zweifelsohne am Verkehr teilgenommen hatte.

Klima-Klagen: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) befasst sich mit dem Anstieg von Klagen, mit denen Umweltaktivisten ihre Ziele vor Gericht erreichen wollen. Teilweise würden diese eher der Öffentlichkeitsarbeit dienen. Ferdinand Kirchhof, der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, warne davor, die Justiz für politische Zwecke zu instrumentalisieren.

Recht in der Welt

Russland  Serienmörder: In Russland ist der Serienmörder Michail Popkow wegen Mordes in 56 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Dies melden u.a. die FAZ (Katharina Wagner) und spiegel.de. Bereits 2015 war der ehemalige Polizist wegen Mordes an 22 Frauen zu lebenslanger Haft verurteilt worden, hatte jedoch im Anschluss noch eine Vielzahl weiterer Taten gestanden.

Sonstiges

Warnstreik: Angesichts des Warnstreiks der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EGV) erläutert die SZ (Wolfgang Janisch) die entsprechenden arbeitsrechtlichen Anforderungen. Grundsätzlich hätten die Gewerkschaften einen weiten Spielraum hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit. Arbeitsrechtsprofessor Gregor Thüsing deute die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts so: "Wenn die Gewerkschaft den Warnstreik für notwendig erachtet, dann ist er notwendig." Die SZ (Eva Dignös/Katja Schnitzler) stellt in einem weiteren Artikel Fragen und Antworten zu den Rechten zusammen, die vom Streik betroffene Reisende geltend machen können.

Vermögensabschöpfung: Im Interview mit der Welt (Kristian Frigelj) erklärt der Oberstaatsanwalt und Leiter der Zentralen Organisationsstelle für Vermögensabschöpfung, José Andrés Asensio Pagan, seine Arbeit. Die Vermögensabschöpfung sei eines der wichtigsten Instrumente der Strafverfolgungsbehörden, mit welchen diese den Tätern "an ihre Existenz" gehen könne.

Sexuelle Gewalt: Anlässlich der Vergabe des Friedensnobelpreises an Denis Mukwege und Nadia Murad für ihren Kampf gegen sexuelle Gewalt in Kriegssituationen befasst sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin Leonie Steinl auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) mit deren völkerstrafrechtlichen Aufarbeitung. Im ersten Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof gegen Thomas Lubanga habe der damalige Chefankläger Vorwürfe sexueller Gewalt noch vernachlässigt. Inzwischen habe sich das Blatt jedoch gewendet und sexuelle Gewalt sei Gegenstand einiger anhängiger Verfahren.

Bundesgesetzblatt online: Netzaktivisten haben eine Internet-Plattform errichtet, auf der das Bundesgesetzblatt ab sofort kostenfrei verfügbar ist. Dies berichten sueddeutsche.de (Christian Endt) und lawblog.de. Der für die Verbreitung des Gesetzblatts zuständige Bundesanzeiger-Verlag ist seit 2006 vollständig privatisiert und bietet Online-Zugriffe nur kostenpflichtig bzw. eingeschränkt an. Die Aktivisten der Open Knowledge Foundation führen demgegenüber an, dass "zentrale Dokumente der Demokratie" kostenlos bereitstehen sollten.

Facebook-Fanpages: Im Interview mit der SZ (Mirjam Hauck) erläutert Rechtsanwältin Franziska Ladiges die rechtlichen Anforderungen für das Betreiben von Facebook-Fanpages nach einem entsprechenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hatte entschieden, dass die Fanpage-Betreiber gemeinsam mit Facebook für die Datenverarbeitung verantwortlich sind. Die Betreiber sollten den Nutzer daher offenlegen, welche Daten zu welchem Zweck erhoben würden.

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lto/mps

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. Dezember 2018: Brexit in Westminster und Luxemburg / UN-Migrationspakt verabschiedet / Weitere Diskussion um § 219a StGB . In: Legal Tribune Online, 11.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32641/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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