Die juristische Presseschau vom 27. November 2018: Ab­stim­mung zum Mi­gra­ti­ons­pakt / Klage zur Can­na­bis­le­ga­li­sie­rung / Inter­view mit EuGH-Prä­si­dent Koen Lena­erts

27.11.2018

Im Bundestag soll ein Positionspapier zum Migrationspakt abgestimmt werden. Außerdem in der Presseschau: Anwalt klagt auf Cannabislegalisierung, Interview mit EuGH-Präsident und Bewertung der seerechtlichen Lage vor der Krim.

Tagesthema

Positionspapier Migrationspakt: Die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD wollen sich auf ein gemeinsames Papier zum Migrationspakt einigen und es noch in dieser Woche im Bundestag abstimmen lassen, wie SZ (Daniel Brössler und Robert Roßmann), FR und die FAZ (Helene Bubrowski) melden. In dem Dokument werde die Bundesregierung aufgefordert, sicherzustellen, dass weder die nationale Souveränität noch die Entscheidungsfreiheit Deutschlands über die eigene Migrationspolitik durch den Pakt beeinträchtigt werden.

Reinhard Müller (FAZ) begrüßt diese Entscheidung und vergleicht sie mit der Abstimmung zur sogenannten Selbstbestimmungsinitiative in der Schweiz am Wochenende, bei der sich die Schweizer auf demokratischem Wege dafür entschieden haben, sich an gewisse internationale Verpflichtungen zu binden. Die Welt (Lorraine Kihl) interviewt die UN-Migrationsbeauftragte Louise Arbour zum Widerstand gegen den Migrationspakt in einigen Staaten. Arbour, die an der Ausarbeitung des Pakts beteiligt war, sieht den Grund für die Ablehnung vor allem in fehlender Kenntnis der vereinbarten Inhalte.

Als explizit gegen diese Unkenntnis gerichtet versteht sich eine Publikation der taz, die den Text des Migrationspakts online zugänglich gemacht und mit Hilfe von Migrationsrechtlern aufbereitet hat, wie Marlene Halser (taz) erklärt.

Rechtspolitik

Grundsteuer: Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) möchte der Verpflichtung zur Reform der Grundsteuer durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom April dieses Jahres nachkommen. Die bisherige Steuer war gerügt worden, weil sie auf Grundstückswerten der Jahre 1935 und 1964 beruht. Wie genau die Neuregelung aussehen wird und ob sie einer Grundgesetzänderung bedarf, ist noch unklar. Dass sie jedoch zu einer geringfügigen Mieterhöhung in Städten führen werde, sei anzunehmen. Es berichten unter anderem FAZ (Manfred Schäfers), SZ (Cerstin Gammelin) und FR.

Thomas Öchsner (SZ) kritisiert, dass die Neuregelung falsche Anreize setzen und Bauwillige in ihren Plänen ausbremsen könnte. Jan Hildebrand (Handelsblatt) warnt vor dem Verwaltungsaufwand und Mehrbelastungen der Eigentümer.

Tarifeinheitsgesetz: Über den Gesetzentwurf der Koalition von CDU/CSU und SPD zur Änderung des Tarifeinheitsgesetzes berichtet die SZ (Detlef Esslinger). Das Gesetz soll der Umsetzung von Änderungserfordernissen dienen, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Juli vergangenen Jahres ergeben.

Aufenthaltsrecht: Laut FAZ (Helene Bubrowski) strebt die CDU eine Änderung des Aufenthaltsrechts an, wonach fortan nur noch die Geduldeten eine Aufenthaltserlaubnis bekommen sollen, die "in den Arbeitsmarkt und unsere Gesellschaft integriert" sind. 

WTO: Die Europäische Union und elf weitere Mitglieder der Welthandelsorganisation schlagen Reformen der Ausgestaltung der WTO-Berufungsinstanz vor, die die Effizienz bei der Verfahrenserledigung erhöhen sollen. Die Vorschläge sehen unter anderem vor, dass Verfahren zukünftig innerhalb von 90 Tagen verhandelt werden müssen, wie die FAZ (Hendrik Kafsack) meldet.

Justiz

EuGH zu Accor II: Auf verfassungsblog.de setzen sich der Europarechtler Albrecht Wendenburg und der Steuerberater Jörg Müller-Seils mit der im Oktober ergangenen Accor-II-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auseinander. Das Vertragsverletzungsverfahren war erstmals wegen justiziellen Unrechts eingeleitet worden und richtete sich gegen Frankreich aufgrund zweier Entscheidungen des Conseil d'Etat, des höchsten französischen Verwaltungsgerichts. Mit den Urteilen hat das französische Gericht seine Vorlagepflicht aus Artikel 267 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie die Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit verletzt. Die Autoren stellen das Urteil dar und eruieren, unter welchen Umständen zukünftig mit einem Vertragsverletzungsverfahren wegen justiziellen Unrechts zu rechnen ist.

BVerfG – Bankenunion: Über die Verfassungsbeschwerde gegen die europäische Bankenunion, über die morgen vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wird, berichtet die FAZ (Reinhard Müller). Nach Ansicht der Beschwerdeführer hätte es zur Errichtung der Bankenunion einer Änderung der europäischen Verträge bedurft.

BVerwG zu Ruhegehalt: In einem jetzt veröffentlichten Urteil entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass die gravierende Dienstpflichtverletzung eines Soldaten auch nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr noch zum Verlust des Anspruchs auf Ruhegehalt führen kann. Im vorliegenden Fall hatte ein ehemaliger Soldat als Mitglied einer Fußballfangruppierung mehrere Polizisten angegriffen und teils schwer verletzt wie lto.de berichtet.

BSG – Minderjährigenschutz im Sozialrecht: Der Sozialrichter Martin Kellner weist in einem Gastbeitrag für lto.de auf zwei derzeit am Bundessozialgericht anhängige Verfahren hin. In ihnen stellt sich die Frage, wie weit der namentlich in § 1629a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) manifestierte Grundsatz, dass junge Menschen nicht vor Erlangung der Volljährigkeit durch ihren Vormund verschuldet werden dürfen, entsprechend auch im Sozialrecht gilt. In beiden Verfahren hatten die Betroffenen als Minderjährige Sozialleistungen erhalten, die sich später als unbegründet erwiesen und nach Erlangung ihrer Volljährigkeit zurückgefordert wurden.

VG Berlin – Cannabislegalisierung: lto.de (Hasso Suliak) berichtet über die Klage eines Kreuzberger Strafverteidigers vor dem Verwaltungsgericht Berlin, der die Bundesregierung verpflichten möchte, Cannabis mittels einer Rechtsverordnung aus dem Kreis der nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zu sanktionierenden Substanzen zu streichen, weil die Vorteile einer Legalisierung deren Risiken überwögen. Insbesondere würde die Legalisierung dem Jugendschutz dienen und gravierenden Grundrechtsverletzungen Abhilfe verschaffen. Die Bundesregierung hält die Klage bereits deshalb für unzulässig, weil eine Gesetzesänderung durch Rechtsverordnung gegen die Gewaltenteilung verstoße.

OLG Braunschweig – VW-Musterfeststellungsklage: Im Musterfeststellungsverfahren gegen Volkswagen vor dem Oberlandesgericht Braunschweig ging es am gestrigen Verhandlungstag um die Berechnung des Schadens, den Anleger durch die Kursdifferenz der VW-Aktie in Folge des Abgasskandals erlitten haben. Falls das Gericht eine Publizitätspflichtverletzung feststellen würde, könnten Anleger diesen Schaden unter den vereinfachten Voraussetzungen der Musterfeststellungsklage gegen VW geltend machen, wie die FAZ (Carsten Germis und Marcus Jung) berichtet.

LG Berlin – KZ-Wachmann: Über das Verfahren gegen einen ehemaligen Wachmann des Konzentrationslagers Mauthausen vor dem Landgericht Berlin berichtet nun auch die taz (Klaus Hillenbrand). Dem Angeklagten wird vorgeworfen, die Tötungen im KZ Mauthausen durch seine Wachmanntätigkeit ermöglich und damit Beihilfe zum Mord in 36.000 Fällen geleistet zu haben. Der Artikel beleuchtet die Verteidigungsstrategie des Angeklagten näher und setzt den Prozess in den Kontext der übrigen derzeit laufenden Verfahren gegen ehemalige Mitarbeiter von Konzentrationslagern.

LG Dortmund – Klage gegen Kik: Über das bevorstehende Urteil im Prozess gegen das Textilunternehmen Kik vor dem Landgericht Dortmund berichten nun auch FAZ (Christine Scharrenbroch), SZ (Caspar Dohmen) und die Welt (Michael Gassmann).

Die Schwierigkeiten bei der Einführung höherer Produktionsstandards in der Textilbranche kommentiert Florian Kolf (Handelsblatt).

Recht in der Welt

EuGH: lto.de (Hasso Suliak) interviewt den Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs, Koen Lenaerts zur Zukunft des Gerichts, zum Umgang mit den Rechtsstaat gefährdenden und justizkritischen Tendenzen in Europa und zu den nächsten zu erwartenden Urteilen des EuGH.

EuG – Brexit: Das Gericht der europäischen Union erklärte die Klagen mehrerer Briten gegen den Entschluss des Rats der Europäischen Union zur Aufnahme der Brexit-Verhandlungen für unzulässig. Laut Gericht liegt noch keine unmittelbare Betroffenheit der Klagenden vor. Eine mögliche Beeinträchtigung des Unionsbürgerstatus würde erst im Falle eines Austrittsabkommens vorliegen, meldet lto.de.

Ukraine/Russland – Kriegsrecht: Nach einer militärischen Konfrontation von Schiffen der russischen und der ukrainischen Marine hat das ukrainische Parlament die Verhängung des Kriegsrechts für 30 Tage beschlossen. Eine Chronologie der Ereignisse und mögliche Folgen stellen unter anderem die taz (Bernhard Clasen) und die SZ (Florian Hassel) dar. Über die seerechtlichen Vereinbarungen zur Nutzung der Straße von Kertsch, der Fahrrinne zwischen der Krim und Russland, berichten FAZ (Reinhard Veser) und spiegel.de.

Türkei – Rechtsstaat: In einem Interview mit der SZ (Luisa Seeling und Christiane Schlötzer) äußert sich der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu zu den Ermittlungen im Fall Khashoggi und den Umgang der türkischen Justiz mit Regierungskritikern. 

Sonstiges

Fachanwalt für Sportrecht: Wie lto.de meldet, hat die Bundesrechtsanwaltskammer auf ihrer Sitzung am Montag beschlossen, die Fachanwaltsordnung um den Titel eines Fachanwalts für Sportrecht zu erweitern.

NS-Raubkunst: Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters möchte die Rückgabe von NS-Raubkunst durch deutsche Einrichtungen vorantreiben und kritisiert Einrichtungen, die sich noch immer dem Washingtoner Abkommen und den Empfehlungen der Limbach-Kommission widersetzen. Grütters zieht in Erwägung, die Leistung staatlicher Fördergelder an private Sammlungen von deren Kooperation bei der Raubkunst-Rückgabe abhängig zu machen, wie SZ (Ira Mazzoni)  und Welt (Marcus Woeller) berichten.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/asp

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren. 

 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. November 2018: Abstimmung zum Migrationspakt / Klage zur Cannabislegalisierung / Interview mit EuGH-Präsident Koen Lenaerts . In: Legal Tribune Online, 27.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32339/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen