Die juristische Presseschau vom 20. November 2018: Kon­tro­verse um Mi­gra­ti­ons­pakt ent­brannt / Ver­schär­fung des Neu­tra­li­täts­ge­bots / An­sch­reien kann Dienst­un­fall dar­stel­len

20.11.2018

Inhalt und Bindungskraft des UN-Migrationspakts werden wieder diskutiert. Außerdem in der Presseschau: Niedersachsen plant Verschärfung des Neutralitätsgebots und Beleidigung im Dienstgespräch kann laut BVerwG als Dienstunfall gelten.

Tagesthema

Migrationspakt: Anlässlich der Kritik von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am UN-Migrationspakt, der im Dezember in Marokko bestätigt werden soll, stellen SZ (Jan Bielicki)Tsp (Maria Fiedler u. a.) und Welt (Ricarda Breyton) noch einmal ausführlich dar, was der Migrationspakt regelt. Die taz (Anja Maier/Dinah Riese) weist darauf hin, dass die Forderung, "Deutschland möge nicht oder später unterzeichnen", irreführend sei, weil es sich bei dem Pakt nicht um einen bindenden völkerrechtlichen Vertrag handele, sondern lediglich um ein Abkommen, dessen Unterstützung die Länder offiziell bestätigten. 

Jasper von Altenbockum (FAZ) hält die Kritik Spahns für berechtigt und findet, man dürfe nicht über den bindenden Charakter des Abkommens hinwegtäuschen und sich so einer breiten Debatte entziehen. Auch Rainer Haubrich (Welt) hält es für verfehlt, dass der Inhalt des Migrationspakts bislang nicht öffentlich diskutiert wurde.  

Rechtspolitik 

Neutralitätsgebot in Niedersachsen: Das niedersächsische Justizministerium arbeitet an einem Gesetzentwurf, der Richtern und Vertretern der Staatsanwaltschaft das Tragen von religiösen Symbolen verbieten soll. In den Gerichtssälen hängende Kreuze sollen von der Regelung nicht betroffen sein. Es berichten lto.de und taz (Andrea Maestro)Frieda Ahrens (taz) kritisiert, dass das an der Wand hängende Kreuz zwar nicht richte, aber doch eine wichtige Rolle im Verfahren spiele. Wenn es weiterhin hängen bleibe, sei die Regelung inkonsistent.

Häusliche Gewalt: spiegel.de (Silke Fokken) spricht mit der Rechtsanwältin Christina Clemm über Defizite im rechtlichen Umgang mit Fällen häuslicher Gewalt. Die Anwältin kritisiert unter anderem die Strafzumessung der Gerichte, das Ermittlungsverhalten der Staatsanwaltschaften und fehlende Auswirkungen auf Umgangs- und Sorgerecht der Täter gegenüber ihren Kindern.

EU-Urheberrechtsreform: Die SZ (Karoline Meita Beisel) stellt die Bedenken der Youtube-Chefin Susan Wojcicki an der geplanten Urheberrechtsreform auf europäischer Ebene vor. Die Unternehmenschefin spricht sich dagegen aus, dass fortan die Internetplattformen für Urheberrechtsverletzungen durch Uploads ihrer User verantwortlich sein sollen. Anders als bei traditionellen Medienhäusern sei eine Überprüfung der Inhalte wegen deren schierer Masse unmöglich. Laut FAZ (Michael Hanfeld) hält die zuständige Justizstaatssekretärin Christiane Wirtz die Reform dagegen für erforderlich, um Urheberschutz im digitalen Zeitalter zu gewährleisten. Die Welt druckt einen Vortrag von Ingo Schulze ab, den der Schriftsteller bei der Konferenz "Perspektiven des Urheberrechts im Informationszeitalter" gehalten hat. Er schildert aus Sicht eines Autors, wie wichtig ein zeitgemäßes Urheberrecht ist. 

Frauenquote: In einem Gastbeitrag für lto.de befasst sich Rechtsprofessor Klaus F. Gärditz mit der Möglichkeit einer Frauenquote für die Mitglieder des Bundestages. Er kommt zu dem Schluss, dass sie mit dem Prinzip der Gleichheit der Wahl unvereinbar sei. 

Friedhofszwang: Anlässlich des Urteils des Europäischen Gerichtshofs aus der vergangenen Woche, das in dem Verbot der Urnenaufbewahrung durch private Unternehmen einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit erkannte, befasst sich der Tsp (Jost Müller-Neuhof) mit der Rechtssituation in Deutschland. Der Beitrag argumentiert, dass auch das deutsche Bestattungswesen unzulässigen Einschränkungen unterliege und insbesondere der Friedhofszwang bei Urnenbestattungen nicht zu rechtfertigen sei. 

Verfassungsrichterwahl: Jost Müller-Neuhof (Tsp) spricht sich gegen die Nominierung von Stephan Harbarth als neuen Verfassungsrichter aus, weil er einer "professionellen Vorbelastung" als Anwalt für Volkswagen im Abgasskandal unterliege. Er gibt zu bedenken, dass das Bundesverfassungsgericht seinen Rückhalt und seine Legitimität einbüßen könnte, wenn es nicht genug Distanz zum politischen Betrieb halte.

Justiz

LG Berlin – Raserprozess: Anlässlich des Prozessauftakts berichten nun auch spiegel.de (Wiebke Ramm)lto.de (Hasso Suliak) und deutschlandfunk.de (Anja Nehls) über das Verfahren gegen zwei Autofahrer, bei deren illegalem Straßenrennen ein unbeteiligter Dritter zu Tode kam. Der Bundesgerichtshof sah den bedingten Vorsatz der beiden Täter nicht als erwiesen an und hob das Urteil auf. Sollte auch das Landgericht diesen nun nicht als nachgewiesen sehen können, würde es zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung kommen. Der Gesetzgeber hat inzwischen einen Tatbestand für illegale Autorennen geschaffen.

BVerwG zu Dienstunfall: Das Bundesverwaltungsgericht urteilte in einer unlängst veröffentlichten Entscheidung, dass auch nicht-körperliche Einwirkungen im Rahmen eines Dienstgesprächs, die den "Rahmen des Normalen" verlassen, einen Dienstunfall darstellen können. Gemeint sind damit etwa aggressives Anbrüllen und Beschimpfungen, die Ausgleichsansprüche begründen können, sofern sie die Grenze der Sozialadäquanz überschreiten, meldet lto.de.

EuGH zu nicht beantragtem Urlaub: Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu verfallenden Urlaubsansprüchen befasst sich nun in einem Gastbeitrag auf Handelsblatt-Rechtsboard der Rechtsanwalt Markulf BehrendtEr weist darauf hin, dass sich das Urteil auch auf andere Bereiche beziehen könnte, in denen die Ansprüche von Arbeitnehmern nach einer bestimmten Zeit verfallen.

LG Frankfurt/M. zu Ladeneigenschaft: Wie das Landgericht Frankfurt in einem gestern veröffentlichten Urteil entschied, muss eine Wohnungseigentümergemeinschaft, die sich auf den Betrieb eines Ladens im Haus geeinigt hat, den Betrieb eines Eiscafés nicht dulden. Zwischen Verkauf und einem Gastronomiebetrieb bestehe insoweit ein Unterschied, wie lto.de berichtet.

BGH zu Arbeitnehmerbürgschaft: community.beck.de (Markus Stoffels) berichtet über ein Urteil des Bundesgerichtshofs, in dem dieser klarstellte, dass die Bürgschaft eines Arbeitnehmers für seinen Arbeitgeber nicht per se die sittenwidrig ist. Eine solche Bürgschaft könne für den Angestellten ein hinnehmbares Risiko darstellen, es müsse daher zudem eine "krasse" finanzielle Überforderung vorliegen. Andernfalls drohe hier außerdem eine Besserstellung von Arbeitnehmern gegenüber Angehörigen.

VG Berlin zu Grundstücksvermietung an Zirkus: Das Verwaltungsgericht Berlin erklärte die Ablehnung der Berliner Innen- und Sportverwaltung, ein Grundstück an einen Zirkus zu vermieten, für rechtswidrig. Sie verstoße gegen die langjährige Vergabepraxis in Verbindung mit der Berufsfreiheit und dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Verstöße gegen das Tierschutzgesetz seien nicht festgestellt worden. Die taz (Bert Schulz) berichtet. 

LG Münster – Stutthofprozess: Alexander Haneke (FAZ) setzt sich kritisch mit dem Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof auseinander. Er stellt in Frage, inwiefern es gerecht sei, einfache Wachleute vor Gericht zu bringen, auch sie hätten "gelitten, die besten Jahre ihres Lebens an diesem furchtbaren Ort zubringen müssen". Dennoch hält er die Verfahren für wichtig, um eine, wenn auch späte, rechtliche Aufklärung von NS-Verbrechen voranzubringen.

StA Dortmund – BVB-Anschlag: Im Fall des versuchten Bombenanschlags auf den Mannschaftsbus des BVB Dortmund fordert die Staatsanwaltschaft Dortmund lebenslange Haft wegen mehrfachen Mordversuchs. Die Staatsanwaltschaft sah bei dem Täter, der auf ein Fallen der Aktienkurse des Fußballvereins spekuliert hatte, die Mordmerkmale Heimtücke, Habgier und den Einsatz eines gemeingefährlichen Mittels als erfüllt an, wie unter anderem die SZ (Annette Ramelsberger) und die FAZ berichten.

Recht in der Welt

USA – Akkreditierung CNN-Journalist: zeit.de und FR berichten, dass der CNN-Korrespondent Jim Acosta wieder eine dauerhafte Akkreditierung für das Weiße Haus erhalten hat, nachdem er durch eine einstweilige Verfügung am Freitag bereits eine vorübergehende Erlaubnis erwirkt hatte. Das Weiße Haus setzte jedoch im gleichen Zug neue, strengere Verhaltensregeln für Journalisten in Kraft.

Italien/EU – Budgetstreit: Die FAZ (Werner Mussler) untersucht, welche Verfahrens- und Sanktionsmöglichkeiten die Europäische Union gegenüber Italien hat, sofern sich der Haushaltsstreit nicht beilegen lässt. 

Tansania – Schwulenverfolgung: Die Welt (Christian Putsch) berichtet über Tansania, wo die Bemühungen zur Durchsetzung von Gesetzen verstärkt werden, die männliche Homosexualität unter Strafe stellen. Dazu wurden unter anderem eine Telefonhotline und ein sogenanntes "Überwachungsteam" eingerichtet. 

Sonstiges

Verantwortlichkeit von Aufsichtsratsmitgliedern: In einem Gastbeitrag für lto.de untersuchen Lars-Gerrit Lüßmann und Matthias Dezes, wie weit die Pflichten des Aufsichtsrats reichen, abgeschlossene Geschäftsführungsvorgänge ausgeschiedener Vorstandsmitglieder im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht zu überprüfen. 

Dieselfahrverbote: Anlässlich des jüngsten Dieselfahrverbots, verhängt durch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, das sich unter anderem auf Teile der A 40 bezieht, stellt das Handelsblatt (Heike Anger und Dietmar Neuerer) den Unmut der Politik über das Handeln der Gerichte dar und fragt, unter welchen Umständen ein Fahrverbot als unverhältnismäßig zu beurteilen ist. Über einen möglichen Entwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes berichtet die FAZ (Kerstin Schwenn/Wieduwilt/Manfred Schäfers). Diese soll eine elektronische Verkehrsüberwachung ermöglichen, um Verstöße gegen Dieselfahrverbote besser ahnden zu können. 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/asp

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. November 2018: Kontroverse um Migrationspakt entbrannt / Verschärfung des Neutralitätsgebots / Anschreien kann Dienstunfall darstellen . In: Legal Tribune Online, 20.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32191/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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