Die juristische Presseschau vom 6. November 2018: AfD und Ver­fas­sungs­schutz / AGG-Kläger siegt am Ende / Auf­ar­bei­tung Stau­fener Miss­brauchs­fall

06.11.2018

Droht der AfD eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz? Außerdem in der Presseschau: Nach zehn Jahren hat ein AGG-Kläger doch noch Erfolg. Eine Kommission will den Kinderschutz durch Behörden und Gerichte verbessern.

Thema des Tages

AfD und Verfassungsschutz: netzpolitik.org beschreibt und veröffentlicht die AfD-interne Zusammenfassung des Gutachtens von Rechtsprofessor Dietrich Murswiek zu einer möglichen Verfassungswidrigkeit der AfD. Die Parteispitze der AfD hatte eine "Arbeitsgruppe Verfassungsschutz" gegründet, um rechtliche Schritte gegen eine mögliche Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst vorzubereiten. Daneben soll sie dafür Sorge tragen, dass problematische Mitglieder aus der Partei entfernt werden. Die AfD will zudem Handreichungen für ihre Mitglieder zu erstellen, um die Grenzen des Redens und Handels abzustecken. Als Grundlage dafür soll auch das Gutachten des Staatsrechtlers Murswiek dienen, in dem er für die AfD die rechtlichen Voraussetzungen der Beobachtung einer Partei durch den Verfassungsschutz dargestellt hat. Murswiek betonte, dass aus seinem Gutachten gerade nicht hervorgehe, dass die AfD vom Verfassungsschutz zu beobachten sei. Darüber hinaus plant die AfD, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dagegen zu klagen, dass die Prüfung einer möglichen Beobachtung durch den Verfassungsschutz öffentlich bekannt wurde. Es berichten auch die FAZ (Markus Wehner) und die taz (Sabine am Orde).

Jens Schneider (SZ) wertet das Vorgehen der AfD als Camouflage in der politischen Debatte: "Gewollt ist keine klare Absage an Fremdenfeindlichkeit oder Hetze gegen den Islam, sondern nur eine vermeintlich unangreifbare Wortwahl."

Rechtspolitik

Jumiko: Die Herbstkonferenz der Justizminister am 14./15. November befasst sich mit der Vertrauenskrise des Rechtsstaats, wie lto.de (Hasso Suliak) meldet. Weitere Themen seien unter anderem die Verschärfung im Dopingstrafrecht, die gesetzliche Festschreibung der streitwertmäßigen Beschränkung der Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof, die Aufhebung der Altershöchstgrenze für Schöffen und die Stärkung des Kündigungsschutzes für Väter in Elternzeit.

Scoring: Ein Gutachten des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen (SVRV) des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz fordert bei der Ermittlung von Verbraucher-Scores mehr Transparenz, Kompetenzstärkung der Verbraucher sowie eine Stärkung der Aufsichtsbehörden, wie netzpolitik.org (Marie-Charlotte Matthes/Wiebke Denkena) berichtet.

UN-Migrationspakt: Die österreichische Regierung verteidigt den Ausstieg des Landes aus dem UN-Migrationspakt, der am 10. und 11. Dezember in Marokko verabschiedet werden soll. Grund für ihre Entscheidung sei die Sorge vor Verlust von Souveränität über die eigene Migrationspolitik gewesen. Dem wird entgegengehalten, dass es sich bei dem Pakt ausdrücklich um einen "rechtlich nicht verpflichtenden Kooperationsrahmen" handle. Die EU-Kommission und die deutsche Bundesregierung hatten die Entscheidung Österreichs kritisiert. Es berichtet die FAZ (Stephan Löwenstein).

Justiz

LAG Hessen zu AGG-Rechtsmissbrauch: community.beck.de (Markus Stoffels) berichtet über ein jetzt veröffentlichtes Urteil des Landesarbeitsgerichts Hessen aus dem Juni 2018. Die beklagte R+V-Versicherung hatte gegen das Vorgehen eines bekannten AGG-Klägers den Einwand des Rechtsmissbrauchs erhoben, das LAG lehnte diesen jedoch ab, der Kläger erhält nach zehnjährigem Prozess 14.000 Euro. Das Urteil lasse, so Stoffels, "das Betreiben von AGG-Klagen weiterhin als ein lukratives Geschäftsmodell erscheinen".

OLG Frankfurt/M. zu unberechtigten Rechnungen: Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. kann der Betrugstatbestand auch dann verwirklicht sein, wenn das Opfer weiß, dass die per Rechnung geltend gemachten Forderungen nicht bestehen, wie lto.de berichtet. Sie irrten aber nach Ansicht der Frankfurter Richter täuschungsbedingt darüber, dass die angeklagten Betreiber der Agentur über die Möglichkeit verfügten, ihre Forderungen durchzusetzen bzw. ihnen zumindest Schwierigkeiten zu machen.

LG Stuttgart zum Porsche-Abgasskandal: Das Landgericht  Stuttgart hat in seinem Urteil vom 25. Oktober als erstes Gericht der Klage einer Kundin gegen Porsche stattgegeben: Das Unternehmen muss wegen einer unzulässigerweise eingebauten Abschalteinrichtung gegen Rückübereignung des Autos den Kaufpreis plus Zinsen von mehr als 2.400 Euro abzüglich einer Nutzungsentschädigung erstatten, so FAZ (Michael Ashelm/Klaus Max Smolka u.a.) und lto.de (Anja Hall). Der Einbau sei sittenwidrig gewesen. Der Klägerin war mit Abschluss des Kaufvertrages ein Schaden entstanden, da die konkrete Gefahr einer Stilllegung des Fahrzeugs durch das Kraftfahrt-Bundesamt bestanden habe. Porsche kündigte an, Berufung beim Oberlandesgericht Stuttgart einzulegen.

OLG Suttgart – Porsche-KapMuG: Wie die FAZ (Marcus Jung/Oliver Schmale) berichtet, verzögert sich die endgültige Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart weiter, ob es neben dem Braunschweiger Kapitalanleger-Musterverfahren in Stuttgart ein zweites KapMuG-Verfahren gegen Porsche SE, den Hauptaktionär von Volkswagen, geben kann. Grund für die Verzögerung seien personellen Veränderungen im zuständigen 20. Zivilsenat des OLG. In dem Verfahren würde es um die Frage gehen, ob Anleger zu spät über den Diesel-Skandal informiert wurden.

LG Münster – SS-Wachmann: Die SZ (Jana Stegemann) berichtet über den am kommenden Dienstag beginnenden Prozess gegen einen ehemaligen SS-Wachmann im Konzentrationslager Stutthof vor einer großen Jugendkammer am Landgericht Münster. Der heute 94-Jährige Johann R. soll laut Anklage Beihilfe zum Mord in mehreren Hundert Fällen begangen haben. Begonnen hatten die Ermittlungen gegen R. nach dem Urteil des Landgerichts München gegen den Sobibor-Wachmann John Demjanjuk von 2011, das als Zäsur in der Aufarbeitung von NS-Verbrechen gilt, weil es allein Demjanjuks Dienst in dem Vernichtungslager als ausreichend für die Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord in 28.000 Fällen angesehen hatte.

Recht in der Welt

Polen – Finanzskandal: Donald Tusk, der Vorsitzende des Europäischen Rates und ehemalige Ministerpräsident Polens, wurde im polnischen Untersuchungsausschuss zur sogenannten Amber-Gold-Affäre befragt. Die Firma Amber Gold hatte während der Regierungszeit Tusks Anleger um umgerechnet etwa 200 Millionen Euro betrogen. Tusk sagte, dass es nicht sein Demokratieverständnis sei, Behörden per Handsteuerung Anweisungen zu geben, und spielte damit auf die zentralistisch agierende heutige Regierung an, wie die FAZ analysiert.

Polen und Ungarn – Autokratie: Die FAZ (Stephan Löwenstein) bespricht den Sammelband "Unterm Messer. Der illiberale Staat in Ungarn und Polen" der Zeitschrift "Osteuropa" sowie – ergänzend dazu – den Tagungsband "Ungarn, Deutschland, Europa. Einblicke in ein schwieriges Verhältnis".

Bahrain – Verurteilung von Oppositionellen: Ein Berufungsgericht in Bahrain hat den schiitischen Oppositionsführer Scheich Ali Salman, einen der führenden Köpfe hinter den Protesten während des sogenannten Arabischen Frühlings im Frühjahr 2011, zu lebenslanger Haft verurteilt. Grund seien seine Kontakte zum Nachbaremirat Katar, mit dem Ziel, gegen die Regierung in Bahrain vorzugehen. Neben Salman wurden zwei weitere Oppositionelle verurteilt, die im Exil leben. Es berichtet die SZ (Dunja Ramadan).

Brasilien – Justizminister: Der designierte brasilianische Präsident Jair Bolsonaro hat, einer Meldung der SZ (Sebastian Schoepp) zufolge, den Ermittlungsrichter Sérgio Moro als Justizminister nominiert. Moro habe "mittels dünner Indizien" erreicht, dass der frühere Präsident und aussichtsreichste linke Gegenkandidat, Lula da Silva, wegen Korruption zu einer langen Haftstrafe verurteilt wurde, erklärt Schoepp. Die Berufung von Moro, dem als eine Art Superminister auch die öffentliche Ordnung unterstehen soll, wecke in Brasilien Zweifel an seinen Korruptionsermittlungen gegen Lula und lasse diese als Komplott aussehen.

USA – Prozess gegen "El Chapo": Auch die SZ (Max Sprick) berichtet nun über den Prozess gegen den Drogenboss "El Chapo", der jetzt vor einem Bundesgericht in Brooklyn begonnen hat und bis zu vier Monate dauern dürfte.

Pakistan – Gotteslästerung: Der Anwalt Adeel Hussain widmet sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) anlässlich des Freispruchs von Asia Bibi durch das Oberste Gericht dem pakistanischen Blasphemie-Gesetz.

Sonstiges

Maaßen: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat den Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen in den einstweiligen Ruhestand versetzt, wie u. a. FAZ (Helene Bubrowski), SZ (Constanze von Bullion/Georg Mascolo u. a.) und lto.de berichten. Grund dafür ist eine Rede, die Maaßen am 18. Oktober vor dem "Berner Club", dem Kreis der europäischen Chefs der Inlandsgeheimdienste, in Warschau hielt. Maaßen hatte sich darin u. a. als Kritiker einer "idealistischen, naiven und linken Ausländer- und Sicherheitspolitik" bezeichnet und "linksradikale Kräfte in der SPD" bezichtigt, einen Bruch der Großen Koalition provozieren zu wollen. Bundesinnenminister Horst Seehofer sprach von "inakzeptablen Formulierungen". Constanze von Bullion (SZ) bezeichnet Maaßens Entlassung als überfällig. Die SZ (Ronen Steinke) berichtet, dass Nachfolger bis auf Weiteres Thomas Haldenwang werden soll, der bisherige Stellvertreter von Maaßen.

Staufener Missbrauchsfall: Die "Kommission Kinderschutz", die sich aus fünf externen Experten und Vertretern von fünf Ministerien der baden-württembergischen Landesregierung zusammensetzt, beginnt am Montag mit ihrer Aufarbeitung und Analyse des Staufener Missbrauchsfalls. Sie soll innerhalb eines Jahres Vorschläge für ein Konzept liefern, damit sich ein derartiger Fall, der sich "quasi unter den Augen des Staates unbemerkt" ereignete, nicht wiederholt. fr.de (Ursula Knapp) macht für das Versagen der Institutionen insbesondere Fehler bei den Gerichten aus.

Rechtsstaat: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) setzt sich anlässlich der Einführung der Musterfeststellungsklage mit Defiziten des deutschen Rechtsstaats auseinander, insbesondere mit dem Imageproblem der Justiz. Auch wegen der oft überlangen Verfahrensdauer gebe es in Deutschland mehr und mehr Legal-Tech-Unternehmen, die den Bürgern digitale, schnell anmutende Klagelösungen versprächen. Eine Privatisierung der Justiz, die am Ende dieser Entwicklung stünde, bringe aber auch Gefahren mit sich, so Wieduwilt. Es sei daher umso wichtiger, dass die Musterfeststellungsklage schnelle Erfolge zeige und so das Vertrauen in den Rechtsstaat ein Stück weit wiederherstelle. 

NS-Raubkunst: Die Limbach-Kommission, die in Deutschland über NS-Raubkunst befindet, soll in der Auseinandersetzung um Wassily Kandinskys Schlüsselwerk "Das bunte Leben" angerufen werden, so die SZ (Kia Vahland). Die Erben der ursprünglich jüdischen Eigentümer forderten das Werk, das als Leihgabe im Münchener Lenbachhaus hängt, 2017 von der jetzigen Eigentümerin, der Bayerischen Landesbank, zurück. In einem ähnlich gelagerten Fall in den Niederlanden um Kandinskys "Bild mit Häusern", das auf derselben Auktion im Oktober 1940 versteigert wurde wie "Das bunte Leben", hat die dort für Raubkunst zuständige Restitutiecommissie den Antrag der Erben nun abgelehnt. Vahland beschreibt die Argumentation der Kommission als "tendenziös".

Carl Schmitt: Die FAZ (Martin Otto) bespricht die von dem Politikwissenschaftler Marco Walter herausgegebene, "theologisch konnotierte" Synopse zu Carl Schmitts "Der Begriff des Politischen". Sie werde im Sinne der kritischen Exegese zur Historisierung Schmitts beitragen.

Kriminalität und Migration: Die SZ (Verena Mayer/Ronen Steinke) befasst sich mit dem Verhältnis von Migration und Kriminalität und erinnert daran, dass "in Strafgerichten schon immer im Mittelpunkt" stand, wer "in der Gesellschaft am Rand steht" – früher seien dies Osteuropäer gewesen, heute Flüchtlinge. Die Kriminalität libanesischer Clans zeige, was geschehe, wenn man Probleme "schwären lässt".

Straftaten gegen Flüchtlinge: Aus der Statistik des Bundesinnenministeriums zu Straftaten gegen Flüchtlinge für das erste Halbjahr 2018, über die die SZ (Helena Ott) berichtet, wird ein deutlicher Ost-West-Unterschied erkennbar: So seien 80 Prozent der erfassten Körperverletzungen in den fünf östlichen Bundesländern begangen worden. Insgesamt wurden im ersten Halbjahr dieses Jahres 704 Angriffe auf Flüchtlinge und Unterkünfte gezählt.

Influencer-Abmahnungen: Der Anwalt Christian Ritter von Strobl-Albeg schreibt auf lto.de über die Folgen der seit diesem Frühjahr zu beobachtenden Abmahnwelle in Sachen Influencer-Marketing.

Versicherungsbetrug: Die SZ (Anne-Christin Gröger) berichtet über kriminelle Banden, die Autounfälle absichtlich herbeiführten und inszenierten, um vom Versicherer des vermeintlichen Unfallverursachers Entschädigung zu erhalten. Die Betrugsfälle sollen nun durch Einsatz von Big Data und künstlicher Intelligenz leichter erkannt werden können.

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lto/lj

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. November 2018: AfD und Verfassungsschutz / AGG-Kläger siegt am Ende / Aufarbeitung Staufener Missbrauchsfall . In: Legal Tribune Online, 06.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31887/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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