Die juristische Presseschau vom 10. Juli 2018: Hohe Frei­heits­strafen für Infinus-Manager / Věra Jou­rová im Inter­view / Neue Prä­si­dial­ver­fas­sung in der Türkei

10.07.2018

LG Dresden verhängt Freiheitsstrafen gegen Infinus-Gruppe. Außerdem in der Presseschau: EU-Kommissarin Jourová zur DSGVO. Mit der Vereidigung des türkischen Präsidenten Erdorğan tritt in der Türkei die neue Präsidialverfassung in Kraft.

Thema des Tages

LG Dresden zu Infinus: Das Landgericht Dresden hat sechs Manager des ehemaligen sächsischen Finanzdienstleisters Infinus AG wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, Kapitalanlagebetrugs und der Beihilfe dazu zu Freiheitsstrafen zwischen viereinhalb und acht Jahren verurteilt. Die Angeklagten sollen mehr als 22.000 Anleger um mehrere hundert Millionen Euro betrogen haben. Ab der Jahrtausendwende kaufte die Infinus AG Privatpersonen ihre Lebensversicherungen ab, während diese im Gegenzug mit dem eingenommenen Geld in Finanzprodukte der Infinus-Gruppe investieren konnten. Als das Unternehmen irgendwann die Zinsen seiner Investoren nicht mehr aus eigener Kraft bedienen konnte, machte es sich ein klassisches Schneeballsystem zunutze und bediente diese mit dem Geld neuer Anleger. Im November 2013 hatte die Dresdner Staatsanwaltschaft nach einen anonymen Hinweis Razzien bei der Infinus AG eingeleitet, die diese Praktiken nach und nach aufdeckten. In dem seit November 2015 laufenden Prozess mit 165 Verhandlungstagen und 238 Zeugen bestritten die Angeklagten die gegen sie erhobenen Vorwürfe bis zuletzt. Neben der Verhängung der Freiheitsstrafen hat das Gericht nun auch die Einziehung von Vermögen der Angeklagten in Höhe von rund 50 Millionen Euro angeordnet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und eine Revision zum Bundesgerichtshof wahrscheinlich. Es berichten unter anderem die FAZ (Stefan Locke/Marcus Jung), die SZ (Ulrike Nimz) und das Hbl (Lars-Marten Nagel)

Im Zusammenhang mit dem Urteil moniert Marcus Jung (FAZ) zu laxe Kontrollen auf dem Kapitalanlagemarkt. Eine Aufdeckung von Straftaten durch Kapitalanlagegesellschaften, an der sich Finanz- und Gewerbeaufsicht sowie Steuerbehörden stärker beteiligen sollten, müsse früher stattfinden. 

Rechtspolitik

Věra Jourová im Interview: Im Interview mit dem Hbl (Till Hoppe/Digbijay Mishra) spricht die EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung über die Anwendung und die Rezeption der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) durch Datenkonzerne wie Facebook oder Google, aber auch kleine und mittelgroße Firmen. Insbesondere von Facebook erwartet Jourová mehr Aufklärungsarbeit und die nötige Zusammenarbeit mit den Datenschutzbehörden. Die EU-Politikerin äußert sich außerdem zum Privacy Shield-Abkommen mit den USA und den Erfahrungen mit dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz. 

Musterfeststellungsklage: In einem Gastbeitrag für das Hbl bewertet Rechtsanwalt Christian Harmsen das von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Gesetz zur Einführung der Musterfeststellungsklage als keine allzu große Bedrohung für die deutsche Wirtschaft. Zum einen bestünden einige prozessuale Hürden bei der Klageerhebung. Zum anderen richte sich die Klage nur auf die Feststellung des Bestehens eines Anspruchs oder Rechtsverhältnisses, während jeder einzelne Geschädigte seine eigenen Ansprüche immer noch selbst einklagen müsse. 

Justiz

OLG Frankfurt zu Smartphones: Smartphones stellen keine grundsätzliche Gefahr für das Kindeswohl dar. Ihrem möglichen Schädigungspotenzial bei Minderjährigen vorzubeugen, sei Sache der Eltern. So lautet ein Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt, wie lto.de meldet. In erster Instanz hatte das Amtsgericht Bad Hersfeld einem achtjährigen Mädchen untersagt, ein Smartphone zu haben. Dagegen legten die getrennt lebenden Eltern und das Mädchen selbst erfolgreich Beschwerde ein. 

EuGH  EZB: Die SZ (Wolfgang Janisch) erörtert die juristischen Streitfragen, die den Europäischen Gerichtshof beschäftigen werden, wenn er am Dienstag nach einem Urteil im Juni 2015 zum zweiten Mal über die Unionsrechtswidrigkeit von Staatsanleihenkäufen durch die Europäische Zentralbank verhandelt. Im Kern stellt sich die Frage, ob die grundsätzlich erlaubten Anleihenkäufe auf dem Sekundärmarkt zu den Verbotenen auf dem Primärmarkt, also von den emittierenden Staaten selbst,  "wirkungsgleich" sind. Dann würden sie dem Verbot der Staatsfinanzierung zuwider laufen. Es wird auch zu klären sein, wie detailliert die EZB in Zukunft ihre Maßnahmen begründen muss. 

LG München I  Cathy Hummels: Am Montag wurde vor dem Landgericht München I über die Rechtmäßigkeit einer einstweiligen Verfügung verhandelt, die der Verband Sozialer Wettbewerb (VSW) gegen die Influencerin und Fußballer-Gattin Cathy Hummels erwirkt hatte. Wie lto.de meldet, werde ihr vorgeworfen, Werbung für Produkte auf Instagram nicht als solche zu kennzeichnen. Hummels hatte mit dem Hinweis auf ihre Meinungsfreiheit gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch eingelegt. 

LG München I  Thilo Sarrazin: In dem Rechtsstreit zwischen Thilo Sarrazin und seinem Verlag Random House will sich das Landgericht München I für einen Vergleich einsetzen. Dies berichten lto.de und die FAZ (Hannes Hintermeier). Nachdem Sarrazin dem Verlag im Februar 2018 das Manuskript für sein neues Buch übergeben hatte, welches im August veröffentlicht werden sollte, hatte Random House eine Publikation abgelehnt. Der umstrittene Autor klagt auf Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns und Rufschädigung sowie auf Erstattung seiner Anwaltskosten. 

BVerfG zum Anwaltsgeheimnis bei internen Ermittlungen: Die drei Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts, mit denen es die Verfassungsbeschwerden der Volkswagen AG, der US-amerikanischen Anwaltskanzlei Jones Day sowie drei der beteiligten Rechtsanwälte gegen Durchsuchungen und Beschlagnahmen von Unterlagen in der Kanzlei nicht zur Entscheidung annahm, analysiert nun auch lto.de (Martin W. Huff). Entscheidend sei, dass nie ein Mandatsverhältnis zwischen der Volkswagen AG und Jones Day bestanden habe, weshalb nicht § 160a StPO sondern das allgemeine Beschlagnahmeverbot in § 97 StPO Anwendung finde. Allein wegen der Anwaltseigenschaft könnten Ermittlungsmaßnahmen bei der Kanzlei Jones Day nicht untersagt werden. 

OLG München  NSU: Die taz (Konrad Litschko) portraitiert den Richter am Oberlandesgericht München Manfred Götzl, der am Mittwoch das Urteil im NSU-Prozess verkünden wird. Götzl eile ein Ruf der Härte voraus. Den gesamten Prozess über habe er sich als zäh erwiesen und war darauf bedacht, keine Fehler zu machen, die eine Revision anfüttern könnten. Im Interview mit zeit.de (Tom Sondermann) spricht die frühere Pressesprecherin des OLG München Andrea Titz über ihren Umgang mit Journalisten und interessierten Bürgern während des NSU-Prozesses. 

Verfassungsrichterwahlen und die AfD:  Nachdem am 14. Juni eine Kandidatin der AfD durch den baden-württembergischen Landtag zur Richterin am Verfassungsgerichtshof des Landes und damit erstmals an einem der 17 Verfassungsgerichte in der Bundesrepublik gewählt wurde, berichtet der Professor der Politikwissenschaft Michael Hein auf verfassungsblog.de von dem Dilemma des Umgangs mit AfD-Fraktionen bei Verfassungsrichterwahlen auf Bund- und Länderebene. Einerseits müsse durch die gewählten Richter der Schutz der Grundrechte und des demokratischen Rechtsstaates sichergestellt werden, andererseits müsse bei der Wahl ein adäquates Maß demokratischer Repräsentativität gewahrt werden. Der Autor erörtert die drei Strategien der Ausgrenzung, bedingten Integration und vollständigen Integration gegenüber der AfD. 

Bild- und Tonaufnahmen im Gericht: Die SZ (Wolfgang Janisch) stellt die Diskussion und bisherige Rechtsprechung zu Bild- und Tonaufnahmen aus deutschen Gerichtssälen vor. Neben den Urteilsverkündungen des Bundesverfassungsgerichts dürfen seit wenigen Monaten auch die Urteilverkündungen der fünf Bundesgerichte gefilmt werden. An allen anderen Gerichten sind Kameras bei den Urteilsverkündungen nicht zugelassen, so auch bei der Urteilsverkündung im NSU-Prozess des OLG München am Mittwoch. Es werde befürchtet, dass dies die Gerichte organisatorisch überfordern könnte und die Persönlichkeitsrechte Betroffener stark beeinträchtigt würden. 

Recht in der Welt 

Türkei  Neue Präsidialverfassung: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat am Montagnachmittag seinen Amtseid im Parlament abgelegt, wodurch die vor einem Jahr per Referendum gebilligte Präsidialverfassung in der Türkei in Kraft tritt. Wie unter anderem die SZ (Christiane Schlötzer) und die taz (Jürgen Gottschlich) berichten, vereinigt Erdoğan nun in seiner Person das Amt des Staats- und Regierungschefs. Das Amt des Premierministers wurde abgeschafft. Der Präsident ernennt und entlässt nun allein die Minister. Die Macht des Parlaments wurde deutlich eingeschränkt. Durch die direkte Ernennung von vier Mitgliedern des "Rats der Richter und Staatsanwälte", der wiederum die Richter und Staatsanwälte ernennt, hat der Präsident auch einen großen Einfluss auf die Justiz gewonnen.

Christiane Schlötzer (SZ) zieht Bilanz, dass das Vertrauen in den türkischen Rechtsstaat verschwunden und eine funktionierende Gewaltenteilung nicht mehr zu erkennen sei. Das neue Präsidialsystem könnte sich aber als weit weniger stabil erweisen als Erdoğan glaubt. 

Brasilien  Lula in Haft: Der brasilianische Ex-Präsident Luis Inácio Lula da Silva bleibt weiterhin in Haft. Nachdem ein Bundesrichter aus Porto Alegre zuvor die sofortige Freilassung Lulas angeordnet hatte, entschied der Gerichtspräsident, dass die Kompetenz dafür nicht bei ihm, sondern bei dem für den Prozess zuständigen Richter Joao Gebran Neto liege. Lula verbüßt zur Zeit eine zwölfjährige Freiheitsstrafe wegen Korruption. spiegel.de berichtet.

USA  Supreme-Court-Richter-Wahl: Wie spiegel.de weiß, hat US-Präsident Trump den Juristen Brett Kavanaugh als neuen Richter am Supreme Court nominiert. Der 53-jährige Berufungsrichter aus Washington arbeitete bereits für Präsident George W. Bush. Nun muss der Senat dieser Nominierung zustimmen. 

Sonstiges

Datenschutzfachleute: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) gibt das Ergebnis einer Umfrage des Branchenverbands Bitkom wieder, laut der Unternehmen und Kanzleien nach dem Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) am 25. Mai händeringend Fachleute im Datenschutzrecht suchen. Das Inkrafttreten der DSGVO würde für die Unternehmen einen langfristigen Mehraufwand bedeuten. Der Verband warnt auch vor der E-Privacy-Verordnung als nächstem Gesetzesvorhaben. 

Hospitality und Sportrecht: Angeregt von einer Sportrechts-Tagung des Deutschen Anwaltvereins, die vor wenigen Tagen in Köln stattfand, beschreibt lto.de (Hasso Suliak), wie Interessenverbände aus dem Bereich des Sportsponsoring das Thema Hospitality angehen. So hätten die Interessenverbände einen Leitfaden zu  "Hospitality und Sportrecht" aus dem Jahr 2011 an die Verschärfung des Korruptionsstrafrechts seit der letzten Wahlperiode angepasst. Ziel sei es Rechtsunsicherheit bei den Sponsoren zu vermeiden, denn Hospitality sei trotz der Regelungsbedürftigkeit eine wichtige Säule für die Finanzierung im Sport. 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/man

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 10. Juli 2018: Hohe Freiheitsstrafen für Infinus-Manager / Věra Jourová im Interview / Neue Präsidialverfassung in der Türkei . In: Legal Tribune Online, 10.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29647/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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