Die juristische Presseschau vom 14. September 2018: Maaßen wackelt / Räu­mung des Ham­ba­cher Forstes / EGMR zu Über­wa­chung­s­pro­gramm

14.09.2018

In der Koalition wird erneut über Maaßen diskutiert. Außerdem in der Presseschau: Der EGMR verurteilt Großbritannien wegen seines Überwachungsprogramms und ein Eilantrag beim VG Köln gegen die Räumung des Hambacher Forstes bleibt erfolglos.

Thema des Tages

Zukunft für Maaßen?: Die Parteivorsitzenden der Regierungskoalition haben eine Entscheidung über die Zukunft des umstrittenen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, auf Dienstag vertagt. Dies berichten u.a. FAZ, SZ (Constanze von Bullion/Mike Szymanski), Welt (Robin Alexander/ Daniel Friedrich Sturm) und Hbl (Martin Greive/Jan Hildebrand/Dietmar Neuerer/Michael Verfürden). SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte den Rücktritt Maaßens. Dieser hatte hinsichtlich der Vorgänge während rechtsgerichteter Kundgebungen in Chemnitz geäußert, seiner Behörde lägen keine belastbaren Informationen dafür vor, dass es bei den Ausschreitungen Hetzjagden gegeben habe. Hinsichtlich eines hierzu im Internet kursierenden Videos sagte er, es sprächen "gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation" handele, um "möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken". Einem Bericht des ARD-Magazins Kontraste zufolge stellte Maaßen überdies der AfD-Bundestagsfraktion Informationen aus dem Verfassungsschutzbericht 2017 bereits Wochen vor dessen Veröffentlichung zur Verfügung, wie u.a tagesschau.de (Susanne Katharina Opalka/Jo Goll/Norbert Siegmund) meldet.

Berthold Kohler äußert im Leitartikel der FAZ die Meinung, Maaßen habe sich den Wirbel angesichts seiner verwunderlichen Äußerungen zwar selbst zuzuschreiben. Indes sei zu erwarten, dass er bei einer Ablösung zum Märtyrer erklärt werde, welcher "nach einem Dolchstoß des 'Systems' den Heldentod erlitten habe". Ulf Poschardt legt Maaßen im Leitartikel der Welt einen freiwilligen Rücktritt nahe, selbst wenn er "legalistisch keine Fehler begangen haben sollte". Markus Horeld (zeit.de) äußert die Ansicht, man könne "gar nicht erschreckt genug sein" angesichts des Schadens, den Maaßen mit seiner Äußerung angerichtet habe. Kai Biermann (zeit.de) nennt Maaßen einen "Meister der Ablenkung",  welcher "im Streit um einzelne Wörter gern das große Bild aus dem Blick" verliere. So habe Maaßen einst in einem Rechtsgutachten argumentiert, die Bundesregierung sei nicht verpflichtet, den im Gefangenenlager Guantanamo Bay gefolterten Murat Kurnaz wieder in die Bundesrepublik einreisen zu lassen, da dessen Aufenthaltsgenehmigung "kraft Gesetzes erloschen" sei.

Rechtspolitik 

EU – Gentechnik: Im Leitartikel der FAZ fordert Joachim Müller-Jung die Europäische Union auf, angesichts einer steigenden Zahl von Hungerleidenden auf der Welt eine offenere Position hinsichtlich der Gentechnik einzunehmen. Statt den Prozess an sich unter Verdacht zu stellen sollten die Pflanzen im Einzelfall auf mögliche Risiken untersucht werden. Jung kritisiert dabei auch das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), nach dem die "Gen-Schere", welche das "Editieren" von Erbgut ohne das Einführen artfremder Gene ermöglicht, als herkömmliche Gentechnik zu werten ist. Notwendig sei vielmehr, das Gentechnikrecht der EU an die wissenschaftliche Realität anzupassen.

Rechtsstaat: Rechtsprofessor Volker Boehme-Neßler ruft in der Welt die Justiz zu einer besseren Öffentlichkeitsarbeit auf. Sie müsse ihre Sprachlosigkeit überwinden und den Bürgern etwa rechtsstaatliche Grundsätze wie "in dubio pro reo" oder die Besonderheiten des Jugendstrafrechts erläutern. Wo hingegen auf eine offene Kommunikation und Erklärung verzichtet werde, würden Vorurteile gegen die Justiz geschürt und Verschwörungstheorien befeuert.

AÜG-Reform: Die Rechtsanwälte Kira Falter und Alexander Bissels erläutern im Handelsblatt-Rechtsboard die Kernelemente der im April 2017 in Kraft getretenen Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). Im September 2018 laufe die gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten ab, wobei der genaue Tag umstritten sei. Der Gesetzgeber habe keine klare Regelung darüber getroffen, wie die Frist und deren Ablauf zu bestimmen sei.

Justiz

EGMR zu Massenüberwachung: Teile des Überwachungsprogramms des britischen Geheimdienstes GCHQ verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, wie lto.de (Markus Sehl)netzpolitik.org (Simon Rebiger) und swr.de (Gigi Deppe) melden. Im Rahmen des von Edward Snowden, ehemaligem Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA, im Jahr 2013 aufgedeckten Überwachungsnetzwerkes zapfte der britische Geheimdienst in großem Stil Unterseekabel an, über die Kommunikation zwischen den USA und Großbritannien läuft. Hiergegen hatten britische Bürgerrechtler zusammen mit der Sprecherin des Chaos Computer Clubs, Constanze Kurz, geklagt. Der EGMR billigte zwar das Institut der Massenüberwachung an sich, sah jedoch in der konkreten Ausgestaltung einen Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Artikel 8 EMRK. So gebe es keine unabhängige Kontrolle bei der Überwachung. Das Urteil betrifft indes eine alte Rechtslage, da Großbritannien nach Kritik im Jahr 2016 ein neues Überwachungsgesetz geschaffen hat. Inwieweit dieses den Straßburger Vorhaben entspreche, sei nun zunächst eine Angelegenheit der britischen Behörden, so Gerichtssprecher Patrick Lannin. 

VG Köln zur Räumung des Hambacher Forstes: Das Verwaltungsgericht Köln hat einen Eilantrag gegen die Räumung des Hambacher Forstes abgelehnt, berichtet zeit.de. Seit 2012 haben Aktivisten das Waldstück in einem Braunkohlerevier besetzt und leben dort zum Teil in Baumhäusern, um so zu verhindern, dass der Energiekonzern RWE den Rest des Gebietes zum Braunkohleabbau nutzt. Am Donnerstagmorgen waren die Baumbesetzer über einen Räumungsbeschluss informiert und aufgefordert worden, ihre Baumhäuser innerhalb von einer halben Stunde zu verlassen. Die Polizei führte als Begründung für die Räumung indes nicht die Interessen von RWE, sondern eine Waldbrandgefahr an. Das Gericht billigte diese Einschätzung nun im Eilverfahren.

Malte Kreutzfeldt (taz) kritisiert das behördliche Vorbringen. Dass eine Waldbrandgefahr erst nach sechs Jahren Duldung der Baumhäuser entdeckt werde, und dies nicht während der wochenlangen Dürreperiode, sondern nach heftigem Regen, mache "die Absurdität dieses Arguments für jeden offensichtlich."

BGH – Urheberrechtsverletzungen: Der Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob YouTube für fremde Urheberrechtsverletzungen haftet. Dies berichten u.a. taz (Christian Rath) und FAZ (Michael Hanfeld). Hintergrund ist eine Klage des Produzenten der englischen Sopranistin Sarah Brightman, deren Musik seit 2008 immer wieder auf YouTube illegal hochgeladen wurde. YouTube beruft sich dabei auf das Provider-Privileg. Weil das deutsche Urheberrecht auf EU-Richtlinien zurückgeht, muss der EuGH über die Frage entscheiden. Fraglich ist dabei insbesondere, ob das EuGH-Urteil zur Plattform The Pirate Bay aus dem Jahr 2017 auf YouTube übertragbar ist. Damals hatte das Gericht eine Haftung bejaht, da die Plattform eine "zentrale Rolle" bei Urheberrechtsverletzungen innehabe. 

AG Chemnitz zu Hitlergruß: Das Amtsgericht Chemnitz hat einen 33-jährigen Mann, der auf einer von AfD, Pegida und Pro Chemnitz organisierten Demonstration den Hitlergruß gezeigt und einen Polizisten zu schlagen versucht hat, zu einer Haftstrafe von acht Monaten auf Bewährung und einer Geldstrafe von 2.000 Euro verurteilt. Dies melden u.a. spiegel.de und lto.de. Das Urteil erfolgte nach einem beschleunigten Verfahren, in welchem das Zwischenverfahren entfällt. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung gefordert, die Verteidigung auf Freispruch plädiert. 

EuGH zu Geheimhaltungspflichten von Finanzaufsichtsbehörden: Rechtsprofessorin Elke Gurlit bespricht auf lto.de zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofes zur Abwägung von Geheimhaltungspflichten der Finanzaufsichtsbehörden mit legitimen Informationsinteressen von geschädigten Anlegern. In den Urteilen "Buccioni" und "UBS Europe" habe das Gericht festgestellt, dass das Berufsgeheimnis einer Durchbrechung zugunsten überwiegender Informationsinteressen zugänglich sei.  

BGH zu Behandlungsfehler: Ein Zahnarzt, der eine derartig mangelhafte Behandlungsleistung erbringt, dass auch eine Nachbehandlung keine Besserung bringt, hat keinen Anspruch auf Vergütung. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden, wie lto.de meldet. Im betreffenden Fall hatte ein Arzt acht Implantate eingesetzt, diese jedoch nicht tief genug im Kieferknochen positioniert, was zu einem erhöhten Entzündungsrisiko für die Patientin führte. Die Frau hatte die Behandlung darauf abgebrochen. Ein Gutachter hatte festgestellt, dass eine Entfernung der Implantate das Risiko berge, die Zähne so zu schädigen, dass neue Implantate nicht mehr halten würden. Eine solche vertragswidrige Leistung lasse den Vergütungsanspruch von 34.000 Euro nach § 628 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB entfallen, befand nun das Gericht. swr.de (Frank Bräutigam) zeigt das Video der Urteilsverkündung.

LAG Berlin-Brandenburg zu Hiwi-Befristung: Ein Vertrag als studentische Hilfskraft darf nur dann nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) befristet werden, wenn die betreffende Person auch tatsächlich wissenschaftlich arbeitet. Dies hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschieden, wie lto.de meldet. Geklagt hatte eine Studentin der Informatik, welche in ihrer Tätigkeit als studentische Hilfskraft hauptsächlich verwaltungstechnische Arbeiten ausübte. Da eine solche nicht der Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse diene, falle sie nicht unter § 6 WissZeitVG, welcher im Falle einer wissenschaftlichen Tätigkeit die Befristung bis zur Dauer von insgesamt sechs Jahren erlaubt, so das Gericht.  

BGH – Amtsblätter: Der Bundesgerichtshof hat über die Grenzen legitimer Öffentlichkeitsarbeit von Gemeinden in sogenannten Amtsblättern verhandelt. Hierüber berichtet die SZ (Wolfgang Janisch). Die insbesondere in Süddeutschland verbreiteten Blätter sollen der Information der Gemeindemitglieder dienen, beinhalten aber häufig auch redaktionelle Inhalte. Dies sei mit Blick auf die verfassungsrechtlich gebotene Staatsferne problematisch, welche die staatliche Tätigkeit auf dem Gebiet der Presse begrenze. Die erhöhte redaktionelle Ausgestaltung der Amtsblätter insbesondere in ländlichen Gegenden sei auch eine Reaktion auf die Krise der Zeitungen, welche dazu führe, dass es mancherorts keine Lokalzeitschriften mehr gebe. 

LG Duisburg – Loveparade: Auf community.beck.de äußert sich Rechtsprofessor Henning Ernst Müller zum kürzlich bekannt gewordenen Gutachten des Sachverständigen Jürgen Gerlach hinsichtlich der Todesfälle und Verletzungen bei der Loveparade 2010. Das Gutachten belege, dass der Massenturbulenz ein komplexes Ursachensystem zugrunde gelegen habe, das von Handlungen und Unterlassungen in der Planung und Genehmigungsphase bis zu Fehlentscheidungen am Tag der Loveparade und zu den ungeeigneten Polizeiketten reiche. Das Gutachten widerlege insbesondere die ursprüngliche Einschätzung der Staatsanwaltschaft, polizeiliche Handlungen – insbesondere die Polizeiketten – hätten mit der zum Tod führenden Ursachenkette nichts zu tun gehabt. Diese fehlerhafte Einschätzung sei mitverantwortlich gewesen für die wesentliche Verzögerung des Prozesses bis an die Grenze der absoluten Verjährung. 

EuGH zu SIM-Karten: Telefonanbieter dürfen auf SIM-Karten keine kostenpflichtige Dienste vorinstallieren, ohne ihre Kunden darüber zu informieren. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden, wie lto.de meldet. In der Vorinstallation sei die Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung zu sehen, welche nach der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken eine unter allen Umständen aggressive und unlautere Praktik darstelle.  

Recht in der Welt

Ungarn – Rechtsstaatverfahren: Nach dem Beschluss des EU-Parlamentes zur Einleitung eines Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn nach Artikel 7 EUV hat die ungarische Regierung das Zustandekommen dieses Beschlusses kritisiert. Dies berichtet FAZ (Werner Mussler/Stephan Löwenstein). Bei der Auszählung waren Enthaltungen nicht mitgezählt worden. Nach Artikel 354 Absatz 4 AEUV ist für einen entsprechenden Beschluss die Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen notwendig. Allerdings trifft die Norm keine Aussage darüber, ob Enthaltungen mitgezählt werden sollen. Nach den allgemeinen Abstimmungsregeln des Europäischen Parlaments ist dies indes üblich. Ungarn führt demgegenüber jedoch an, dass die allgemeinen Regeln nicht anwendbar seien bei einem Beschluss, der gerade eine spezielle Mehrheit wie etwa zwei Drittel verlange. Der Juristische Dienst des Parlaments verweist demgegenüber in einem Gutachten auf vergangene Abstimmungen mit Zweidrittelmehrheit, in denen in gleicher Weise Enthaltungen bei der Auszählung nicht berücksichtigt worden waren.  

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. 

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mps

(Hinweis für Journalisten) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage. 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. September 2018: Maaßen wackelt / Räumung des Hambacher Forstes / EGMR zu Überwachungsprogramm . In: Legal Tribune Online, 14.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30931/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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