Die juristische Presseschau vom 24. August 2018: BAG ent­lastet Arbeit­geber / Abge­sang auf sozialen Woh­nungsbau? / ZDF abge­neigter Demon­s­trant bei LKA

24.08.2018

Arbeitgeber brauchen sich dank BAG nicht mit der Löschung der Videoüberwachung zu beeilen. Außerdem in der Presseschau: Ökonomen wollen Sozialbauwesen und Mietpreisbremse abschaffen und der vom ZDF gefilmte Pegida-Demonstrant ist beim LKA.

Tagesthema

BAG zu Speicherdauer von Videoüberwachung: Arbeitgeber müssen Bildsequenzen aus einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung nicht sofort löschen. Sie dürfen die Aufnahmen auch noch nach sechs Monaten auswerten, wenn sie Straftaten von Arbeitnehmern aufklären wollen und die Ahndung der Pflichtverletzung arbeitsrechtlich noch möglich ist. Der Arbeitgeber dürfe erst einen berechtigen Anlass für die Auswertung abwarten, entschied das Bundesarbeitsgericht. Im vorliegenden Fall will ein Ladeninhaber anhand von sechs Monate alten Videoaufzeichnungen seine Mitarbeiterin der Unterschlagung von Geld überführt haben. Diese erhielt daraufhin die fristlose Kündigung. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hatte dem Kündigungsschutzantrag mit dem Argument stattgegeben, der Arbeitgeber hätte die Videoaufzeichnungen unverzüglich löschen müssen, weshalb das Verwertungsverbot greife. Es hatte sich nicht damit befasst, ob die Aufzeichnungen die vermutete Unterschlagung durch die Mitarbeiterin belegten. Das BAG hat die Sache an das LAG Hamm zurückverwiesen. Dieses wird nun die Frage zu klären haben, ob die Videoaufzeichnung überhaupt rechtmäßig war. Dies berichten die SZ (Detlef Esslinger), die taz (Christian Rath) und ausführlich auch der Professor für Arbeitsrecht Michael Fuhlrott auf lto.de.

Rechtspolitik

Wohnungspolitik: Der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums spricht sich in einem Gutachten dafür aus, die Mietpreisbremse und den sozialen Wohnungsbau durch ein höheres Wohngeld, laxere Bauvorschriften und eine Senkung der Grunderwerbsteuer zu ersetzen. Die Grundsteuer solle in eine Bodensteuer umgewandelt werden. Die SZ (Michael Bauchmüller), die Welt (Michael Fabricius) und das Hbl (Silke Kersting) geben die Argumente der Ökonomen wieder. Auch die taz (Martin Reeh) bringt einen kurzen Beitrag.

Allgemeine Dienstpflicht: Der Wissenschaftliche Mitarbeiter Tim Wihl erklärt auf verfassungsblog.de, dass eine allgemeine Dienstpflicht unter bestimmten Voraussetzungen verfassungsrechtlich und völkerrechtlich möglich wäre. Er zweifelt jedoch an ihrem politischen Sinn: "Die Verfechter*innen der Dienstpflicht verhelfen den Menschen zu ihrem Ausdruck moralischer Vereinsamung und Entfremdung, aber nicht zu ihrem Recht auf solidarische Beziehungsweisen."

Kopftuchverbot für Mädchen: Die Frauenrechtsorganisation Terre de Femmes (Deutschland) setzt sich dafür ein, Kopftücher für Kinder zu verbieten und hat hierzu die Unterschriftensammlung zu einer Petition gestartet. Das Kopftuch verletze die Rechte der Kinder. Welt (Sabine Menkens) und zeit.de berichten.

Justiz

BGH zu Eventim-Gebühren: Der Online-Ticketverkäufer CTS Eventim darf für das Selbstausdrucken von Tickets nicht pauschal eine Gebühr von 2,50 Euro erheben. Dies entschied der Bundesgerichtshof auf Klage der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Die Verbraucherschützer sehen auch andere Anbieter von dem Urteil betroffen, schreibt lto.de.

VG Köln zu Tierversuchen: Das Verwaltungsgericht Köln hat die Untersagungsverfügung des Landes Nordrhein-Westfalen gegen die Universität Bonn über Standardtierversuche zu Ausbildungszwecken bestätigt. Das Gericht argumentierte, das Wissen sei den Studierenden auch über Filme oder Videos zu vermitteln, meldet lto.de.

AG Leipzig zu Krawallen in Connewitz: Das Amtsgericht Leipzig hat zwei 26-Jährige zu Haftstrafen von einem Jahr und acht Monaten ohne Bewährung wegen Landfriedensbruchs in einem besonders schweren Fall verurteilt. Sie seien Teil einer Gruppe aus Hooligans und Mitgliedern der rechten Szene gewesen, die im Januar 2016 den links-alternativen Leipziger Stadtteil Connewitz verwüstete. Die Verteidiger wollen Rechtsmittel einlegen. Es stehen noch weitere Prozesse wegen dieser Nacht an – der nächste beginnt am kommenden Mittwoch, meldet spiegel.de.

VG Stuttgart zu Luftqualität: Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat ein Zwangsgeld von 10.000 Euro gegen das Land Baden-Württemberg festgesetzt, weil dieses noch nichts zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans Stuttgart getan habe, meldet die FAZ.

EuGH – ZDF/KZ-Berichte: Der Auschwitz-Überlebende Karol Tendera will die Frage, ob ein polnisches Gericht das ZDF zur Abgabe einer Entschuldigung wegen eines fehlerhaften KZ-Berichts zwingen kann, im Wege eines Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof klären lassen. Sein Anwalt will den Obersten Gerichtshof Polens zu dem Verfahren anregen, teilt die FAZ in ihrem Medien-Teil mit. Der Bundesgerichtshof hatte im Juli 2018 entschieden, dass eine solche Verpflichtung gegen die negative Meinungsfreiheit und somit gegen den Ordre public verstoße.

Hamburger Justiz - "Online-Klage"*: Mit einer von mehreren Medien aufgegriffenen Meldung, dass die Hamburger Justiz mit einer Online-Klage die Gerichte entlasten wolle, beschäftigt sich lto.de (Markus Sehl). Es handele sich eher um ein Sommermärchen: Mit der Idee, eine Klageschrift auf elektronischem Wege einzureichen, wolle die Justiz vielmehr dafür sorgen, dass wieder mehr Verfahren mit geringen Streitwerten vor den Zivilgerichten verhandelt würden. Im Alleingang wäre das zudem gar nicht möglich, weil es dafür eine ZPO-Änderung bräuchte. 

LG Hamburg – Tödlicher Messerangriff: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat gegen Mourtala M. Anklage wegen zweifachen Mordes erhoben, meldet spiegel.de. Er soll am Hamburger Jungfernstieg seine ehemalige Lebensgefährtin und ihre Tochter erstochen haben.

Klagen gegen Bayer wegen Glyphosat: Gegen den Chemiekonzern Bayer liegen rund 8.000 Klagen wegen mutmaßlicher Gesundheitsschäden durch Glyphosat vor, das Produkt seiner US-Tochter Monsanto. Vorstandschef Werner Baumann wehrt sich gegen die Feststellung, der Unkrautvernichter verursache Krebs. Der Konzern wolle deshalb gegen das Urteil vom 10. August vorgehen – ein kalifornisches Gericht hatte Monsanto zu einer Zahlung von 289 Millionen Dollar an einen Krebskranken verurteilt, teilen SZ (Elisabeth Dostert) und taz (Jost Maurin) mit.

Recht in der Welt

USA – Verfahren gegen Trump-Vertraute: Wie spiegel.de meldet, soll Donald Trump in einem Interview mit dem US-amerikanischen Sender Fox erwähnt haben, dass eine Begnadigung seines ehemaligen Wahlkampfleiters Paul Manafort in Frage komme. Dieser wurde vergangenen Dienstag wegen Banken- und Steuerbetrugs schuldig gesprochen.

Porträt über Rudy Giuliani: "Rudy Giuliani ist just die Sorte Anwalt, die man nicht einmal seinem schlimmsten Feind an den Hals wünscht." Die Welt (Hannes Stein) bringt ein ausführliches Porträt über Trumps Anwalt und umstrittenen ehemaligen New Yorker Bürgermeister.

EU/Großbritannien – Brexit: Die britische Regierung hat einen Notfallplan zu Fragen veröffentlicht, wie die Beziehungen mit der Europäischen Union weiterlaufen könnten, sollte sie sich bis zum Brexit nicht mit der EU geeinigt haben. Das Königreich wolle sich in diesem Falle unilateral weiter an EU-Regeln orientieren. Der Plan für den ungeordneten Brexit klärt auch Unternehmen und Haushalte darüber auf, mit welchen Folgen zu rechnen sei. Das Hbl (Carsten Volkery) und zeit.de berichten.

Argentinien – Ermittlungen gegen Kirchner: Das argentinische Parlament hat vergangenen Mittwoch die Immunität der ehemaligen Staatschefin Cristina Fernández de Kirchner aufgehoben und Durchsuchungen in ihrer Wohnung genehmigt. Kirchner wird der Korruption während ihrer Amtszeit verdächtigt. Sie bezeichnet das Vorgehen gegen sie als "eklatante, demütigende Manipulation". Die FAZ (Tjerk Brühwiller) zeichnet die Ermittlungen und ihre politische Seite nach.

Juristische Ausbildung

"Meine Juristenausbildung": "Würden Sie noch einmal Jura studieren?" LTO gibt den Lesern die Möglichkeit, ihre Sicht auf das Jurastudium zu teilen und veröffentlicht einige Erfahrungen. Doktorandin Maja Mascher beginnt: Sie vermisste in ihrem Jurastudium die Wissenschaftlichkeit und den Blick über den Tellerrand. Dennoch meint sie, die Rechtswissenschaften seien "interessant, breit gefächert und vor allem abwechslungsreich – man muss sie sich allerdings selbst zurechtlegen". 

Sonstiges

Polizeieinsatz gegen ZDF: Der Demonstrant, der bei der Pegida-Demonstration in der vergangenen Woche veranlasste, dass die Polizei ein ZDF-Filmteam kontrollierte, ist selbst Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamts. Er nahm privat an der Demonstration teil. Um den Vorfall zu klären, hat die Dresdner Polizei für den heutigen Freitag ZDF-Mitarbeiter zu einem klärenden Gespräch eingeladen. Der Tsp (Matthias Meisner/Jost Müller-Neuhof) schildert in Frage-Antwort-Form ausführlich die Ereignisse, die Rechtsmäßigkeit des Filmens durch das ZDF, mögliche Konsequenzen für den LKA-Mitarbeiter sowie den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) und erörtert eine etwaige Pegida-Affinität der sächsischen Polizei. Die taz (Christian Rath) klärt auch über die Rechtmäßigkeit des Vorgehens seitens Polizei, Journalisten und LKA-Mitarbeiter auf. Ebenso spiegel.de (Elisa von Hof) im Interview mit dem Justitiar Sascha Sajuntz. lto.de fasst auch die Einschätzung eines Medienrechtsanwalts zusammen, der bezweifelt, dass die langwierige Überprüfung der Ausweise rechtmäßig war. Die Welt (Claus Christian Malzahn/Martin Lutz) erörtert disziplinarrechtliche Schritte gegen den LKA-Mitarbeiter.

Der ehemalige FAZ-Herausgeber Hugo Müller-Vogg fordert in einem focus.de-Gastbeitrag, das Arbeitsrecht zu ändern, sollte dem LKA-Mitarbeiter ansonsten nicht beizukommen sein – für "einen Polizeiapparat, der über jeden Zweifel an seiner demokratischen Gesinnung erhaben ist". Constanze von Bullion (SZ) fordert mehr innere Führung in Sachsen "gegen Kumpanei und Rechtsdrift in den Sicherheitsbehörden". Reinhard Müller (FAZ) meint: "Wer Sachsen zu einem Polizeistaat erklärt, in dem die Pressefreiheit nichts zählt, der weiß nicht, wovon er spricht, arbeitet aber genau darauf hin."

Abschiebung Sami A.: Der taz (Christian Rath) liegt die Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion vor, der zufolge das Bundesinnenministerium (BMI) die Abschiebung von Sami A. nach Tunesien hätte verhindern können: Die Bundespolizei hatte das BMI vorab über den geplanten "Rückführungsflug" informiert. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erklärte dem BMI zudem, dass das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen vor der Abschiebung noch etwaige Foltergefahren als Abschiebehindernis prüfen wolle. Dennoch ließ das BMI die Abschiebung geschehen. Eine Interventionspflicht hätte, laut taz, nur bestanden, wenn dem Ministierum die Geheimhaltungsstrategie bekannt gewesen wäre.

Rücknahmevereinbarungen für Migranten: Von Januar bis Juli diesen Jahres sind 73.708 Migranten nach Deutschland eingereist, die in einem anderen EU-Land registriert worden sind oder dort auch einen Asylantrag gestellt haben. Dies ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Abgeordneten Linda Teuteberg, die der FAZ (Helene Bubrowski) vorliegt. Mit Spanien und Griechenland gebe es bereits Vereinbarungen über die Rücknahme von Migranten, die in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben – mit Italien werde noch verhandelt. Aus der Antwort seien auch Schlüsse auf die Wirksamkeit dieser Vereinbarungen zu ziehen.

In einem separaten Kommentar meint Nikolas Busse (FAZ), die Zahlen zeigten, dass Deutschland für die meisten Migranten nach EU-Recht nicht zuständig sei. Im ersten Halbjahr seien 97.000 Asylanträge eingegangen. Das sei lediglich in der Dimension, nicht in der Sache überraschend – die Rücknahmevereinbarungen beseitigten das Problem nur auf dem Papier und gingen zulasten der südlichen EU-Länder. Daran sei auch das Dublin-System gescheitert.

Kirchenasyl: Die Welt (Matthias Kamann) spricht mit der Pastorin Dietlind Jochims ausführlich über das Kirchenasyl und Probleme bei der Einhaltung der mit dem Staat getroffenen Vereinbarungen.

Fahrverbote für Unterhaltspreller: lto.de erklärt, warum der Vorstoß von Bundesfamilienministerin  Franziska Giffey (SPD), über Fahrverbote für Elternteile, die den Unterhalt schuldig bleiben, die "Daumenschrauben" anzuziehen, rechtlich problematisch sei. Rechtsanwalt Christian Janeczek, Mitglied des Ausschusses Verkehrsrecht beim Deutschen Anwaltverein (DAV), lehnt Fahrverbote als allgemeine Sanktionsmöglichkeit außerhalb von Verkehrsstraftaten ab. Sie seien unter anderem wegen eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz bedenklich.

Jost Müller-Neuhof (Tsp) betrachtet die angestrebte Maßnahme als "Gerede, das den Leuten gefallen soll".

Das Letzte zum Schluss

Fahndungsfoto selbst gemacht: Die Polizei sucht derzeit nach einem Paar, das im Kreis Herford in ein Einfamilienhaus eingebrochen und Geld und Wertgegenstände – unter anderem ein Smartphone – gestohlen haben soll. Dass es sich um ein Täterpaar handeln könnte, vermuten die Beamten, weil kurze Zeit nach dem Diebstahl ein mit dem gestohlenen Handy gemachtes Selfie, das die mutmaßlichen Diebe zeigt, in der Cloud des Opfers landete, meldet spiegel.de.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/vb

(Hinweis für Journalisten)

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*Ergänzt am Tag der Veröffentlichung um 9.34 Uhr 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. August 2018: BAG entlastet Arbeitgeber / Abgesang auf sozialen Wohnungsbau? / ZDF abgeneigter Demonstrant bei LKA . In: Legal Tribune Online, 24.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30541/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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