Die juristische Presseschau vom 22. August 2018: KZ-Auf­seher auf­ge­nommen / BVerfG bil­ligt Ver­eins­ver­bote / Barley zu Rechts­staats­de­batte

22.08.2018

Deutschland nimmt einen aus den USA abgeschobenen KZ-Aufseher auf. Außerdem in der Presseschau: Drei Vereinsverbote werden vom BVerfG gebilligt und die Bundesjustizministerin äußert sich in der Rechtsstaatsdebatte.

Thema des Tages

USA/Deutschland – Abschiebung von KZ-Aufseher: Die USA haben den ehemaligen SS-Hilfswilligen Jakiv Palij nach Deutschland abgeschoben. Jahrelang hatten die USA von Deutschland eine Aufnahme gefordert, nun wollte die Bundesregierung ein Zeichen der moralischen Verantwortung setzten, obwohl Palij nie die deutsche Staatsangehörigkeit besaß. Rechtsgrundlage für die Aufnahme ist § 22 Aufenthaltsgesetz, der eine Aufenthaltserlaubnis nach Erklärung des Bundesinnenministeriums "aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen" oder "zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland" ermöglicht. Der inzwischen 95-Jährige soll im Zwangsarbeitslager Trawniki bei Lublin tätig und an der Niederschlagung des Aufstandes im Warschauer Ghetto beteiligt gewesen sein. 2003 wurde ihm die amerikanische Staatsbürgerschaft entzogen, weil er 1949 bei seiner Emigration in die USA falsche Angaben gemacht hatte. Ein Prozess in Deutschland droht ihm wohl nicht mehr. Denn Unterlagen wie ein Dienstausweis oder eine Personalmappe sind den deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht bekannt. Die Staatsanwaltschaft Würzburg stellte ein entsprechendes Verfahren gegen ihn bereits vor Jahren ein. Es berichten FAZ (Helene Bubrowski/Reiner Burger), SZ (Xaver Bitz), taz (Klaus Hillenbrand) und Welt (Sven Felix Kellerhof).

Rechtspolitik

"Daten für alle": In einem Gastbeitrag auf lto.de setzt sich der Rechtsanwalt Björn Herbers mit dem Vorschlag der SPD-Bundesvorsitzenden Andrea Nahles auseinander, marktbeherrschende Internetkonzerne zu verpflichten, einen Teil ihrer gesammelten Daten öffentlich zu teilen. Dies soll eine Monopolisierung des Internets verhindern. Herbers bezweifelt, dass der Vorschlag dafür geeignet ist. Problematisch sei nicht der Zugang zu den Daten, sondern die Fähigkeit, diese auszuwerten. Daten könnten im Gegensatz zu Infrastrukturen von mehreren Unternehmen besessen werden, dies sei bei der kartellrechtlichen Bewertung zu berücksichtigen. Effektiver sei es, Netzwerke zu verpflichten, offene Schnittstellen einzuführen, damit sich Nutzer nicht mehr für eine Plattform entscheiden müssen.

Justiz

BVerfG zu Vereinsverboten: Laut taz (Christian Rath) und lto.de hat das Bundesverfassungsgericht drei Vereinsverbote bestätigt. Danach bleiben das Hells-Angels-Chapter Frankfurt-Westend, ein Verein der Neonazi-Szene und ein Verein, der den Terror der Hamas unterstützt, verboten. Die Richter stellten klar, dass Vereinsverbote nur ein letztes Mittel sein können und eine Prägung des Vereins durch verbotene Zwecke voraussetzten. Zudem bestätigten die Richter die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage für das Verbot im Vereinsgesetz.

BGH zu Flughafenverfahren: lto.de (Maximilian Amos) setzt sich mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs auseinander, der zufolge die Festsetzung von Geflüchteten während des sogenannten Flughafenverfahrens im Transitbereich eines Flughafens nicht als Freiheitsentziehung zu bewerten ist. In dem Verfahren darf der Geflüchtete ohne richterliche Anordnung 30 Tage im Transitbereich festgehalten werden. Zur Begründung verwiesen die Richter auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der rechtliche oder tatsächliche Hindernisse für das Überschreiten der Staatsgrenzen nicht den Gewährleistungsgehalt der geschützten körperlichen Bewegungsfreiheit betreffen.

BGH zu polnischem ZDF-Urteil: Der Bundesgerichtshof hat die Vollstreckung eines polnischen Urteils abgelehnt, nach dem sich das ZDF für die Bezeichnung der Vernichtungslager Majdanek und Auschwitz als "polnische Vernichtungslager" auf der Startseite seines Internetauftritts zu entschuldigen habe. Geklagt hatte ein polnischer KZ-Überlebender. Die dem ZDF vom polnischen Gericht aufgegebene Erklärung verstoße gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit, einer Vollstreckung stehe daher der europarechtliche Grundsatz des Ordre public entgegen. Danach kann ein Urteil eines anderen Mitgliedstaates nicht vollstreckt werden, wenn es dem Inhalt nach der öffentlichen Ordnung des Mitgliedstaates widerspricht, in dem es vollstreckt werden soll. Es berichtet lto.de.

BAG – Beweisverwertungsverbote: Rechtsprofessor Michael Fuhlrott widmet sich im FAZ-Einspruch einer für den Donnerstag dieser Woche zu erwartenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu Beweisverwertungsverboten durch Verstöße gegen Datenschutzregelungen. Eine zur Bekämpfung von Diebstählen angebrachte Kamera in einer Lotto-Annahmestelle hatte aufgezeichnet, wie eine Arbeitnehmerin Geldbeträge nicht ordnungsgemäß verbuchte. Der Arbeitgeber kündigte, die Arbeitnehmerin erhob Kündigungsschutzklage. Die Vorinstanzen gaben der Arbeitnehmerin recht. Die Aufnahmen hätten zum Zeitpunkt der Auswertung nach Bundesdatenschutzgesetz längst gelöscht sein müssen.

BGH – Schönheitsreparaturenklausel: Der Bundesgerichtshof entscheidet am heutigen Mittwoch erneut über die Wirksamkeit einer Klausel zu Schönheitsreparaturen in einem Mietvertrag. Die Besonderheit liegt darin, dass der Mieter mit dem Vormieter vereinbarte, die erforderlichen Schönheitsreparaturen des Vormieters zu übernehmen, wenn dieser ihm dafür Gegenstände aus der Wohnung überlasse. Wiederum nach Auszug des Mieters macht der Vermieter nun Schadensersatzansprüche geltend, weil der Mieter die Wohnung nicht ausreichend renoviert habe und daher ein Maler beauftragt werden musste. Rechtsanwalt Siegfried Neufert stellt den Fall im FAZ-Einspruch vor und erörtert den Zusammenhang zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Schönheitsreparaturen.

BVerwG zu Aufenthaltserlaubnis: Nach Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts kann sich ein Ausländer nicht auf die Privilegierung einer zustimmungsfreien Arbeitserlaubnis nach § 9 Beschäftigungsverordnung berufen, wenn er vorher nur eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen besaß und zu einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung wechseln will. Die Richter legten die zitierte Vorschrift nach ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Sinn und Zweck mit dem Ergebnis aus, dass sich nur Ausländer im Besitz einer "Blauen Karte EU" oder einer Aufenthaltserlaubnis mit Arbeitserlaubnis auf sie berufen können. Es berichtet lto.de.

OLG Dresden zu Sixt-Anzeige: Claus Weselsky, der Chef der Gewerkschaft der Lokomotivführer, muss es aushalten, dass der Autovermieter Sixt während des Bahnstreiks 2015/2016 ein Bild seines Gesichts mit dem Spruch "Mitarbeiter des Monats" abdruckte. Laut lto.de sah das Oberlandesgericht Dresden darin keine rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung. Die Meinungsfreiheit habe hier ein größeres Gewicht als das Persönlichkeitsrecht einer Person des öffentlichen Lebens.

LG Berlin  wenigermiete.de: FAZ-Einspruch (Constantin van Lijnden) beschäftigt sich mit der Zulässigkeit des Geschäftsmodells der Internetplattform wenigermiete.de und dem Kampf zwischen Anwaltschaft und Legal-Tech-Unternehmen. Auf der Plattform können Mieter überprüfen, ob ihr Mietzins den Regelungen der Mietpreisbremse entspricht. Ist der Mietpreis zu hoch, rügt die Plattform den Vermieter. Kommt es anschließend zu einem Verfahren, wird die Sache an einen Anwalt weitergegeben. Rechtlich konzipiert ist die Plattform als Inkassounternehmen. Gegen das Geschäftsmodell klagt die Rechtsanwaltskammer Berlin. Aus ihrer Sicht werden durch die Tätigkeit die Grenzen der Inkassolizenz überschritten. Das Landgericht Berlin verhandelt die Sache im Oktober. Dabei wird auch ein Blick auf das Verhältnis der für Mietrecht zuständigen Kammern des Landgerichts Berlin geworfen, die bisher keine gemeinsame Position zur Zulässigkeit des Geschäftsmodells entwickelt haben.

FG Hamburg zu Ehegattensplitting: Homosexuelle Paare können nach einer Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg auch rückwirkend bei der Berechnung ihrer Steuerschuld das Ehegattensplitting geltend machen. Damit widerspricht das Finanzgericht den Ausführungen des Referentenentwurfs des Justizministeriums zur "Ehe für alle". Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Revision ist zugelassen. Es berichten lto.de und FAZ (Hendrik Wieduwilt).

Recht in der Welt

Polen – Kontrolle der Justiz: Die SZ (Florian Hassel) berichtet über einen weiteren Umbau der polnischen Justiz. Am obersten Gericht entstehen zwei neue Kammern. Die eine Kammer soll künftig jedes Urteil der polnischen Justiz der letzten 20 Jahre aufheben können. Die zweite Kammer ist eine Disziplinarkammer, die Justizangehörige aus dem Amt entfernen kann. Ihr soll Mariusz Muszyński vorstehen, der zunächst für den polnischen Geheimdienst arbeitete, seit drei Jahren Richter am Verfassungsgericht ist und als regierungsnah gilt.

Sonstiges

Barley zu Rechtsstaatsdebatte: Im Interview mit der FAZ (Helene Bubrowski/Eckart Lohse) spricht Katharina Barley (SPD), Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, über das verlorene Vertrauen zwischen Bürgern, Gerichten und Behörden. "Insgesamt nimmt der Respekt vor staatlichen Autoritäten und deren Entscheidungen ab", so Barley. Allerdings dürfe in einem Rechtsstaat das Rechtsempfinden der Bevölkerung nicht entscheidend sein. Bei einzelnen Abschiebungen dränge sich der Eindruck auf, es würde einer öffentlichen Stimmung nachgegeben. Sie befürworte, mehr Gerichte mit professionellen Pressesprechern auszustatten, um Entscheidungen besser zu kommunizieren. Zudem solle in Asylverfahren die Anrufung der höheren Instanz erleichtert werden.

Abschiebung von Gefährdern: Georg Mascolo (SZ) fordert eine schnellere Abschiebung von Gefährdern. Obwohl die rechtlichen Möglichkeiten dazu seit 13 Jahren bestünden, werde viel zu selten auf sie zurückgegriffen. Erst seit 2017 sei die Zahl der abgeschobenen Gefährder deutlich gestiegen. Der Fall Sami A. und das entstandene Misstrauen zwischen Justiz und Behörden drohe diese Entwicklung nun zu beeinträchtigen.

E-Sport: Der Rechtsanwalt Dieter Frey ordnet in einem Gastbeitrag für lto.de den E-Sport, also den Wettkampf im Rahmen von Computerspielen, juristisch ein. Dieser ist in Deutschland noch nicht als Sport anerkannt. Problematisch sei dies, weil die Aktiven so von staatlichen Förderungen ausgeschlossen werden, E-Sports-Events nach bisheriger Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts einer Spielhallenerlaubnis bedürfen und Wetten nicht als Sportwetten anerkannt werden. Zudem haben auch Regelungen des Urheberschutzes und des Jugendschutzes erhebliche Bedeutung für die Durchführung von E-Sports-Events.

Rechtsdurchsetzung: Nico Kuhlmann betrachtet im FAZ-Einspruch die Möglichkeiten von Legal-Tech bei der Durchsetzung von Verboten. Automatisiert könnte zum Beispiel verhindert werden, dass Autos die Geschwindigkeit überschreiten oder dass Fotos von Privatpersonen ohne deren Einwilligung auf sozialen Medien veröffentlicht werden. Bisher werde eine technologiebasierte Rechtsdurchsetzung gesellschaftlich nicht gewollt, auch seien Eingriffe in Freiheitsrechte zu befürchten. Legal-Tech werde aber auch die Rechtsdurchsetzung verändern. Dann sei abzuwägen, in welchen Bereichen eine Verhinderung oder Begrenzung erforderlich und in welchen Bereichen eine solche Rechtsdurchsetzung zweckmäßig ist.

Algorithmen: Die Schweizer Rechtsprofessorin Melinda Lohmann beschreibt im FAZ-Einspruch Möglichkeiten, Algorithmen transparenter zu machen. Diese reproduzierten automatisiert bestehende Diskriminierungen. Dadurch könne bei ihrem Einsatz das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt werden. Ein Recht auf Erklärung, verbunden mit einer Offenlegung der Algorithmen, könne dem entgegenwirken. Abzusehen seien dann auch Auswirkungen auf den Innovationsstandort, auch sei eine technische Umsetzbarkeit bei selbstlernenden Systemen fraglich. Denkbar wären aber auch ein Zulassungstest für komplexe Algorithmen oder ein digitales Antidiskriminierungsgesetz.

Unternehmerische Verantwortung: In der Kolumne des FAZ-Einspruchs beschäftigt sich Birgit Spießhofer mit der Frage, ob Unternehmen eine Mitverantwortung tragen, wenn ihre Produkte, mit oder ohne ihr Wissen und Wollen eingesetzt werden, beispielsweise zur Vollstreckung der Todesstrafe. Diese Frage wird seit einiger Zeit unter dem Begriff der Corporate Social Responsibility diskutiert. Eine rechtliche Mitverantwortung im Sinne einer Beihilfe oder Mittäterschaft sei nämlich oft ausgeschlossen. Internationales Soft Law kenne jedoch eine Mitverantwortung, ausreichend ist insoweit allein ein kausaler Beitrag. Die größte Gefahr für Unternehmen bleibe aber der Reputationsverlust, dem kein rechtsstaatliches Verfahren vorgehen muss.

Kirchenasyl: SZ (Constanze von Bullion) und zeit.de berichten darüber, dass die Spitzen der katholischen und evangelischen Kirchen an ihre Gemeinden appelliert haben, die Regelungen des Kirchenasyls einzuhalten. 2017 entsprach nur jeder zweite Antrag auf Kirchenasyl den Verfahrensvorschriften. Die Kirchenvertreter kritisierten zugleich die durch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erlassenen neuen Regeln zum Kirchenasyl, die eine Verlängerung der Überstellungsfrist von sechs auf 18 Monate beinhalten.

Aus Sicht von Stefan Ulrich (SZ) ist die Kritik an den Gemeinden berechtigt. Ihr Verhalten bedrohe den pragmatischen und vernünftigen Kompromiss zwischen Kirche und Staat, bei Beachtung gewisser Meldeauflagen keine Menschen mit Polizeigewalt aus Kirchenräumlichkeiten zu holen.

Killer-Roboter: Human Rights Watch und das Menschenrechtszentrum der Harvard-Universität haben in einem Bericht vor der Verwendung sogenannter Killer-Roboter gewarnt und alle Staaten zur Ächtung dieser Systeme durch Abschluss internationaler Verträge aufgefordert. Der Einsatz derartiger Roboter, die selbst über ihren Waffeneinsatz entscheiden, sei bereits nur schwer mit dem Völkerrecht vereinbar. netzpolitik.org (Alexander Fanta) stellt den Bericht vor.

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lto/kk

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 22. August 2018: KZ-Aufseher aufgenommen / BVerfG billigt Vereinsverbote / Barley zu Rechtsstaatsdebatte . In: Legal Tribune Online, 22.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30475/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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