Die juristische Presseschau vom 10. August 2018: BVerfG kippt Hof­ab­gabe / DAV Prä­si­dent zu Gesicht­s­er­ken­nung / Wel­tra­um­ge­setz

10.08.2018

Landwirte müssen beim Renteneintritt nicht mehr zwangsläufig ihren Hof abgeben. Außerdem in der Presseschau: DAV Präsident Schellenberg fordert Transparenz bei Gesichtserkennung und die Bundesregierung plant ein Weltraumgesetz.

Thema des Tages

BVerfG zu Hofabgabe bei Renteneintritt: Landwirte mussten bisher beim Renteneintritt ihren Hof abgeben, um die gesetzliche Altersrente beziehen zu können. Eine frühzeitige Hofübergabe an Jüngere sollte so gefördert werden. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist diese Regelung aber unverhältnismäßig, weil eine Härtefallregelung fehlt. Die Regelung sei zwar nur eine Inhalts- und Schrankenbestimmung und habe keine Enteignungswirkung, eine Hofabgabe sei jedoch unzumutbar, wenn sich kein Käufer für den Hof finde oder der Erlös des Verkaufs und die Rente gemeinsam nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt des Landwirtes zu sichern. Der Gesetzgeber muss also nachbessern und eine entsprechende Härtefallregel treffen. Die Verfassungsrichter urteilten zudem, dass bei verheirateten Landwirten der Rentenanspruch des einen Teils nicht von der Hofabgabe des anderen Teils bei Renteneintritt abhängen dürfe. Es berichten FAZ (Hendrik Wieduwilt), BadZ (Christian Rath) und lto.de.

Rechtspolitik

Allgemeine Dienstpflicht: Der akademische Mitarbeiter Simon Gauseweg vertritt in einem Gastbeitrag für lto.de die Position, dass es für die Einführung der diskutierten allgemeinen Dienstpflicht eine Verfassungsänderung bedürfe. Bisher gäbe es nur für die Heranziehung von Männern eine ausreichende verfassungsrechtliche Legitimation. Bei einer entsprechenden Erweiterung des Art. 12a Grundgesetz könnten auch gleich soziale Dienste in den Tätigkeitskatalog einbezogen werden. All dies verstieße auch nicht gegen die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes.

Automatisierte Gesichtserkennung: Im Interview mit netzpolitik.org (Constanze Kurz) bekräftigt der Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV) Ulrich Schellenberg seine Kritik am Einsatz automatisierter Gesichtserkennung zur Überwachung des öffentlichen Raums. Diese stelle einen massiven Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, zudem gebe es bisher für einen solchen massenhaften Datenabgleich keine Rechtsgrundlage. Nachdem die Testphase der Technik am Berliner Südkreuz nun beendet ist, fordert Schellenberg eine Herausgabe und wissenschaftliche Bewertung der Testergebnisse von Bundesinnenminister Horst Seehofer.

Terroristische Inhalte: Über die Pläne der EU-Kommission, Internetkonzerne zu verpflichten, terroristische Inhalte schneller zu entfernen, berichten nun auch netzpolitik.org, FAZ (Michael Stabenow) und zeit.de. Geplant ist, dass Plattformen die entsprechenden Inhalte spätestens nach einer Stunde gelöscht haben. Schwierigkeiten könnte dies insbesondere kleinen Plattformen bereiten, die auch von der geplanten Regelung erfasst wären. Wahrscheinlich sei zudem eine spätere Ausweitung dieser Löschpflicht, etwa auf Urheberrechtsverletzungen.

Neue Ermittlungsbefugnisse: Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium Christian Lange (SPD) hat sich im Interview mit der StZ (Christian Gottschalk) zu den notwendigen Konsequenzen des Missbrauchsfalls von Staufen geäußert. Er spricht sich für eine grundrechtsschonende und praktikable Regelung zur Vorratsdatenspeicherung aus, bleibt jedoch zurückhaltend bei der Frage, ob Ermittler auch selbst kinderpornographische Bilder hochladen dürfen sollen, um Zugang in die Netzwerke zu erhalten.

Weltraumgesetz: Die SZ (Jan Schwenkenbecher/Dieter Sürig) berichtet über die Pläne der Bundesregierung ein Weltraumgesetz einzuführen. Weil immer mehr private Akteure im Feld der Raumfahrt aktiv werden und sich auch Fragen zur Regelung des Abbaus von Rohstoffen im Weltraum stellen, sei ein solches Gesetz notwendig. Zu klären sei auch, wer etwa für Schäden von privaten abgestürzten Satelliten haften muss, bisher tut dies der Staat. Die Bundesregierung verfolgt dabei, anders als die USA und Luxemburg, einen multilateralen Lösungsweg und will international gemeinsam Positionen abstimmen. Ein Gesetzentwurf wurde für die zweite Hälfte der Legislaturperiode angekündigt.

Online-Umsatzsteuerbetrug: Das Hbl (Christoph Schlautmann) widmet sich noch einmal schwerpunktmäßig und sehr umfassend dem Thema Online-Umsatzsteuerbetrug. Asiatische Unternehmen geben dabei in ihren Geschäftsbedingungen meist an, dass die Empfänger im Ausland als Zollanmelder verantwortlich sind. So wird insbesondere bei Kleinstbestellung die fällige Umsatzsteuer oft umgangen. Ein weiterer Artikel im Hbl (Martin Greive/Christoph Schlautmann) befasst sich mit dem in der letzten Woche verabschiedeten Gesetzentwurf, der einen solchen Steuerbetrug verhindern soll. Befürchtet wird, dass dies den Handelsstreit mit den USA weiter anheizen könnte, weil davon insbesondere auch US-Internetkonzerne betroffen sind.

Justiz

BVerfG zu U-Haftlänge: Nach Entscheidung des Bundesverfassungsgericht muss das Oberlandesgericht Karlsruhe erneut eine Haftprüfung für einen der neun Angeklagten des "Mafiaprozesses" vor dem Landgericht Konstanz vornehmen. Die Sache wurde zurückverwiesen, weil zwischen der Erhebung der Anklage und Zulassung der Anklage unverhältnismäßig viel Zeit verging. Das Landgericht habe den Fortgang nicht mit gebotener Zügigkeit gefördert, so die Verfassungsrichter. Das Landgericht Konstanz hatte Probleme einen geeigneten Raum für die Verhandlung zu finden, weil sich das eigene Gebäude im Umbau befindet. Die baldige Freilassung des Verdächtigen stehe daher bevor, so die BadZ (Christian Rath).

BAG zu Wissenschaftlichen Mitarbeitern: Wissenschaftliche Mitarbeiter im Hochschulbereich können nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz vor der Promotion bis zu sechs Jahre lang befristet beschäftigt werden. Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts arbeitet auch derjenige wissenschaftlich, der ausschließlich Lehrtätigkeiten nachgeht und dabei Erkenntnisse Dritter vermittelt. Rechtsprofessor Christian Rolfs stellt auf community.beck.de die erst jetzt veröffentlichte Entscheidung aus dem März 2018 vor.

OLG Oldenburg zu Kinderehen: Laut lto.de hat das Oberlandesgericht Oldenburg in einem Ausnahmefall eine Ehe legitimiert, bei der die Ehefrau zum Zeitpunkt der Hochzeit erst 16 Jahre alt gewesen ist. Nach dem Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen wird eine solche Ehe im Regelfall von dem Gericht aufgehoben, in Härtefällen kann jedoch davon abgesehen werden. Einen solchen Härtefall sahen die Richter hier vorliegen, da die aus Rumänien stammende Ehefrau ihr Aufenthaltsrecht verloren hätte.

BAW – Motassadeq: Die Bundesanwaltschaft hat angekündigt, den wegen Beihilfe zu den Terroranschlägen am 11. September 2001 verurteilten, Mounir el Motassadeq wenige Monate vor Ablauf seiner 15-jährigen Freiheitsstrafe aus der Haft zu entlassen. Nach der Entlassung soll er direkt nach Marokko abgeschoben werden. Die FAZ (Eckart Lohse/Hans-Christian Rößler) beleuchtet die Hintergründe, zudem berichtet spiegel.de.

Recht in der Welt

Argentinien – Abtreibung: Das Gesetzesvorhaben zur Legalisierung von Abtreibungen in Argentinien ist gescheitert. Nachdem das Abgeordnetenhaus dem Gesetzentwurf zustimmte, erhielt es nun in der zweiten Kammer, dem Senat, keine Mehrheit. Für den Entwurf sprachen sich nur 31 Senatoren aus, 38 stimmten dagegen. Die Abtreibungsbefürworter versuchten im letzten Moment noch einen Kompromissvorschlag einzubringen, der Abtreibungen nicht legalisiert, aber entkriminalisiert hätte. Dies blieb jedoch ohne Erfolg. Es berichten FAZ, SZ (Boris Herrmann) und taz (Jürgen Vogt).

Chile/UN – Michelle Bachellet: SZ (Sebastian Schoepp) und taz (Jürgen Vogt) porträtieren die ehemalige chilenische Präsidentin Michelle Bachellet, die voraussichtlich am heutigen Freitag von der UN-Vollversammlung zur UN-Kommissarin für Menschenrechte gewählt wird. Sie beerbt damit den Jordanier Seid Ra'ad al-Hussein. Bachellet war während der chilenischen Militärdiktatur selbst Opfer von Folter.

USA – Giftcocktail für Hinrichtung: Der deutsche Pharmakonzern Fresenius Kabi hat gegen den US-Bundesstaat Nebraska Klage eingereicht. Fresenius befürchtet, dass der Bundesstaat bei einer geplanten Hinrichtung auch auf Medikamente aus der Produktion des Konzerns zurückgreift. Weil Fresenius die entsprechenden Medikamente aber nicht an den Bundesstaat verkauft haben will, soll mit der Klage die Hinrichtung aufgeschoben und die Verwendung der Medikamente verhindert werden. Es berichten taz (Juliane Fiegler) und FAZ (Ilka Kopplin/Roland Lindner).

Schweiz – Recht auf Wohnen: Die FAZ (Johannes Ritter) blickt auf den Schweizer Kanton Basel-Stadt, dessen Bürger mehrheitlich für ein „Recht auf Wohnen“ gestimmt haben, welches nun in die Kantonsverfassung aufgenommen wird. Verbunden mit weiteren Gesetzesänderungen soll die Situation der Mieter auf dem umkämpften Wohnungsmarkt Basels verbessert werden.

Australien – Justizberichterstattung: Die SZ (Matthias Drobinski) beschreibt anlässlich des Prozessbeginns gegen den ehemaligen Finanzminister des Vatikans wegen Kindesmissbrauchs die Einschränkungen der Berichterstattung. Das zuständige Gericht hatte verfügt, dass kein Journalist über den Prozess berichten darf. So soll eine Beeinflussung der Geschworenen verhindert werden.

Sonstiges

Informationsfreiheitsgesetz: netztpolitik.org (Arne Semsrott) befasst sich mit der Praxis der deutschen Verwaltungsgerichte bei der Beurteilung von Ansprüchen auf Herausgabe von Dokumenten nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Meist prüfen diese nur die Plausibilität behördlicher Stellungnahmen, greifen aber nicht auf das „In-camera-Verfahren“ zurück, bei dem die Gerichte die Dokumente einsehen könnten, ohne dass diese Teil der Gerichtsakte werden und dann auch für die klagende Partei offen lägen. Oft stelle sich ein Dokument dann erst nach Verweigerung der Herausgabe als unbedenklich heraus. Die Gerichte sollten daher öfter die Dokumente bei ihrer Entscheidung einsehen, so Semsrott.

Belästigung durch Grillen: Die SZ (Andrea Nasemann) gibt einen Überblick zur Rechtsprechung zum Thema nachbarschaftliche Konflikte durch sommerliche Grillbenutzung. Vorgestellt werden Entscheidungen zum Qualm der Holzkohle, zum Grillen auf dem Balkon und besonders viele Entscheidungen darüber wie viele Grillpartys dem Nachbar im Jahr zuzumuten sind.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/kk

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 10. August 2018: BVerfG kippt Hofabgabe / DAV Präsident zu Gesichtserkennung / Weltraumgesetz . In: Legal Tribune Online, 10.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30267/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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