Die juristische Presseschau vom 9. August 2018: Neue Ermitt­lungs­be­fug­nisse? / All­ge­meine Dienstpf­licht / Israe­li­sches Natio­na­li­tä­t­en­ge­setz

09.08.2018

Nach dem Urteil im Staufener Missbrauchsfall wird über neue Ermittlungsbefugnisse diskutiert. Außerdem in der Presseschau: Die anhaltende Debatte über eine allgemeine Dienstpflicht und heftige Kritik am israelischen Nationalitätengesetz.

Thema des Tages

Neue Ermittlungsbefugnisse? Nach dem Urteil des Landgerichtes Freiburg im Staufener Missbrauchsfall mehren sich die Forderungen nach weiteren Ermittlungsbefugnissen für die Polizei. Die FAZ (Helene Bubrowksi/Rüdiger Soldt) befasst sich mit der Zulässigkeit von sogenannten Keuschheitsproben, also kinderpornographischem Bildmaterial, welches Betreiber von einschlägigen Chat-Räumen fordern, bevor sie Nutzern den Zutritt hierzu erlaubten. Derzeit verbiete das Strafgesetzbuch den Ermittlern, derartige Keuschheitsproben hochzuladen. Mithilfe einer entsprechenden Erlaubnis könne es den Ermittlern ermöglicht werden, in Täterstrukturen vorzudringen und Missbrauch aufzudecken. Andererseits sei zu erwarten, dass die Täter bald umstellen und neue Verifizierungen verlangen würden. Auch könnten Keuschheitsproben nicht mit anderen mileubedingten Straftaten wie dem Drogenkauf durch verdeckte Ermittler verglichen werden, da der Staat den Zugriff auf das Material verliere. Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, fordert darüber hinaus die Einführung der Vorratsdatenspeicherung, wie spiegel.de meldet. Das BKA könne einer Vielzahl von Hinweisen auf sexuellen Missbrauch nicht nachgehen, da den Ermittlern "die Hände gebunden" seien. Die Bundesnetzagentur hatte die Vorratsdatenspeicherung im Juni 2017 nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen faktisch ausgesetzt. Reinhard Müller (FAZ) begrüßt die Vorratsdatenspeicherung, da sie einen geringen Eingriff darstelle, dem ein wichtiges Schutzgut gegenüberstehe.

Rechtspolitik   

Allgemeine Dienstpflicht: Angesichts der zuletzt diskutierten Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht befasst sich der Wissenschaftliche Mitarbeiter Timo Schwander auf juwiss.de mit den diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen. Eine derartige Dienstpflicht stelle eine nach Art. 12 Abs. 2 Grundgesetz grundsätzlich unzulässige Zwangsarbeit dar, welche nur auf dem Weg der Verfassungsänderung eingeführt werden könne. Rechtspolitisch sei das Vorhaben indes zweifelhaft, da der gesellschaftliche Zusammenhalt, den die Dienstpflicht fördern solle, nicht durch Grundrechtseingriffe erzwungen werden könne. Die FAZ (Reinhard Müller) beleuchtet die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Wehrpflicht. Karlsruhe habe die Vereinbarkeit der Wehrpflicht mit dem Grundgesetz stets bejaht und sie dabei insbesondere nicht von einer sicherheitspolitischen Notwendigkeit abhängig gemacht. Die Zeit beleuchtet in einem Pro und Contra auf der Titelseite die entsprechenden Argumente aus gesellschaftspolitischer Sicht. Robin Alexander merkt im Leitartikel der Welt zwar an, dass wichtige Fragen hinsichtlich einer möglichen allgemeinen Dienstpflicht noch ungeklärt seien, begrüßt aber den mit dem Vorschlag eingesetzten gesellschaftlichen Dialog über den Umfang bürgerlicher Pflichten.

Spontan-Tattoos: Die kürzlich von CDU/CSU erhobene Forderung nach einer stärkeren Regulierung von Tätowierungen bespricht Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Tattoo e.V., Urban Slamal, in einem Gastbeitrag für lto.de. Ein gesetzgeberisches Tätigwerden gegen "Spontan-Tattoos" sei nicht erforderlich. Das mit dem Vorhaben heraufbeschworene Schreckensszenario einer durch Alkoholeinfluss und Gruppendruck beeinflussten Tätowierung sei fern der Realität. Tätowierungen seien regelmäßig lange im Voraus geplant und basierten auf reiflicher Überlegung, Alkoholisierte oder mit einer "Unterstützergruppe" im Laden Auftauchende würden hingegen wohl eher des Ladens verwiesen als bedient werden. Auch sei ein derartiges Gesetzesvorhaben verfassungsrechtlich schwer legitimierbar, da es schließlich auch kein Alkohol- oder Rauchverbot gebe. 

Reform Opferentschädigungsgesetz: Im Interview mit der FAZ (Karin Truscheit) äußert sich die Geschäftsführerin des Weißen Rings, Bianca Biewer, zu den geplanten Reformen des Opferentschädigungsgesetzes. Zu begrüßen sei, dass Opfer künftig auch für psychische Schäden Leistungen erhalten können und der Zugang zu Trauma-Ambulanzen verbessert werden solle. Negativ sei indes der verstärkte Trend zu Pauschal- statt Dauerzahlungen und die mögliche Einführung einer "wiederkehrenden Antragspflicht", nach der die Betreffenden nach fünf Jahren erneut begründen müssten, warum die Tat sie noch immer beeinträchtige. 

Neue Polizeigesetze: netzpolitik.org analysiert zwei Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages sowie der Neuen Richtervereinigung (NRV) zum kürzlich beschlossenen bayerischen Polizeigesetz. Insbesondere die Einführung der Kategorie der "drohenden Gefahr" werde in diesen kritisiert. Das Bundesverfassungsgericht habe diese lediglich für den Bereich der Terrorbekämpfung gebilligt, nun werde sie beispielsweise auch für den Eigentumsschutz eingeführt.  

Terroristische Inhalte: Die EU-Kommission plant, Internetkonzerne gesetzlich zu verpflichten, terroristische Inhalte schneller als bisher zu identifizieren und zu löschen. Mitte September solle ein entsprechender Gesetzesvorschlag veröffentlicht werden, meldet Welt (Christoph B. Schiltz).

Justiz

EuGH zu Urheberrecht: Über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, nach der auch ein im Internet frei zugängliches Foto nicht ohne erneute Erlaubnis des Fotografen auf einer anderen Website veröffentlicht werden darf, berichtet nun auch die FAZ (Katharina Koser). Das Gericht hatte in der Veröffentlichung eines Bildes der Stadt Córdoba in einem auf einer Schulhomepage veröffentlichten Referat eine Urheberrechtsverletzung gesehen, da das Bild damit einem neuen Publikum zugänglich gemacht werde. Gegenüber deutschlandfunk.de (Peggy Fiebig) kritisiert Professor Leonhardt Dobusch das Urteil: Eine stets neu einzuholende Genehmigung sei in vielen Situationen unrealistisch, da die Identität des Rechteinhabers oft unklar sei. Daher sei eine Bagatellschranke oder ein "Recht auf Remix" wünschenswert, das von einer Pauschalvergütung flankiert werden könne.

OVG NRW zu Racial Profiling: Mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Nordrhein-Westfalen zu einem Fall des Racial Profiling am Bochumer Hauptbahnhof befasst sich nun auch die FAZ (Christian Geyer). Zwar habe das Gericht grundsätzlich festgestellt, dass polizeiliche Ausweiskontrollen, welche die Hautfarbe des Betroffenen zum Gegenstand hätten, gegen das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes verstießen. Es habe jedoch den Behörden die Möglichkeit eröffnet, einzelfallbezogen vorzutragen, dass Personen, die ein solches Merkmal aufweisen würden, an der entsprechenden Örtlichkeit überproportional häufig strafrechtlich in Erscheinung treten würden. In diesem Fall sei dann auch die Anknüpfung an die Hautfarbe zu Zwecken der effektiven Kriminalitätsbekämpfung möglich. Nur weil die Behörde in Bochum diesen Nachweis nicht erbracht habe, habe das Gericht die Maßnahme als rechtswidrig erachtet. Die FAZ fragt demgegenüber, warum überhaupt auf die dunkle Hautfarbe der kontrollierten Person eingegangen wurde. Die vom Gericht eröffnete Begründungsmöglichkeit einer polizeilichen Maßnahme berge die Gefahr, "den Alltagsrassismus sehenden Auges behördenfest zu machen."  

OLG München zu Gemälderestauration: Wegen der fehlerhaften Restauration von vier Gemälden, darunter einem des bekannten Malers Carl Spitzweg, muss ein Restaurator 26.000 Euro Schadensersatz zahlen. Dies entschied das Oberlandesgericht München in zweiter Instanz, wie lto.de meldet. Der Restaurator hatte angegeben, die Gemälde seien bereits vorher in schlechtem Zustand gewesen. Ein Sachverständiger hingegen führte aus, dass beim Reinigen die oberste Malschicht beschädigt und zahlreiche Details verloren worden seien. So sei der Wert des Spitzweg-Gemäldes "Der Schreiber" von 20.000 bis 25.000 Euro auf einen Verkaufswert von 5.500 Euro gesunken. Überdies stelle die Beschädigung einen bedeutenden immateriellen Verlust dar.

OLG Frankfurt zu Sammelbildern: Ein ehemaliger Fußball-Nationalspieler muss die eigene Abbildung auf Sammelkarten dulden. Dies hat das Oberlandesgericht Frankfurt entschieden, wie lto.de und FAZ melden. Die Karten zeigten den ehemaligen Nationaltorhüter ausschließlich in seinem fußballerischen Kontext, in dem er seine zeitgeschichtliche Bedeutung erlangt habe. Sie seien überdies mit "ausreichenden textlichen Informationen" versehen, um sich zur Teilnahme am öffentlichen Kommunikationsprozess zu eignen und seien daher als presserechtliche Druckerzeugnisse von der Pressefreiheit geschützt. Das presserechtliche Interesse des Sportverlags, der die Karten verbreite, wiege in diesem Fall schwerer als das Persönlichkeitsrecht eines Nationalspielers an seinen zeitgeschichtlichen Bildern.   

BGH – Gruppenvergewaltigung: Im Fall der Dessauer Gruppenvergewaltigung haben die vier Angeklagten Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt, wie spiegel.de meldet. Die Männer waren zu Freiheitsstrafen zwischen sechs und acht Jahren verurteilt worden. 

Recht in der Welt 

Israel – Nationalitätengesetz: Aufgrund anhaltender Kritik hat die israelische Knesset in einer Sondersitzung über das vor drei Wochen verabschiedete Grundgesetz mit dem Titel "Israel – Nationalstaat des jüdischen Volkes" debattiert. Dies berichtet die taz (Susanne Knaul). Das Gesetz schreibt einzig dem jüdischen Volk das Selbstbestimmungsrecht in Israel zu, nennt Hebräisch als einzige offizielle Landessprache und erklärt jüdische Besiedlung zu einem nationalen Wert. Über die gesellschaftliche Spaltung und den Protest, mit welchem insbesondere die religiöse Minderheit der Drusen in Israel auf das Gesetz reagiert, berichten SZ (Alexandra Föderl-Schmid) und FAZ (Jochen Stahnke). Mehrere zehntausend Menschen hatten am vergangenen Samstag in Tel Aviv gegen das Gesetz demonstriert. Eine Gruppe arabischer Staatsbürger hat bereits Klage vor dem Obersten Gerichtshof eingereicht.

Polen – Oberstes Gericht: Die Richter des Obersten Gerichtes in Polen wehren sich mit einem Vorlageverfahren beim Europäischen Gerichtshof gegen ihre Frühverrentung. Dies berichtet FAZ (Marlene Grunert). Ein im April beschlossenes Gesetz sieht die Senkung des Rentenalters von 70 auf 65 Jahre vor, wobei einzelne Richter über der Altersgrenze mit dem Einverständnis des Präsidenten ihr Amt weiter ausführen dürften. Die Regelung wird als Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung kritisiert. Die Richter verbanden die Vorlage mit einer einstweiligen Anordnung, nach der die neue Altersregelung bis zu einer Entscheidung des EuGH außer Kraft bleibt. Die Möglichkeit einer einstweiligen Aussetzung des Gesetzes stützen sie dabei auf Europarecht, da das polnische Recht eine solche nicht vorsieht.

Polen – Gnadenrecht: In einem Gastbeitrag für lto.de bespricht der Doktorand Oscar Szerkus ein Urteil des polnischen Verfassungstribunals (TK), wonach das präsidiale Begnadigungsrecht in jedem Verfahrensstadium ausgeübt werden kann. Strafverfahren können demnach beendet werden, ohne dass es erst zu einer rechtskräftigen Verurteilung gekommen ist. Hintergrund war die umstrittene Begnadigung des Chefs des polnischen Zentralen Antikorruptionsbüros (CBA), gegen den u.a. wegen Amtsmissbrauchs und Urkundenfälschung ermittelt worden war.

Argentinien – Abtreibung: spiegel.de berichtet über die anstehende Abstimmung des argentinischen Senats über eine mögliche Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Nach dem Gesetzentwurf wäre ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 14. Schwangerschaftswoche möglich, zur Zeit ist er nur im Fall von Vergewaltigung oder Gefahr für das Leben der Mutter legal. Trotz des Verbots würden jährlich etwa eine halbe Million illegale Abtreibung vorgenommen, oft ohne ärztliche Aufsicht und mit erheblichen Komplikationen. So seien seit 1983 mindestens 3.000 Frauen an den Folgen eines solchen Eingriffes gestorben.  

Brasilien – Glyphosat: Eine Bundesrichterin in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia hat verfügt, dass neue Produkte, welche den Unkrautvernichter Glyphosat enthalten, vorerst nicht vermarktet werden dürfen. Dies meldet taz (Andreas Behn). Bestehende Zulassungen sollen für einen Monat ihre Gültigkeit verlieren. In dieser Zeit soll die Nationale Behörde für Sanitärkontrolle die Richtlinien für den Einsatz von Glyphosat und zwei weitere Vernichtungsmittel überarbeiten. Der Einsatz von Glyphosat ist auch in Deutschland heftig umstritten. Kritiker machen ihn unter anderem für das Artensterben und das Entstehen resistenter Unkräuter verantwortlich, fraglich ist überdies ob der Einsatz krebserregend sei. 

Sonstiges

beA-Start: Nach mehrheitlichem Beschluss der Präsidentinnen und Präsidenten der 28 deutschen Rechtsanwaltskammern (RAK) soll das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ungeachtet der Kritik aus der Anwaltschaft am 3. September 2018 wieder online gehen. Dies meldet lto.de (Pia Lorenz). Eine von der Gutachterin Secunet benannte Schwachstelle bei der Verschlüsselung von Nachrichten solle in Abstimmung mit der Justiz im laufenden Betrieb beseitigt werden. Auch die passive Nutzungspflicht lebe mit dem Starttermin wohl wieder auf, da das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) keine Notwendigkeit für eine übergangsweise Testphase sehe.

Asylrecht: Die taz (Christian Rath) erklärt die rechtlichen Grundlagen des Asylrechts in Deutschland. Durch den 1993 eingeführten Artikel 16a des Grundgesetzes, welcher insbesondere die Drittstaatenregelungen begründete, sei das grundgesetzliche Asylrecht faktisch abgeschafft worden. Die Anerkennungsquote lag 2017 bei lediglich 0,7 Prozent. Allerdings sei in der Zwischenzeit ein europäisches Asylrecht geschaffen worden, welches zahlreiche Schwächen des deutschen Grundrechts auf Asyl vermeide. Die beiden Regelungen würden in der öffentlichen Diskussion indes häufig verwechselt.

Piratenabwehr: Die FAZ (Marlene Grunert) befasst sich mit der Frage, welche Befugnisse der deutschen Marine im Einsatz gegen Piraten zustehen. Grundsätzlich erfordere jeder Einsatz der Marine die Zustimmung des Bundestages. Deutsche Soldaten seien grundsätzlich an deutsche Grundrechte gebunden, das humanitäre Völkerrecht sei in der Regel nicht auf die Pirateriebekämpfung anwendbar. Festgenommene Personen müssten daher spätestens am Tag nach der Festnahme einem Richter vorgeführt werden. Hierzu dürfte zwar mit anderen Staaten und deren Richtern kooperiert werden, solange dort ein vergleichbarer Schutzstandard herrsche. Dies sei jedoch in keinem Anrainerstaat der Pirateriegebiete der Fall, weshalb die Regel in der Praxis leerlaufe.  

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.  

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau. 

lto/mps

(Hinweis für Journalisten)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. August 2018: Neue Ermittlungsbefugnisse? / Allgemeine Dienstpflicht / Israelisches Nationalitätengesetz . In: Legal Tribune Online, 09.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30245/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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