Die juristische Presseschau vom 25. Juli 2018: BVerfG zu Fes­se­lung in der Psy­ch­ia­trie / Ver­fas­sungs­schutz­be­richt vor­ge­s­tellt / Gen­schere vor EuGH

25.07.2018

Das BVerfG stellt Fesselungen in der Psychiatrie unter Richtervorbehalt. Außerdem in der Presseschau: Der Verfassungsschutzbericht wird vorgestellt und neue Verfahren der Genmanipulation vor dem Europäischen Gerichtshof.

Thema des Tages

BVerfG zu Fesselung in der Psychiatrie: Patienten in psychiatrischer Unterbringung dürfen nur mit besonderer richterlicher Erlaubnis für längere Zeit gefesselt werden. Dies urteilte das Bundesverfassungsgericht, wie u.a. SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath) und spiegel.de berichten. Der allgemeine Richtervorbehalt greife auch für Freiheitsbeschränkungen für Patienten, die bereits aufgrund einer richterlichen Verfügung psychiatrisch untergebracht seien. Fixierungen dürften nur als "letztes Mittel" und nur zum Schutz des Patienten oder des Personals eingesetzt werden, da gerade psychisch Kranke Freiheitsbeschränkungen, deren Notwendigkeit sich ihnen nicht erschließe, als besonders bedrohlich wahrnehmen würden. Lediglich kurzzeitige Fixierungen, die erkennbar weniger als eine halbe Stunde dauern würden, dürften vom ärztlichen Personal allein angeordnet werden. Um eine entsprechende richterliche Erreichbarkeit zu gewährleisten müsse die Justiz in den Bundesländern einen Bereitschaftsdienst einrichten. Eine Vielzahl der Unterbringungsgesetze der Länder müssten nun entsprechend angepasst werden. Tagesschau.de (Frank Bräutigam) fasst die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Urteil zusammen.

Die SZ (Michaela Schwinn) beleuchtet insbesondere die zu erwartenden Probleme bei der Umsetzung der Karlsruher Vorgaben, etwa ein erhöhter finanzieller und personeller Aufwand. Heribert Prantl (SZ) begrüßt das Urteil als Verrechtlichung der Psychiatrie angesichts der Urängste, welche diese in der Bevölkerung wecke. Rechtsprofessor Alexander Baur warnt auf lto.de, dass der Richtervorbehalt für die Problematik der Freiheitsentziehung in der Unterbringung nur bedingt geeignet sei. Es handele sich dabei regelmäßig um Krisenmaßnahmen, bei denen ein Richter meist erst nachträglich informiert werden könne. Dennoch könne das Hinzuziehen des Richters zusammen mit umfangreichen Dokumentationspflichten dafür sorgen, dass die Verwendung derart intensiver Maßnahmen vermehrt kritisch hinterfragt würde. Christian Rath (taz) begrüßt die vom BVerfG geforderte Erhöhung des Personals, da Fixierungen häufig einen Personalmangel kompensieren würden. Auch Reinhard Müller (FAZ) sieht einen erhöhten Aufwand in den Anstalten und in der Justiz als notwendig an, damit "das Bewusstsein für den Wert der Freiheit geschärft" werde.  

Rechtspolitik

Fraktionen-Finanzierung: Auf lto.de erläutert Alexander Hobusch anlässlich einer geplanten Erhöhung der Zuschüsse für die Bundestagsfraktionen die gesetzliche Regelung des § 50 Abgeordnetengesetz (AbgG). Dieser teile die Finanzierung auf in einen Grundbetrag, einen Kopfbetrag pro Mitglied und gegebenenfalls einen Oppositionszuschlag, welcher deren strukturelle Nachteile ausgleichen solle. Die Zuschüsse würden indes oft im Haushaltsplan "versteckt" und damit der öffentlichen Wahrnehmung und Kritik weitestgehend entzogen. Die kürzlich beschlossene Erhöhung der Fraktionen-Finanzierung sei zwar angesichts zwei neuer Fraktionen (FDP und AfD) grundsätzlich in Ordnung, das Ausmaß des Zuwachses von insgesamt 88 Millionen Euro auf 115 Millionen Euro komme allerdings einer verfassungswidrigen Überfinanzierung gleich.

Niedersachsen – Polizeigesetz: In Niedersachsen mehrt sich der Protest gegen das geplante neue Polizeigesetz, berichtet taz (Jean-Philipp Baeck). Das Gesetz sehe vor, dass gefährliche Personen künftig bis zu 74 Tage in Präventivhaft genommen und ihnen elektronische Fußfesseln angelegt werden können, überdies soll etwa die öffentliche Überwachung ausgeweitet und Polizisten mit Taser-Waffen ausgestattet werden. Für den 8. September sei eine Großdemonstration in Hannover geplant. 

Justiz 

BGH zu beA: Der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs sieht keine durchgreifenden Bedenken gegen den Start des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches (beA) zum 3. September 2018. Eine erstinstanzliche Klage gegen das beA hatte bereits der Anwaltsgerichtshof Berlin abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Den dagegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der BGH nun ab, wie Rechtsanwalt Martin W. Huff auf lto.de ausführt. Gegenstand der Klage war indes nicht die konkrete technische Umsetzung, sondern die Einführung des beA an sich. Diese in § 31a Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) geschaffene Verpflichtung hatte der BGH bereits 2016 gebilligt. Beim Anwaltsgerichtshof Berlin ist derzeit ein weiteres Verfahren anhängig, das sich explizit mit den technischen Voraussetzungen und der fehlende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung des beA befasst. 

EuGH – Genschere: Am heutigen Mittwoch entscheidet der Europäische Gerichtshof, ob das Verfahren der sogenannten "Genschere" bzw. des Genome Editings unter die strengen europarechtlichen Regelungen zur Gentechnik fällt. Dies berichten taz (Christian Rath), SZ (Kathrin Zinkant) und FAZ (Hildegard Kaulen).  Bei "genetisch veränderten Organismen" verlange das EU-Recht u.a. eine besondere Kennzeichnung und die Rückverfolgbarkeit des Produktes in jeder Phase der Vermarktung. Ausgenommen davon seien Verfahren der sogenannten Mutagenese, bei denen zwar Erbgut verändert, aber keine Fremd-DNA eingeführt werde. Fraglich sei, ob die Gen-Schere unter diese Ausnahme falle. Der Generalanwalt am EuGH hatte in seinem Schlussantrag ausgeführt, dass die Mutagenese-Ausnahme des EU-Rechts nicht den nationalen Gesetzgeber binde, dieser also auch eigene strengere Regeln zur Gentechnik einführen dürfe. In einem separaten Artikel erläutert die taz (Wolfgang Löhr) die Technik der neuen Methoden zur Erbgutveränderung und betont die Wichtigkeit des EuGH-Urteils. Der Verkaufserfolg von derartig hergestellten Produkten hänge maßgeblich davon ab, ob diese mit einem Gentechniklabel gekennzeichnet werden müssten oder nicht. 

LG Düsseldorf – Loveparade-Prozess: Zum achten Jahrestages des Loveparade-Unglücks 2010 befasst sich Rechtsprofessor Henning Ernst Müller auf community.beck.de mit dem fortschreitenden Prozess wegen fahrlässiger Tötung vor dem Landgericht Düsseldorf. Fraglich sei, ob sich die Angeklagten bei der Planung der Veranstaltung der Verletzung einer Sorgfaltspflicht schuldig gemacht hätten. Die Anklage werfe ihnen u.a. vor, sie hätten sich mit dem in Teilen widersprüchlichen Gesamt-Sicherheitskonzept zufrieden gegeben. Die Verteidigung führe demgegenüber an, ihre Mandanten seien gar nicht zu einer Prüfung des Konzepts verpflichtet gewesen. 

VG Gelsenkirchen – Sami A.: Im Fall Sami A. hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen der Stadt Bochum mit einem Zwangsgeld von 10.000 Euro gedroht, wie lto.de (Markus Sehl) meldet. Der von den deutschen Behörden als "Gefährder" eingestufte Tunesier war entgegen einer gerichtlichen Anordnung des VG Gelsenkirchen abgeschoben worden. Dieses ordnete daraufhin an, der Mann sei umgehend nach Deutschland zurückzuholen. Die Stadt habe jedoch "nichts Substantielles unternommen", um dieser gerichtlichen Anordnung nachzukommen. Das VG setzte der Ausländerbehörde der Stadt Bochum nun eine Frist bis zum 31. Juli.

LG Hamburg – Pegida-Galgen: Der ehemalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat den Hersteller eines Galgens, den ein Demonstrant 2015 bei einer Pegida-Demonstration mitführte und der laut einem darauf angebrachten Schild für Gabriel "reserviert" war, auf Unterlassung verklagt. Dies berichtet lto.de. Durch eine einstweilige Verfügung hatte Gabriel bereits erreicht, dass der Galgen nicht weiter verkauft werden durfte. Der Dresdner Hersteller argumentiert, es habe sich nicht um einen persönlichen Affront gegen Gabriel, sondern um ein provokatives Statement zur Flüchtlingskrise gehandelt. Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht Hamburg ist für Freitag angesetzt.

VerfGH BW – Stilz-Rücktritt: FAZ-Einspruch (Rüdiger Soldt) widmet sich dem Eintritt des Präsidenten des baden-württembergischen Verfassungsgerichtshofs, Eberhard Stilz, in den Ruhestand. Stilz sei von Kollegen ebenso wie von Ministerpräsident Kretschmann als Richter gewürdigt worden, der sich im besten Sinne am sokratischen Ideal eines Richters orientiert habe, wonach es gelte höflich zuzuhören, weise zu antworten, vernünftig zu wägen und dann unparteiisch zu entscheiden. 

EU-Kommission – Illegale Preisvorgaben: Die EU-Kommission hat Strafen von insgesamt über 111 Millionen Euro wegen Preisverzerrungen im Onlinehandel gegen das Elektrounternehmen Phillips, den Online-Anbieter Asus sowie die Unterhaltungselektronik-Marken Denon, Marantz und Pioneer verhängt. Dies meldet u.a. spiegel.de. Die Unternehmen hätten bei Onlinehändlern Mindestpreise für den Weiterverkauf ihrer Produkte vorgegeben und Drohungen ausgesprochen. 

Sonstiges 

Verfassungsschutzbericht: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, haben den Verfassungsschutzbericht des Jahres 2017 vorgestellt. Dies berichten u.a. lto.de (Hasso Suliak), zeit.de (Astrid Geisler), taz (Malene Gürgen) und Welt (Martin Lutz/Uwe Müller). In dem Bericht werde vor Rechtsextremisten und sogenannten "Reichsbürgern", gewaltbereiten Linksextremen ebenso wie vor Bedrohungen durch islamistischen Terror gewarnt. Zwar hätten mehrere Anschlagsvorhaben frühzeitig aufgedeckt und vereitelt werden können, dennoch sei ein Terroranschlag weiterhin "jederzeit möglich".  

Constanze von Bullion (SZ) erkennt in dem Bericht trotz des Rückgangs politisch motivierter Straftaten um fast fünf Prozent keinen Grund zur Beruhigung: Es gebe zwar weniger politisch motivierte Straftaten, dafür aber mehr gewaltbereite Extremisten und ein bleibendes Aggressionspotential. Daniel Deckers (FAZ) begrüßt, dass trotz der Kritik am Verfassungsschutz in den letzten Jahren etwa angesichts der NSU-Mordserie der "fast alle Parteien übergreifende Konsens" über die Notwendigkeit des Verfassungsschutzes nicht zerbrochen sei. Moritz Koch (Hbl) fordert Bundesinnenminister Seehofer auf, sich verstärkt für die innere Sicherheit einzusetzen, um einem im Bewusstsein vieler Bürger verankerten Unsicherheitsempfinden entgegenzuwirken.  

Jurastudium: Im FAZ-Einspruch ruft Constantin van Lijnden Jurastudierende dazu auf, sich mehr mit juristischen Inhalten außerhalb des Pflichtfachstudiums auseinanderzusetzen. Wer etwa regelmäßig die Nachrichten verfolge, erkenne bald die Auswirkungen juristischer Fragestellungen auf Gesellschaft und Politik. Hierdurch würden Zusammenhänge und Wirkmechanismen sichtbar werden, was ein gestärktes Interesse und eine erhöhte Motivation für das eigene Studienfach zur Folge haben könne. Dies könne einen Ausweg aus der Apathie bieten, die viele angesichts der Anforderungen des Examens überkomme.

Neutralitätsgebot und Kopftuch: Im FAZ-Einspruch befasst sich Rechtsprofessor Julian Krüper mit dem staatlichen Neutralitätsgebot und der Bedeutung von Ritualen und Symbolen in der Justiz. Dabei spricht er sich gegen das Kopftuch für Richterinnen aus. Durch das Tragen des Kopftuchs entstehe auf der symbolischen Ebene ein Konflikt zwischen Recht und Religion, es sei ein "Störfaktor im gerichtlichen Ritual". Im gerichtlichen Verfahren gehe es um die Vergegenwärtigung der Allgemeinheit des Gesetzes, wobei es sich um eine säkulare Allgemeinheit handele. Daher seien sichtbare religiöser Symbole grundsätzlich auszuschließen, auch wenn dies die Angehörigen unterschiedlicher Konfessionen und Geschlechter nicht gleichermaßen schwer treffe, sondern vorrangig muslimische Frauen.

Verdi-Streiks: Angesichts der fortgesetzten Streiks der Gewerkschaft Verdi beim Versandhandelsriesen Amazon skizziert Rechtsanwältin Aziza Yakhloufi auf Handelsblatt-Rechtsboard die Grundzüge des deutschen Streikrechts. Dieses sei in Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz garantiert, dürfe nur vom Inhaber der Tarifautonomie ausgeübt werden und müsse eine Regelung zum Ziel haben, welche Gegenstand eines Tarifvertrags sein könne. 

Preisabsprachen durch Algorithmen: Die Rechtsanwälte Markus Schöner und Denis Schlimpert befassen sich im FAZ-Einspruch mit der Problematik von Preisabsprachen durch selbstlernende Algorithmen. Wettbewerbsrechtlich sei es zwar verboten, Vereinbarungen über Preise zu treffen, erlaubt sei es jedoch, den Wettbewerb zu beobachten und die Preise entsprechend anzupassen. Selbstlernende Algorithmen bewegten sich an der Schnittstelle zwischen unzulässiger Abstimmung und dem sogenannten zulässigem Parallelverhalten. 

Das Letzte zum Schluss

Kindlicher Toilettengang: Mit einem einzigen Toilettengang hat ein Dreijähriger einen Schaden von 15.000 Euro verursacht und das Oberlandesgericht Düsseldorf zu einem Grundsatzurteil veranlasst, wie spiegel.de meldet. Das Kind war nachts alleine aufgestanden, um die Toilette zu benutzen, hatte dann aber so viel Toilettenpapier benutzt, dass der Abfluss verstopfte. Weil sich zudem der Spülknopf verhakte und ununterbrochen Wasser nachlief, tropfte es schließlich aus der Decke der darunter liegenden Wohnung. Den entstandenen Schaden verlangte die Wohngebäudeversicherung nun zu einem Teil von der Mutter zurück. Ohne Erfolg: Laut OLG Düsseldorf habe die Mutter ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt. Ein dreijähriges Kind müsse nicht ununterbrochen beaufsichtigt werden und könne den Gang zur Toilette durchaus alleine bewältigen – eine elterliche Kontrolle nach jedem Toilettengang werde dem Entwicklungszustand des dreieinhalb Jahre alten Kindes nicht mehr gerecht, so das Gericht.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mps

(Hinweis für Journalisten)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 25. Juli 2018: BVerfG zu Fesselung in der Psychiatrie / Verfassungsschutzbericht vorgestellt / Genschere vor EuGH . In: Legal Tribune Online, 25.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29947/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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