Die juristische Presseschau vom 17. Juli 2018: Dis­kus­sion um Abschie­bung / Rund­funk­bei­trag vor BVerfG / IStGH wird stärker

17.07.2018

Die Abschiebung von Sami A. trotz Eilbeschluss beschäftigt weiter Politik und Justiz. Außerdem in der Presseschau: Morgen wird das Urteil zum Rundfunkbeitrag verkündet und der IStGH ist jetzt auch für Angriffskriege zuständig.

Thema des Tages

Rechtswidrige Abschiebung – Sami A.: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) war über die geplante Abschiebung von Sami A. informiert. Der mutmaßliche Islamist war am Freitagmorgen nach Tunesien abgeschoben worden. Ein Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen erreichte die Behörden zu spät. Als Grund wird vermutet, dass dem Gericht der nahe Zeitpunkt der Abschiebung bewusst verheimlicht worden sei. Die Geschehnisse sowie die anschließende Diskussion werden in der SZ (Constanze von Bullion), der FAZ (Reiner Burger/Eckart Lohse), der taz (Christian Rath), der Welt (Manuel Bewarder/Marcel Leubecher) und auf lto.de (Tanja Podolski) behandelt. Die wichtigsten Fragen zum Fall beantworten die Welt (Tobias Heimbach), zeit.de (Lisa Hegemann/Tilman Steffen) und spiegel.de (Jörg Diehl/Florian Gathmann). Es wird auch darauf eingegangen, wie es jetzt weitergeht, insbesondere, ob Sami A. zurückgeholt werden muss.

Laut Constanze von Bullion (SZ) muss Seehofer jetzt "detailliert darlegen, was er wann gewusst und zu verantworten hat". Entweder habe sein Haus Richter belogen, oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sei belogen worden. Beides wäre verheerend. Reinhard Müller (FAZ) betont, dass Deutschland nicht daran mitwirken dürfe, dass irgendjemand Folter ausgesetzt wird. Das Urteil dazu möge in der nächsten Instanz anders ausfallen, aber bis dahin gelte es. Henryk M. Broder (Welt) meint hingegen, das Vertrauen in den Rechtsstaat werde nicht durch ein Urteil wie das des Gelsenkirchener Verwaltungsgerichts untergraben, sondern durch die Tatsache, dass es beinahe zwölf Jahre gedauert habe, bis Sami A. endlich abgeschoben wurde.

Die FAZ (Hans-Christian Rößler) beleuchtet die Menschenrechtslage in Tunesien, die zu dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen geführt hat.

Rechtspolitik

Barley zu Mietrechtsreform: Bundesjustizministerin Katharina Barley (SPD) erläutert im Interview mit der SZ (Robert Roßmann) die geplante Reform des Mietrechts. Um die Mietpreisbremse effektiver zu machen, sollen Vermieter verpflichtet werden, die Vormiete mitzuteilen, und die Rüge durch den Mieter solle erleichtert werden. Bei der Modernisierungsumlage habe sie sich aber nicht vollständig gegen den Widerstand der Union durchsetzen können. Die nächste Reform soll die Mietspiegel betreffen, so dass mehr als die bisher üblichen Vertragsabschlüsse der letzten vier Jahre berücksichtigt werden.

BayPsychKHG: Die Rechtsprofessorin Tanja Henking kritisiert auf lto.de das geplante bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz. Die Eingriffsschwelle für die freiheitsentziehende Unterbringung sei zu niedrig, die gesetzliche Verankerung eines Sozialpsychiatrischen Dienstes fehle. Insgesamt verfehle der Gesetzentwurf "sein selbst erklärtes Ziel eines modernen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes und damit eine deutliche Verbesserung der Versorgung psychisch erkrankter Menschen".

Justiz

LAG Hessen zu Streik bei Neue Halberg Guss: Das Landesarbeitsgericht Hessen hat die Entscheidung des Frankfurter Arbeitsgerichts bestätigt, nach der die Arbeiter von Neue Halberg Guss streiken dürfen. Es gehe den Mitarbeitern darum, einen Sozialtarifvertrag zu erstreiken und nicht darum, den Eigentümer der Gesellschaft fortzujagen, so das Gericht. Der Streik sei auch verhältnismäßig, weil der Autozulieferer sich weigere, auf die Beschäftigten zuzugehen. Über die Auseinandersetzung schreibt die FAZ (Martin Gropp).

VG Berlin zu Cannabis und Polizeidienstuntauglichkeit: Cannabis-Konsum kann zur Polizeidienstuntauglichkeit führen. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bestätigt. Geklagt hatte ein 40 Jahre alter Mann, der sich für den Berliner Polizeidienst beworben hatte. Bei einer Untersuchung im September 2017 war ein deutlich erhöhter THC-Wert festgestellt worden. Dies rechtfertigt nach Auffassung des Gerichts bereits die Feststellung der fehlenden Polizeidiensttauglichkeit. Dass der Mann behauptete, inzwischen nicht mehr Cannabis zu konsumieren, ließ es nicht gelten. Kritik kommt vom Hanfverband, so lto.de (Hasso Suliak). spiegel.de weist auch auf Rechtsprechung zur Fahrerlaubnis-Verordnung hin.

OLG München/BGH – NSU-Prozess: Die SZ (Annette Ramelsberger) berichtet über neue Entwicklungen im NSU-Prozess. Die Bundesanwaltschaft wolle nur gegen das Urteil gegen André Eminger Revision einlegen. Das Gericht hatte ihm geglaubt, nichts von den Taten des NSU gewusst zu haben. Ralf Wohlleben kann derweil mit einer baldigen Freilassung rechnen. Er habe bereits über zwei Drittel seiner zehnjährigen Freiheitsstrafe abgesessen, die somit zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Daher lasse sich die Untersuchungshaft wahrscheinlich nicht mehr rechtfertigen.

BVerfG – Rundfunkbeitrag: Am Mittwoch verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum Rundfunkbeitrag. In einem Beitrag auf lto.de beleuchtet Barış Çalışkan die dabei relevante Frage, ob es sich um eine Abgabe oder um eine verkappte Steuer handelt. Nach Ansicht des Autors kann der Rundfunkbeitrag keine Abgabe darstellen, weil das bloße Angebot einer Nutzungsmöglichkeit noch keinen Vorteil darstelle. Es bestehe die Gefahr, dass die Vorgaben des Finanzverfassungsrechts umgangen werden. Die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werde nicht gefährdet, wenn der durch eine unabhängige Kommission festgestellte Finanzbedarf aus Steuermitteln gedeckt würde. Auch die FAZ (vmer/ksr) berichtet.

StA Braunschweig/München – VW-Abgasskandal: Die FAZ (Marcus Jung u.a.) gibt einen Überblick über den Stand der Ermittlungen gegen VW-Manager im Abgasskandal. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig rechne damit, dass die Beschuldigtenseite noch in dieser Woche die Hauptakten einsehen könne. Für Ende des ersten Quartals 2019 werde mit einer Entscheidung gerechnet, wer angeklagt wird. Die Staatsanwaltschaft München darf nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die bei der Anwaltskanzlei Jones Day beschlagnahmten Akten auswerten.

AG Rostock – Video aus Kommunalparlament: Die Stadt Schwerin geht mit einer Unterlassungsklage gegen die Veröffentlichung eines Videos auf Facebook vor. Der Beklagte hatte den Livestream aus dem Kommunalparlament mitgeschnitten und auf Facebook veröffentlicht. Die Stadt sieht darin eine Urheberrechtsverletzung und argumentiert mit dem Persönlichkeitsrecht der Abgeordneten. Über den Fall berichtet netzpolitik.org (Simon Rebiger).

Recht in der Welt

IStGH – Jubiläum und Zuständigkeitserweiterung: Am heutigen Dienstag, 20 Jahre nach seiner Einrichtung, erweitern sich die Zuständigkeiten des Internationalen Strafgerichtshofs. Er ist fortan nicht mehr nur für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere Kriegsverbrechen zuständig, sondern auch für die Verfolgung von Aggressionen, wozu insbesondere Angriffskriege zählen. Mit der Geschichte, den Kritikpunkten und den Herausforderungen des Den Haager Gerichts befassen sich die SZ (Ronen Steinke) und die FAZ (Reinhard Müller, faz.net-Zusammenfassung). Während in der SZ der deutsche Richter am IStGH Bertram Schmitt zu Wort kommt, zitiert die FAZ die Bundesjustizministerin Katharina Barley, die eine Stärkung des Gerichtshofs fordert.

In einem Gastbeitrag für die SZ fordert Klaus Rackwitz, Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien, die Wiederbelebung des IStGH. Dazu solle man beim Vetorecht der Großmächte im Sicherheitsrat ansetzen. Während viele Staaten einen freiwilligen Verzicht auf das Vetorecht befürworteten, wollten andere es über eine "Advisory Opinion" des Gerichtshofs aushebeln. Letztlich brauche es gemeinsamer Anstrengungen der Zivilgesellschaft wie vor 20 Jahren bei der Gründung des Gerichtshofs.

EGMR – Männliche Primogenitur in Großbritannien: Fünf adelige Frauen ziehen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, um die männliche Primogenitur in Großbritannien abzuschaffen. Bis heute erben im britischen Hochadel nur die Söhne Titel und Vermögen. Alle bisherigen Versuche, das Prinzip auf politischem Wege abzuschaffen, sind gescheitert, wie die SZ (Cathrin Kahlweit) berichtet.

Österreich – Ratifikation von CETA: Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen (Grüne) weigert sich vorerst, CETA, das Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada,  zu ratifizieren. Der Akademische Rat Markus Beham begründet auf verfassungsblog.de, warum er damit seine Kompetenzen überschreite. "Ein Amtsverständnis als selbsternannter Hüter des acquis communautaire mag den EuGH vielleicht freuen, ist aber systemisch weder notwendig noch hilfreich für die zugrundeliegende Debatte."

USA – Sammelklagen: Auf zwei Seiten bringt das Hbl (Imran Ahmad u.a.) einige Statistiken, Grafiken und Informationen zu Sammelklagen in den USA. Es geht unter anderem um die Anzahl der Klagen, die Entschädigungssummen und die Marktanteile der Top-Kanzleien.

Sonstiges

Einreiseverbote: Die FAZ (Rüdiger Soldt) weist auf rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Einreiseverboten hin. Grenzkontrollen würden an der deutsch-französischen Grenze nicht regelmäßig stattfinden. Würde doch zufällig jemand aufgegriffen, müsse das Dublin-Verfahren durchgeführt werden. Von bestehenden Einreiseverboten wüssten die Polizisten wegen der zähen Informationsweitergabe oft nichts.

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dw

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. Juli 2018: Diskussion um Abschiebung / Rundfunkbeitrag vor BVerfG / IStGH wird stärker . In: Legal Tribune Online, 17.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29787/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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