Die juristische Presseschau vom 14. Juni 2018: BVerfG zu sach­grund­loser Befris­tung / Kabi­nett besch­ließt Brü­cken­teil­zeit / Mil­li­ar­den­strafe für VW

14.06.2018

Das BVerfG hat die Rechtsprechung des BAG zur sachgrundlosen Befristung gekippt. Außerdem in der Presseschau: Das Kabinett hat den Gesetzentwurf zur Brückenteilzeit beschlossen und VW akzeptiert Milliardenstrafe im Dieselskandal.

Thema des Tages

BVerfG zu sachgrundloser Befristung: Ein Arbeitsvertrag mit sachgrundloser Befristung ist bei demselben Arbeitgeber nur einmal möglich. Mit dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2011 gekippt. Die Arbeitsrichter hatten nach einer Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses für mindestens drei Jahre eine erneute sachgrundlose Befristung für rechtmäßig erachtet. Kernfrage ist die Auslegung der Regelung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, nach der eine sachgrundlose Befristung unzulässig ist, "wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat". Diese Regelung sei eindeutig, die Auslegung des Bundesarbeitsgerichts habe die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten, so das Bundesverfassungsgericht. Eine Ausnahme gelte nur, wenn und soweit eine Gefahr der Kettenbefristung nicht bestehe und befristete Arbeitsverhältnisse die Regelbeschäftigungsform sind. Dies ist etwa bei vorangegangenen Nebenbeschäftigungen während der Schul- oder Studienzeit der Fall. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath) und lto.de.

Rechtsprofessor Christian Rolfs gibt auf community.beck.de zu bedenken, dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2011 jedoch im Ergebnis richtig bleibe, weil es sich bei der vorangegangen Beschäftigung um eine Nebenbeschäftigung während der Studienzeit handelte, für die auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eine Ausnahme möglich ist.

Rechtspolitik

Brückenteilzeit: Das Kabinett hat den Gesetzentwurf zur Einführung eines Anspruchs auf Brückenteilzeit beschlossen. Ab 2019 sollen in Vollzeit arbeitende Arbeitnehmer das Recht erhalten, für ein bis fünf Jahre auf Teilzeit zu reduzieren und dabei das Recht erhalten, anschließend wieder auf Vollzeit zurückkehren zu können. Diese sogenannte Brückenteilzeit soll jedoch nur in Unternehmen ab 45 Mitarbeitern gelten. Hat das Unternehmen nicht mehr als 200 Mitarbeiter, muss nur einem von 15 Mitarbeitern Brückenteilzeit gewährt werden. Zudem soll mit dem Gesetz Teilzeitkräften erleichtert werden ihre Arbeitszeit aufzustocken. Es berichten SZ (Henrike Roßbach/Mike Szymanski), FAZ (Dietrich Creutzburg) spiegel.de und lto.de.

Frank Specht (Hbl) hält den Gesetzentwurf für ausgewogen. Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern seien gleichermaßen berücksichtigt worden. Für Henrike Roßbach (SZ) ist die Einführung der Brückenteilzeit eine nur unzureichende Reaktion auf die Flexibilisierung der Arbeitswelt. Der Politik fehle hier der Mut, mehr Freiheit zu wagen.

EU-Richtlinie für Whistleblower-Schutz: In einem Gastbeitrag auf dem Handelsblatt-Rechtsboard beleuchtet Rechtsanwalt Hans-Peter Löw die Auswirkungen der geplanten EU-Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern für Banken. Wegen bereits bestehender Regelungen hinsichtlich des Hinweisgeberschutzes bei Finanzdienstleistungen, bringe der Richtlinienentwurf nicht viel neues für Banken.

Musterfeststellungsklage: Laut lto.de (Hasso Suliak) kann das Gesetz zur Einführung der Musterfeststellungsklage wie geplant zum 1. November in Kraft treten, noch in dieser Woche soll der Bundestag das Gesetz verabschieden. Der Rechtsausschuss habe am gestrigen Mittwoch letzte Änderungen vorgenommen. So soll die erstinstanzliche Zuständigkeit bei den Oberlandesgerichten liegen. Die Opposition kritisiert weiterhin die hohen Hürden für Verbraucher bei der Anmeldung von Ansprüchen.

Zurückweisung von Flüchtlingen: Mit der rechtlichen Bewertung des Vorschlags von Innenminister Horst Seehofer (CSU), Flüchtlinge unter Umständen bereits an der Grenze abzuweisen, beschäftigen sich nun auch focus.de und die Wissenschaftlerin Dana Schmalz (verfassungsblog.de). Sie hält eine Zurückweisung für unvereinbar mit der Dublin-Verordnung und der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Waffenexporte: Mit einer gemeinsamen Initiative im Bundestag fordern Linke und Grüne die Einführung einer Genehmigungspflicht für die technische Unterstützung von Rüstungsproduktionen im Ausland. Damit sollen bestehende Regelungslücken geschlossen werden, etwa dass sich deutsche Waffenhersteller am Bau von Waffenfabriken im Ausland beteiligen. Es berichtet taz.de (Pascal Beucker).

Justiz

StA Braunschweig – Milliardenstrafe für VW: Nach Bericht der FAZ (Martin Gropp/Christian Müßgens), Welt (Nikolaus Doll/Philipp Vetter), spiegel.de und Hbl (Stefan Menzel) hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen VW ein Rekordbußgeld in Höhe von einer Milliarde Euro verhängt. VW wurde eine Aufsichtspflichtverletzung in der Abteilung Aggregate-Entwicklung im Zusammenhang mit der Fahrzeugüberprüfung vorgeworfen. Der Konzern akzeptierte die Strafe, das Bußgeldverfahren ist damit beendet.

EuGH zu Schleppnetzverbot: Laut taz.de (Christian Rath) und lto.de hat das Bundesamt für Naturschutz keine Zuständigkeit für ein Verbot der Fischerei mit Schleppnetzen in Meeresgebieten vor Sylt und Pommern. Ein solches Verbot hatte der Deutsche Naturschutzring gefordert. Der Europäische Gerichtshof bestätigte die Auffassung des Bundesamtes, welches sich als nicht zuständig bekundete. Da ein Verbot Auswirkungen auf die Seefischerei anderer Mitgliedstaaten habe, liegt die Zuständigkeit hier bei der Kommission.

BVerfG zu Streikrecht für Lehrer: Mit der das Streikverbot für beamtete Lehrkräfte bestätigenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beschäftigt sich nun auch Rechtsprofessor Josef Franz Lindner auf verfassungsblog.de. Die Verfassungsrichter haben das Beamtenstreikverbot nicht nur verfassungsrechtlich fundiert, sondern auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Einklang gebracht, so Lindner.

BGH  Lebensversicherungen: Der Bundesgerichtshof hat die Frage verhandelt, inwieweit die Auszahlung sogenannter Bewertungsreserven bei Lebensversicherungen eingeschränkt werden kann. Seit 2014 ist es Lebensversicherern erlaubt, Kursgewinne aus festverzinslichen Wertpapieren nur noch in dem Maße auszuschütten, wie Garantiezusagen für die restlichen Versicherer nicht betroffen sind. Der klagende Bund der Versicherten (BdV) hält diese Kappung für verfassungswidrig. Dieser Auffassung werden die Richter in ihrem Ende Juli erwarteten Urteil wohl nicht folgen, jedoch werden die Versicherer zukünftig den Umfang der Kürzungen genauer darlegen müssen. Über die mündliche Verhandlung berichten spiegel.de und lto.de (Hasso Suliak).

BGH zu Kartellschadensersatz: Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die 2005 eingeführte Verjährungshemmung auf diejenigen Ansprüche gegen Kartellanten auszudehnen, die zum Zeitpunkt des Gesetzerlasses noch nicht verjährt, aber schon entstanden waren, setzt sich nun auch Rechtsanwalt Jochen Bernhard auf lto.de auseinander. Dabei erläutert er insbesondere die rechtliche Herleitung der Verjährungshemmung.

Volker Votsmeier (Hbl) begrüßt, dass der Bundesgerichtshof "keine Milde walten lässt". Absprachen seien Gift für den freien Wettbewerb, der Staat solle mit aller Härte gegenhalten.

BVerwG zu Wahlalter: Nach Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Wahlrecht für 16- bis 18-jährige bei Kommunalwahlen verfassungsmäßig. Die Begrenzung des Wahlalters auf 18 Jahre in Artikel 38 des Grundgesetzes gelte nicht für Kommunalwahlen. Geklagt hatten Bürger der Stadt Heidelberg. Es berichtet die SZ.

OLG Düsseldorf – Bierkartell: Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf hat das Verfahren über ein wegen Preisabsprachen an die Carlsberg-Holding verhängtes Bußgeld begonnen. 2006 und 2008 soll es zu abgesprochenen Preiserhöhungen für Flaschen- und Fassbier gekommen sein. Das Bundeskartellamt verhängte Bußgelder gegen die beteiligten Brauereien, der Carlsberg-Holding wurden 62 Millionen Euro Bußgeld auferlegt. Prozessauftakt und Hintergründe beleuchten SZ (Benedikt Müller) und lto.de.

LG Berlin zu Mietpreisbremse: Nach Meldung der taz hat sich nun eine weitere Kammer des Landgerichts Berlin zur Verfassungsmäßigkeit der Mietpreisbremse positioniert. Entgegen einer vorangegangen Kammerentscheidung wurde die Mietpreisbremse nun als verfassungsmäßig bewertet.

Urteile gegen Daimler im Abgasskandal: Das Hbl (Laura de la Motte) befasst sich mit den ersten Urteilen gegen Daimler im Abgasskandal. Das Landgericht Hanau verurteilte den Automobilbauer zur Rücknahme eines Mercedes-Benz Vitos. Vor dem Landgericht Karlsruhe erging ein Versäumnisurteil, nach dem Daimler ebenfalls ein Fahrzeug zurücknehmen muss.

Recht in der Welt

Ungarn – Urteil gegen Schlepper: Die FAZ (Stephan Löwenstein) widmet sich ausführlich dem Ende des Prozesses gegen Schlepper, die für den Erstickungstod von 71 Geflüchteten in einem Kühllaster im August 2015 verantwortlich gemacht werden. Der Laster war in Österreich entdeckt worden, die Flüchtlinge waren aber noch auf ungarischem Boden verstorben. Das Urteil wird am heutigen Donnerstag erwartet. Dem Hauptangeklagten droht eine lebenslange Haftstrafe.

USA – Fusion von AT&T mit Time Warner: Das Telekommunikationsunternehmen AT&T darf nach Entscheidung des United States District Court in Washington den Medienkonzern Time Warner übernehmen. Gegen den Zusammenschluss hatte die Regierung von US-Präsident Trump geklagt. Nach dem Urteil werden nun weitere Fusionen in der Branche erwartet. Es berichten FAZ (Roland Lindner), Hbl (Thomas Jahn), SZ (Kathrin Werner) und spiegel.de.

Türkei – Verfolgung von Wissenschaftlern: Die Rechtsprofessorin Başak Çalı (Hertie School of Governance/Koç Universität Istanbul) berichtet auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) über die strafrechtliche Verfolgung von türkischen Wissenschaftlern, die im Jahr 2016 die "Academics for Peace Petition" unterzeichneten. Dabei analysiert und kritisiert sie ein Urteil gegen den Professor Füsun Üstel, bei dem das Gericht die in der Verfassung gewährte Meinungsfreiheit des Angeklagten nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Sonstiges

Effektivität des Völkerrechts: Die SZ (Andreas Zielcke) blickt auf den aktuellen Zustand des Völkerrechts. Im Hinblick auf die zahlreichen aktuellen Krisenherde wird die Frage aufgeworfen, ob die Welt nicht den Niedergang ihrer internationalen Rechtsstandards erlebe. Während Staaten mit gewissen Erfolgsaussichten immer noch Sanktionen erzwingen können, blieben schlimmste Menschenrechtsverletzungen meist folgenlos. Dies läge auch daran, dass aufkommender Populismus und religiöser Neofundamentalismus Gleichheitsrechte pervertieren.

WM am Arbeitsplatz: Zum Start der Fußball-WM in Russland am heutigen Donnerstag empfiehlt der Rechtsanwalt Rolf Kowanz auf lto.de fußballbegeisterten Arbeitnehmern während der WM am Arbeitsplatz "Maß und Mitte" zu wahren. Auf besondere Arbeitnehmerschutzrechte könne sich nicht berufen werden. Ratsam seien klare Absprachen im Vorfeld darüber, ob ein Spiel während der Arbeitszeit live in Radio oder Fernsehen verfolgt werden könne.

Fehlerkultur in Justiz und Anwaltschaft: Der Deutsche Anwaltstag hat in diesem Jahr Fehlverhalten von Justiz und Anwälten zum zentralen Thema gemacht. Im Nachgang widmet der SWR (Klaus Hempel)  diesem Thema einen RadioReport Recht.

Übersicht zum Abgasskandal: Anlässlich der neusten Entwicklungen im Dieselskandal gibt lto.de einen Überblick über die betroffenen Automobilhersteller, die jeweils laufenden Ermittlungen und die bisher angeordneten Rückrufe.

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lto/kk

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. Juni 2018: BVerfG zu sachgrundloser Befristung / Kabinett beschließt Brückenteilzeit / Milliardenstrafe für VW . In: Legal Tribune Online, 14.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29133/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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