Die juristische Presseschau vom 18. Mai 2018: Kom­mis­sion klagt wegen Luft­ver­sch­mut­zung / Keine Wer­bung für "bekömm­li­ches" Bier / Wende im Wehr­hahn-Pro­zess

18.05.2018

Die Kommission verklagt Deutschland wegen der Nichteinhaltung von Schadstoff-Grenzwerten. Außerdem in der Presseschau: Bier darf nicht als "bekömmlich" beworben werden und der Angeklagte im Wehrhahn-Prozess wurde aus der U-Haft entlassen.

Thema des Tages

EuGH – Luftverschmutzung: Die EU-Kommission verklagt die Bundesrepublik wegen der Überschreitung von Grenzwerten für Stickoxide vor dem Europäischen Gerichtshof. Das teilte die Kommission gestern mit. Derzeit werden in über 60 Städten die Grenzwerte überschritten, in 20 deutlich. Die Kommission hatte bereits 2015 das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und andere Länder eingeleitet. Zuletzt hatte die Bundesregierung unter anderem mit Gedankenspielen über kostenlosen öffentlichen Nahverkehr versucht, Brüssel zu beruhigen. Über die Klage der Kommission berichten die SZ (Michael Bauchmüller/Thomas Kirchner), die FAZ (Werner Mussler/Kerstin Schwenn), die Welt (Hannelore Crolly/Nikolaus Doll) und die taz (Eric Bonse).

Michael Bauchmüller (SZ) meint, dass es "so folgerichtig wie peinlich" ist, dass sich die Bundesregierung nun vor dem Europäischen Gerichtshof für ihre Untätigkeit verantworten muss. Irgendwann sei auch Brüssel die deutsche Hinhaltetaktik zu bunt geworden. Ulf Poschardt (FAZ) ist hingegen der Ansicht, die Klage würde die Hysterie über Stickoxid-Emissionen befeuern.

Rechtspolitik

Parlamentarische Regierungskontrolle: Die FDP-Fraktion hat ein Eckpunktepapier für eine Reform der parlamentarischen Regierungskontrolle vorgelegt. Danach soll die sogenannte Fragestunde, in der Regierungsmitglieder mündlich auf zuvor schriftlich eingereichte Fragen antworten, abgeschafft werden und stattdessen spontane Befragung der Regierung gestärkt werden. Die Minister sollen sich 120 Minuten pro Woche der Befragung stellen, die Bundeskanzlerin soll mindestens viermal im Jahr erscheinen. Die FDP schlägt zudem die Einrichtung einer Schiedskommission vor, die Einstufungen von Antworten der Regierung als Verschlusssachen überprüfen soll. Vorgänge sollen weitgehend digitalisiert werden. Die FAZ (Johannes Leithäuser) fasst die Vorschläge zusammen.

DSGVO: Die taz befasst sich in einem Themenschwerpunkt mit der Datenschutz-Grundverordnung, die am 25. Mai in Kraft tritt. Hannes Koch und Tanja Tricarico fassen die neuen Regelungen zusammen. Tanja Tricarico berichtet in einem gesonderten Beitrag zudem über die Probleme, die insbesondere kleinere Unternehmen mit der Umsetzung haben. Dinah Riese beschäftigt sich mit dem "Recht auf Vergessenwerden", das nunmehr ausdrücklich vorgesehen ist, über dessen Reichweite jedoch die Gerichte zu entscheiden hätten.

Tanja Tricarico feiert die Datenschutz-Grundverordnung in einem Kommentar als einen Meilenstein für den Datenschutz. Die EU zeige den "Datensaugern" den "bürokratischen Stinkefinger". Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff gibt im Interview mit Tanja Tricarico zwar zu, dass dem Datenschutzrecht der "Fun-Faktor" fehle. Datenschutz könne für Unternehmen aber auch zum Qualitätsmerkmal werden.

Justiz

BGH zu Werbung für "bekömmliches" Bier: Alkoholhaltiges Bier darf nicht mit dem Attribut "bekömmlich" beworben werden. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden. Die Werbung verstoße gegen die Health-Claims-Verordnung, nach der Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent keine gesundheitsbezogenen Angaben tragen dürfen. Der Argumentation des Brauers, dass sich das Wort auf das allgemeine Wohlbefinden und nicht die Gesundheit beziehe, folgten die Richter nicht. Den Rechtsstreit hatte der Verband Sozialer Wettbewerb losgetreten, wie die FAZ (Tillmann Neuscheler) und Rechtsanwalt Thomas Utzerath auf lto.de schreiben.

Uwe Ebbinghaus (FAZ) hält die Auslegung des Gerichts für unvereinbar mit dem allgemeinen Sprachgebrauch. Das Wort "bekömmlich" stamme vom mittelhochdeutschen "bekom(en)lich", was "passend, bequem" bedeute, und bezeichne Eigenschaften wie eine gut eingebundene Kohlensäure in Abgrenzung zu einem brausend wirkenden, betont herben Getränk.

EuG zu Pestizid-Verbot: Das Gericht der Europäischen Union hat die Klage der Agrar-Konzerne Bayer und Syngenta gegen das Verbot von bestimmten Pestiziden, die für das Bienensterben verantwortlich gemacht werden, abgewiesen. Das schreiben die SZ (Markus Balser/Jan Schmidbauer), die FAZ (Jan Grossarth) und lto.de. Die Kommission hatte 2012 die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit mit der Überprüfung von Pflanzenschutzmitteln beauftragt und anschließend manche verboten. Das Gericht sah dieses Vorgehen im Hinblick auf die hohe Bedeutung der Bienenbestände für die Umwelt weitgehend als rechtmäßig an. Der Vorsorgegrundsatz räume dem Umweltschutz Vorrang vor Unternehmensinteressen ein. Die Klage von BASF gegen das Verbot von Fipronil hatte hingegen Erfolg, weil die Kommission keine Folgenabwägung vorgenommen habe.

LG Düsseldorf – Wehrhahn-Attentat: Das Landgericht Düsseldorf hat den Angeklagten im Prozess wegen des Bomben-Attentats am S-Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn überraschend aus der Untersuchungshaft entlassen. Es bestehe kein dringender Tatverdacht mehr, weil sich die Zeugenaussagen als "nicht hinreichend belastbar" erwiesen hätten. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft noch in einer Zwischenbilanz argumentiert, der Angeklagte habe Täterwissen offenbart und sich in Widersprüche verstrickt, so die SZ (Joachim Käppner), die taz (Malene Gürgen) und focus.de (Axel Spilcker/André Weikard). Der Angeklagte war 2014 erneut ins Visier der Ermittler geraten, nachdem er sich einem Mitgefangenen anvertraut haben soll. Erste Ermittlungen gegen ihn unmittelbar nach dem Attentat im Jahr 2000 waren damals eingestellt worden.

OLG München – NSU-Prozess: Die Anwälte des im NSU-Prozess mitangeklagten Ralf Wohllebens haben zum Ende ihrer Plädoyers erneut ihre rechte Gesinnung unter Beweis gestellt. Verteidigerin Nicole Schneiders zitierte Rudolf Heß. Ihr Kollege Olaf Klemke verglich den Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten mit Hermann Göring. Der dritte Anwalt, Wolfram Nahrath, behauptete, dass der Nationalsozialismus nur Frieden und Völkerverständigung wollte, weshalb die NSU-Täter Mundlos und Böhnhardt sich nicht mit ihm befasst haben könnten. Weil Wohlleben nicht mit den Morden habe rechnen können, forderten die Anwälte den Freispruch für ihren Mandanten. Es berichten die SZ (Annette Ramelsberger), die taz (Dominik Baur), spiegel.de (Julia Jüttner) und blog.zeit.de (Tom Sundermann).

Schiedsgericht – Toll Collect: Das Bundesverkehrsministerium hat sich mit dem Maut-Betreiber Toll Collect auf einen Vergleich geeinigt. Die Bundesrepublik bekommt wegen des verspäteten Starts der Lkw-Maut, durch den ein Milliardenschaden entstanden ist, 3,2 Milliarden Euro. Ursprünglich hatte die Bundesregierung etwa 9 Milliarden Euro gefordert. Das Verfahren ist seit vielen Jahren bei einem privaten Schiedsgericht anhängig. Über den Vergleich berichten das Hbl (Daniel Delhaes u.a.) sowie die taz (Malte Kreutzfeldt).

Für Kerstin Schwenn (FAZ) ist der Fall keine Werbung für private Schiedsverfahren: "14 Jahre ohne Ergebnis, Hunderte von Millionen Euro für Gericht, Anwälte und Gutachter sprechen eher für ein Desaster der Konfliktlöser." Auch laut Markus Balser (SZ) zeigt der "schier endlose Streit", dass "solche privaten Gerichte der staatlichen Justiz mitnichten überlegen sind".

BVerfG – Rundfunkbeitrag: Mit der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zum Rundfunkbeitrag am Mittwoch befasst sich jetzt auch Michael Hanfeld (FAZ). Er glaubt, dass Karlsruhe nicht das ganze System kippen wird. Jedoch sei damit zu rechnen, dass die besonderen Belastungen für Unternehmen und Alleinstehende korrigiert werden. Diese würden gegen den Gleichheitssatz verstoßen, weil sie nur ersonnen worden seien, um den Sendern möglichst viel Geld zu bescheren und möglichst wenig politischen Widerstand heraufzubeschwören. Über die Verhandlung berichtet auch zeit.de (Heinrich Wefing).

Urteile zu Kopftuchverboten in Schulen: Im Interview mit spiegel.de (Kristin Haug) erläutert André Reinhard, Fachanwalt für Arbeitsrecht, warum es zu unterschiedlichen Urteilen zu Kopftuchverboten in Schulen komme. Es seien viele verschiedene Gerichte zuständig und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs beließen Raum für den Einzelfall. Mit der Zeit könne sich jedoch aus vielen Einzelfällen eine konkrete Richtlinie ergeben.

BVerfG – Ausschluss und Ablehnung von Richtern: Matthias K. Klatt nimmt auf juwiss.de die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Befangenheit des Richters Peter Müller im Verfahren um die aktive Sterbehilfe zum Anlass, sich die Voraussetzungen von Ablehnung und Ausschluss von Richtern genauer anzusehen. Hochschullehrer und Politiker seien besonders "gefährdet", da es zu ihren Berufen gehöre, sich publikumswirksam zu verfassungsrechtlichen Fragen zu äußern. Während in § 18 Abs. 3 Nr. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt sei, dass die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer Rechtsfrage, die für das Verfahren bedeutsam sein kann, nicht automatisch zum Ausschluss führt, und der Rechtsgedanke auch auf die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit angewendet wird, fehle es an einer entsprechenden Vorschrift für politische Äußerungen.

Recht in der Welt

Polen – Białowieża-Urwald: Der Rechtsprofessor Tomasz Tadeusz Koncewicz analysiert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) die Auseinandersetzung um die Rodung des Białowieża-Urwalds in Polen. Während der Europäische Gerichtshof sich durch die einstweilige Anordnung zum Stopp der Rodung und der Androhung von Zwangsgeldern als "strategic player" erwiesen habe, sei die Kommission auf den falschen Weg der Verhandlung zurückgekehrt, statt die Zahlung der Gelder zu beantragen.

Kambodscha – Rote-Khmer-Tribunal: Die Juniorprofessorin Elisa Hoven schildert auf zeit.de, wie sie 2009 – damals noch als Doktorandin – nach Kambodscha zum Rote-Khmer-Tribunal reiste, um den Umgang mit Kriegsverbrechern zu beobachten und eine Opferanwältin zu unterstützen.

Juristische Ausbildung

NS-Unrecht im Jurastudium: Justizministerin Katarina Barley (SPD) will die Auseinandersetzung mit dem Justizunrecht des 20. Jahrhunderts zum Pflichtstoff im Jurastudium zu machen. Das meldet spiegel.de.

Sonstiges

Gleichstellung von Homosexuellen: Zum Internationalen Tag gegen Homophobie zeichnet der ehemalige Bundesanwalt am BGH und Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland Manfred Bruns auf lto.de den langen Kampf für die Gleichstellung von Homosexuellen nach, der oft gegen den Widerstand von Juristen geführt werden musste. Bis 1994 sei mit der "Verführungstheorie" der Fortbestand des § 175 Strafgesetzbuch gerechtfertigt worden. Die Einführung einer "Homo-Ehe" habe "fast die ganze Juristenzunft" als Verstoß gegen das sogenannte Abstandsgebot aus Art. 6 GG angesehen. Der Durchbruch zur Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften sei erst 2008 mit der EuGH-Entscheidung zur Hinterbliebenenversorgung gelungen.

Zahngold nach Einäscherung: Ein im Auftrag des Verbands "Aeternitas – Verbraucherinitiative Bestattungskultur" erstelltes Rechtsgutachten kommt laut FAZ (Christian Siedenbiedel) zu dem Ergebnis, dass Zahngold und andere Metalle der Totenasche entnommen werden dürfen, zumindest, wenn der Krematoriumsbetreiber und die Hinterbliebenen damit einverstanden sind. Nach der Einäscherung seien die Metalle nicht mehr mit dem Menschen verbunden und würden deshalb zur beweglichen, eigentumsfähigen Sache. Ausgangspunkt der Diskussion war ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2015, nach dem die Entnahme von Zahngold eine strafbare Störung der Totenruhe ist.

Rechtsstaatsunterricht: Unionspolitiker fordern die Einführung von Werte- und Rechtsstaatsklassen in Schulen. In Bayern und Hessen bieten die Justizministerien schon jetzt solchen Unterricht außerhalb der Schule an. Die FAZ (Timo Steppat) hat den Richter Harald Walther zum Rechtsstaatsunterricht im hessischen Worfelden begleitet. Von einer verpflichtenden Teilnahme hält Walther nichts.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Dienstag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dw

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 18. Mai 2018: Kommission klagt wegen Luftverschmutzung / Keine Werbung für "bekömmliches" Bier / Wende im Wehrhahn-Prozess . In: Legal Tribune Online, 18.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28695/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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