Die juristische Presseschau vom 15. Mai 2018: Poli­tiker im Inter­view zum bayPAG / Steu­er­nach­zah­lungs­zinsen ver­fas­sungs­widrig? / Iran-Sank­tionen und Europa

15.05.2018

Joachim Herrmann und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Interview zum bayPAG. Außerdem in der Presseschau: Sind die Zinsen bei Steuernachzahlungen verfassungsgemäß? Wie wirken sich die Iran-Sanktionen auf die europäische Wirtschaft aus?

Thema des Tages

Bayerisches Polizeiaufgabengesetz: Im Interview mit der FAZ (Timo Frasch) verteidigt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) das an diesem Dienstag vom bayerischen Landtag zu beschließende Polizeiaufgabengesetz (PAG) gegen angeblich unwahre Informationen, die in der Presse und den sozialen Medien kursierten. Im Vordergrund der Gesetzesnovelle stehe allein der Schutz der Bürger. In der Möglichkeit, das Ergebnis einer DNA-Analyse ab sofort auf äußere Merkmale hin auszuwerten, sieht Herrmann keine Rassismusgefahr. Mit dem Gesetzentwurf seien außerdem keine politisch-taktischen Finessen verbunden. Der Vollzug des Gesetzes solle durch eine Kommission begleitet werden. Im Interview mit der taz (Tobias Schulze) äußert sich die Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) besorgt, dass nach dem neuen bayerischen PAG viele polizeiliche Maßnahmen, die erhebliche Grundrechtseingriffe bedeuteten, bereits bei drohender Gefahr durchgeführt werden dürften. Das Bundesverfassungsgericht habe im Urteil zum BKA-Gesetz von 2016 polizeiliche Maßnahmen bei drohender Gefahr nur unter der Voraussetzung terroristischer Gefährdungen für verfassungsmäßig erklärt, weil dann die freiheitlich-demokratische  Grundordnung oder herausragende Rechtsgüter gefährdet seien. Diese Abwägung werde mit dem bayerischen PAG jedoch verlassen. Leutheusser-Schnarrenberger kündigt an, eine Klage der FDP gegen das Gesetz unterstützen zu wollen. 

Die taz (Christian Rath) beleuchtet die Entwicklung des Begriffs der drohenden Gefahr anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Mit seinem Urteil zum BKA-Gesetz von 2016 habe das Bundesverfassungsgericht den Maßstab der drohenden Gefahr nicht auf terroristische Gefahren beschränkt, sondern die Grundaussage getroffen: je tiefer der Eingriff in die Privatsphäre der Bürger, desto wichtiger müssen die geschützten Rechtsgüter sein. Das Bundesverfassungsgericht werde sich nun anschauen, ob die Regelungen des bayerischen PAG, die eine drohende Gefahr voraussetzen, verhältnismäßig sind. Der Tsp (Patrick Guyton/Jost Müller-Neuhof) beantwortet die wichtigsten Fragen zu den geplanten inhaltlichen Neuerungen des PAG, der Kritik daran, der Verteidigungsstrategie der CSU sowie möglichen Auswirkungen auf die Landtagswahl am 14. Oktober 2018. FAZ-Einspruch (Constantin van Lijnden) gibt die Kritik des Deutschen Anwaltsvereins am bayerischen PAG wieder. So würde es Berufsgeheimnisträger wie Strafverteidiger und Rechtsanwälte zu wenig schützen. 

Rechtspolitik

"Hack Back": Deutsche Sicherheitsbehörden fordern die Befugnis, Hackerangriffe durch Gegenattacken abzuwehren. Wie die taz (Tobias Schulze) berichtet, stand das Zurückhacken bzw. "Hack Back" auf einem Symposium des Verfassungsschutzes zur Diskussion. Während bisher nur ein defensives Vorgehen gegen Hackerangriffe erlaubt ist, könnten Sicherheitsbehörden mit dieser Befugnis Computer lahmlegen, von denen Angriffe ausgehen oder in Kürze ausgehen könnten, oder auf fremden Servern Daten, die zuvor aus deutschen Netzen geklaut wurden, wieder löschen. Kritiker geben die Möglichkeit von Kollateralschäden beim Zurückhacken, dessen zweifelhafte Effektivität und die Gefahr einer Eskalation zu bedenken. 

DSGVO: Das Hbl (Heike Angerer/Dietmar Neuerer) beschreibt die Herausforderungen, die die Datenschutzgrundverordnung insbesondere für kleine und mittelgroße Unternehmen bedeutet. Vielen Unternehmen fehlten Fachkräfte für die Anpassung an die neuen Regelungen. Zudem hätten viele Unternehmen das Ausmaß dieser notwendigen Anpassungen erst zu spät begriffen. Im Interview mit dem Hbl (Heike Angerer/Dietmar Neuerer) appelliert die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff an die von der DSGVO betroffenen Unternehmen, den Datenschutz nicht als lästige Angelegenheit, sondern als Chance anzusehen, das Vertrauen der Kunden zu gewinnen. Für Unternehmen, die die Anpassung an die DSGVO zu spät in Angriff genommen hätten, sei mit ihrem Inkrafttreten am 25. Mai keine Schonfrist vorgesehen. Allerdings würden ab diesem Datum nicht direkt Kontrollen durchgeführt und Bußgelder verhängt. 

"Hessentrojaner": Wie die taz (Christoph Schmidt-Lunau) meldet, hat die schwarz-grüne Regierungskoalition in Hessen einen Gesetzentwurf zum Einsatz eines Staatstrojaners in den Landtag eingebracht. Gegen dessen Einführung regt sich allerdings Widerstand vom hessischen Datenschutzbeauftragten und dem Chaos Computer Club. Auch der hessische Landesparteitag der Grünen hatte sich zuvor mit klarer Mehrheit gegen die Einführung des "Hessentrojaners" gewandt. 

Justiz

BVerfG zu Abschiebung nach Italien: Der 23-jährige Togoer, dessen Abschiebung Anfang Mai Ausschreitungen und einen Großeinsatz in einer Flüchtlingsunterkunft im baden-württembergischen Ellwangen auslöste, darf nach Italien abgeschoben werden. Das Bundesverfassungsgericht lehnte seinen Antrag auf einstweilige Anordnung ab, da seine Verfassungsbeschwerde "mangels ausreichender Begründung unzulässig" sei. spiegel.de berichtet. 

BFH zu Nachzahlungszinsen: In einem Beschluss hat der Bundesfinanzhof die Verfassungsmäßigkeit der in Höhe von jährlich sechs Prozent anfallenden Nachzahlungszinsen bei Steuernachzahlungen angezweifelt. Wie die SZ (Stephan Radomsky) und die FAZ (Manfred Schäfers) berichten, hält der neunte Senat des obersten Finanzgerichts einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz und das Übermaßverbot für möglich. Da sich ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe, sei die derzeitige Zinshöhe realitätsfern, so die Richter. Auch beim Bundesverfassungsgericht sind bereits Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungszinsen anhängig. 

LG Rostock zu Holger Arppe: Wie lto.de berichtet, ist der frühere AfD-Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, Holger Arppe, wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 9.000 Euro verurteilt worden. Das Landgericht Rostock sah es als erwiesen an, dass Arppe auf einem Internetportal unter einem Pseudonym Hasskommentare gegen Muslime verbreitet hatte. Der inzwischen fraktionslose Abgeordnete will gegen das Urteil beim Oberlandesgericht vorgehen. 

LG Hamburg zu Alice Weidel: Facebook muss einen Hass-Post gegen die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion Alice Weidel vollständig löschen. Dies hat das Landgericht Hamburg auf einen Antrag auf einstweilige Verfügung hin entschieden. Wie einem Bericht auf lto.de zu entnehmen ist, ist weiterhin unklar, welche technischen Maßnahmen Facebook nun ergreifen muss. 

LG Nürnberg-Fürth zu Stayfriends: Das Schulfreunde-Portal Stayfriends darf Profilbilder seiner Nutzer nur mit deren Einwilligung an Suchmaschinen und Partner-Webseiten weitergeben. So hat das Landgericht Nürnberg-Fürth laut spiegel.de geurteilt. Dass die Nutzer die Weitergabe ihrer Daten in den Voreinstellungen umständlich deaktivieren müssten, um sie zu verhindern, verstoße gegen das Bundesdatenschutzgesetz, so die Nürnberger Richter. 

BGH  Dashcam: Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet über ein an diesem Dienstag erwartetes Urteil des BGH zur Zulässigkeit der Beweisverwertung von Dashcam-Aufnahmen. Bei der Verwertung einer Dashcam-Aufnahme zur gerichtlichen Aufklärung eines Verkehrsunfalls sei zwischen den Persönlichkeitsrechten der Unfallbeteiligten und der wirksamen Rechtspflege abzuwägen. Zu berücksichtigen sei dabei jedoch auch, dass der Dauerbetrieb einer Dashcam hinter der Windschutzscheibe gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstoße.

Recht in der Welt

US-Sanktionen gegen Iran: Auf lto.de veranschaulicht Rechtsanwalt Mayeul Hiéramente, wie die Aufkündigung des Iran-Abkommens durch die USA und die Wiedereinführung von Sanktionen auch Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft haben werden. Vorgesehen ist u. a. die Sanktionierung von Handelsbeziehungen zwischen ausländischen Firmen und dem Iran im Bereich der Automobilwirtschaft, dem Energiesektor, der Luft- und Schifffahrt. Durch diese umfangreichen Sanktionen würde auch von legalen Geschäften mit dem Iran Abstand genommen. Der Autor sieht die europäische Politik jedoch in der Verantwortung, diese zumindest weiterhin zu ermöglichen und exportwilligen Unternehmen den Rücken zu stärken. 

Ungarn  Richterliche Unabhängigkeit: Vor dem Hintergrund der erfolgreichen Wiederwahl des ungarischen Premierministers Viktor Orbán und seiner Partei Fidesz bei den Parlamentswahlen im April und der geplanten Reformen des Justizsystems beschreibt Rechtsprofessor Zoltán Fleck auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache), inwiefern die Unabhängigkeit der ungarischen Richter in Gefahr ist. 

Österreich  Identitäre Bewegung: In Graz stehen zehn führende Vertreter der rechtsextremen Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) wegen Verhetzung, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Sachbeschädigung und Nötigung vor Gericht. Unter ihnen befindet sich auch der Chef der 2012 gegründeten Bewegung, Martin Sellner. Wie zeit.de weiß, waren im vergangenen Monat mehrere Razzien bei Identitären durchgeführt worden. 

Sonstiges

VW-Abgasskandal: Die FAZ (Carsten Germis/Marcus Jung) vergleicht die Erfolgsaussichten von Gerichtsverfahren um die manipulierte Abgassoftware in Dieselfahrzeugen in den USA und in Deutschland. Während sich Volkswagen in den USA auf einen milliardenschwerden Vergleich mit seinen Kunden eingelassen habe, konnte durch die Klagen deutscher Kunden in mehr als 17.000 Fällen bisher kein klares Ergebnis erzielt werden. Im Gegensatz zu Klägern in den USA konnten sie einen Schaden aufgrund der in den Werkstätten neu aufgespielten Software nicht nachweisen. Der VW-Konzern und die Kläger rechnen in Deutschland damit, dass die Klagen am Ende höchstrichterlich vom BGH entschieden werden. 

Fachanwalt für Sportrecht: Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) diskutiert derzeit die Einführung eines Fachanwalts für Sportrecht. Laut einem Entwurf zu Änderung der Fachanwaltsordnung (FAO) soll der Anwärter auf den Fachanwalt seine Kenntnisse im Sportrecht auf Grundlage von 80 Fällen, darunter mindestens 20 rechtsförmlichen Verfahren, unter Beweis stellen. Nachgewiesen werden müssen auch Kenntnisse im Arbeitsrecht, Medienrecht, Recht des geistigen Eigentums, Haftungs- und Versicherungsrecht sowie Straf- und Dopingrecht. Wie lto.de (Hasso Suliak) informiert, kann die nächste Satzungsversammlung der BRAK im November 2018 die Änderung der FAO beschließen. 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. 

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lto/man

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. Mai 2018: Politiker im Interview zum bayPAG / Steuernachzahlungszinsen verfassungswidrig? / Iran-Sanktionen und Europa . In: Legal Tribune Online, 15.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28605/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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