Die juristische Presseschau vom 4. Mai 2018: Harald Range ver­s­torben / Kir­che­n­asyl ≠ Rechts­in­stitut / Winter­korn in den USA ange­klagt

04.05.2018

Der ehemalige Generalbundesanwalt Harald Range ist überraschend gestorben. Außerdem in der Presseschau: OLG München zu Kirchenasyl, Ferdinand Kirchhof ist nicht befangen und Martin Winterkorn ist in den USA angeklagt.

Thema des Tages

Harald Range gestorben: Der ehemalige Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Harald Range ist tot. Er ist am vergangenen Mittwochabend in einem Karlsruher Café zusammengebrochen und überraschend an den Folgen eines Herzinfarkts verstorben. Range wurde 70 Jahre alt. Die SZ (Wolfgang Janisch), die FAZ (Reinhard Müller) und die BadZ (Christian Rath) erinnern an ihn und an die Höhen und Tiefen seiner Tätigkeit als Generalbundesanwalt. lto.de (Maximilian Amos) zeichnet Ranges lange Karriere nach.

Rechtspolitik

Rückführungszentren: Die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic kritisiert nach den Vorfällen in der Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen die geplanten Rückführungszentren: Diese schürten ein Gewaltpotenzial, das schließlich auch die Polizeibeamten träfe. Sie fordert die Bundesregierung auf, die sogenannten Ankerzentren grundlegend zu überdenken, so zeit.de.

Jasper von Altenbockum (FAZ) hält es für bedauerlich, dass dem "Lager" die Schuld an dem Aufstand in Ellwangen gegeben werde. Vielmehr seien die sogenannten Ankerzentren wichtig, um Asylverfahren konsequent durchzuführen – das Asylrecht bedürfe gerade einer konsequenten Rückführung, um nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Verweisung Asylsuchender: Die EU erwägt, die Anforderungen an Wegverweisungs-Zielstaaten für Asylsuchende zu senken. So müssten diese etwa nicht mehr den Standard der Genfer Flüchtlingskonvention einhalten, sondern lediglich eine "Art Subsistenzsicherung" gewährleisten. Zudem müsse der Staat nicht gänzlich sicher sein – es genüge ein Teilgebiet, auf dem sich das Flüchtlingslager befindet. Die Rechtsprofessorin Anna Lübbe erläutert auf verfassungsblog.de, warum sie dies für flüchtlingsrechtlich unzulässig erachtet.

Familiennachzug: Gegenüber der taz (Miriam Schröder) erklärt der Pro-Asyl-Chef Günter Burkhardt, warum er den Gesetzentwurf zum Familiennachzug für verfassungswidrig hält. Wenn nur 1.000 Menschen im Monat der Familiennachzug gewährt werde, sei Willkür und Zufall in der Auswahl angelegt.

Kreuze in bayerischen Behörden: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Lukas Zöllner erläutert auf juwiss.de unter dem Titel "Kulturkampf à la Bavière", warum Verfassungsbeschwerden gegen die geplanten Kreuze in bayerischen Behörden wohl kaum Aussicht auf Erfolg versprächen. Dazu zieht er den Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995 heran.

Grundsteuer: Wie die FAZ (Manfred Schäfers) auf Nachfrage beim Bundesfinanzministerium erfuhr, sei noch keine Tendenz bezüglich eines Reformmodells der Grundsteuer auszumachen. Der Koalitionsvertrag fordere allerdings eine aufkommensneutrale Reform, das Bundesverfassungsgericht eine administrierbare.

Nebenkläger in Großverfahren: Die taz (Christian Rath) erklärt das Institut der Nebenklage in Strafverfahren und diesbezügliche Reformbestrebungen. Denn Kritiker befürchteten, dass Großprozesse mit vielen Nebenklägern nicht mehr handhabbar seien und die Opferanwälte zusammen mit der Staatsanwaltschaft sogar die "Waffengleichheit" mit der Verteidigung gefährdeten. Der Koalitionsvertrag greift daher einen Vorschlag aus dem Jahr 2015 auf, demzufolge die Interessen der Nebenkläger in einem Verfahren gebündelt vertreten werden sollen.

Justiz

OLG München zu Kirchenasyl: Das Kirchenasyl hat grundsätzlich keine rechtliche Wirkung und schützt daher nicht vor der Strafverfolgung wegen illegalen Aufenthalts. Der Freispruch des Nigerianers Evans I. sei dennoch rechtmäßig gewesen. Das Oberlandesgericht München lehnte die Revision der Staatsanwaltschaft Landshut gegen das Urteil des Amtsgerichts Freising ab. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe aufgrund einer allgemeinen Vereinbarung mit Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche aus dem Jahr 2015 während I.s Aufenthalts im Kirchenasyl eine erneute Sachprüfung begonnen. Solange diese Einzelfallprüfung dauere, bestehe ein Abschiebungshindernis, was wiederum der Strafbarkeit für diesen Zeitraum entgegen stehe. Die taz (Christian Rath), die FAZ (Marlene Grunert) und lto.de berichten.

BVerfG zu Kirchhof in Rundfunkbeitragsverfahren: Bundesverfassungsrichter Ferdinand Kirchhof darf über die Verfassungsbeschwerden gegen den Rundfunkbeitrag miturteilen. Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschied, Kirchhof sei weder von der Ausübung seines Richteramts ausgeschlossen, noch befangen. Zwei Beschwerdeführer hatten argumentiert, Ferdinand Kirchhof sei als Richter vom Verfahren auszuschließen, weil sein Bruder Paul Kirchhof ein Gutachten zum Rundfunkbeitrag erstellt hatte. lto.de führt die Argumentation des Gerichts aus. Auch die FAZ bringt eine Meldung.

OLG München – NSU: Die taz (Konrad Litschko/Dominik Baur) berichtet nun auch kurz, dass Carsten S.' Anwalt für seinen Mandanten einen Freispruch gefordert hat. Der Großteil des Artikels erörtert, warum sich der NSU-Prozess so in die Länge zieht – und erwähnt die vielen Nebenklage-Anträge und die Querelen der Verteidiger. 

Annette Ramelsberger (SZ) stellt im Leitartikel die historische Bedeutung des NSU-Prozesses heraus: Er leite den Blick darauf, dass rechtes Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei. Rechtsextremismus könne nicht mehr als Randproblem abgetan werden. Die Bedeutung werde sich schließlich vor allem daran messen, ob die Gesellschaft gegenüber Demokratiefeinden Haltung zeige.

LG Duisburg – Loveparade-Unglück: Der ehemalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland sieht an seinem zweiten Vernehmungstag im Loveparade-Verfahren die Verantwortung für das Unglück weiterhin nicht bei der Verwaltung. Die Fehler seien im Veranstaltungsablauf passiert. Eine Entschuldigung lehne er ab. Wie spiegel.de (Christian Parth) berichtet, suchten die Anwälte der Nebenklage, Sauerland zum Eingeständnis persönlicher Verantwortung zu bringen.

BSG zu Sperrzeiten: Die Agentur für Arbeit darf nur eine einzige Sperrzeit beim Arbeitslosengeld I verhängen, wenn der Erwerbslose auf drei kurz hintereinander folgende Stellenangebote nicht reagiert. Das Bundessozialgericht sieht mehrere Beschäftigungsangebote, die dem Arbeitslosen in enger zeitlicher Folge zugehen, als einen "einheitlich zu betrachtenden Lebenssachverhalt" an. Seine diesbezügliche Untätigkeit dürfe daher nur ein Mal als versicherungswidrig gewertet werden. Das BSG hat allerdings nicht entschieden, wie weit die Angebote zeitlich auseinander liegen müssen, um mehrere Sperrzeiten zu rechtfertigen, so die taz (Christian Rath).

VG Kassel zu Beamtin mit Kopftuch: Das Verwaltungsgericht Kassel erlaubt einer hessischen Beamtin, bei ihrer Arbeit im städtischen Jugendamt Kopftuch zu tragen. Die Anordnung der Stadt, ohne Kopftuch zu arbeiten, verstoße gegen die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Muslima. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) schildert, warum nach Ansicht des Gerichts hier eine "hinreichend konkrete Gefahr für das Schutzgut staatlicher Neutralität oder Grundrechte Dritter" fehle. Das Land Hessen ist in Berufung gegangen.

OLG Hamm zu Neugeborenem mit Hirnschäden: Ein Gynäkologe muss einem Kind, welches mit einer schweren Hirnschädigung auf die Welt kam, ein Schmerzensgeld von 400.000 Euro bezahlen, entschied das Oberlandesgericht Hamm. Grob fehlerhaft habe er die Sauerstoffunterversorgung des Babys zu spät erkannt, was für die schweren Behinderungen mitursächlich sei, meldet lto.de.

StA Köln – Steuerhinterziehung und Kronzeugen: Im Verfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung von fünf Milliarden Euro durch verschiedene namhafte Banken hat die Staatsanwaltschaft Köln das Landgericht Bonn darum ersucht, gemäß § 46b Strafgesetzbuch von einer Bestrafung der fünf Kronzeugen abzusehen, weiß die SZ (Klaus Ott). Sie sollen ebenfalls in die strittigen Aktiengeschäfte involviert gewesen sein und hatten die Anklagebehörde maßgeblich bei den Ermittlungen unterstützt. Der Artikel schildert die bisherigen Erkenntnisse der StA und erklärt die Kronzeugenregelung.

Wolfgang Janisch (SZ) hält die Anwendung der Kronzeugenregelung nicht für einen Königsweg der Justiz – allerdings manchmal für unvermeidbar. Gerade in Fällen, in denen blickdichte Strukturen professionelle Steuerhinterzieher deckten, seien die Erfolgsaussichten der Ermittler ohne Kronzeugen gering. Die Kronzeugenregelung versehe die Steuerhinterziehung mit einem unkalkulierbaren Risiko.

GenStA Frankfurt – Cum-Ex-Skandal: Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hat im Cum-Ex-Steuerskandal um Milliarden erschlichener Kapitalertragsteuern erstmals Anklage erhoben, erfuhr das Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) aus Verteidigerkreisen. Fünf ehemalige Banker der Hypo-Vereinsbank und ein Steueranwalt sollen an den Steuerhinterziehungen des inzwischen verstorbenen Immobilieninvestors Rafael Roth beteiligt gewesen sein.

StA Düsseldorf – Volksverhetzung durch Rapper: Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelt gegen die Rapper Farid Bang und Kollegah wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Rund um ihre Auszeichnung mit dem Echo kam erhebliche Kritik daran auf, dass ihre Texte antisemitisch, gewaltverherrlichend und Frauen verachtend seien, schreibt die FAZ (eer.).

Recht in der Welt

USA – Anklage gegen Winterkorn: Martin Winterkorn ist vor einem Detroiter Gericht wegen des VW-Abgasskandals angeklagt. Die US-Justiz wirft dem ehemaligen VW-Konzernchef unter anderem Verschwörung, Betrug, Irreführung von Behörden und Kunden sowie Verstöße gegen US-Umweltgesetze vor. SZ.de (Claus Hulverscheidt/Klaus Ott) berichtet, damit erreiche der Skandal in den USA erstmals die Konzernführung von VW.

EuGH – Telekommunikationsdaten: Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Hendrik Saugmandsgaard Øe hat sich dafür ausgesprochen, dass die Polizei bei Ermittlungen zu konkreten Straftaten auch dann Zugang zu Telekommunikationsdaten der Provider erhalten soll, wenn es sich nicht um schwere Delikte handelt, melden die SZ (Wolfgang Janisch – erweiterte sueddeutsche.de-Fassung) und lto.de. Dies sei eine gezielte Maßnahme mit begrenzter Reichweite, weshalb eine Einschränkung auf bestimmte Delikte nicht nötig sei. Im vorliegenden Fall wollte sich die spanische Polizei Telekommunikationsdaten eines gestohlenen Handys für die Ermittlungen in einem Raubüberfall übermitteln lassen.

EU-Kommission gegen Autoritarismus: Die EU-Kommission will Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit ahnden, indem sie ihnen EU-Gelder entzieht. spiegel.de (Markus Becker) stellt die geplante Maßnahme und Kritik daran vor. Sie soll nicht durch ein einzelnes Veto blockiert werden können.

Sonstiges

Tag der Pressefreiheit: spiegel.de (Arno Frank) spricht anlässlich des gestrigen Tags der Pressefreiheit mit dem Vorstand von Reporter ohne Grenzen Michael Rediske über die Problemlage der Pressefreiheit, ihre europäische Idee, den Einfluss von Unternehmen auf die Meinungsfreiheit, den Vertrauensverlust in Medien und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Wie lto.de (Hasso Suliak) schreibt, fordern Journalisten-Organisationen ein deutlicheres Bekenntnis zur Pressefreiheit – ihre Lage habe sich in Europa verschlechtert. Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, lobte allerdings, wie die deutsche Justiz die Pressefreiheit schütze.

Rechtsstaatlichkeit: Dass der Rechtsstaat "Härte und Sensibilität" brauche, zeigt Heribert Prantl (SZ) anhand des Polizeieinsatzes zur Abschiebung eines Togoers in Ellwangen und des Kirchenasyls. Mit den derzeitigen Kenntnissen sei es schwer zu beurteilen, ob die Polizei letztlich rechtmäßig vorgegangen sei – grundsätzlich dürfe der Rechtsstaat aber "mit Nachdruck und Sturmhaube zeigen, dass er das Heft in der Hand hat". Das Kirchenasyl – als "ein sanfter, ein geregelter Rechtsbruch" – mache es möglich, Rechtsfehler zu korrigieren, nachdem die meisten Bitten um Neuprüfung des Asylantrags von Menschen im Kirchenasyl erfolgreich seien.

Rechtsthemen auf der Republica: lto.de (Markus Sehl) weist darauf hin, dass die derzeit in Berlin laufende Digitalmesse Republica 2018 auch Rechtsthemen behandelt: Etwa das besondere elektronische Anwaltspostfach und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/vb

(Hinweis für Journalisten)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. Mai 2018: Harald Range verstorben / Kirchenasyl ≠ Rechtsinstitut / Winterkorn in den USA angeklagt . In: Legal Tribune Online, 04.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28451/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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