Die juristische Presseschau vom 26. April 2018: Kreuze in baye­ri­schen Behörden / Polizei-Kritik an Anker­zen­tren / Frei­heits­strafe für Cumhu­riyet-Redakteure

26.04.2018

Ist die neue Verordnung zu Kreuzen in bayerischen Dienstgebäuden verfassungswidrig? Außerdem in der Presseschau: Polizei kritisiert Errichtung von Ankerzentren. Strafurteile gegen Cumhuriyet-Mitarbeiter.

Thema des Tages

Kreuze in bayerischen Dienstgebäuden: Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes des Landes Bayern soll ab dem 1. Juni 2018 ein Kreuz hängen. Dies hat der bayerische Ministerrat durch Änderung der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern entschieden. An dem Beschluss wurde bereits parteiübergreifend die Kritik u.a. dahingehend laut, dass er aufgrund einer Verletzung der negativen Religionsfreiheit und der Neutralitätspflicht des Staates verfassungswidrig sei. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verteidigte die Kabinettsentscheidung mit den Worten, das Kreuz sei in diesem Fall "nicht ein Zeichen der Religion, sondern für die geschichtlich-kulturelle Identität und Prägung Bayerns". Den Beschluss und die Reaktionen durch Politik, Kirche und Gesellschaft zeigen u.a. die taz (Christian Rath), die FAZ (Timo Frasch/Alexander Haneke) und die SZ (Christian Gschwendtner/Jens Schneider) auf. Die Autoren stellen den Inhalt der Verordnung auch dem sogenannten Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1995 gegenüber. Eine Verletzung der negativen Religionsfreiheit sei nun im Gegensatz zum "Kruzifix"-Beschluss zu Kreuzen in Schulen nur schwer anzunehmen, da man im Eingangsbereich einer Behörde beim Vorbeigehen nur in peripheren Kontakt mit dem Symbol komme. Hingegen könne – so die Verfassungsrichter damals – das Kreuz "nicht seines spezifischen Bezugs auf die Glaubensinhalte des Christentums entkleidet und auf ein allgemeines Zeichen abendländischer Kulturtradition reduziert werden"

Heribert Prantl (SZ) kritisiert die Verordnung als "politische Instrumentalisierung einer religiösen Kernbotschaft". 

Rechtspolitik

Künstliche Intelligenz: Die Europäische Kommission hat ein Förderprogramm beschlossen, um die Entwicklung Künstlicher Intelligenz voranzutreiben. Demnach sollen bis 2020 rund 20 Milliarden Euro investiert werden, sodass Wirtschaftszweige wie das Gesundheitswesen oder der Verkehrssektor von künstlich-intelligenter Technik profitieren können. Wie lto.de und die FAZ (Hendrik Kafsack) berichten, sollen insbesondere kleine bis mittlere Unternehmen Hilfe bekommen. 

EU-Gesellschaftsrecht: Die SZ (Thomas Kirchner) und die FAZ (Werner Mussler) stellen einen Vorschlag der EU-Kommission zur Überarbeitung der europäischen Rahmengesetzgebung für das Gesellschaftsrecht vor. Dieser soll Unternehmen in Zukunft die Gründung, die Fusion sowie Umzüge innerhalb der EU erleichtern. Ein Umzug solle in Zukunft nicht mehr voraussetzen, dass ein Unternehmen im Ursprungsland das Geschäft aufgibt. Ab sofort solle die Gründung von Unternehmen überall online möglich sein, ohne dass die Gründer in dem jeweiligen Land physisch anwesend sein müssen. 

Ankerzentren: An dem Vorhaben von Innenminister Horst Seehofer (CSU), im Herbst dieses Jahres entsprechend der Vereinbarung im Koalitionsvertrag die ersten Ankerzentren zu errichten, wird nun von Seiten der Gewerkschaft der Polizei Kritik laut. Künftig sollen Flüchtlinge von der Ankunft bis zur Abschiebung in Ankerzentren untergebracht sein. Der Betrieb der Ankerzentren wird in der Verantwortung der Bundespolizei liegen. Vertreter der Gewerkschaft sprechen sich jedoch gegen diese Zuständigkeitserweiterung aus und weisen auf ein gesteigertes Aggressionspotenzial innerhalb derartiger "Lager" hin. Die taz (Malene Gürgen) berichtet. 

Justiz

BSG zu Freibeträgen für Rentner: Pensionäre, die neben ihren Grundsicherungsleistungen noch Nebeneinkünfte haben, können auf ihr Einkommen nur geringere Freibeträge geltend machen als Hartz-IV-Empfänger. Dies hat das Bundessozialgericht entschieden, wie die FAZ (Marcus Jung) berichtet. Während Hartz-IV-Bezieher für monatliche Nebeneinkünfte von 100 bis zu 1.000 Euro Freibeträge von 100 Euro einfordern könnten, dürften Rentner 30 Prozent ihres Einkommens als Freibetrag verlangen, wodurch von der Nebeneinkunft letztlich weniger übrig bliebe. Die Richter begründeten die unterschiedliche Handhabung damit, dass Hartz-IV-Empfängern die Rückkehr ins Berufsleben erleichtert werden solle. 

OLG Stuttgart  Raser auf Schweizer Autobahn: Gegen einen deutschen Staatsbürger mit Wohnsitz in Deutschland kann wegen eines in der Schweiz verhängten Strafurteils in Deutschland vollstreckt werden. Die Vollstreckung hat das Oberlandesgericht Stuttgart einem Bericht von lto.de zufolge für zulässig erklärt. Ein inzwischen 43-Jähriger war nach schweizerischem Strafrecht wegen "Gefährdung des Lebens und wiederholter grober qualifizierter Verletzung der Verkehrsregeln" zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt worden, da er auf schweizerischen Autobahnen mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren war. Nun muss er deswegen zwölf Monate lang in Deutschland in Haft. Unerheblich sei, dass das Verhalten des Angeklagten in Deutschland nur als Ordnungswidrigkeit zu bewerten ist, denn es komme nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) nur auf die Sanktionierbarkeit, nicht die Strafbarkeit in beiden Ländern an, so die Richter. 

EuGH  Foto auf Schulhomepage: Stellt ein Schüler ein Referat mit einem im Internet frei zugänglichen Foto auf die Homepage seiner Schule, wird dadurch das Urheberrecht des Fotografen nicht verletzt. So die Ansicht des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof. Ein Berufsfotograf hatte in dem beschriebenen Fall die Stadt Waltrop und das Land Nordrhein-Westfalen auf Unterlassung und Schadensersatz verklagt, weil er laut eigenen Angaben nur einem Online-Reiseportal, auf dem das Bild zu finden war, die Nutzungsrechte eingeräumt hatte. Generalanwalt Campos Sanchez-Bordona wandte jedoch ein, dass es keine Nutzungseinschränkungen gegeben habe und der Fotograf die Nutzung des Fotos trotz der Veröffentlichung auf der Schulhomepage immer noch kontrollieren könne. lto.de berichtet. 

OLG München  NSU: Auch am zweiten Tag seines Plädoyers warf der Verteidiger Beate Zschäpes, Hermann Borchert, den Vertretern der Bundesanwaltschaft vor, die Anklage zulasten seiner Mandantin "zurechtgebogen" zu haben. Wie die SZ (Annette Ramelsberger), spiegel.de (Julia Jüttner) und die FAZ (Karin Truscheit) beschreiben, ging er dabei die Oberstaatsanwältin Anette Greger direkt an. Borchert argumentierte, dass Zschäpe aus Liebe zu Uwe Böhnhardt mit diesem und Uwe Mundlos im Untergrund gelebt und nichts von den Morden und Sprengstoffanschlägen durch die beiden Männer gewusst habe. 

BVerfGE  Stiefkindadoption durch Unverheiratete: Vor dem Bundesverfassungsgericht ist derzeit ein Verfahren zu der Frage anhängig, ob die Normen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die Unverheirateten im Gegensatz zu Ehepartnern die Adoption ihrer Stiefkinder verwehren, verfassungswidrig sind. Wie die SZ (Wolfgang Janisch) erörtert, ist hier entscheidungserheblich, ob die Ehe das Kindeswohl besser sicherstellen könne. Dies stelle ein Gutachten der Deutschen Gesellschaft für Psychologie gerade nicht fest. Problematisch sei jedoch auch, dass eine Adoption durch den neuen Partner die Trennung der Familienbande zum leiblichen Elternteil bedeuten könne. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird in der zweiten Jahreshälfte erwartet. 

StA Stuttgart  Abgasmanipulation bei Porsche: Nach der Durchsuchung der Porsche-Zentrale in Stuttgart-Zuffenhausen wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung im Zusammenhang mit manipulierten Abgaswerten hat das Unternehmen ausdrücklich Widerspruch gegen die Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen erhoben. Wie die FAZ (Marcus Jung) meldet, muss das Amtsgericht Stuttgart nun entscheiden, ob die Unterlagen ausgewertet werden dürfen. 

Recht in der Welt

Dänemark  Peter Madsen: Wie u.a. spiegel.de (Alexander Preker) meldet, hat das Kopenhagener Amtsgericht den Erfinder Peter Madsen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht befand den U-Boot-Konstrukteur wegen Mordes, sexueller Handlungen besonders gefährlicher Art, Leichenschändung und Gefährdung der Sicherheit auf See für schuldig. Am 10. August 2017 soll Madsen die schwedische Journalistin Kim Wall auf seinem U-Boot sexuell missbraucht und getötet haben. 

Türkei  Cumhuriyet: Ein türkisches Gericht hat den Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet und 14 seiner Mitarbeiter zu langen Haftstrafen verurteilt. Die Mitarbeiter wurden wegen Terrorhilfe schuldig gesprochen, da sie angeblich Verbindungen zu Fethullah Gülen und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK unterhielten. Die Anwälte der Verurteilten haben angekündigt, das Urteil anzufechten. spiegel.de (Maximilian Popp) fasst die Prozessgeschichte zusammen. 

Juristische Ausbildung

Juracast: lto.de (Marcel Schneider) berichtet über den seit kurzem produzierten Podcast "Juracast", der nicht von berufserfahrenen Anwälten oder Professoren, sondern von drei Kieler Studierenden in der Examensvorbereitung betrieben wird. Die wöchentlich über einen Online-Musikdienst neu erscheinenden Folgen sind jeweils zehn bis 15 Minuten lang und behandeln aktuelle examensrelevante Rechtsprechung. 

Studie zu Examensergebnissen: Unter anderem die FAZ (Constantin van Lijnden) stellt eine Studie der Professoren Emanuel Towfigh, Christian Traxler und Andreas Glöckner zu nordrhein-westfälischen Examensergebnissen vor, die ein schlechteres Abschneiden weiblicher Kandidaten sowie von Kandidaten mit Migrationshintergrund konstatiert. Allerdings könne die Studie die Ergebnisse nur nachweisen, sie jedoch nicht – zum Beispiel mit Diskriminierung – erklären. Auffällig sei, dass eine weibliche Kandidatin in der mündlichen Prüfung deutlich geringere Chancen habe, einen "Notensprung" zu machen, weshalb das nordrhein-westfälische Justizministerium für die Zukunft erwäge, die dreiköpfigen Prüfungskommissionen immer mit mindestens einer Frau zu besetzen. Auch zeit.de fasst den Gegenstand zusammen. 

Sonstiges

Ungültige Wählerstimmen: In einem Gastbeitrag für die FAZ stellt Professor Uwe Wagschal auf Wahlkreisebene einen Zusammenhang zwischen ungültigen Zweitstimmen und dem Zweitstimmenanteil für die AfD fest. Plausible Erklärungen könnten die Abgabe ungültiger Stimmen aus Protest, systematische Fehler bei der Schulung der Wahlhelfer oder eine Wahlmanipulation durch diese sein. Der Autor schlägt unter anderem vor, dass der Bundeswahlleiter mit dem Wahlprüfungsausschuss die Ergebnisse in auffälligen Wahlbezirken und Wahlkreisen überprüfen und wissenschaftliche Untersuchungen anstellen könne. 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/man

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. April 2018: Kreuze in bayerischen Behörden / Polizei-Kritik an Ankerzentren / Freiheitsstrafe für Cumhuriyet-Redakteure . In: Legal Tribune Online, 26.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28289/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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