Die juristische Presseschau vom 24. April 2018: EU-Kür­zungen wegen Rechts­staats­de­fi­ziten / VW drohen wei­tere Klagen / Paris-Atten­täter ver­ur­teilt

24.04.2018

Die EU-Kommission will Fördermittel an Einhaltung rechtsstaatlicher Standards knüpfen. Außerdem in der Presseschau: Volkswagen drohen weitere Klagen von Zulieferern und Kunden und Salah Abdeslam wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt.

Thema des Tages

Kürzung von EU-Strukturhilfen: Die Europäische Kommission plant nach Informationen der FAZ (Hendrik Kafsack), in der kommenden Finanzperiode die Vergabe von EU-Fördermittel an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards sowie den erfolgreichen Kampf gegen Korruption zu knüpfen. Die Entscheidung über die Kürzungen solle weitgehend in der Hand der Kommission liegen, sodass auch die vier Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Slowakei und Tschechien sie nicht blockieren könnten.

In einem gesonderten Kommentar bezeichnet Hendrik Kafsack (FAZ) das Vorgehen der Kommission als ein gefährliches Spiel: "Wenn sie die Osteuropäer so in die Zange nimmt, droht die Atmosphäre schon zum Auftakt der schwierigen Gespräche über das Geld ganz vergiftet zu werden."

Rechtspolitik

Werbung für Schwangerschaftsabbrüche: Die SPD hat der Union ein Ultimatum zur Entkriminalisierung der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche gestellt. Das melden die SZ (Henrike Roßbach) und zeit.de. Wenn die Union nicht bis Herbst der Abschaffung des § 219a Strafgesetzbuch zustimme, werde man "in Gesprächen mit den reformwilligen Fraktionen" nach anderen Lösungen suchen, heißt es in dem Beschluss des Parteivorstandes.

TKÜ wegen Wohnungseinbruchdiebstahls: Die Union fordert, Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung bei allen Fällen von Wohnungseinbruchdiebstahl möglich zu machen. Der am Wochenende bekanntgewordene Rückgang der Taten sei ein "Ansporn", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion Stephan Harbarth (CDU) der FAZ (Eckart Lohse/Peter Carstens). In einem gesonderten Beitrag beschäftigt sich die FAZ (Peter Carstens/Markus Wehner) mit dem Rückgang. Dieser sei unter anderem auf den verstärkten Einsatz moderner Technik zurückzuführen.

Schwarzfahren: "Ich bin entschieden dagegen, Polizei und Justiz zu entlasten, indem wir eine bislang als strafbar erachtete Tat nicht mehr so schlimm finden, nur weil sie uns Arbeit macht." Mit diesen Worten erteilt die niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza (CDU) in der Welt Forderungen nach der Entkriminalisierung der Beförderungserschleichung eine Absage. In letzter Konsequenz führe auch an der Freiheitsstrafe kein Weg vorbei, wenn der Rechtsstaat Zähne zeigen wolle.

Schutz für Whistleblower: EU-Justizkommissarin Vera Jourová hat einen Entwurf für eine Richtlinie zum besseren Schutz von Hinweisgebern vorgelegt. Danach sollen Unternehmen und Behörden interne sichere Kanäle schaffen, um die Meldung von Missständen zu erleichtern. Wenn die Beschwerde keinen Erfolg habe oder ein nicht wiedergutzumachender Schaden droht, sollen sich Mitarbeiter an staatliche Stellen oder die Medien wenden können, ohne Sanktionen zu befürchten. Über den Vorschlag schreiben die FAZ (Hendrik Kafsack und die taz (Eric Bonse).

Kollektiver Rechtsschutz: Der Rechtsanwalt Tilman Petersen analysiert auf lto.de die bestehenden Möglichkeiten, um gegen Rechtsverstöße von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vorzugehen, um sich anschließend Vorschlägen zur Einführung von Formen kollektiven Rechtsschutzes zu widmen. Bei der geplanten Musterfeststellungsklage bestehe die Gefahr, dass der Klageweg übermäßig beschränkt werde. Der Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Einführung kollektiven Rechtsschutzes gehe über die Musterfeststellungsklage hinaus. Beides leiste einen Beitrag zum Abbau des rationalen Desinteresses des einzelnen Verbrauchers an der Rechtsdurchsetzung.

Politisierung der Wissenschaft: In Reaktion auf die Debatte um die Zulassung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat hat die EU einen Sonderausschuss zum Genehmigungsverfahren für Pestizide geschaffen, der am 12. April zum ersten Mal getagt hat. Die Rechtswissenschaftlerin Marta Morvillo erläutert auf verfassungsblog.de, warum sie darin eine Politisierung der Wissenschaft sieht.

Justiz

StA Berlin zu Tweet zu Beatrix von Storch: Die Berliner Staatsanwaltschaft sieht in dem Tweet von Beatrix von Storch, in dem die AfD-Politikerin von "muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden" sprach, keine Volksverhetzung. Das geht aus einem Vermerk hervor, in dem auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit hingewiesen wird. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) kritisiert die Kölner Polizei, die vorher öffentlichkeitswirksam Strafanzeige erstattet hatte, dafür, nicht mit dem Ausgang des Verfahrens an die Öffentlichkeit gegangen zu sein.

Klagen gegen Volkswagen: Die Zulieferergruppe Prevent droht damit, Volkswagen wegen der Nichteinhaltung von Lieferverträgen zu verklagen. Zugleich will man Strafanzeige wegen Eingehungsbetrugs erstatten, weil VW nie vorgehabt habe, die mit Prevent-Firmen eingegangene Vereinbarung einzuhalten. Der Volkswagen-Konzern verteidigt sich damit, dass er vor etwa zwei Jahren durch einen Lieferstopp von Prevent zum Abschluss der Verträge genötigt wurde, so die FAZ (Carsten Germis).

Auch seitens der Kunden drohen weitere Klagen: Logistikverbände sind an rund 12.000 Unternehmen herangetreten, um ihnen zu ermöglichen, sich einer Art Sammelklage anzuschließen. Dabei will man mit dem Rechtsdienstleister Myright und der US-Anwaltskanzlei Hausfeld zusammenarbeiten, wie die SZ (Thomas Fromm/Jan Willmroth) berichtet.

BAG zu Änderung der Vergütung durch Betriebsvereinbarung: Der Rechtsanwalt Alexander Greth stellt auf dem Handelsblatt-Rechtsboard die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11. April vor, nach der eine individualvertraglich vereinbarte Vergütung nach tariflichen Grundsätzen nicht durch eine Betriebsvereinbarung zum Nachteil des Arbeitnehmers abgeändert werden darf. Sollte die Entscheidung so zu verstehen sein, dass sie auch für in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Vergütungen gelte, dann enthalte sie eine Einschränkung der BAG-Rechtsprechung von 2013, nach der arbeitsvertragliche Abreden regelmäßig betriebsvereinbarungsoffen seien, wenn der Vertragsgegenstand in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sei und einen kollektiven Bezug habe.

OLG Frankfurt/Main zu Beendigung einer GbR: Nach der Beendigung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts hat der Gesellschafter für die Vergangenheit keinen Anspruch auf seinen Gewinnanteil, sondern nur auf seinen Anteil am Auseinandersetzungsguthaben. Das hat das Oberlandesgericht Frankfurt im Februar entschieden. Der Rechtsanwalt Niels George kommentiert nun im Hbl die Entscheidung. Es handele sich um eine "Abkehr vom juristischen Gemeingut in Sachen GbR". Der langgediente Gesellschafter werde seiner verdienten Gewinnanteile beraubt.

Recht in der Welt

USA – Cloud Act: Der sogenannte Cloud Act, der amerikanischen Ermittlern Zugriff auf die Nutzerdaten von Internetunternehmen gibt, ruft europäische Datenschützer auf den Plan. Sie sehen eine Kollision mit der neuen Datenschutzgrundverordnung und fordern eine europäische Reaktion auf das amerikanische Gesetz. Die Europäische Kommission wolle hingegen mit der E-Evidence-Richtlinie ähnliche Zugriffsmöglichkeiten schaffen, schreibt das Hbl (Dana Heide).

Syrien – Gewaltverbot: Reinhard Müller (FAZ) kommentiert die militärischen Angriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs gegen Syrien. Das Gewaltverbot der UN-Charta sei zwar nicht durchsetzbar wie staatliches Recht, aber gelte. Andererseits diene es nicht dem Schutz von Gewaltherrschern. Wenn als letztes Mittel nur der militärische Eingriff bleibe, dann müsse dessen Unausweichlichkeit im Sinne der internationalen Ordnung auf der Hand liegen und dürfe das Bekenntnis zum Gewaltverbot nicht an Glaubwürdigkeit verlieren.

Türkei – Cumhuriyet: spiegel.de (Maximilian Popp) veröffentlicht Auszüge aus den Protokollen des Prozesses gegen Journalisten der türkischen Zeitung Cumhuriyet, der in dieser Woche endet. Ihnen wird Propaganda für die Gülen-Bewegung und die kurdische PKK vorgeworfen.

Belgien – Urteil gegen Salah Abdeslam: Der mutmaßliche Paris-Attentäter Salah Abdeslam ist von einem Brüsseler Gericht zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. In dem Verfahren ging es lediglich um Schüsse auf Polizisten während seiner Festnahme. Sein Anwalt hatte auf Freispruch plädiert und unter anderem damit argumentiert, dass ein Oberuntersuchungsrichter durch eine auf Französisch gegebene Anweisung gegen das Brüsseler Sprachengesetz verstoßen habe. Abdeslam erwartet jetzt ein weiterer Prozess in Frankreich. Die SZ (Thomas Kirchner) und lto.de bringen Meldungen zum Verfahren.

EGMR – Richterwahl: Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet von Problemen bei der Besetzung von vakanten Richterstellen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Türkei habe zuletzt drei Listen mit je drei Richtern als Vorschläge eingereicht, von denen zwei abgelehnt und eine zurückgezogen wurden. Oft würden fachlich ungeeignete Personen vorgeschlagen. Zudem könne sich Straßburg als Karrierebremse erweisen, was fähige Kandidaten abschrecken würde.

Dänemark – Peter Madsen: Die SZ (Silke Bigalke) bringt eine ganzseitige Reportage über den U-Boot-Bauer Peter Madsen, dem vorgeworfen wird, die schwedische Journalistin Kim Wall getötet zu haben. Der Angeklagte spricht von einem Unfall. bild.de (Ingrid Raagaard) berichtet vom letzten Prozesstag. Das Urteil wird für Mittwoch erwartet.

Frankreich – Asylrecht: Die französische Nationalversammlung hat eine deutliche Verschärfung des Asylrechts beschlossen. Das Asylverfahren wird beschleunigt, Rechtsmittelfristen werden verkürzt und die mögliche Abschiebehaftdauer verlängert. Der Verabschiedung sind heftige Auseinandersetzungen auch innerhalb von Präsident Macrons Partei "La République en marche" vorhergegangen. Die Welt (Martina Meister) und die taz (Rudolf Balmer) berichten.

Rudolf Balmer (taz) kritisiert das Gesetz und dessen Zustandekommen: "Für jene Macron-Fans, die geglaubt hatten, dass 'En marche' eine demokratische Erneuerung der Politik bringen und ausgewogene Positionen, auf jeden Fall aber einen fortschrittlichen Humanismus vertreten werde, ist das neue Asylrecht eine doppelte Enttäuschung." Nikolas Busse (FAZ) begrüßt hingegen die Änderung. Es sei eine gute Entwicklung, dass Frankreich in der Asylpolitik den gleichen Ansatz verfolge wie Deutschland.

Sonstiges

Smartphone mit toten Finger knacken: lto.de (Markus Sehl) geht der Frage nach, ob es nach geltendem Recht zulässig ist, den Finger eines Toten dazu zu verwenden, ein Smartphone zu entsperren. Während Markus Hartmann, Oberstaatsanwalt bei der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen, ein solches Vorgehen für rechtmäßig hält, meint der Rechtswissenschaftler Christian Rückert, dass eine besondere Ermächtigungsgrundlage erforderlich ist. Die Maßnahme könne nicht auf die §§ 81a und § 81b Strafprozessordnung (StPO) oder die strafprozessuale Generalklausel gestützt werden, da erheblich in das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme und das postmortale Persönlichkeitsrecht eingegriffen werde.

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lto/dw

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. April 2018: EU-Kürzungen wegen Rechtsstaatsdefiziten / VW drohen weitere Klagen / Paris-Attentäter verurteilt . In: Legal Tribune Online, 24.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28233/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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