Die juristische Presseschau vom 20. April 2018: BGH bil­ligt Wer­be­b­lo­cker / Kritik an Poli­zei­rechts­muster / Urteil im Stau­fener Miss­brauchs­fall

20.04.2018

Der BGH hält sowohl Adblocker als auch dessen Whitelist für zulässig. Außerdem in der Presseschau: Seehofer will umstrittenes bayerisches Polizeigesetz für Mustergesetz verwenden und das LG Freiburg verurteilt Mann wegen Kindesmissbrauchs.

Thema des Tages

BGH zu Werbeblockern: Werbeblocker sind zulässig. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden und gleichzeitig die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln aufgehoben, das die sogenannte Whitelist als rechtswidrig angesehen hatte. Durch die Whitelist werden Webseiten von der Werbeblockade ausgenommen, die den Hersteller der Software an ihrem Umsatz beteiligen. Karlsruhe sah weder im Adblocker selbst noch in der Whitelist einen unlauteren Wettbewerb. Der Herstellerfirma Eyeon gehe es nicht um die Behinderung der Verlage. Diese könnten sich zudem schützen, indem sie Nutzer des Adblockers ganz von der Website ausschließen. Der Anwalt des klagenden Springer-Verlags sieht in der Entscheidung eine Verletzung der Pressefreiheit und will vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Die FAZ (Marcus Jung), taz.de (Christian Rath), tagesschau.de (Klaus Hempel), lto.de (Pia Lorenz) und netzpolitik.org (Ingo Dachwitz) berichten. Die SZ (Wolfgang Janisch) weist zudem darauf hin, dass es das erste Mal war, dass bei der Urteilsverkündung gefilmt werden durfte. Update um 9:55 Uhr: Das Video der Urteilsverkündung beim BGH findet sich bei tagesschau.de

Rechtspolitik

Verfassungsrichterwahl: Ende Juni scheidet der bisherige Vize-Präsident des Bundesverfassungsgerichts Ferdinand Kirchhof aus dem Amt. Bis dahin wird versucht, eine Nachfolge zu finden, die in zwei Jahren auch die Präsidentschaft von dem dann ebenfalls ausscheidenden Andreas Voßkuhle übernehmen soll. Die FAZ (Reinhard Müller) nennt potentielle Kandidaten, darunter den Parlamentarischen Staatssekretär im Innenministerium Günter Krings, die Richter an EuGH und EGMR Thomas von Danwitz und Angelika Nußberger sowie den Berliner Professor Christian Waldhoff. Neben der Personalie werde auch generell über das Vorschlagsrecht diskutiert. Während manche in Berlin und Karlsruhe ein Modell bevorzugten, nach dem Union und SPD pro Senat je drei Richter erhalten, FDP und Grüne je einen, beharre der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann auf einem Vorschlagsrecht der Grünen für die Nachfolge von Michael Eichberger im Ersten Senat.

Werbung für Schwangerschaftsabbrüche: Der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery schlägt als Kompromiss im Streit um die Strafbarkeit von Werbung für Schwangerschaftsabbrüche vor, dass es eine zentrale Liste geben solle, auf der alle Ärzte aufgeführt sind, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Dazu hat es laut FAZ (Andreas Mihm) bereits Gespräche mit dem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gegeben. Die SPD wird auf ihrem Parteitag am Sonntag über Anträge diskutieren, die die Bundestagsfraktion auffordern, einen Gesetzentwurf zur Abschaffung des § 219a StGB einzubringen, so die taz (Hanna Voß).

Musterpolizeigesetz: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat offenbar in einer geschlossenen Sitzung des Innenausschusses bestätigt, dass der geplante Musterentwurf für die Polizeigesetze der Länder sich an der Polizeigesetznovelle aus Bayern orientieren wird. Das sagte die Linken-Politikerin Martina Renner der taz (Malene Gürgen). Das in Bayern geplante Polizeiaufgabengesetz sieht unter anderem die Absenkung von Eingriffsschwellen durch die Einführung des Begriffs der "drohenden Gefahr" vor und stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken.

Polizeigesetz und Psychiatriegesetz Bayern: Die geplanten Änderungen am bayerischen Polizeiaufgabengesetz stoßen auf erheblichen Widerstand. In den vergangenen Wochen kam es zu mehreren Demonstrationen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte sammle Geld für Klagen. Auch das Psychiatriegesetz steht in der Kritik, wie nun auch  netzpolitik.org (Simon Rebiger) schreibt.

Brückenteilzeit: Der Rechtsanwalt André Zimmermann stellt auf dem Hbl-Rechtsboard den Referentenentwurf zum Recht auf befristete Teilzeit vor. Arbeitnehmer, die bei Arbeitgebern mit mehr als 45 Beschäftigten tätig seien, sollen danach eine befristete Teilzeit zwischen einem und fünf Jahren Dauer beantragen können, die der Arbeitgeber nur bei Vorliegen betrieblicher Gründe ablehnen könne. Zudem soll die Rückkehr aus unbefristeter Teilzeit in Vollzeit durch eine Änderung der Beweislast erleichtert werden. Die geplante Änderung erschwere Arbeitgebern die Planung der Bewältigung des Arbeitsvolumens, so der Autor.

Veröffentlichungspflicht für Facebook: Die taz (Dinah Riese) widmet sich der Frage, ob soziale Netzwerke wie Facebook verpflichtet werden sollten, rechtmäßige Beiträge zu veröffentlichen. Dabei wird auf das Fraport-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen, nach dem die Grundrechtsbindung privater Unternehmen der Grundrechtsbindung des Staates je nach Fall "nahe oder auch gleich kommen" könne. Zuletzt habe das Landgericht Berlin einer Klage gegen die Löschung eines rechtspopulistischen Posts stattgegeben.

Gesundheitsministerium und Medien: Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) kritisiert das Bundesgesundheitsministerium für seinen Umgang mit den Medien hinsichtlich des Streits um die Abgabepflicht für tödliche Medikamente. Das Ministerium versuche, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von März 2017 zu unterlaufen. Dazu würden wohlgesonnene Zeitungen mit Informationen gefüttert, während andere Medien, wie der Tagesspiegel, erst durch Klagen zu ihrem Recht kämen.

Justiz

BGH zu IS-Jugendlicher: Der Bundesgerichtshof hat das Urteil gegen Safia S. bestätigt, die 2016 aus islamistischer Motivation einem Polizisten in den Hals gestochen hat. Dafür war die damals 15-Jährige vom Oberlandesgericht Celle wegen versuchten Mordes und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu sechs Jahren Jugendhaft verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof sah in der Tat eine Unterstützung des IS, obwohl sich dieser nie zu dem Anschlag bekannte. Den Fall schildern die SZ (Wolfgang Janisch) und die taz (Christian Rath).

LG Freiburg zu Missbrauch in Staufen: Das Landgericht Freiburg hat einen der Täter im Staufener Missbrauchsfall zu zehn Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Der Mann hatte gestanden, einen Jungen zweimal missbraucht zu haben. Er war vorher bereits einmal wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden und hatte im Gefängnis den Vater des Kindes kennengelernt, der es ihm und anderen gegen Geld überließ. Das Verfahren gegen die Eltern steht noch aus. Über den Fall schreiben die SZ (Ralf Wiegand), die FAZ (Rüdiger Soldt) und spiegel.de (Arno Frank).

Ralf Wiegand (SZ) hält das Urteil für richtig. Der Prozess zeige jedoch auch, dass sich im Umgang mit solchen Straftätern etwas ändern müsse. Die Justiz versage dabei, derartige Täter zu kontrollieren.

VG Köln zu Mahnmal: Die Stadt Köln darf ein Mahnmal zum Gedenken an den Völkermord in Armenien beseitigen. Das hat das Verwaltungsgericht Köln entschieden. Von Mitgliedern einer Bürgerinitiative war eine Stele errichtet worden. Gegen deren Beseitigung stellten sie beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf einstweilige Anordnung und beriefen sich auf die Meinungsfreiheit, so focus.de.

ArbG Frankfurt/M. zu Betriebsratswahl bei Fluggesellschaft: Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat eine Betriebsratswahl bei der Fluggesellschaft Sun Express Deutschland per einstweiliger Verfügung untersagt. Das meldet die FAZ (Timo Kotowski). Das Unternehmen beruft sich auf eine Sonderregel, nach der ein vom fliegenden Personal ins Leben gerufener Betriebsrat nur geduldet werden muss, wenn dies im Tarifvertrag vorgesehen ist. Die Gewerkschaften Cockpit und Ufo wollen das Landessozialgericht anrufen.

LG Heilbronn – Aussagegenehmigung in Porsche-Prozess: Auch lto.de (Hasso Suliak) berichtet jetzt über die seitens des Bundesverkehrsministeriums verweigerte Genehmigung für eine Aussage des Präsidenten des Kraftfahrtbundesamtes in einem Prozess am Landgericht Heilbronn, in dem es um die Entschädigung eines Porsche-Kunden ging. Die Begründung des Ministeriums, dass es sich neutral zu verhalten habe, wird unter anderem von dem Staatsrechtler Ulrich Battis kritisiert.

EuGH zu Familiennachzug zu Minderjährigen: Auf verfassungsblog.de analysiert Constantin Hruschka, Leiter der Abteilung Protection der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Familiennachzug zu minderjährigen Flüchtlingen. In dogmatisch überzeugender Weise arbeite der Europäische Gerichtshof heraus, dass hinsichtlich der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen sei. Der Gerichtshof zeige, dass er den Mitgliedstaaten misstraue, indem er auf die Gefahr hinweist, dass sie bei einer anderen Auslegung die Familienzusammenführungsrichtlinie umgehen könnten. Die deutsche Praxis müsse komplett geändert werden.

Ombudsstelle geschlossene Fonds – Hamburg Trust: Hamburg Trust weigert sich, an einem Schlichtungsverfahren bei der Ombudsstelle geschlossene Fonds teilzunehmen. Der Immobilien-Investmentmanager hatte sich an einem Fonds der amerikanischen Paramount Group beteiligt und dabei Geld von Anlegern verloren. An dem Schlichtungsverfahren will er sich nicht beteiligen, obwohl er Mitglied der Ombudsstelle ist, so die FAZ (Markus Gotzi).

Recht in der Welt

EGMR – Transitzone in Russland: Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat die Beschwerde von vier Flüchtlingen verhandelt, die zwischen fünf Monaten und zwei Jahren auf einem Moskauer Flughafen verbrachten. In einer Kammerentscheidung wurde bereits die Verletzung des Rechts auf Freiheit sowie – wegen der "unzumutbaren Bedingungen" – des Verbots der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung festgestellt. Russland rief daraufhin die Große Kammer an und argumentiert, die Männer hätten in ihre Heimatländer zurückkehren oder in jeden Drittstaat reisen können. Die Anwälte der Beschwerdeführer weisen hingegen darauf hin, dass die Betroffenen um Asyl nachsuchten. lto.de (Markus Sehl) berichtet.

Sonstiges

Selbstanzeigen durch Flüchtlinge: lto.de (Tanja Podolski) befasst sich mit dem zu beobachtenden Trend, dass sich immer mehr Flüchtlinge wegen Mitgliedschaft in Terrorgruppen selbst anzeigten. Die Anhörungsprotokolle würden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an die Staatsanwaltschaften abgegeben, die gegebenenfalls den Generalbundesanwalt einschalten. Die Selbstbezichtigungen zielten möglicherweise auf die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten, für die indes die speziellen Ausschlusstatbestände für Straftäter nicht gelten.

AfD-Stiftung: Die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung will versuchen, noch in diesem Jahr Gelder aus dem Bundeshaushalt zu bekommen. Sie beruft sich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1986, nach dem "alle dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmungen in der Bundesrepublik Deutschland angemessen berücksichtigt" werden müssen. Fraglich sei, ob der erstmalige Einzug in den Bundestag genüge, so die FAZ (Justus Bender).

Schufa-Formel: Durch die neue Datenschutzgrundverordnung könnten Verbraucher zukünftig einen Anspruch darauf haben, zu erfahren, wie sich der Schufa-Score zusammensetzt. Die Welt (Thomas Heuzeroth/Karsten Seibel) zitiert den Medienrechtler Wolfgang Schulz, der es für fraglich hält, ob hier der Verweis auf das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis auch nach der Datenschutzgrundverordnung gilt. Der Bundesgerichtshof hatte bisher nur einen Anspruch auf Mitteilung der Kriterien bejaht.

Das Letzte zum Schluss

Zwangsgeräumtes Diebesgut: Die Wohnung des mutmaßlichen Kinderwagendiebes René M. wurde laut bild.de (Thilo Scholtyseck) zwangsweise geräumt. Der Mann habe über Jahre Kinderwagen gestohlen und 800 Stück in seiner Wohnung gelagert. Bereits Mitte 2016 erhielt er die Kündigung, weil die Kinderwagen-Lagerung gegen den Brandschutz verstoße.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dw

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. April 2018: BGH billigt Werbeblocker / Kritik an Polizeirechtsmuster / Urteil im Staufener Missbrauchsfall . In: Legal Tribune Online, 20.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28179/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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